Edelmannfall

Edelmannfall

Mit dem Edelmann-Fall ist die Entscheidung des Reichsgerichts (RG) vom 21. Mai 1927 gemeint.[1] Sie zeigt exemplarisch auf, wie sich Rechtsnormen von solchen Verpflichtungen unterscheiden, die lediglich aus moralischen Überlegungen erwachsen.

Im Fall versprach der Generaldirektor, ein Herr v.Z., dem als Betriebsleiter angestellten A, das ihm als Dienstwohnung überlassene Haus in der K.straße 6 in O. Da eine notarielle Beurkundung nicht erfolgte, stellte A die Ernstlichkeit der Übereignungsabsicht in Frage, worauf v.Z. entrüstet erklärte, bei ihm herrschten keine „jüdischen Gepflogenheiten“, A könne vollkommen beruhigt sein, schließlich sei er von Adel. Als jedoch nichts passierte, bat A erneut um die Auflassung des Hausgrundstücks, worauf v.Z. erwiderte, dass dies nicht eile, da es sich um eine reine Formsache handeln würde, die notarielle Erklärung könne jederzeit abgegeben werden, sein Edelmannswort wäre für A so gut wie ein Vertrag. Obwohl der Generaldirektor v.Z. nach seinen Angaben noch nie ein Versprechen gebrochen hatte, hielt er sein Wort gegenüber A nicht, weshalb dieser sein Begehren gerichtlich durchzusetzen versuchte – allerdings ohne Erfolg.

Denn die Verpflichtung zur Übereignung eines Hausgrundstücks ist nach deutschem Recht nur dann bindend, wenn sie in einem notariellen Vertrag übernommen wurde. Zwar sieht § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB bei bewusstem Außerachtlassen gesetzlicher Formvorschriften eine Heilungsmöglichkeit für den Fall vor, dass gleichwohl die Auflassung und die Eintragung ins Grundbuch erfolgen. Dazu ist es im Edelmann-Fall aber gerade nicht gekommen, so dass der Anspruch auf Übereignung nicht entstanden ist.

Der Beispielsfall soll zeigen, dass der Wortbruch eines als ehrenhaft geltenden Rechtsgenossen zwar sittlichen Pflichten widersprechen wird – zumal wenn damit ein bestimmtes Verhalten provoziert werden soll (wie hier wohl das jahrelange sich Zufriedenstellen des Betriebsleiters mit einem geringeren Lohn) – als solcher aber eine Rechtspflicht nicht auszulösen vermag. Die Befolgung von Verpflichtungen aus Anstand und Moral entzieht sich daher staatlicher Kontrolle, wenn damit nicht zugleich rechtsnormverletzendes Verhalten einhergeht. „Wer sich statt auf das Recht auf ein ‚Edelmannswort‘ verlässt, muß es hinnehmen, wenn der ‚Edelmann‘ sein Wort nicht hält.“[2].

Beachte: Eine Korrektur über § 242 BGB scheidet auch dann aus, wenn eine Abwägung zwischen der Rechtssicherheit und der gerechten Lösung des Einzelfalls eine unbillige Härte ergeben, da die Beteiligten hier bewusst vom gesetzlichen Formerfordernis abgewichen sind („Wer sich außerhalb der Rechtsordnung stellt, hat ihren Schutz nicht verdient“). Jedoch wird bei bloß fahrlässigem Außerachtlassen der Formvorschriften – folgt man einer laiengünstigen Auslegung – von der Wirksamkeit ausgegangen werden können. Ebenso wenn ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Beteiligten vorliegt, z. B. wenn der eine Teil unter Ausnutzung seiner wirtschaftlichen und sozialen Stellung den anderen Teil von der Wahrung der Form abhält. So in einer zum Edelmannfall ähnlich gelagerten Entscheidung des früheren V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs[3] „königlicher Kaufmann“ in Weiterentwicklung zur Entscheidung zum Höferecht.[4]

Der in der Verweigerung zur Beachtung der Formvorschriften durch Hinweis auf die „jüdischen Gepflogenheiten“ zum Ausdruck kommende Antisemitismus dürfte der damals insbesondere unter Aristokraten verbreiteten und von Geringschätzung und Ablehnung gegenüber den Juden geprägten Geisteshaltung entsprechen. Für die juristische Bewertung des Falles ist dies indes ohne Belang, weil darin zwar eine niedere Gesinnung zum Ausdruck kommt, diese aber für die Wirksamkeit einer formbedürftigen Willenserklärung keine Rolle spielt.

Einzelnachweise

  1. RGZ 117, 121.
  2. Werner Flume, Allgemeiner Teil Band 2. S. 279 f.
  3. BGHZ 48, 396 = BGH NJW 68, 39.
  4. BGHZ 23, 249.

Siehe auch

Weblinks

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