Ahornsiruperkrankung

Ahornsiruperkrankung
Klassifikation nach ICD-10
E71.0 Ahornsirup- (Harn-) Krankheit
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Unter der Ahornsirupkrankheit (engl.: Maple syrup urine disease) oder Verzweigtkettenkrankheit oder Leuzinose versteht man eine autosomal-rezessiv vererbte Krankheit, die Störungen im Aminosäurestoffwechsel hervorruft. Die Krankheit tritt nur selten auf (1:216.000), allerdings gibt es Häufungen in Georgien (1:123.000) und bei den Mennoniten (1:760), einer Religionsgemeinschaft im US-Bundesstaat Pennsylvania.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

Die Ursache ist ein defektes autosomal-rezessiv vererbtes Gen, das für ein Protein des 2-Ketosäuren-Dehydrogenase-Komplexes (BCKAD-Komplex) kodiert. Dadurch wird der Abbau der verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin (Leu), Isoleucin (Ile) und Valin (Val) in Leukozyten, Fibroblasten und im Lebergewebe drastisch verringert. Diese Aminosäuren und deren Abbauprodukte (Ketosäuren und anderen Zwischenprodukte) reichern sich um den Faktor 10–40 in Blut und Urin an. Des Weiteren kommt es zu Blutzuckermangel (Hypoglycämie), metabolischer Azidose (Blut-pH unter 7,36), Störungen der Harnsäureausscheidung und Hemmung der Myelinisierung.

Klinische Symptome

Bereits in der ersten Lebenswoche zeigt der erkrankte Säugling Nahrungsverweigerung, Teilnahmslosigkeit (Apathie), Trinkschwäche, Opisthotonus (Rückwärtsbeugung des Kopfes und Überstreckung der Extremitäten und des Rumpfes), schrilles Schreien, Muskelhypotonie (verringerter Muskelwiderstand bei passiver Dehnung) und –steifheit, Krampfanfälle. Auch ein Koma kann auftreten. Unerkannt führt die klassische Variante der Ahornsirupkrankheit schon nach wenigen Tagen (etwa 7.-15. Lebenstag) zu schweren bleibenden Hirnschäden. Bleibt die Krankheit unbehandelt, führt sie innerhalb kurzer Zeit zum Tod.

Der Uringeruch wird als würzig-süßlich nach Ahornsirup, Maggi, Curry oder verbranntem Zucker beschrieben durch das im Leucinintermediärstoffwechsel gebildete Sotolon [1]

Verlaufsformen

a) klassisch: Diese Form ist die häufigste Erkrankungsform. Die Restenzymaktivität liegt bei weniger als 2% und die klinischen Symptome sind innerhalb der ersten Lebenstage erkennbar.

b) intermediär: Die Enzymaktivität liegt bei 5-20%. Das Schädigungsspektrum liegt von Entwicklungsverzögerung bis hin zum Schwachsinn, vor allem bei gesteigertem Katabolismus oder nach Proteinzufuhr von mehr als 1–1,5 g/kg KG·d (Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht und Tag) und Ketoazidose.

c) intermittierend: Es sind 3-30 % der Enzymaktivität nachweisbar. Die Form tritt erst im Alter von 12–24 Monaten auf bei starkem Katabolismus und (wahrscheinlich) erheblicher Proteinzufuhr. Es treten auf: Bewegungskoordinationsstörungen (Ataxie), Krämpfe, Koma. Außerhalb der Krisen-Patienten ist diese Form jedoch unauffällig.

d) thiaminabhängig: Durch die Steigerung der Enzymaktivität durch große Thiaminmengen (100–1000 mg/24 h) ist meistens keine Einschränkung der Eiweißzufuhr notwendig.

Diagnostik

  • pränatal: Defektnachweis des Enzyms in Amnionzellen möglich
  • Neugeborenen-Screening: durch massenspektrometrische Verfahren im Plasma und Urin, im Blut [Leu]> 8 mg/dl in den ersten 3 Lebenstagen
  • Orientierend: durch 2,4-Dinitrophenylhydrazin (DNPH) im Urin (tiefrote Reaktion auf BCAA)
  • Atemtest mit markiertem 13C-Isotop: Bedarfsermittlung an Leucin
  • außerhalb der Krisen liegen die Aminosäurewerte bei intermittierender Form im Normbereich

Therapie

Bei geringstem Verdacht wird bereits in den ersten Lebenstagen eine Einstellung der Proteinzufuhr verordnet.

  • akute Entgiftung durch Peritonealdialyse (frei von Stickstoffquellen), Plasmapherese, kontinuierliche arteriovenöse Hämofiltration, um den Leucinwert unter 0,5 mmol/l zu bringen
  • Ausgleich der Azidose und Behandlung der Hypoglycämie mit hohen Glucosedosen (Insulin 0,2 IE/kg Kg/h i.v., Glu 1 g/kg KG/h i.v.)
  • Applikation einer Fett-Kohlenhydrat-Elektrolytmischung über eine Nasen-Magen-Sonde
  • Initialtherapie in der neugeborenen (neonatalen) Periode: BCAA-freie Protein- und Energiegaben aus Dextrose, Lipiden und bei mind. 20 % der Enzymaktivität 1,5 g Protein/kg KG/d
  • Normalisierung: Ile innerhalb von zwei bis drei Tagen, Leu innerhalb von acht bis zehn Tagen
  • Langzeitbehandlung: natürliche Lebensmittel in Kombination mit Aminosäuregemischen ohne verzweigtkettige Aminosäuren (etwa MSUD 1 und 2 von Milupa und ILV-AM von Maizena) mit lebenslanger Überwachung des Blutspiegels
  • Indirekte Kontrollmöglichkeit des Leucinspiegel über die Messung des Ketonspiegels im Urin (Keto-Sticks)

Ernährungsgestaltung

im Säuglingsalter

  • ausschließlich pflanzliche Proteinquellen verwenden
  • längere nächtliche Nüchternphasen vermeiden, Spätmahlzeit zwischen 22 und 24 Uhr bis zum Ende des ersten Lebensjahres beibehalten
  • im Alter von einem Jahr: morgens und abends Kohlenhydrathaltige Getränke
  • Obst und Gemüse mit niedriger [Leu] <50 mg/ 100 g erlaubt:
Obst: Äpfel, Aprikosen, Kirschen, Trauben, Grapefruit, Mandarinen, Orangen, Pfirsiche, Ananas, Pflaumen, Erdbeeren, Himbeeren
Gemüse: gekochter Spargel, Artischocken, Auberginen, Bohnen, Rote Beete, Weißkohl, Karotten, Gurken, grüner Salat, Zwiebeln, Paprika, Tomaten

Klein- und Schulkinder

  • bei leichten Infekten Notfallprogramm: Starke Reduktion und eventuell Substitution der Zufuhr an BCAA und Erhöhung des Proteinersatzpräparats, möglichst auf Zufuhr leucinhaltiger Lebensmittel verzichten

Prognose

Ausschlaggebend ist zeitlicher Abstand zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der Diagnosestellung. Es bestehen gute Überlebenschancen, jedoch Schädigungen des Großhirns und geistige Retardierung ist möglich. Bei Infekten kommt es jedoch oft zu Stoffwechselentgleisungen.

Quellen

  • Koletzko B.: Kinderheilkunde und Jugendmedizin. 12. Auflage, Springer, Berlin 2004. ISBN 3-5404-4365-7
  • Shils ME, Olson JA, Shike M, Ross AC (Hrsg.): Modern nutrition in health and disease. 9. Auflage, Williams & Wilkins, Baltimore 1999
  • Sitzmann FC.: Pädiatrie. 3. Auflage, Thieme, Stuttgart 2006. ISBN 3-1312-5333-9
  • Stein J, Jauch KW.: Praxishandbuch klinische Ernährung und Infusionstherapie. Springer, Berlin 2003. ISBN 3-5404-1925-X
  • http://www.stoffwechselzentrum-muenchen.de/erkrank/ahornsir.htm (1. November 2005)

Referenzen

  1. Podebrad F, Heil M, Reichert S, Mosandl A, Sewell AC, Böhles H: 4,5-dimethyl-3-hydroxy-2[5H]-furanone (sotolone)--the odour of maple syrup urine disease. J Inherit Metab Dis. 1999 Apr;22(2):107-14. PMID 10234605
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