Ernst Freiherr von Weizsäcker

Ernst Freiherr von Weizsäcker
Ernst von Weizsäcker, zwischen 1938 und 1943, am Revers das NSDAP-Parteiabzeichen

Ernst von Weizsäcker (Ernst Heinrich Freiherr von Weizsäcker; * 25. Mai 1882 in Stuttgart; † 4. August 1951 in Lindau) war ein deutscher Diplomat, SS-Brigadeführer und Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Wegen Deportationen französischer Juden nach Auschwitz wurde er in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt. Er war der Vater des von 1984 bis 1994 amtierenden Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Jugend und Erster Weltkrieg

Ernst Weizsäcker wurde als Sohn des späteren württembergischen Ministerpräsidenten Karl Hugo Freiherr von Weizsäcker und dessen Ehefrau Paula (geb. von Meibom) in Stuttgart geboren. 1911 heiratete er Marianne von Graevenitz. 1916 wurde sein Vater mit seiner ganzen Familie von König Wilhelm II. von Württemberg nach der (zuvor erfolgten) Verleihung des erblichen Adels in den Freiherrnstand erhoben.

Nach einem guten Abitur diente er ab 1900 als Seekadett bei der Kaiserlichen Marine. Im Zuge seiner zweiundvierzigmonatigen Ausbildung besuchte er in dieser Zeit insbesondere die Länder des Fernen Ostens. So kam er nach Japan, Ostrussland, Burma, Indonesien und Thailand und Indien. In China besuchte von Weizsäcker 1903, gemeinsam mit Werner von Rheinbaben, dem er in diesem Jahr als Leutnant zugeteilt wurde, und dem Kaisersohn Prinz Adalbert im Auftrag von Kaiser Wilhelm II. die Verbotene Stadt in Peking und traf bei dieser Gelegenheit auch die chinesische Kaiserinwitwe Cixi. Es folgten die Beförderung zum Oberleutnant, 1905, und die Versetzung in ein in Wilhelmshaven stationiertes Torpedoversuchskommando.

1908 wurde von Weizsäcker als Wachoffizier auf die Hannover, das Flaggschiff des I. Geschwaders der deutschen Marine versetzt. 1909 kam er als Erster Flaggoffizier der Hochseeflotte auf die Deutschland. Nachdem er am 6. September 1909 sein Kapitänleutnantspatent erhalten hatte, gehörte er ab 1912 dem Marinekabinett des Kaisers in Berlin an, für das er in der Abteilung „Orden und Ehrengerichte“ tätig wurde.

Zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns 1914 kam von Weizsäcker als Admiralstabsoffizier zum II. Admiral (Schaumann) des III. Linienschiffsgeschwaders.[1] Im März 1915 wurde er dem Kapitän der Markgraf „zur besonderen Verwendung“ zugewiesen. Es folgten bis 1918 acht weitere Tätigkeiten. 1916 nahm er als Zweiter Flaggoffizier an Bord des Flottenflaggschiffes Friedrich der Große an der Skagerrakschlacht teil. Anfang 1918 wurde er zum Korvettenkapitän befördert. Ab August 1918 gehörte er wieder dem Admiralstab der Seekriegsleitung unter Admiral von Scheer an. Von Juni 1919 bis April 1920 fungierte er in Den Haag als eine Art Marine-Attaché.

Laufbahn im Auswärtigen Amt

Weizsäcker auf der Anklagebank in Nürnberg, vordere Reihe links außen.

Am 1. April 1920 wurde er auf Probe in den Dienst des Auswärtigen Amtes berufen, obwohl er weder, wie vorgeschrieben, ein Studium noch das diplomatisch-konsularische Examen vorweisen konnte. In der Weimarer Republik übernahm er eine Reihe von diplomatischen Aufgaben: Anfang 1921 war er Konsul in Basel, Ende 1924 war er Gesandtschaftsrat in Kopenhagen und ab Februar 1927 arbeitete er in Genf im Abrüstungsreferat.

Danach folgten sechs Monate in Berlin beim Reichstagsausschuss für Auswärtiges, dann wieder vier Monate in Genf. Anfang 1928 wurde er Leiter des Referates für Abrüstung und im Juli 1931 Gesandter in Oslo. Ab Mai 1933 war er mehrfach nach Berlin befohlen worden und leitete fast zwei Monate die Personalabteilung in Vertretung.

Im September 1933 wurde er Gesandter in der Schweiz. Mitte 1936 vertraute ihm Neurath die vorläufige Leitung der Politischen Abteilung an. Anfang März 1937 musste Weizsäcker nach Bern zurückkehren.[2]

Zum 1. April 1938 war er der NSDAP mit der PG-Nr. 4.814.617 beigetreten. Am 20. April 1938 wurde Weizsäcker als SS-Mann Nr. 293.291 zum SS-Oberführer befördert und dem persönlichen Stab Himmlers zugeteilt.

Offenbar auf Hitlers Wunsch wurde Weizsäcker am 24. März 1937 zum Ministerialdirektor und ein Jahr später, am 1. April 1938, zum ersten Staatssekretär des Auswärtigen Amtes ernannt. Nach späteren eigenen Aussagen übernahm Weizsäcker das Staatssekretärsamt, weil er hoffte, in den Krisenjahren 1938/39 durch außenpolitische Obstruktion den Frieden zu erhalten, um die bis dahin erzielten außenpolitischen Erfolge des Deutschen Reiches zu wahren. Im Falle eines Krieges sah Weizsäcker nämlich nicht nur das Ende des Dritten Reiches, sondern „Finis Germaniae“ voraus. Erfolg hatte Weizsäcker bei seinen vorgeblichen Bemühungen, den von Hitler angestrebten Weltkrieg zu verhindern, nicht. Die Anfangssiege, insbesondere der Sieg über Frankreich, haben ihn begeistert. Er hatte sich stets gegen einen Krieg mit Russland[3] bzw. Stalin ausgesprochen, doch sobald der Sieg wieder möglich erschien, schien er Hitler zu zitieren.[4]

Trotz angeblich schwerwiegender Differenzen mit seinem Vorgesetzten, Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, dem er seine bisherige Karriere verdankte, verblieb Weizsäcker bis 1943 in dieser Funktion. Sein Nachfolger als Staatssekretär wurde am 31. März 1943 der bisherige Ministerialdirigent Gustav Adolf Steengracht von Moyland. Weizsäcker wurde am 24. Juni 1943, angesichts der bevorstehenden Niederlage auf eigenen Wunsch als erster und einziger deutscher SS-Offizier, deutscher Botschafter beim Heiligen Stuhl nach Rom versetzt. Mit der Befreiung Roms im Juni 1944 wurde die deutsche Botschaft in den Vatikan verlegt, wo Weizsäcker auch noch nach der Kapitulation Deutschlands bis August 1946 blieb.

Zu Papst Pius XII. und Pater Robert Leiber hatte er nach eigenen Angaben ein freundschaftliches Verhältnis.

Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Ernst Heinrich von Weizsäcker als ein Hauptangeklagter im Wilhelmstraßen-Prozess gegen ranghohe NS-Ministerialbeamte

Ernst von Weizsäcker ging zuerst freiwillig unter päpstlichem Schutz und unter Zusagen Frankreichs als freier Zeuge nach Nürnberg und wurde dort im Juli 1947 von den Amerikanern verhaftet. In Nürnberg – im so genannten Wilhelmstraßen-Prozess – wurde er als Kriegsverbrecher angeklagt. Am 6. Februar 1948 wurde u.a. der Diplomat und Verwaltungsjurist Otto Bräutigam als Zeuge vernommen.[5] Am 14. April 1949 wurde Weizsäcker wegen seiner aktiven Mitwirkung bei der Deportation französischer Juden nach Auschwitz und damit wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 5 Jahren Haft verurteilt. Er wurde am 16. Oktober 1950 aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg im Zuge einer allgemeinen Amnestie entlassen.[6] Dem Gericht lagen zum Zeitpunkt des Urteils allerdings nicht alle heute bekannten Dokumente vor. Sein Sohn Richard von Weizsäcker trat in dem Prozess als sein Hilfsverteidiger auf und plädierte wie damals alle Verteidiger auf die vollkommene Unwissenheit und virtuelle Unschuld seines Vaters.

Ernst von Weizsäcker in Nürnberg zusammen mit seinem Sohn Richard von Weizsäcker

Ernst von Weizsäcker hatte Deportationsbefehle für französische Juden in das Konzentrationslager Auschwitz abgezeichnet.[7] Vor Gericht verteidigte er sich mit dem Argument, die in Frage kommenden Juden seien schon interniert und in Gefahr gewesen und man hätte sehr leicht zu dem Schluss kommen können, dass sie bei der Deportation nach dem Osten weniger Gefahr laufen würden als an ihrem jetzigen Aufenthaltsort; zu jener Zeit habe der Name Auschwitz für niemanden etwas Besonderes bedeutet. Die Richter bezweifelten jedoch diese Darstellung.

Seine Strategie zu behaupten, von den Todeslagern erst nach dem Krieg erfahren zu haben, die verschleiernde Terminologie der „Endlösung der Judenfrage“ und den „Arbeitseinsatz im Osten“ nicht durchschaut zu haben, wurde von den meisten damaligen Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes genutzt. Allerdings gibt es Indizien für die vorhandene Kenntnis vom verbrecherischen Vorgehen des NS-Staates gegenüber Juden, zum Beispiel die Vortragsnotiz vom 10. Dezember 1941 des Unterstaatssekretärs Luther, Teilnehmer der Wannseekonferenz. Diese hatte er zum Vorgehen der Einsatzgruppen für den Reichsaußenminister vorbereitet. Weizsäcker hat sie zur Kenntnis genommen und mit seiner Paraphe versehen. Im Berichtsteil „Judentum“ findet sich Folgendes:

„Im Reichskommissariat Ostland wurde […] eine Festnahmeaktion sämtlicher Juden […] eingeleitet, […] etwa 2.000 […]. Die männlichen über 16 Jahre alten Juden wurden mit Ausnahme der Ärzte und der Judenältesten exekutiert […]. In der Ukraine wurden als Vergeltungsmaßnahmen für die Brandstiftungen in Kiew dortselbst sämtliche Juden verhaftet und Ende September d. J. insgesamt mehr als 33 000 Juden hingerichtet. In Shitomir wurden mehr als 3.000 Juden zur Vermeidung der Anstiftung von Sabotage durch sie erschossen. Im Raum ostwärts des Dnjepr wurden annähernd 5.000 Juden erschossen.“

Dem war beigefügt der Tätigkeits- und Lagerbericht Nr. 6 der Einsatzgruppen. Dort findet sich folgende Passage:

„Die Lösung der Judenfrage wurde insbesondere im Raum ostwärts des Dnjepr seitens der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD energisch in Angriff genommen. Die von den Kommandos neu besetzten Räume wurden judenfrei gemacht. Dabei wurden 4 891 Juden liquidiert.“

1950 veröffentlichte er seine im Gefängnis verfassten Erinnerungen, in denen er seine Rolle während der NS-Zeit zu rechtfertigen suchte und seine Verdienste als Mann des Widerstands hervorhob.

Am 4. August 1951 erlag Weizsäcker in einem Krankenhaus in Lindau am Bodensee den Folgen eines Schlaganfalls.

Auszeichnungen

Ernst von Weizsäcker erhielt vor allem als Diplomat eine Vielzahl von Auszeichnungen:[8]

1917 erhielt er das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse (Datum nicht den Akten zu entnehmen) und Erster Klasse.

1942 erhielt Weizsäcker von Heinrich Himmler den SS-Ehrendegen und den SS-Totenkopfring verliehen.[9] Die Datierung für den Totenkopfring ist nicht sicher.[10]

Sonstiges

Er ist der Bruder des Mediziners Viktor von Weizsäcker. Ernst von Weizsäcker hatte vier Kinder:

Die weiteren Verwandtschaftsverhältnisse sind im Artikel Weizsäcker dargestellt.

Veröffentlichungen

  • Ernst von Weizsäcker: Erinnerungen. (hrsg. von Richard von Weizsäcker) List Verlag, München/Leipzig/Freiburg 1950
  • Ernst von Weizsäcker: Aus seinen Gefängnisbriefen 1947-1950. Scheufele, Stuttgart o. J. [1955]
  • Leonidas E. Hill (Hrsg.): Die Weizsäcker-Papiere 1933-1950. Propyläen–Verlag, Berlin/Frankfurt am Main/Wien 1974, ISBN 3-549-07306-2 (Tagebücher)

Literatur

  • Rainer A. Blasius: Für Großdeutschland - gegen den großen Krieg. Staatssekretär Ernst Frhr. von Weizsäcker in den Krisen um die Tschechoslowakei und Polen 1938/39. Böhlau, Köln/Wien 1981, ISBN 3-412-00781-1
  • Christopher R. Browning: The Final Solution and the German Foreign Office. A Study of Referat D III of Abteilung Deutschland 1940-43. Holmes & Meier, New York/London 1978, ISBN 0-8419-0403-0
  • Hans-Jürgen Döscher: SS und Auswärtiges Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der „Endlösung“. Siedler, Berlin 1987, ISBN 3-88680-256-6; Ullstein, Frankfurt/Berlin 1991, ISBN 3-548-33149-1
  • Rolf Lindner: Freiherr Ernst Heinrich von Weizsäcker, Staatssekretär Ribbentrops von 1938 bis 1943. Robe-Verlag, Lippstadt 1997, ISBN 3-9800405-3-4.
  • Léon Poliakov, Joseph Wulf: Das Dritte Reich und seine Diener. Dokumente. arani-Verlag, Berlin 1956; Ullstein, Frankfurt/Berlin/Wien 1983, ISBN 3-548-33037-1
  • Gerald Reitlinger: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939 - 1945. Colloquium Verlag, Berlin 1956; erneut 1992, ISBN 3-7678-0807-2
  • Stephan Schwarz: Ernst Freiherr von Weizsäckers Beziehungen zur Schweiz (1933 - 1945). Ein Beitrag zur Geschichte der Diplomatie. Lang, Bern [u. a.] 2007, ISBN 978-3-03911-207-4 (Diss. an der Universität Zürich)
  • Jobst Knigge: Der Botschafter und der Papst. Weizsäcker und Pius XII.. Die deutsche Vatikanbotschaft 1943-1945. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2008, ISBN 978-3-8300-3467-4
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer, Frankfurt am Main 2007. ISBN 978-3-596-16048-8. (Aktualisierte 2. Auflage)
  • Hermann Weiß (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 1998, ISBN 3-10-091052-4

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bundesarchiv-Militärarchiv, RM 2, 1149, Fiche 1.
  2. W. Geldakte 2, 156
  3. Brief vom 9. September 1914: „Bei mir kommt jetzt der Hass hinzu. Das Volk, das unserem Vater eine Wunde beibrachte und das uns den Bruder nahm, soll … Deutschland nie mehr gefährlich werden“
  4. „Unsere Kolonien liegen in Rußland“, „Rußland wird unser Indien“, „Über Leningrad muss der Pflug gehen“, „Man mag Stalin am Leben lassen“, „Stalin und Churchill lieben wir fast“, „wir planen ein Spurweite von drei Metern“, „Die Bevölkerung darf nicht wieder eine Intelligenz bilden. Sie muss fronen“. Lindner S. 274ff.
  5. H.D. Heilmann, Aus dem Kriegstagebuch des Diplomaten Otto Bräutigam, in: Götz Aly u.a. (Hrsg.): Biedermann und Schreibtischtäter. Materialien zur deutschen Täter-Biographie, Institut für Sozialforschung in Hamburg: Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik 4, Berlin 1987, S. 123 f., ISBN 3-88022-953-8.
  6. Hermann Weiß (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main, 1998, S. 485.
  7. „Einer, dem man glaubt“ von Heinrich Senfft auf der Website der Stiftung für Sozialgeschichte.
  8. SS-Personalakte Weizsäcker, Berlin Document Center und Rangliste der Kaiserlich Deutschen Marine für das Jahr 1916
  9. 3. Oktober 1942 an Himmler: „Hiermit melde ich den Empfang des mir vom Reichsführer-SS verliehenen Totenkopfrings.“ – Lindner, Anlage 24
  10. SS-Personalakte Weizsäcker, Berlin Document Center

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