Ethnomusikologie

Ethnomusikologie

Musikethnologie, auch Ethnomusikologie oder "vergleichende" Musikwissenschaft, ist in der Musikwissenschaft das musikologische (historisch, systematisch) und kulturwissenschaftliche Studium von unvertrauter Musik. D. h., Gegenstand ist:

  • Musik, die außerhalb der abendländischen Musiktradition steht, sowie
  • abendländische Volksmusik und
  • (in Dichotomie zur abendländisch-europäischen Opusmusikkultur gesehener) sogenannte Popularmusik einschließlich Jazz, Subkulturen, Regionalmusikkulturen sowie im Migrationskontext entstandener, meist hybrider Musikkulturen etc. (Transkulturalität).

Ein wichtiges Untersuchungsgebiet stellt die Beobachtung und Beschreibung hybrider Ausdrucksformen dar. Eine der Disziplinen der Musikethnologie ist die Untersuchung dieser Musik in ihrem kulturell-gesellschaftlichen Kontext, ihrer Funktionalität und formativen Wirkung innerhalb eines kulturellen Systems, das in seiner Dynamik und Struktur beobacht- und beschreibbar ist.

Methodische Überschneidungen ergeben sich sowohl mit der Musiksoziologie als auch mit der Notentext-Hermeneutik abendländisch-europäischer Musiktheorie.

Musikethnologie im engeren Verständnis umfasst das Studium von Musik zum einen in ihrer internen Struktur, ihrer inneren Bedeutung und ihrer Beziehung zu anderer Musik (Mikroanalyse), zum anderen in ihrer Funktionalität und Einbettung in den weiteren kulturell-gesellschaftlichen Kontext (Makroanalyse). Gegenüber der historischen vergleichenden Musikwissenschaft, die außereuropäische Musik mit den Kriterien abendländischer Musik und vor deren normativem Hintergrund betrachtete, versucht die moderne Musikethnologie unvertraute Musik in ihrer eigenen Geschichte, in ihrer Eigenständigkeit und ihrem Eigenwert zu begreifen (Kultur als System).

Im Sinne des zweiten Verständnisses beschreibt Jeff Todd Titon Musikethnologie als das Studium von Menschen, die Musik machen. Musikethnologie bezieht die gesellschaftlichen Bezüge und Funktionen der Musik ein. Eine systematisch theoretische Beschäftigung mit (unvertrauter) Musik allein genügt den Ansprüchen der Musikethnologie nicht.

Musikethnologie wird sowohl von Musikwissenschaftlern als auch Ethnologen betrieben, die neben der Musik auch viele andere Aspekte der untersuchten Gesellschaften studieren. Dabei nutzen sie sowohl das analytische Werkzeug der abendländisch-europäischen Musiktheorie, etwa zur Identifizierung von Tonsystemen und Rhythmen, als auch Methoden, die die empirische Sozialforschung betreffen, wie Feldforschung und teilnehmende Beobachtung, qualitative Interviews usw. Zur teilnehmenden Beobachtung gehört in diesem Bereich der Feldforschung auch das Erlernen der jeweiligen Musikinstrumente, welches für Gerhard Kubik in Afrika und für John Baily speziell in Afghanistan Voraussetzung für theoretische Forschung war. Daneben werden nicht nur die Ausdrucksformen, sondern auch die methodischen Zugänge zur Musik diskutiert, die im außereuropäischen Kontext und in der sogenannten Popularmusikforschung entwickelt wurden.

Im Zuge weitreichender Globalisierung verbunden mit Migrationsbewegungen und im Zuge einer kulturellen Diversifizierung postindustrieller Gesellschaften werden ethnomusikologische Fragestellungen und Methoden zunehmend für musikpädagogische Überlegungen wichtig.

Wichtige Begründer der Musikethnologie sind Erich von Hornbostel, Curt Sachs, Carl Stumpf, Jaap Kunst und Erich Stockmann.

Ein bedeutender deutschsprachiger Vertreter ist Max Peter Baumann, der zurzeit an der Universität Bamberg lehrt. Ein weiterer bekannter Vertreter, vor allem für den Bereich Afrika, ist Wolfgang Bender, Gründer und bis September 2008 Leiter des Archivs für die Musik Afrikas (Mainz), seit Oktober 2008 Leiter des Center for Worldmusic (Hildesheim).

Literatur

  • Mantle Hood: The Ethnomusicologist. Kent State University Press, Kent, Ohio 1982, ISBN 0-87338-280-3
  • Alan P. Merriam: The Anthropology of Music. Northwestern University Press,, Evanston 1964
  • Bruno Nettl: The Study of Ethnomusicology: Twenty-nine Issues and Concepts. University of Illinois Press, Urbana, 1983.
  • Artur Simon: Musikethnologie. In: Musik in Geschichte und Gegenwart (1 CD-ROM). Directmedia, Berlin 2004, ISBN 3-89853-160-0, Spalte 1283
  • Jeff T. Titon (Hrsg.): Worlds of Music. An introduction to music of the world's peoples. Schirmer Books, New York 1996, ISBN 0-02-872612-X

Siehe auch

Weblinks


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