Europäischer Betriebsrat

Europäischer Betriebsrat

Der Europäische Betriebsrat (EBR) ist eine Arbeitnehmervertretung in grenzüberschreitend tätigen Unternehmen in der Europäischen Union.

Inhaltsverzeichnis

Rechtsgrundlage

Rechtliche Grundlage des EBR ist die europäische Betriebsratsrichtlinie vom 22. September 1994, die am 6. Mai 2009 novelliert wurde[1]. Die Richtlinie wurde in Deutschland durch das Gesetz über Europäische Betriebsräte (EBRG) vom 28. Oktober 1996 (BGBl. I S. 1548) in nationales Recht umgesetzt. Ziel der Richtlinie ist es, eine grenzüberschreitende Arbeitnehmervertretung mit Konsultations- und Informationsrechten in europaweit tätigen Unternehmen zu schaffen. Die Kriterien für ein gemeinschaftsweit operierendes, EBR-pflichtiges Unternehmen sehen vor, dass es mindestens 1.000 Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten beschäftigt und dass jeweils mindestens 150 Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten beschäftigt werden. Die Richtlinie gilt auch für die in EU-Ländern befindlichen Niederlassungen internationaler Konzerne, die ihren Hauptsitz außerhalb der EU haben. Die Richtlinie ist mittlerweile in den 27 EU-Staaten in nationales Recht umgesetzt worden, wenn auch, den nationalen Präferenzen entsprechend, in sehr heterogener Weise.

Als zentrale Institution zur Konstituierung eines EBR bestimmt die Richtlinie das „besondere Verhandlungsgremium“ der Arbeitnehmer, dessen Wahlmodus nicht weiter festgelegt wird (die Vorschriften bleiben der nationalen Gesetzgebung überlassen). Es soll eine Vereinbarung über die Zusammensetzung und Befugnisse eines zu gründenden EBR aushandeln. Im Anhang der Richtlinie werden Mindestvorschriften aufgeführt. Diese „subsidiären Vorschriften“ sehen vor, dass der EBR mindestens drei und höchstens 30 Mitglieder hat, dass jährlich einmal eine Sitzung mit der zentralen Leitung stattzufinden hat, in der diese über die „voraussichtliche Entwicklung der Geschäfts-, Produktions-, Absatz- und Beschäftigungslage, Änderungen der Organisation, Einführung neuer Arbeitsverfahren, Verlagerungen, Fusionen oder Schließungen“ zu unterrichten hat. Der EBR kann hierzu seine Stellungnahme abgeben und hat die Arbeitnehmervertreter an den nationalen Standorten über Inhalt und Ergebnisse der Unterrichtung und Anhörung zu informieren.

Die Entscheidung über die Einsetzung eines EBR wird in Verhandlungen zwischen dem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer und der zentralen Leitung des europaweit operierenden Unternehmens getroffen. Auf Initiative der zentralen Leitung oder der Arbeitnehmer (mindestens 100 Arbeitnehmer aus zwei Betrieben aus zwei Mitgliedstaaten) werden die Verhandlungen aufgenommen. Bei der Gestaltung der Vereinbarung sind das Verhandlungsgremium und die zentrale Leitung autonom. Sitz des EBR ist in der Regel bei der Konzernspitze. Sofern diese ihren Sitz nicht in einem der EU-Staaten hat, muss sie einen Vertreter (z.B. Europabeauftragten) als Verhandlungspartner benennen, andernfalls ist die Leitung des Unternehmens mit der höchsten Beschäftigtenzahl in einem Mitgliedstaat für die Verhandlungen zuständig.

Aufgrund historisch bedingter Unterschiede der Arbeitnehmervertretungen der einzelnen europäischen Länder schreibt die Richtlinie lediglich Minimalanforderungen an einen solchen Betriebsrat vor. Diese bestehen in Informations- und Konsultationsrechten, jedoch nicht in Mitbestimmungsrechten, wie sie dem deutschen Betriebsrat zustehen. Vergleichbar ist er daher mit einem europäischen Wirtschaftsausschuss, ähnlich wie ihn das Betriebsverfassungsgesetz für deutsche Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten vorsieht.

Verbreitung und Weiterentwicklung

Im Jahre 2009 zählte das Europäische Gewerkschaftsinstitut in Brüssel 908 europaweit tätige Unternehmen mit einem EBR. Das entspricht mehr als einem Drittel der EBR-pflichtigen Unternehmen, die etwa zwei Drittel der unter die Richtlinie fallenden Arbeitnehmer beschäftigen.[2]

Obwohl rechtlich auf Informations-und Konsultationsrechte begrenzt, hat sich in einzelnen Fällen der EBR zu einem veritablen Verhandlungsgremium entwickelt. So hat das European Employee Forum,[3] wie der EBR bei General Motors heißt, mit dessen europäischem Management seit 2000 mehrere Rahmenvereinbarungen zur Standortsicherung abgeschlossen.

Seit der Jahrtausendwende sind Europäische Betriebsräte, neben Unternehmensleitung und einer auf europäischer oder internationaler Ebene agierenden Branchengewerkschaft,[4] am Abschluss transnationaler Vereinbarungen auf Konzernebene beteiligt. Die Gegenstände dieser Abkommen sind Restrukturierung, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Weiterbildung und Mobilität, Datenschutz und fundamentale Rechte, wie in den Kernarbeitsnormen der ILO niedergelegt.[5]

Nach empirischen Untersuchungen kommt die wichtigste Unterstützung bei der Gründung von EBR von den Gewerkschaften ("Geburtshilfe").

Bewertung

Nach dem Urteil eines gewerkschaftsnahen Wissenschaftlers ist der EBR „ein Beispiel für eine durchaus ausgewogene Mischung von Subsidiarität (jeweils nationale Anpassung durch Implementierung), Proporz (Zusammenwirken von Regierungen und Verbänden bei ihrer Erstellung und Umsetzung) und Flexibilität (die Richtlinie eröffnet verschiedene Optionen zur Umsetzung)“.[6]

Literatur

  • Thomas Blanke: Europäische-Betriebsräte-Gesetz, europäische Mitbestimmung - SE, 2 Aufl., Baden-Baden 2006, ISBN 978-3832913700
  • Hermann Kotthoff: Lehrjahre des Europäischen Betriebsrats. Zehn Jahre transnationale Arbeitnehmervertretung. Edition Sigma, Berlin 2006, ISBN 978-3-8360-8671-4.
  • Lecher, Wolfgang/Nagel, Bernhard/Platzer, Hans-Wolfgang: Die Konstituierung Europäischer Betriebsräte – Vom Informationsforum zum Akteur? Nomos, Baden-Baden 1998, ISBN 3-7890-5293-0.
  • Lecher, Wolfgang/Platzer, Hans-Wolfgang/Rüb, Stefan/Weiner, Klaus-Peter: Europäische Betriebsräte – Perspektiven ihrer Entwicklung und Vernetzung. Nomos, Baden-Baden 1999, ISBN 3-7890-6065-8.
  • Jeremy Waddington: Was leisten Europäische Betriebsräte? - Die Perspektive der Arbeitnehmervertreter. In: WSI-Mitteilungen, Jg. 59, H. 6, 2006, S. 560-567.

Einzelnachweise

  1. Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen; (ABl. Nr. L 254 S. 64, ber. ABl. 2009 Nr. L 103 S. 30) EU-Dok.-Nr. 3 1994 L 0045 Zuletzt geändert durch Art. 17 Abs. 1 ÄndRL 2009/38/EG vom 6. Mai 2009 (ABl. Nr. L 122 S. 28)
    Text der novellierten richtlinie
  2. ETUI-REHS database
  3. EEF homepage
  4. European Industry Federation ([Europäischer Gewerkschaftsverband]) in Europa oder Global Union Federation (GUF) im weiteren internationalen Kontext
  5. Romuald Jagozinski: Involving European Works Councils in Transnational Negotiations – a Positive Functional Advance in their Operation or Trespassing? In: Industrielle Beziehungen, 14. Jg., H. 4, 2007, S. 316-333.
  6. Wolfgang Lecher: Europäische Betriebsräte - die vierte Ebene betrieblicher Interessenvertretung. In: WSI-Mitteilungen, 49. Jg., 1996, S. 469.

Neufassung: Richtlinie 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates http://eur-lex.europa.eu/Notice.do?val=495136:cs&lang=de&list=495136:cs,438006:cs,225652:cs,&pos=1&page=1&nbl=3&pgs=10&hwords=betriebsrats~&checktexte=checkbox&visu=#texte

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