Expertenwissen

Expertenwissen

Ein Experte (auch Fachmann/Fachfrau, Pl. Fachleute , Fach- oder Sachkundiger, Spezialist) ist eine Person, die über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem oder mehreren bestimmten Sachgebieten oder über spezielle Fähigkeiten verfügt.

Neben dem theoretischen Wissen ist auch eine kompetente Anwendung desselben, also praktisches Handlungswissen, kennzeichnend, was ihn zum Laien (Amateur) abgrenzt. Solche Fertigkeiten gründen sich meist auf Training sowie Talent. Die Wissenstiefe, aber auch der Fokus auf ein bestimmtes Gebiet unterscheidet den Spezialisten vom Generalisten (Universalisten), der sich in vielen Fachbereichen heimisch fühlt. An der Grenze zwischen Spezialist und Generalist liegt die Interdisziplinarität, das fächerübergreifende Wissen, aus dem sich oft wieder einschlägige Sachgebiete entwickeln.

Als Experten werden beispielsweise häufig Wissenschaftler oder Sachverständige herangezogen. Verbinden sich Ausbildung in einem Fachgebiet und Erwerbstätigkeit/Beruf, spricht man im von Profi (Professionist).

Inhaltsverzeichnis

Rechtlicher Kontext: Fach- und Sachkundiger

Im rechtlichen Bereich werden statt dem nicht näher spezifizierten Begriff „Fachmann” die Begriffe Sach- bzw. Fachkundiger, verwendet.

  • Ein Sachkundiger ist jemand, der „einer Sache kundig” ist (praxisorientiert, auf eine Sache, einen engumrissenen Gegenstand konzentriert). Damit ist eine Person gemeint, die von einem Sachgebiet ausreichende Fachkompetenz (Kenntnisse und Fertigkeiten) besitzt um die, die Sache betreffenden Handlungen fachlich oder sachlich richtig, bzw. fachgemäß oder sachgemäß ausführen zu können. Die Person muss nicht den vollständigen Überblick über das ganze die Sache betreffende Fachgebiet haben.
  • Analog ist ein Fachkundiger eine Person die sich in einem Fachgebiet auskennt. (Theorieorientiert, auf ein ganzes einschlägiges systematisches Sachgebiet bezogen)

Üblicherweise bezeichnet es eine Person die in einem Fachgebiet bestimmte Befähigungsnachweise (Prüfungen) vorweisen kann (Fachkraft, Sachbearbeiter). Da die Bezeichnung ‚Sachkundiger‘ nicht geschützt ist und häufig nur sehr ungenau angegeben werden kann wer „sachkundig” ist, werden für viele Tätigkeiten Sachkundenachweise verlangt, der die einschlägigen Kenntnisse staatlich anerkennt. Im Arbeitsschutz wird das neuerdings Befähigungsnachweise genannt und die betreffenden Personen befähigte Personen oder bei sehr eingeschränktem Sachbereich unterwiesene Personen. Ein Sachverständiger wird in seinem Fach, öffentlich bestellten und/oder vereidigt. Anders als beim unspezifischen Begriff „Fachmann” führt die Verwendung der Begriffe Sachkundiger bzw. Fachkundiger üblicherweise zu implizit zugesicherten Leistungen und zu einklagbaren Ergebnissen, die auch strafrechtlich relevant sein können.

Beispiele:

  • Ein Fachmann für Germanistik kann nur privatrechtlich für eine fehlerhafte Kritik oder Rezension belangt werden, z. B. durch Verleumdungsklagen, außerdem muss er üblicherweise nicht vor einer „neutralen Stelle” unter Beweis stellen, dass seine Fähigkeit für ein spezielles Gebiet ausreichen, es genügt ein allgemeiner Nachweis z.B. der Hochschulabschluss oder seine Fähigkeit über ein Thema schreiben zu können. Theoretisch sollte er sich zwar am Stand der Wissenschaft orientieren, dies ist aber schwer nachprüfbar und hat auch selten rechtliche Konsequenzen.
  • Ein sach- oder fachkundiger Elektriker hat mit dem Abschluss seiner Ausbildung den Nachweis seiner Sach- bzw. Fachkunde erbracht und dennoch muss er als Elektrofachkraft alle gängigen Vorschriften und Normen beachten, auch die, die nach dem Ende seiner Ausbildung eingeführt oder erlassen wurden. Das Maß für den Sach- bzw. Fachkundigen ist der Stand der Technik und die Nichteinhaltung zieht unter Umständen empfindliche Konsequenzen nach sich.

Vom Laien zum Experten

Glaser (1996) unterscheidet drei Stadien auf dem Weg vom Laien zum Experten[1]

  1. Unterstützung von Außen (external support): Eltern, Lehrer, Trainer usw. stellen Lernumgebung, didaktische Methoden und Inhalte
  2. Übergangsphase (transitional stage): äußere Hilfe wird immer seltener benötigt; die Kriterien für Expertentum werden entdeckt
  3. selbstständig organisiertes Lernen (self-regulatory stage)

Ebenfalls drei Stufen unterscheiden Schumacher und Czerwinski (1992)[2]:

  1. "vortheoretische Stufe": Beim ersten Kontakt mit einem neuen Stoffgebiet versucht man, anhand seiner oberflächlichen Eigenschaften im Gedächtnis Vergleichbares zu finden, um die neuen Informationen sinnvoll einordnen zu können.
  2. "empirische Stufe": Durch die Auseinandersetzung mit dem neuen Stoff wird durch Analogiebildung, Induktion, Abstraktion usw. ein erstes Verständnis für (tiefere) strukturelle Eigenschaften und Kausalzusammenhänge gewonnen.
  3. "Expertenstufe": Abstraktionen über mehrere Sachgebiete hinweg werden möglich und dadurch der Transfer des neuen Wissens.

Intermediate Effect

Lesgold (1984) fand bei einer Untersuchung an Röntgenärzten mit unterschiedlichem Ausbildungsstand einen "intermediate effect": Anfänger beurteilten die Röntgenbilder häufiger korrekt als Ärzte mit etwas Erfahrung.[3]. Fortgeschrittene haben mehr Detailwissen als Anfänger, dieses Wissen ist aber noch nicht ausreichend organisiert. Sie beginnen, die Regeln zu erkennen, aber nicht deren Ausnahmen. Eltern von Teenagern ist der intermediate effect ebenfalls wohlbekannt. Auch beim Spracherwerb von Kindern gibt es eine Phase der "Überregulierung": zunächst ahmen sie nur nach und liegen damit häufig richtig, dann entdecken sie syntaktische Regeln und können diese nun falsch anwenden.

Expertenwissen

Das Expertenwissen (siehe auch: Expertise) eignet sich die Person in der Regel durch eine Ausbildung oder ein Studium an, es kann jedoch auch durch Forschung oder autodidaktisch erworben werden. Es ist auch die Basis eines Expertensystems.

Schlüsseleigenschaften von Experten sind (nach Chi, Glaser und Farr 1988):

  1. sie erkennen große Bedeutungszusammenhänge
  2. sie arbeiten schneller und fehlerfreier
  3. sie haben ein besseres Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis
  4. sie achten mehr auf Strukturen als auf oberflächliche Eigenschaften
  5. sie verwenden viel Zeit auf qualitative Analysen
  6. sie können ihre eigenen Fähigkeiten und Leistungen richtig beurteilen
  7. all das gilt nur in ihrem jeweiligen Fachgebiet.

Eine Bestätigung, dass eine Person über das Fachwissen verfügt, erfolgt in der Regel durch Übergabe eines Zeugnisses, das durch eine staatliche bzw. staatlich anerkannte oder allgemein anerkannte Prüfung bestätigt wird. Da das Fachwissen auch öffentlich in Büchern, Internet und sonstige Quellen zu bekommen ist, kann sich dies eine Person im Eigenstudium aneignen, wird aber nicht zugleich als Fachmann oder Fachfrau anerkannt (siehe auch Befähigungsnachweis).

Ein gesellschaftliches System, in dem Experten die Entscheidungsbefugnis haben, nennt man Technokratie, spaßhaft auch „Expertokratie“.

Wirkung von Experten

Aufgrund der offiziellen oder institutionellen Anerkennung als Experte vertreten selbige in der Regel die Ansichten der Regierung oder der Fachmehrheit, oder benutzen zumindest von jenen anerkannte Methoden und Regeln. Personen, die im gleichen Fachgebiet abweichende Ansichten vertreten, werden daher häufig nicht in entscheidende Gremien berufen. So werden Konflikte innerhalb der Fachwelt zunächst nicht unbedingt öffentlich (siehe auch Deutungshoheit, Lehrmeinung).

Aus Geschichte und Gegenwart sind Menschen bekannt, die von der Mehrheitsmeinung eines Fachgebietes abweichende Ansichten vertraten oder vertreten. Je nach gesellschaftlichen Gegebenheiten (Meinungsfreiheit, Toleranz Andersdenkender, Gleichberechtigung) konnten diese Menschen ihre Ansichten nur anonym oder pseudonym veröffentlichen. Im Abendland stand das Dogma der christlichen Kirche teilweise neuen Erkenntnissen (Heliozentrisches Weltbild, Evolutionstheorie) entgegen; Andersdenkende wurden dann als Ketzer oder Hexen betrachtet. Erst im Zuge der Gleichberechtigung der Geschlechter erlangten Frauen die Möglichkeit, sich öffentlich zu äußern; in den bis dahin patriarchalischen Wissenschaften wurde Frauen mit unwissenschaftlichen Vorurteilen begegnet.

Gleichwohl ist nicht jeder Mensch, der eine abweichende Ansicht vertritt, einem Experten gleichzustellen. In den „harten” Wissenschaften sind heute Methoden wie wiederholbare Experimente und in sich widerspruchsfreie Argumentationen Mittel zur Falsifikation von wissenschaftlichen Theorien.

Positionen, die der mehrheitlichen wissenschaftlichen Ansicht entgegenlaufen, werden oft als Pseudowissenschaft bezeichnet und von der Wissenschaft begründet abgelehnt. Diese Ablehnung führt dazu, dass Vertreter einer abweichenden Ansicht mitunter von einer Verschwörung der etablierten Experten sprechen. In diesem Falle nimmt die Auseinandersetzung auch von seiten des Außenseiters nicht-inhaltliche Argumente auf (Verschwörungstheorie).

Zitate

  • „Selbst wenn alle Fachleute einer Meinung sind, können sie sehr wohl im Irrtum sein.” (Bertrand Russell, englischer Mathematiker und Philosoph, 1872-1970)

Siehe auch

Quellen

  1. R. Glaser: Changing the agency for learning: Acquiring expert performance, in K. A. Ericsson (Ed.) The road to excellence. Mahwah, New Jersey 1996
  2. R. M. Schumacher & M. P. Czerwinski: Mental models and the acquisition of expert knowledge, in R. R. Hoffman (Ed.) The psychology of expertise. Springer-Verlag New York 1992
  3. A. M. Lesgold et. al. Expertise in a complex skill, in: M.T.H. Chi et al. (Eds.): The nature of expertise. Hillsdale, New Jersey 1988

Literatur

  • M.T.H. Chi, R. Glaser & M.J. Farr (Hrsg.): The nature of expertise. Lawrence Erlbaum Associates, Hillsdale, NJ 1988
  • K. Anders Ericsson, Neil Charness, Paul Feltovich & Robert R. Hoffman (Eds.): Cambridge handbook on expertise and expert performance. Cambridge University Press, Cambridge, UK 2006. ISBN 0521600812
  • Harald A. Mieg: The social psychology of expertise. Lawrence Erlbaum Associates, Mahwah, NJ 2001. ISBN 0805837507
  • Müsseler, J. & Prinz, W. (2002). Allgemeine Psychologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. ISBN 3827411289
  • Anderson, J. R. (2001). Kognitive Psychologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. ISBN 382741024X
  • Grob, Heinz Lothar, Holling, Heinz, Bensberg, Frank: Personalisierung von EUS für Entscheidungsprozesse von Experten, Arbeitsbericht Computergestütztes Controlling, Münster 2008.

Weblinks

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