- Fahrzeugdynamik
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Die Fahrdynamik ist ein Spezialgebiet der Dynamik, welches sich mit der Bewegung von Landfahrzeugen (Rad-, Ketten- und Schienenfahrzeugen) befasst.
Inhaltsverzeichnis
Bewegungsrichtungen
Als räumliche Bewegung von Körpern betrachtet sie die drei translatorischen Bewegungen
- Längs-,
- Quer- und
- Hubbewegung
und die drei rotatorischen Bewegungen
- Gieren (um die Hochachse),
- Nicken (um die Querachse) und
- Wanken (auch Rollen genannt, um die Längsachse).
Diese Reihenfolge der Drehungen ist in DIN 70000 (Begriffe der Fahrdynamik) festgelegt, um von einem raumfesten Inertialsystem zu einem aufbaufesten Koordinatensystem zu gelangen:
Häufig ist die Betrachtung beschränkt auf einen Teilbereich wie
- Längsdynamik (Antrieb und Bremsen, Fahrwiderstand, Verbrauch, ...)
- Querdynamik (Lenken, Kurvenfahrt, Kippsicherheit, ...)
- Vertikaldynamik (Komfort, Ladegutbeanspruchung, Fahrbahnbeanspruchung, ...)
Die Ergebnisse solcher Betrachtung finden Eingang in die Auslegung des Antriebsstrangs (Motor, Getriebe, ...) und des Fahrwerks, insbesondere der Achskonstruktion, aber auch zunehmend in elektronischen Fahrerassistenz-Systemen wie Antiblockiersystem (ABS), Antriebsschlupfregelung (ASR), Elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP).
Bei Zweirädern (Fahrrad, Motorrad, ...) können Gewicht und Körpermaße des Fahrers nicht vernachlässigt werden. Daher werden hier fahrdynamische Betrachtungen für das System Fahrer + Zweirad durchgeführt. Die Ergebnisse finden Eingang in die Auslegung des Rahmens, der Laufräder, ggf. vorhandener Federelemente und bei Krafträdern der Einbauposition des Antriebsaggregats sowie den oben erwähnten Komponenten soweit vorhanden.
Methoden der Fahrdynamik
Fahrversuch
Hier werden z. B. verschiedene definierte Fahrmanöver wie
- Geradeausfahrt (unter Störeinflüssen)
- Kreisfahrt stationär oder instationär (Lastwechselreaktion)
- (einfacher/doppelter) Fahrspurwechsel ('Elchtest' nach ISO 3888-2)
- Slalommanöver
- Bremsversuche
durchgeführt. Dies kann geschehen
- im "open loop" ("offener Regelkreis") mit vorgegebenen Radmomenten und Lenkeinschlägen bzw. deren Verläufen, ohne deren Auswirkungen auf die Fahrzeugbewegung zu berücksichtigen, oder
- im "closed loop" ("geschlossener Regelkreis") mit vorgegebener Fahraufgabe und durchgeführt von (meist) Versuchsfahrern, welche die Fahrzeugreaktionen in ihren Steuereingaben berücksichtigen.
Während dieser Versuche werden meist eine Vielzahl verschiedener Größen gemessen, um hieraus Kenngrößen zur quantitativen Beschreibung des dynamischen Fahrzeugverhaltens abzuleiten. Manche Fahrzeugreaktionen sind jedoch gegenwärtig noch zuverlässiger subjektiv zu erfahren und zu beurteilen; es wird geforscht, mit welchen messbaren Größen diese Subjektivurteile am besten korrelieren.
In längerdauernden Versuchsfahrten werden dagegen Belastungskenngrößen gemessen, die z.B. verwendet werden, um das Lastkollektiv für das Gesamtfahrzeug oder einzelne Komponenten oder um den praxisrelevanten Verbrauch abhängig vom Streckenprofil, Beladungszustand, Fahrertyp, ... zu bestimmen.
Fahrdynamiksimulation
Hier werden digitale Fahrzeugmodelle unterschiedlicher Komplexität, vom ebenen Einspurmodell eines Solofahrzeuges bis zu dreidimensionalen Modellen mehrgliedriger Lastzüge mit komplexer Achskinematik, Elastizitäten, Dämpfungen und aufwändigen Reifenmodellen in Simulationsprogrammen verwendet, um bestimmte Fahrmanöver virtuell durchzuführen, gegebenenfalls in Verbindung mit einem digitalen Fahrermodell.
Auch hier gibt es Simulationsrechungen längerdauernder Fahrten, um z.B. den Kraftstoffverbrauch oder die Umweltbelastung abhängig von der Auslegung des Antriebsstrangs (Motorisierung, Übersetzungen, Schaltpunkte) zu bestimmen.
Ein Vorteil dieser Methode ist die genaue Reproduzierbarkeit, wodurch sich unterschiedliche Ergebnisse eindeutig geänderten Berechnungsvorgaben zuordnen lassen. Hierfür ist es oft ausreichend, das Fahrzeug nur hinsichtlich der betrachteten Einflussgröße detailliert nachzubilden. Ein weiterer Nutzen ist die Erkenntnis komplexer Ursachen, Wirkungen und Zusammenhänge, was in der oft beschränkten Wahrnehmung / Messung der Realität schwerer möglich ist.
Prüfstandsversuch
- Komponentenerprobung (Bauteilbelastung, Festigkeit)
Messmittel
Die im Fahrversuch benutzten Messmittel sind typischerweise
- Lenkwinkelmesser
- Beschleunigungsmesser
- Geschwindigkeitsmesser - Optisch/Radar/Laufrad (auch 2-achsig zur Bestimmung des Schwimmwinkels)
- Optische Abstandssensoren (Bestimmung des Roll- und Wankwinkels zur Straße)
- GPS / DGPS basierte Messsysteme (Positionsmessung)
- Inertiales Navigationssystem, oft bezeichnet als Kreiselplattform (Erfassung aller translatorischen und rotatorischen Größen)
Die modernsten Kreiselplattformen werden als GPS/INS-Systeme ausgeführt. Hierbei werden mittels eines speziellen Reglers (Kalman-Filter) die Daten der beiden Systeme Kreiselplattform und GPS fusioniert, um die Vorteile von Satellitennavigation und Trägheitsnavigation für das Gesamtergebnis vorteilhaft zu nutzen. Dies erhöht u.a. die Verfügbarkeit und die Messgenauigkeit, und führt zu weiteren beobachtbaren Größen (z.B. Schwimmwinkel).
Literatur
- Manfred Mitschke, Henning Wallentowitz: Dynamik der Kraftfahrzeuge. Springer, Berlin. 1. Januar 2004, ISBN 3540420118
Siehe auch
- Die Komponenten des Fahrwiderstandes und die Abschätzung der erforderlichen Antriebsleistung
- Zusammenhang zwischen dem Kammschen Reibungskreis und der Haftung Reifen/Fahrbahn
- Verschiedene Allradkonzepte: Allradantrieb, Quattro, Syncro
- Antriebsschlupfregelung, Sperrdifferential und Active Yaw zur Beeinflussung der Fahrdynamik
- Die Sicherheitssysteme ABS, ESP, Aktivlenkung, Dynamiklenkung
Weblinks
- Prof. Dr. Georg Rill: Simulation von Kraftfahrzeugen - Vom Vieweg Verlag genehmigter Nachdruck: http://homepages.fh-regensburg.de/~rig39165/paper/Simulation_von_Kraftfahrzeugen.pdf
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