Felt Sense

Felt Sense

Die Methode des erlebensbezogenen Focusing wurde im Zusammenhang der Klientenzentrierten Psychotherapie (Carl Rogers) seit den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts von Eugene T. Gendlin (* 1926), Professor für Philosophie und Psychologie an der Universität Chicago entwickelt. Die Besonderheit ist die innere Orientierung des Gesprächs an bedeutungshaltigen Körperempfindungen, dem sog. Felt Sense, die der Klient als "körperliche Resonanz" zu seinem Problem zu spüren lernt. Durch schrittweise Symbolisierung (Suchen stimmiger Wörter, Bilder, Bewegungen ...) dieser körperlich fühlbaren Bedeutung eines Problems sollen die zuvor nicht dem Bewusstsein zugänglichen, unklaren Aspekte dieses Problems klarer verstanden und damit einer Veränderung zugänglich gemacht werden. Focusing-orientierte Psychotherapie hat keine wissenschaftliche Anerkennung gefunden und wird daher in Deutschland und Österreich von den Krankenkassen auch dann nicht erstattet, wenn sie von Ärzten oder Psychologischen Psychotherapeuten angewendet wird.

Inhaltsverzeichnis

Anwendung

Focusing hat verschiedene Anwendungen gefunden: Focusing als Selbsthilfemethode (Gendlin 1998a, Weiser Cornell 1997), focusing-orientierte Psychotherapie (Gendlin 1998b; Gendlin & Wiltschko 1999), Traumarbeit (Gendlin 1987), Arbeit mit Kindern usw. (zur Vielfalt der Anwendungen s. Feuerstein, Müller & Weiser Cornell 2000). Inzwischen liegen auch focusing-orientierte Angebote für Coaching, Supervision und Entscheidungsfindung vor. Eugene Gendlin hat in den letzten Jahren seinen Ansatz für praktische philosophische/erkenntnistheoretische Aufgabenstellungen weiter entwickelt, bezeichnet als TAE - Thinking at the Edge (deutsch: etwa "Denken am Rande des Bewusseins" oder "Denken, wo Worte noch fehlen"). In dieser Methode werden derzeit 14 Schritte angegeben, die von einem vagen Gefühl über ein bestimmtes Erfahrungsfeld bis hin zu logisch-formalen Strukturen fortschreiten.

Die Methode des Focusings soll von jedermann erlernbar und ohne Therapeut anwendbar sein. Für den Alltag werden Partnerschaften empfohlen, in denen die Teilnehmer untereinander im Sinne wechselseitiger Selbsthilfe Focusing nutzen. Dieser Selbsthilfecharakter hängt mit Gendlins Kritik an der klassischen Psychotherapie zusammen: Der Fehler der meisten Psychotherapien sei ihr Anspruch, Resultate zu erzielen. Das autoritäre Verhältnis, das darum in der traditionellen Psychotherapie aufgebaut wird, sperre viele Patienten von der Selbsterkenntnis aus. Patienten verstünden zwar ihre Probleme durch Psychotherapie besser, sie fühlten sich aber nicht "bevollmächtigt", sie zu lösen. Hier sieht Gendlin die Aufgabe des Focusings.

Vorgehensweisen und didaktische Modelle

Focusing wird als erlernbares, in Schritte aufgeteiltes individuelles, inneres Handeln beschrieben[1], wobei Gendlin dazu auffordert, möglichst viele unterschiedliche didaktische Modelle zu finden.[2]

Im Folgenden werden die am meisten verbreiteten didaktischen Modelle und ihre Unterschiede beschrieben.

Gendlin's Focusing-Modell in sechs Schritten

Das am weitesten verbreitete Focusing-Modell ist das sog. 6-Schritte-Modell von Gendlin.[3] Gendlin betont in seiner Einführung in das 6-Schritte-Modell sowie dem Anhang "Instructions for not following instructions", dass sein Modell nicht den einzig gültigen Focusing-Prozess darstellt[4]. Seiner Erfahrung nach ermöglicht diese Einteilung jedoch eine effektive Vermittlung der Fähigkeit[5], die eigenen inneren Handlungsschritte zu finden und somit Focusing zu praktizieren.[6] Die Schritte sind im Einzelnen:

  1. Freiraum schaffen: Sich auf das Problem einstellen, jedoch einen inneren Abstand dazu wahren
  2. Einen Felt Sense kommen lassen: Aufmerksamkeit auf Brust-/Bauchraum richten und dabei "körperliche Resonanz" zum Thema entstehen lassen
  3. Den Felt Sense beschreiben - "einen Griff finden": Einen Begriff oder eine kurze Beschreibung für dieses - meist diffuse - Körpersignal kommen lassen
  4. Vergleichen: Den gefundenen Begriff mit dem Felt Sense abgleichen
  5. Fragen: Was braucht der Felt Sense, um sich mit dem Problem (wieder) wohler zu fühlen und Lösungsrichtungen zu entwickeln
  6. Annehmen und schützen: Schützen des Prozesses gegen innere Kritikerstimmen, Ergebnis würdigen

Das Modell der Inneren Beziehung (Inner Relationship Focusing)

Nach Gendlin's Modell hat sich Ann Weiser Cornell's Modell der inneren Beziehung zum Erlernen von Focusing am weitesten verbreitet[7]. Ann Weiser Cornell hat Focusing 1972 von Eugene Gendlin gelernt und ein stark verändertes Modell von Focusing vorgelegt (Deutsche Erstausgabe 1997)[8], das sog. Inner Relationship Focusing. Wie Gendlin (s.o.) macht sie auch darauf aufmerksam, dass Focusing weder durch die Anzahl von Schritten eines Modells definiert ist noch durch bestimmte Schritte.

Dies bezieht sie insbesondere auf den in Gendlin’s Modell vorgeschlagenen ersten Schritt “Freiraum schaffen”.[9]. Diese Sichtweise hat sich deutlich in dem Umgang mit sog. Inneren Kritikern (sich selbst negativ bewerten, kritisieren, beschämen, sabotieren) niedergeschlagen. Einerseits werden diese Aspekte oder Stimmen nicht mehr als die den eigentlichen Prozess störende Phänomene aufgefasst (was „Freiraum schaffen“ notwendig machen würde), sondern als Teil des gesamten Prozesses. Andererseits geht sie in ihrer Kritik auch auf die Benennungen (z.B. „Mein Innerer Kritiker“) selbst ein, in denen sie weniger Möglichkeiten zur Förderung persönlicher Veränderung sieht.[10]

Literatur

Selbsthilfe:

  • Eugene T. Gendlin: Focusing. Technik der Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme., Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-60521-X
  • Eugene T. Gendlin: Dein Körper, dein Traumdeuter, Müller, Salzburg 1998, ISBN 3-7013-0725-3
  • Ann Weiser Cornell: Der Stimme des Körpers folgen. Anleitungen und Übungen zur Selbsterfahrung, Rowohlt, Reinbek 1999, ISBN 3-499-60353-5

Focusing-orientierte Psychotherapie:

  • Eugene T. Gendlin: Focusing-orientierte Psychotherapie. Ein Handbuch der erlebensbezogenen Methode. Pfeiffer, München 1998, ISBN 3-7904-0660-0
  • Eugene T. Gendlin, Johannes Wiltschko: Focusing in der Praxis. Eine schulenübergreifende Methode für Psychotherapie und Alltag, Pfeiffer bei Klett-Cotta, Stuttgart 2004, ISBN 3-608-89679-1,
  • Klaus Renn: Dein Körper sagt dir, wer du werden kannst. Focusing - Weg der Achtsamkeit. Herder, Freiburg 2006, ISBN 3-451-05616-X
  • Gerhard Stumm u.a. (Hrsg.): Grundbegriffe der Personzentrierten und Focusing-orientierten Psychotherapie und Beratung, Pfeiffer bei Klett-Cotta, Stuttgart 2003, ISBN 3-608-89697-X

Übersicht Anwendungen:

  • Heinz-Joachim Feuerstein u.a. (Hrsg.): Focusing im Prozess. Ein Lesebuch, GwG-Verlag, Köln 2000, ISBN 3-926842-27-X
  • Dr. Rainer Eggebrecht (Autor): Besser umgehen mit Persönlichkeitstypen, Verlag: Books on Demand GmbH; ISBN 3-833-42307-2

Psychosomatik:

  • Daniel Bärlocher: Schmerzen lindern mit Focusing. Neue Wege bei Kopfweh und Migräne, Ehrenwirth, Bergisch Gladbach 2002, ISBN 3-431-04021-7
  • Beate Ringwelski: Focusing. Ein integrativer Weg der Psychosomatik, Pfeiffer bei Klett-Cotta, Stuttgart 2003, ISBN 3-608-89714-3

Zeitschrift:`

  • Focusing-Journal: Zeitschrift zur Kultur der Achtsamkeit, Hrsg. DAF, Würzburg

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gendlin 1998, S. 64
  2. All focusing teachers are encouraged to develop their own style of teaching and we hope you will eventually learn from more than one teacher, In: http://www.focusing.org/trainers_search.asp. Stand 08. Oktober 2008.
  3. Gendlin 1998
  4. Although these steps may provide a window into focusing, it is important to remember that they are not THE six steps. Focusing has no rigid, fixed agenda for the inner world; many focusing sessions bear little resemblance to the mechanical process that we define here, In: http://www.focusing.org/sixsteps.html. Stand 08. Oktober 2008.
  5. Gendlin 1998, S. 23
  6. Gendlin 1998, S. 64
  7. Gendlin: "In person and through her students and writing she has given focusing to far more people that any other single individual." In: Weiser Cornell, The Radical Acceptance of Everything, Caluna Press, 2005
  8. Weiser Cornell, Focusing – der Stimme des Körpers folgen. Rowohlt 1997.
  9. If you are someone who believes that Focusing can be defined by any number of steps ("Focusing is a ___ step process.") or that Clearing a Space is a necessary part of every Focusing process, then you probably won't be willing to follow me along this road. In: http://www.focusingresources.com/articles/radicalacceptance.html, Stand: 9. Oktober 2008; oder Weiser Cornell, The Radical Acceptance of Everything, Calluna Press 2005.
  10. vgl. http://www.focusingresources.com/downloads/radical_gentleness.pdf oder Weiser Cornell, Radical Gentleness. In: Weiser Cornell, The Radical Acceptance of Everything, S. 109–126, Calluna Press 2005

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