Flugzeugentführung am 30. August 1978 von Danzig nach Berlin-Tempelhof

Flugzeugentführung am 30. August 1978 von Danzig nach Berlin-Tempelhof

Am 30. August 1978 entführte der Ost-Berliner Kellner Detlef Tiede ein Flugzeug der polnischen Fluggesellschaft LOT auf einem Linienflug von Danzig nach Berlin-Schönefeld und zwang es zur Landung in Berlin-Tempelhof, wobei er von der Kellnerin Ingrid Ruske, unterstützt wurde. [1]

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Ingrid Ruske liebte den Westdeutschen Horst Fischer. Fischer kam aus Hamburg und arbeitete im Auftrag einer Hamburger Firma beim Bau des Schlacht- und Verarbeitungskombinates in Eberswalde als Bauleiter. Beide hatten sich in einer Bar, in der Ingrid Ruske als Kellnerin beschäftigt war, kennengelernt. Da der Bauauftrag kurz vor dem Abschluss stand und die beiden sich eine gemeinsame Zukunft in der DDR nicht vorstellen konnten, entwickelte Fischer den Plan, dass er gefälschte Papiere besorgt und beide getrennt mit der Bahn nach Danzig fahren, um von dort gemeinsam mit der Fähre nach Travemünde auszureisen. Mit von der Partie war auch Detlef Tiede, ein langjähriger Bekannter von Ingrid. Er hatte bisher schon sieben Mal vergeblich einen Ausreiseantrag aus der DDR gestellt. [2]

Die Entführung

Der Plan mit den gefälschten Papieren scheiterte, weil Fischer, der die Papiere nach Danzig bringen sollte, vorher von der Stasi festgenommen worden war.
Vier Tage warteten Ruske und Tiede vergeblich. Als Fischer dann noch immer nicht an den verabredeten Ort in Danzig kam, vermuteten die beiden, dass ihre Pläne aufgedeckt worden waren und sie nun auch nicht mehr zurück konnten. Daraufhin änderten sie kurzfristig ihre Fluchtpläne.[3] Sie kauften auf dem Flohmarkt eine Spielzeugpistole und buchten einen Flug von Danzig nach Schönefeld.[2] Kurz vor der Landung nahm Tiede eine polnische Stewardess als Geisel und drohte, sie zu erschießen, falls das Flugzeug nicht in West-Berlin landen sollte. Der polnische Pilot landete daraufhin die Tupolew 134 auf dem West-Berliner Flughafen Tempelhof. Zuständig für Tempelhof waren die Amerikaner. Eine Sondereinheit empfing die entführte Maschine. Tiede verließ das Flugzeug mit erhobenen Armen und ließ sich ohne Widerstand festnehmen. Kurz darauf wurde auch Ingrid Ruske in amerikanisches Gewahrsam genommen.

Die Prozesse

Ein Antrag der Volksrepublik Polen auf Auslieferung der Straftäter wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht abgelehnt. Um in West-Berlin einen Strafprozess gegen den Entführer zu ermöglichen, wurde erstmals in der Geschichte ein eigenes nicht-militärisches US-amerikanisches Gericht (United States Court for Berlin) mit zwölf west-berliner Geschworenen eingerichtet.[4]Ende Mai 1979 verurteilt Richter Herbert Jay Stern aus Newark (New Jersey) Detlef Tiede zu neun Monaten Haft, die durch die Untersuchungshaft abgegolten waren. Die Anklage gegen Ingrid Ruske wurde fallen gelassen, da ihr zwei Monate lang ein Rechtsanwalt vorenthalten worden war.

Horst Fischer wurde in der DDR wegen Fluchthilfe und Menschenhandel zu 8 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und 1980 von der Bundesrepublik freigekauft.

Sonstiges

Von den 62 Passagieren des Fluges waren 50 DDR-Bürger. Neben Ruske und Tiede blieben spontan sieben weitere Personen, darunter ein Ehepaar und eine vierköpfige Familie im Westen.[2] Die anderen wurden, nachdem sie von den Amerikanern verhört worden waren, mit einem Bus in die DDR gebracht. Eine junge Frau, die zunächst im Westen geblieben war, kehrte am 31. August mit der Bahn in die DDR zurück.

Horst Fischer und Ingrid Ruske heirateten 1980 kurz nach Fischers Freilassung.

Die Flugzeugentführung diente dem Richter Stern als Grundlage für einen Tatsachenroman, der wiederum Vorlage für den Film Ein Richter für Berlin war.
Ein weiterer Roman dazu wurde 2004 unter dem Titel Tupulew 134 von Antje Rávic Strubel veröffentlicht.[5]

Flugzeugentführungen waren in der Volksrepublik Polen vor allem in den Achtzigerjahren eine häufige Fluchtmethode. Bis 1987 wurden sechzehn Flugzeugentführungen von Polen nach West-Berlin registriert. [6] Die meisten von ihnen landeten in Tempelhof, was dem Kürzel der polnischen Fluggesellschaft LOT bald die Deutung "Landet oft in Tempelhof" bzw. auf berlinerisch "Landet ooch in Tempelhof" einbrachte.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. "Entführung aus Liebe - Protokoll einer DDR-Flucht" Film von Thomas Donker und Margit Geßner (1999) gesendet u.a. am 17. August 2001 bei PHOENIX
  2. a b c Filmbericht von Matthias Göpfert, April 2001. Gesendet u.a. im MDR-Fernsehen, LexiTV - Wissen für alle, Sendung vom 23. September 2008, 14:30h "Entführungen"
  3. Joachim Nawrocki in: DIE ZEIT vom 1. Juni 1979
  4. Mitwirkung deutscher Geschworener an der Ausübung amerikanischer Besatzungsgerichtsbarkeit in Berlin Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1980
  5. Antje Rávic Strubel: "Tupolew 134". Roman. Verlag C. H. Beck, München 2004. ISBN 3-406-52183-5
  6. taz.de - Archiv

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