- Französische Nationalversammlung
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Die Nationalversammlung (Assemblée nationale) ist die erste Kammer des französischen Parlaments.
Inhaltsverzeichnis
Entstehung
Im Revolutionsjahr 1789 berief Ludwig XVI. erstmals nach 175 Jahren die Generalstände ein. Nach Eröffnung der Versammlung am 5. Mai geschah zunächst nichts, weil der Dritte Stand darauf bestand, die Überprüfung, ob alle Abgeordneten rechtmäßig gewählt waren, gemeinsam vorzunehmen, was die Vertreter der privilegierten Stände verweigerten. Der Dritte Stand war zu keinem Kompromiss bereit, aber er lud die Vertreter der anderen Stände ein, an seinen Sitzungen teilzunehmen.
Am 13. Juni folgten drei Geistliche dieser Einladung. Weitere reformwillige Privilegierte schlossen sich in den nächsten Tagen an.
Am 17. Juni erklärten sich 491 gegen 90 Abgeordnete zur Nationalversammlung; sie verstanden sich also nicht mehr als Vertreter ihres Standes, sondern der gesamten französischen Nation.
Damit war die Nationalversammlung eines der ersten modernen, nicht nach Ständen gegliederten Parlamente auf dem europäischen Kontinent. Ihre Hauptaufgabe bestand in der Ausarbeitung einer Verfassung, in der die Machtübernahme durch das Bürgertum festgeschrieben wurde.
Am 26. August 1789 verabschiedete die Nationalversammlung gegen den Willen des Königs die von Marquis de La Fayette eingebrachte Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte und beschloss deren Übernahme in die Verfassung.
Seither heißen die französischen gesetzgebenden Versammlungen häufig Nationalversammlung.
Liste der Präsidenten der französischen Nationalversammlung
Zusammensetzung
Wahl
Frankreich ist in 577 Wahlkreise untergliedert, wobei in jedem Wahlkreis genau ein Abgeordneter in die Nationalversammlung gewählt wird. Die Wahlkreise werden jeweils so gebildet, dass sie innerhalb von Départements liegen. Je nach Größe umfasst ein Département 2 bis 24 Wahlkreise. In der Regel umfasst ein Wahlkreis 66.400 Wahlberechtigte. Die Wahlkreise teilen sich wie folgt auf:[1]
- 555 liegen in den Départements in Kontinentalfrankreich
- 15 in den Übersee-Departements
- Mayotte sowie Saint-Pierre-et-Miquelon sind jeweils ein Wahlkreis
- fünf liegen in den französischen Überseegebieten
Wahlberechtigt für die Wahlen zur Nationalversammlung ist die gesamte in den Wahllisten eingetragene Wählerschaft. In den Wahllisten sind alle Franzosen verzeichnet, die am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben.
Die Abgeordneten der Nationalversammlung werden in den Wahlkreisen nach dem romanischen Mehrheitswahlrecht, in zwei Wahlgängen, für jeweils fünf Jahre gewählt.
In einem Wahlkreis gilt ein Kandidat im ersten Wahlgang als gewählt, wenn dieser die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigen kann. Die Stimmenzahl muss darüber hinaus mindestens 25% der Anzahl der im Wählerverzeichnis eingetragenen Wahlberechtigten betragen.
Kann keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit auf sich vereinigen, so findet ein zweiter Wahlgang statt, bei dem eine relative Mehrheit genügt. Am zweiten Wahlgang dürfen diejenigen Kandidaten teilnehmen, die im ersten Wahlgang mindestens 12,5% der Stimmberechtigten erreichen konnten.
Bei vermuteten Ordnungswidrigkeiten bei der Wahl steht es jedem Wähler und jedem Kandidaten zu, die Wahl beim Verfassungsrat anzufechten. Dieser hat die Möglichkeit, den Einspruch zurückzuweisen, das Wahlergebnis abzuändern oder die Wahl für ungültig zu erklären. In diesem Fall muss die Wahl wiederholt werden.
Bei den letzten Wahlen (2007) erreichte die konservative UMP etwa 40% der Stimmen, 28% entfielen auf die linksgerichtete PS, 7% auf das MoDem des liberalen Kandidaten François Bayrou. Der rechtsextreme Front National erreichte etwa 5 % der Stimmen, der Rest verteilte sich auf verschiedene Parteien der äußeren Linken (Trotzkisten) und der Grünen.
Die Abgeordneten
Um das passive Wahlrecht zu erhalten, muss ein 23 Jahre alt sein[2] und seinen Wehr- oder Zivildienst erfüllt haben. Höhere Beamte sind von der Wahl grundsätzlich ausgeschlossen. Dazu zählen unter anderem: Präfekten in ihren Départements oder Regionen, Unterpräfekten, Richter, Staatsanwälte und Polizeidirektoren auf Ebene der Départements und Generalinspektoren. Die Nichtwählbarkeit erstreckt sich bei Präfekten auch auf drei Jahre und bei Unterpräfekten auf ein Jahr nach Ende ihrer Amtszeit.
Ein Abgeordneter darf nicht zugleich dem Senat, der Regierung, dem Verfassungsrat oder dem Wirtschafts- und Sozialrat angehören oder mit von der Regierung mit einem Auftrag (mission), die länger als sechs Monate dauert, ausgestattet sein. Seit 1972 gilt diese Regelung auch für Generaldirektoren von Staatsbetrieben oder Privatunternehmen, die in hohem Maße staatliche Aufträge oder Subventionen erhalten. Falls sich ein Abgeordneter aus diesem Grund entscheidet, sein Mandat in der Nationalversammlung aufzugeben, so tritt an dessen Stelle sein Stellvertreter.
Seit 1985 können aufgrund von Änderungen des Organgesetzes (loi organique) Abgeordnete nur noch eingeschränkt Ämter kumulieren. Neben dem Mandat in der Nationalversammlung darf ein Parlamentarier höchstens eines der folgenden Mandate einnehmen: einen Sitz im Europaparlament, Regional- oder Generalrat oder Stadtrat von Paris, Bürgermeister einer Gemeinde mit mindestens 20.000 Einwohnern, stellvertretender Bürgermeister einer Gemeinde mit mindestens 100.000 Einwohnern oder Mitglied einer Territorialverwaltung eines überseeischen Gebiets. Innerhalb von 15 Tagen nach der Wahl muss sich ein Abgeordneter entscheiden, welches der Ämter er wahrnehmen will.
Die Wahrnehmung eines weiteren kommunalen oder regionalen Amtes ist häufig. In der Zusammensetzung nach den Wahlen 1993 hielten 267 Abgeordnete das Amt des Bürgermeisters inne, 248 waren Generalräte und weitere 89 Abgeordnete waren Mitglieder in einem Regionalrat. Die starke lokale Verankerung der Abgeordneten begründet sich damit, dass viele Karrieren auf nationaler Ebene im Lokalen beginnen und die Volksvertreter aus diversen Gründen ihre Ämter nicht aufgeben wollen. Darüber hinaus wird das machtpolitische Gewicht eines Abgeordneten durch ein regionales Amt in Paris verstärkt. Da die meisten Franzosen sich wünschen, dass ihr Abgeordneter lokale oder regionale Belange in Paris vertreten soll, werden durch die Wahrnehmung eines lokalen Mandates die Wiederwahlchancen eines Parlamentariers verstärkt.[3]
Die Nationalversammlung als Teil der Gesetzgebung
Die Gesetze werden in Frankreich vom Parlament beschlossen. Der Gesetzgebungsbereich – festgelegt in Artikel 34 der französischen Verfassung – umfasst folgende Sachgebiete:
- die öffentlichen Freiheiten
- Festlegung von Verbrechen und Vergehen
- Erhebung von Steuern
- Haushaltsrecht
- nationale Verteidigung
- Verwaltung der Gebietskörperschaften
- Unterrichtswesen
- Eigentumsrecht
- Arbeitsrecht
- Finanzierung der Sozialversicherung
Im Jahr 1996 wurde der Gesetzgebungsbereich um den letzten Aspekt erweitert.
Die anderen Gebiete fallen in die Zuständigkeit der Regierung, da sie lediglich Verordnungscharakter besitzen. Um die Abgrenzung des Gesetzgebungs- und des Verordnungsbereiches kümmert sich der Verfassungs- bzw. der Staatsrat (Conseil d'État).
Die Zuständigkeit bei internationalen Verträgen
Die Nationalversammlung prüft vor allem Gesetzentwürfe, die zur Ratifizierung von internationalen Verträgen notwendig werden. Ausgehandelt werden sie vom Französischen Staatspräsidenten. Dies sind:
- Friedensverträge
- Handelsverträge
- Verträge über die Staatsfinanzen
- Verträge über den Personenstand
- Verträge über die Änderung von Rechtsbestimmungen
Diese Verträge können erst in Kraft treten, wenn sie von der Nationalversammlung ratifiziert wurden. Somit kontrolliert die Legislative den Staatspräsidenten. Seit Oktober 1974 kann eine Minderheit von mindestens 60 Abgeordneten den Verfassungsrat anrufen, um ein Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen. Vorher war dies nur dem Staatspräsidenten, dem Premierminister oder den Präsidenten der beiden legislativen Kammern möglich. In der Praxis macht der Staatspräsidenten davon am meisten Gebrauch. Ebenfalls gibt es seit 1992 eine Verpflichtung seitens der Regierung, der Nationalversammlung und dem Senat die Entwürfe und Vorschläge bezüglich der Angelegenheiten der Europäischen Union, die Gesetzescharakter haben, unmittelbar zuzuleiten.
Verfassungsänderung
Für eine Verfassungsänderung muss es neben der Zustimmung der Nationalversammlung auch eine Zustimmung des Senates geben. Am Ende bedarf eine Verfassungsänderung jedoch noch der Ratifizierung durch das Volk, bzw. im Falle eines Entwurfes auf Beschluss des Staatspräsidenten durch den Kongress des Parlaments (eine gemeinsame Tagung von Nationalversammlung und Senat). Beim letzten Fall ist jedoch eine Hürde von drei Fünftel der abgegebenen Stimmen erforderlich.
Das Gesetzgebungsverfahren
Gesetzesinitiative
Das Recht auf eine Gesetzesinitiative liegt sowohl bei der Regierung als auch bei den Abgeordneten bzw. Senatoren. Bei der Regierung nennt man sie Gesetzentwürfe (projets de loi), bei den Abgeordneten Gesetzesvorschläge (proposition de loi). Jeder Abgeordnete hat das Recht, einen Gesetzesvorschlag einzubringen – jedoch wird dieser vor der Veröffentlichung vom Präsidium auf den Artikel 40 der französischen Verfassung geprüft, wonach es bei diesem Gesetz keine Erhöhung der Ausgaben und keine Verringerung der Einnahmen des Staates geben darf.
Ausschussberatungen
Im zweiten Schritt wird der Gesetzentwurf – bzw. der Gesetzesvorschlag – zur sachlichen Beratung an einen der sechs ständigen Ausschüsse weitergeleitet. In seltenen Fällen wird ein Sonderausschuss gebildet. Des Weiteren können andere ständige Ausschüsse des Parlamentes, die nicht mit dem Entwurf bzw. dem Vorschlag betraut wurden, eingreifen.
In jedem Ausschuss wird ein so genannter Berichterstatter (Rapporteur) eingesetzt, der nach Prüfung des Textes den Kollegen einen Berichtsentwurf oder eine Stellungnahmen mit seinen Schlussfolgerungen vorlegt. Nach einer Beratung nimmt der Ausschuss in der Regel den Bericht oder die Stellungnahme an, wobei es meist noch zu Änderungsanträgen kommt.
Lesungen
Nach Beschluss des Berichts im Ausschuss folgt die Debatte im Plenum. Die Abgeordneten müssen zunächst über jeden einzelnen Artikel und über die Zusatzanträge abstimmen. Danach folgt die Abstimmung über den gesamten Text. Der verabschiedete Entwurf wird an die andere Kammer überwiesen, wo das gleiche Verfahren abläuft. Damit das Gesetz rechtskräftig und durch den Präsidenten verkündet werden kann, muss es von beiden Kammern im gleichen Wortlaut verabschiedet werden (Pendelverfahren oder „navette“).
Sitz
Der Sitz des Parlaments ist Paris. Das Palais Bourbon (erbaut 1722) liegt am linken Ufer der Seine mit Blick Richtung Place de la Concorde zwischen Außenministerium und Verteidigungsministerium: Assemblée Nationale, 126, rue de l'Université, 75355 Paris.
Siehe auch
- Liste der Präsidenten der französischen Nationalversammlung
- Liste der Mitglieder der französischen Nationalversammlung
- Liste der Mitglieder der Nationalversammlung der 12. Wahlperiode (Frankreich)
- Französische Abgeordnetenkammer
Literatur
- Udo Kempf: Von de Gaulle bis Chirac: Das politische System Frankreichs. Westdeutscher Verlag, ISBN 3531129732
- Bernhard Schmidt, Jürgen Doll, Walther Fekl, Siegfried Loewe, Fritz Taubert: Frankreich-Lexikon: Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Geschichte, Presse- und Bildungswesen. Erich Schmidt, Berlin 2006, ISBN 3503079912
- Hans J. Tümmers: Das politische System Frankreichs: eine Einführung. Beck, München 2006, ISBN 9783406528392
Einzelnachweise
- ↑ Schmidt et. al und [1]
- ↑ http://www.assemblee-nationale.fr/connaissance/election-depute.asp#candidature
- ↑ Kempf, S. 114f
Weblinks
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