Frauenstimmrecht (Schweiz)

Frauenstimmrecht (Schweiz)

Das Frauenstimmrecht in der Schweiz wurde durch eine eidgenössische Abstimmung am 7. Februar 1971 eingeführt. Formell wurde das Frauenstimmrecht am 16. März 1971 wirksam. Die Schweiz war somit eines der letzten europäischen Länder, welches seiner weiblichen Bevölkerung die vollen Rechte als Bürger zugestand, doch es war das erste Land, in dem dies durch eine Volksabstimmung (des männlichen Teils der Bevölkerung) geschah. Das politisch eng mit der Schweiz verbundene Fürstentum Liechtenstein führte das Frauenstimm- und Wahlrecht erst am 1. Juli 1984 im dritten Anlauf ein. Zum Vergleich: In Neuseeland gilt das Frauenstimmrecht seit 1893, in Deutschland seit 1918, in der Türkei seit 1934, in Afghanistan mit Unterbrechungen seit 1964.

Bis das Frauenstimmrecht auch in allen Kantonen durchgesetzt war, sollte es allerdings noch weitere 20 Jahre dauern: Am 25. März 1990 gab das Bundesgericht einer Klage von Frauen aus Appenzell Innerrhoden Recht und bestätigte damit die Verfassungswidrigkeit der Innerrhoder Kantonsverfassung in diesem Punkt. Am 27. November 1990 führte Appenzell Innerrhoden als letzter Kanton das Stimmrecht für Frauen auf kantonaler Ebene ein, gegen den Willen der Mehrheit der (männlichen) Stimmbürger.

Der Hauptgrund für die lange Verzögerung liegt ohne Zweifel im politischen System der Schweiz. Bei Vorlagen, welche die Verfassung betreffen, entscheidet allein das stimmberechtigte Volk zusammen mit den Kantonen.

Um das Stimmrecht auf den verschiedenen Ebenen einführen zu können, bedurfte es jeweils der Mehrheit der stimmberechtigten Männer. Auf nationaler Ebene war zudem das Ständemehr (Mehrheit der zustimmenden Kantone) nötig. Ein weiteres Hindernis lag in der Tatsache, dass in der Bundesverfassung (BV) von 1848 (Art. 63. Stimmberechtigt ist jeder Schweizer, der das zwanzigste Altersjahr zurückgelegt hat und im Übrigen nach der Gesetzgebung des Kantons, in welchem er seinen Wohnsitz hat, nicht vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen ist) das Wahlrecht vielfach an den aktiven Wehrdienst gekoppelt war (in vielen Kantonen galt: wer Art. 18 BV Jeder Schweizer ist wehrpflichtig nicht erfüllte, war vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen).

Inhaltsverzeichnis

Chronologie

18. und 19. Jahrhundert: Frauen organisieren sich

Die Französische Revolution von 1789 wurde allgemein als Beginn der Frauenrechtsbewegung angesehen, so auch in der Schweiz. In der ersten Bundesverfassung von 1848 (siehe auch Geschichte der Schweiz) wurde die Rechtsgleichheit erklärt: «Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich. Es gibt in der Schweiz keine Untertanenverhältnisse, keine Vorrechte des Ortes, der Geburt, der Familie oder Personen.» Frauen wurden mit keinem Wort erwähnt, weder explizit in diesen Gleichheitsartikel ein- noch ausgeschlossen. In der aus der Verfassung resultierenden Gesetzgebung ergab sich jedoch, dass Frauen zu den Männern in ein Untertanenverhältnis gestellt wurden.

In den Jahren von 1860 bis 1874 organisierten sich Schweizer Frauen erstmals zur Schweizer Frauenbewegung. Sie forderten zivilrechtliche und politische Gleichstellung für die geplante erste Revision der Bundesverfassung. Im Jahr 1874 wurde die Erste Revision der Bundesverfassung vom Stimmvolk angenommen. Obwohl es im Vorfeld grosse Diskussionen für und wider die politischen Rechte der Frauen gab, kamen auch in der neuen Verfassung keine Frauen vor.

1886 reichten 139 Frauen unter Führung von Marie Goegg-Pouchoulin ihre erste Petition an das Parlament ein. Diese Aktion erregte so viel Aufmerksamkeit, dass Anfang des folgenden Jahres (1887) die Forderungen der Frauen erstmals den Weg in eine Tageszeitung fanden. In ihrem Artikel Ketzerische Neujahrsgedanken einer Frau in der Zürcher Post machte Meta von Salis auf sich und auf die Ansprüche der Frauen aufmerksam. Neben den fehlenden politischen und zivilen Rechten kritisierte sie die bestehende «Ungleichheit vor dem Richter». Im selben Jahr forderte Emilie Kempin-Spyri, die erste Schweizer Juristin, die Zulassung zum Anwaltsberuf und scheiterte vor dem Bundesgericht.

Während des Jahres 1894 bereiste Meta von Salis das Land und hielt in allen grösseren Städten Vorträge zum Thema «Frauenstimmrecht und die Wahl der Frau». Ihre Referate waren schlecht besucht und an einigen Orten wurde sie ausgepfiffen, sie liess sich davon aber nicht entmutigen. Im selben Jahr fand in Chicago die erste Internationale Frauenausstellung statt, die über die Stellung der Frau in den verschiedenen Ländern informieren sollte.

Zwei Jahre später, 1896, wurde in Genf der Erste Nationale Frauenkongress organisiert. Erstmals wurden die Frauen als einflussreiche Gruppierung ernst genommen und mehrere (männliche) Redner riefen sie dazu auf, «Verbündete der Männer zu sein und nicht deren Feindinnen» – und sich doch bitte etwas zurückzuhalten mit ihren Forderungen. Als Folge dieses Kongresses wurde die erste Parlamentarische Kommission mit dem Ziel, die «Frauenfrage» zu untersuchen, gegründet.

1897 schrieb Carl Hilty seinen Aufsatz zum Frauenstimmrecht:

«Die Freiheit besteht wesentlich darin, dass man an der Gesetzgebung Teil nimmt; alles Andere ist eine Gewährung von Rechten, die auf dem guten Willen eines Dritten beruht und deshalb eine sehr zweifelhafte Errungenschaft. Wir betrachten also unsererseits das Frauenstimmrecht als den praktischen Kern der Frauenfrage.»

1900–1959: Vorstösse und Verschleppungstaktiken

Um die Jahrhundertwende organisierten sich Frauen im ganzen Land und bildeten verschiedene Frauenvereine für oder gegen das Frauenstimmrecht. Die beiden wichtigsten waren der Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF) (Dachverband, Gründung 1900) unter der Leitung von Helene von Mülinen und der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht (SVF) (1909).

Zürcher Abstimmungsplakat von 1920

Während des Ersten Weltkrieges kam die Bewegung ins Stocken, weil wichtigere Probleme im Vordergrund standen. Unter Anderem leisteten die Frauenverbände die gesamte Sozialfürsorge während des Krieges, da die Schweiz zu diesem Zeitpunkt noch keine Sozialversicherungen kannte.

Beim Landesstreik von 1918 war das Frauenstimmrecht die zweite von neun Forderungen. Im Dezember wurden zwei erste Vorstösse für das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene durch die Nationalräte Herman Greulich (SP) und Emil Göttisheim (FDP) gemacht. In zwei Motionen wurde der Bundesrat aufgefordert, «Bericht und Antrag einzubringen über die verfassungsmässige Verleihung des gleichen Stimmrechts und der gleichen Wählbarkeit an die Schweizerbürgerinnen wie an die Schweizerbürger.»

Ein halbes Jahr später, im Juni 1919, reichten 158 Frauenverbände eine Petition ein, um den beiden Motionen mehr Gewicht zu verleihen. In der Folge wurden die Motionen Greulich und Göttisheim von Nationalrat angenommen und zur Ausführung an den Bundesrat überwiesen. Dort verschwanden sie jedoch wegen «dringenderer Probleme» für die nächsten Jahre in die Schreibtischschublade von Bundesrat Heinrich Häberlin (FDP). 15 Jahre später, 1934, übergab Häberlin das unerledigte und ungeliebte Geschäft seinem Nachfolger mit dem Hinweis: «Das Material für das Frauenstimmrecht liegt in der mittleren Schublade rechts Deines Schreibtisches».

Zwischen 1919 und 1921 fanden in mehreren Kantonen Abstimmungen zur Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler Ebene statt. Sie wurden überall mit grossen Mehrheiten abgelehnt. Der Zweite Nationale Frauenkongress von 1921 in Bern verlief ereignislos. Für einmal stand nicht das Frauenstimmrecht, sondern die Berufstätigkeit und Erwerbsarbeit im Vordergrund.

1923 reichte eine Gruppe von Bernerinnen eine staatsrechtliche Beschwerde ein. Sie wollten ihr «Stimmrecht in Gemeinde-, Kantons- und Bundesangelegenheiten ausüben», wurden jedoch vom Bundesgericht unter Berufung auf das «Gewohnheitsrecht» abgelehnt.

Fünf Jahre später, 1928, wendete sich Léonard Jenni mit einer Petition an den Bundesrat und wies darauf hin, dass der Begriff «Stimmbürger» in der deutschen Sprache Menschen beiderlei Geschlechtes beinhalte. Das Gesuch wurde mit folgender Begründung abgelehnt:

«Wenn man nun behauptet, dass der Begriff auch die Schweizer Frauen in sich schliessen sollte, so überschreitet man die Grenzen der zulässigen Interpretation und begeht damit einen Akt, der dem Sinne der Verfassung widerspricht. [...] Die Beschränkung des Stimmrechts auf die männlichen Schweizer Bürger ist ein fundamentaler Grundsatz des eidgenössischen öffentlichen Rechts.»
Die SAFFA-Schnecke von 1928

Im Sommer desselben Jahres fand die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit SAFFA statt. Im Umzug fuhr ein denkwürdiger Wagen mit: eine Schnecke namens «Frauenstimmrecht». Die Organisatorinnen wurden für die Schnecke stark kritisiert und einige Kritiker sahen diese gar als Zeichen für die politische Unreife der Frauen.

Der SVF lancierte 1929 eine neue Petition für das Frauenstimmrecht und erreichte diesmal eine Rekordzahl von Unterschriften, die sogar die geforderte Anzahl Unterschriften für eine Volksinitiative überschritt: 170397 Unterschriften von Frauen und 78840 Unterschriften von Männern. Der Katholische Frauenbund distanzierte sich explizit von den Forderungen der anderen Frauenverbände. Auch andere gegnerische Organisationen reagierten und 1931 nahm die Schweizer Liga gegen das politische Frauenstimmrecht mit einer Eingabe an den Bundesrat «Stellung gegen die Verpolitisierung der Schweizerfrauen». Immer wieder schrieben die Frauen und Männer der Liga, allen voran Emma Rufer, an den Bundesrat und die Parlamentarier und baten sie inständig, von dem Thema abzulassen:

Die Theorie der politischen Gleichstellung der beiden Geschlechter ist eine vom Ausland importierte Idee. An der Spitze der Frauenstimmrechtsbewegung in der Schweiz steht denn heute auch eine ursprüngliche Ausländerin.
Wir halten dafür, dass in diesen wichtigen Sachen eigentlich nur gebürtige Schweizerinnen den richtigen Einblick haben können; Leute also, die mit dem Wesen unserer Demokratie und unseres Volkes ganz vertraut sind.

Während der 1930er und frühen 1940er Jahre wurden die Bemühungen um das Frauenstimmrecht einmal mehr von den internationalen Ereignissen (Weltwirtschaftskrise, Zweiter Weltkrieg) überschattet. Mehrmals wurden die Frauen während diesen Jahren aufgefordert, die «Demokratie zu schützen», worauf die das Stimmrecht befürwortenden Frauenverbände antworteten, dazu müssten sie zuerst über demokratische Rechte verfügen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges kam die Frage wieder aufs Tapet, da insbesondere bürgerliche (genannt «freisinnige») Frauen im Gegenzug zu ihrem Einsatz im militärischen Frauenhilfsdienst (FHD) ihre demokratischen Rechte einforderten. Noch während des Krieges wurde das Aktionskomitee gegen das Frauenstimmrecht gegründet:

Wir erblicken in der Beteiligung der Frau in Partei und Politik eine Gefahr für unsere Familien und für die Einigkeit der Frauen unter sich, die sich besonders in der sehr kritischen Zeit des Überganges vom Krieg zum Frieden ungünstig auswirken könnte.

1944 verlangte Nationalrat Emil Oprecht in einem Postulat die Einführung des Frauenstimmrechts, weil wichtige Frauenpolitische Anliegen auf der politischen Tagesordnung standen: Alters- und Hinterlassenenversicherung, Mutterschaftsversicherung und Familienschutz. Das Postulat wurde vom BSF mit einer Eingabe vom 6. Februar 1945 im Namen von 38 Frauenverbänden unterstützt. Der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein äusserte sich nicht zu der Frage, der Schweizerischer Katholische Frauenbund jedoch scherte erstmals aus der konservativen Linie der katholischen Kirche aus und erteilte seinen Mitgliedern Stimmfreigabe. 1945 wurde das Schweizerische Aktionskomitee für Frauenstimmrecht als meinungsbildendes Instrument gegründet. Der dritte Nationale Frauenkongress von 1946 brachte keine neuen Fortschritte in Sachen Frauenstimmrecht.

1948 wurden im ganzen Land Feiern zum 100-jährigen Bestehen der Bundesverfassung durchgeführt und die «Schweiz, ein Volk von Brüdern» gefeiert. Die Frauenverbände erklärten das Motto um zu einem «Volk von Brüdern ohne Schwestern» und überreichten dem Bundesrat symbolisch eine Europakarte mit einem schwarzen Fleck in der Mitte. Zu diesem Zeitpunkt hatten alle europäischen Länder ausser der Schweiz und Liechtenstein das Frauenwahlrecht eingeführt. Wie zuvor die SAFFA-Schnecke wurde diese symbolische Karte von Kritikern als Zeichen der politischen Unreife der Frauen interpretiert.

Im Jahr 1950 legte der Bundesrat einen Bericht an die Bundesversammlung über das für die Einführung des Frauenstimmrechts einzuschlagende Verfahren vor. 1951 wendete sich der Schweizerische Frauenkreis gegen das Frauenstimmrecht unter der Leitung von Dora Wipf mit einem Schreiben an den Bundesrat:

«wir glauben also, dass wir guten Gewissens behaupten dürfen, die Mehrheit der Schweizerinnen zu vertreten, wenn wir Sie bitten, die Frage wohl zu erwägen, ob in der heutigen Zeit, da die Frau mit Pflichten aller Art stark belastet ist, man ihr die Übernahme weiterer grosser Pflichtenkreise noch zumuten darf. [...] Wir glauben nicht, dass unser Land politisierende Frauen braucht, sondern Mütter, leibliche und geistige Mütter, die mithelfen, dass Hass und Misstrauen überwunden werden. Wir vertreten grundsätzlich den Standpunkt, dass die Einführung überhaupt abzulehnen sei.»

Ein Jahr später, 1952, verlangten Antoinette Quinche, Präsidentin des «Schweizerischen Aktionskomitees für das Frauenstimmrecht», und 1414 Mitstreiterinnen von ihren Gemeinden die Eintragung ins Stimmregister. Mit dem Argument, die jeweiligen Kantonsverfassungen würden Frauen nicht explizit vom Stimmrecht ausschliessen, gingen sie mit ihrer Forderung bis vor Bundesgericht. Wie bereits 1923 wurden sie unter Berufung auf das «Gewohnheitsrecht» abgewiesen.

Frauendenkmal in Unterbäch
Katharina Zenhäusern

1957 fand eine Volksabstimmung statt, durch die Zivilschutzdienst für alle Schweizer Frauen obligatorisch werden sollte. Während der Abstimmung ereignete sich ein Skandal: Die Frauen der Walliser Gemeinde Unterbäch gingen – unterstützt vom Gemeinderat – abstimmen. Der Gemeinderat erklärte, dass laut Verfassung die Gemeinden gesetzlich zuständig seien, um die Stimmregister aufzustellen. Gemeindepräsident und Grossrat Paul Zenhäusern und der Walliser Nationalrat Peter von Roten waren die Initiatoren der Frauenabstimmung. Daran beteiligten sich 33 der 84 potentiell stimmberechtigten Unterbächer Frauen; Katharina Zenhäusern, Ehefrau des Gemeindepräsidenten von Unterbäch, war die erste Schweizerin überhaupt, die eine Stimmkarte in eine helvetische Abstimmungsurne legte. Die Frauenstimmen, die in einer separaten Urne gesammelt wurden (die Männerstimmen blieben so gültig), mussten annulliert werden, da die Frauenbeteiligung damals noch keine rechtliche Grundlage hatte. Trotzdem schrieb diese erste eidgenössische Frauenabstimmung Schweizer Geschichte, weil sie einen wichtigen Anstoss für die spätere offizielle Einführung des Frauenstimmrechtes gab.[1] Seither bezeichnet sich Unterbäch als „Rütli der Schweizer Frau“.

Ebenso 1957 führte Unterbäch, als erste Gemeinde der Schweiz, das kommunale Wahl- und Stimmrecht für Frauen ein – trotz Verbot durch den Walliser Staatsrat.

1958 votierte das Bundesparlament erstmals für die Abhaltung einer Volksabstimmung über die Einführung des Frauenstimmrechts in eidgenössischen Angelegenheiten, der Antrag des Bundesrates wurde im Nationalrat mit 96:43 Stimmen und im Ständerat mit 25:12 Stimmen angenommen.

Im Jahr 1958 fand einerseits die Zweite Schweizerische Ausstellung zur Frauenarbeit SAFFA statt, andererseits erschien das umstrittene Buch Frauen im Laufgitter von Iris von Roten (der deswegen von verschiedenen Seiten die Schuld am Scheitern der Abstimmung von 1959 gegeben wurde). Nachdem sich die Westschweizer und Deutschschweizer Sektionen der Katholischen Frauenvereine für das Frauenstimmrecht ausgesprochen hatten, gab der SKF die Ja-Parole für die geplante Abstimmung heraus und propagierte das Frauenstimmrecht in den katholischen Organisationen.

Kurz vor der Abstimmung erschien eine neue gegnerische Organisation auf dem politischen Parkett: Das Schweizerische Aktionskomitee gegen die Verfassungsvorlage über die Einführung des Frauenstimmrechts im Bund hatte sich kein geringeres Ziel gesetzt, als die Schweiz vor dem Untergang zu retten:

«Die Vorlage missachtet mit der blossen Kopierung ausländischer Wahlrechtsverhältnisse die Besonderheiten unserer direkten Referendumsdemokratie, in welcher der Stimmbürger nicht nur wählt, sondern dauernd über oft recht schwierige Sachfragen entscheiden muss.»

Am 1. Februar 1959 scheiterte die erste Volksabstimmung über das eidgenössische Frauenstimmrecht mit einer Stimmbeteiligung von 67 % ganz klar am Volks- (33 % : 66 %) und Ständemehr (3 : 16 + 6/2 Kantone).[2] Protestaktionen und Frauenstreiks in der ganzen Schweiz waren die Folge. Einzig in den welschen Kantonen Waadt, Neuenburg und Genf sprach sich eine Mehrheit für das Frauenstimmrecht aus.

Die Frauen konnten jedoch erste Erfolge auf kantonaler Ebene verzeichnen: Am 1. Februar 1959 nahm der Kanton Waadt als erster das Frauenstimmrecht an, in den folgenden Monaten folgten die Kantone Neuenburg und Genf. Die meisten anderen Kantone folgten in den anschliessenden Jahren.

1959–1971: Endspurt

Nach der Ablehnung wurde der Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht gegründet. Der Verein argumentierte damit, dass die Frauen aufgrund ihrer biologischen Verschiedenheit durch ihre politische und rechtliche Gleichstellung benachteiligt würden. Im Laufe des Jahres 1965 gab es mehrere parlamentarische Motionen zur Einführung des Frauenstimmrechts auf eidgenössischer Ebene. Die rechtlichen Voraussetzungen für den Beitritt der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention mussten geschaffen werden. Trotzdem verhielt sich der Bundesrat zögerlich.

In den Folgejahren wurden immer wieder Motionen an den Bundesrat gestellt. Dann erreichten die Jugendunruhen von 1968 auch die Schweiz und die Schweizer Frauenbewegung. Junge Feministinnen gingen auf Konfrontationskurs und veranstalteten Protestaktionen und Demonstrationen im ganzen Land. Da ihnen der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht zu wenig radikal war (sie bezeichneten diesen als «gemütlich»), gründeten sie die Frauenbefreiungsbewegung FBB, eine radikalfeministische Vereinigung junger Frauen.

Am 1. März 1969 fand der Marsch auf Bern statt: 5000 Frauen und Männer demonstrierten vor dem Bundeshaus in Bern. Der Resolution von Emilie Lieberherr wurde von den Versammelten mit grossem Applaus zugestimmt:

«Die hier versammelten Schweizerinnen fordern das volle Stimm- und Wahlrecht auf eidgenössischer und kantonaler Ebene und in den Gemeinden. Die Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten darf erst unterzeichnet werden, wenn bezüglich des Stimm- und Wahlrechts kein Vorbehalt mehr nötig ist.
Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter ist eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte. Sämtliche vorgeschlagenen Vorbehalte stellen die Glaubwürdigkeit unseres Landes als Rechtsstaat und Demokratie in Frage.
Wir fordern deshalb alle gutgesinnten Politiker und Stimmbürger auf, das Frauenstimm- und Wahlrecht im Bund, in den Kantonen und in allen Gemeinden so rasch als möglich zu verwirklichen.»

Die Zahl von 5000 Demonstrierenden klingt nicht so spektakulär, hat die Politiker der damaligen Zeit jedoch ziemlich erschreckt. Inzwischen opponierten nämlich nicht allein die radikalen Stimmrechtsvereine und die FBB, sondern auch konservative Frauenorganisationen (Gemeinnütziger Frauenverein, Landfrauenverband, Katholischer und Evangelischer Frauenbund).

Durch Häuserbesetzungen und kämpferische Protestaktionen machte die FBB auf sich aufmerksam. Die Gruppierung wurde vom Frauenstimmrechtsverein scharf kritisiert, da befürchtet wurde, die Aktionen könnten «der Sache» schaden. Grosse Teile der Öffentlichkeit, insbesondere junge Menschen, begrüssten hingegen die schärfere Gangart der FBB.

Nun folgte ein langwieriges politisches Hin und Her zwischen Bundesrat, Nationalrat und Ständerat, bis endlich eine allgemein anerkannte Abstimmungsvorlage zur Einführung des Frauenstimmrechts erarbeitet war. Derweil gingen die Protestaktionen der FBB weiter.

Der Abstimmungskampf selber verlief relativ ruhig und optimistisch: Alle Regierungsparteien und die beiden einflussreichsten Berufsverbände (Gewerkschaftsbund, Bauernverband) hatten die Ja-Parole herausgegeben. Die Schweiz war sich für einmal einig. Nach 123 Jahren Kampf seit der Bundesverfassung von 1848 gewährten schliesslich die Schweizer Männer den Frauen aktives und passives Wahlrecht und Stimmrecht bei politischen Entscheidungen. Am 7. Februar 1971 wurde die Vorlage vom (männlichen) Stimmvolk mit 621.109 gegen 323.882 Stimmen (65,7 % Ja) und von 14 3/2 Ständen gegen 5 3/2 Stände angenommen.

«Endlich, endlich, endlich ... Von mir fallen Zentner. Die Aufgabe, die seit bald hundert Jahren ungelöst von einer Generation zur anderen tradiert wurde, hat in der letzten ‹Männerabstimmung› vom 7. Februar 1971 ihre glanzvolle Erfüllung gefunden.
Fortan wird es nur noch Volksabstimmungen geben im wahren Sinn des Wortes.»
(Gertrud Heinzelmann).

Bei den eidgenössischen Wahlen vom 31. Oktober 1971 waren somit erstmals Frauen wahlberechtigt und wählbar. Elf Frauen wurden in den Nationalrat gewählt, was bei 200 Mandataren einen Frauenanteil von 5,5 % ausmachte, als einzige Frau wurde die freisinnige Lise Girardin vom Kanton Genf in den Ständerat gewählt, sie war auch die erste Stadtpräsidentin (Genf) der Schweiz.[3]

Verfassungsartikel zum Stimm- und Wahlrecht

Bundesverfassung 1848

Art. 63. BV:
Stimmberechtigt ist jeder Schweizer, der das zwanzigste Altersjahr zurückgelegt hat und im Übrigen nach der Gesetzgebung des Kantons, in welchem er seinen Wohnsitz hat, nicht vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen ist. [4]

Bundesverfassung 1874

Art. 74. BV:
Stimmberechtigt ist jeder Schweizer, der das zwanzigste Altersjahr zurückgelegt hat und im Übrigen nach der Gesetzgebung des Kantons, in welchem er seinen Wohnsitz hat, nicht vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen ist.

Der Artikel wurde am 7. Februar 1971 in veränderter Form in der Verfassung verankert:

Art. 74 BV:
Bei eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen haben Schweizer und Schweizerinnen die gleichen politischen Rechte und Pflichten.
Stimm- und wahlberechtigt bei solchen Abstimmungen und Wahlen sind alle Schweizer und Schweizerinnen, die das 20. Altersjahr zurückgelegt haben und nicht nach dem Rechte des Bundes vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen sind.

Das Alter wurde 1991 auf 18 Jahre gesenkt. [5]

Bundesverfassung vom 18. April 1999

Art. 136 Abs. 1 BV:
«Die politischen Rechte in Bundessachen stehen allen Schweizerinnen und Schweizern zu, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und die nicht wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind. Alle haben die gleichen politischen Rechte und Pflichten.» [6]

Schwerpunkte der Diskussion

Im Folgenden werden die Begründungen, die insbesondere während der Abstimmungskampagnen für oder gegen eine Einführung des Frauenstimmrechts angeführt wurden, noch einmal zusammengefasst:

Die befürwortenden Argumente zeichneten sich insgesamt durch ihre starke Bezugnahme auf grundlegende politische Prinzipien und rechtliche Normen aus. Eine der wichtigsten war Artikel 1 der Schweizer Bundesverfassung von 1848, der ohne Qualifikation besagte: «Alle Schweizer sind vor dem Gesetz gleich.» Ergänzend konnten die Befürworter auf die Menschenrechte verweisen, die allen Menschen und damit also auch Frauen ein Stimm- und Wahlrecht zusprechen. Mit dem Grundsatz, dass in einer Demokratie mit der Pflicht, die Gesetze eines Landes zu befolgen, auch das Recht einhergehen müsse, selbige Gesetze mitzubeschliessen, konnten sie zudem auf eine wichtige rechtsphilosophische Position verweisen. Das von den Gegnern vorgebrachte Gegenargument, Frauen könnten dies ja bereits über die Einflussnahme auf ihre Männer tun, wurde in charakteristischer Weise wieder mit Rückgriff auf einen allgemeinen Grundsatz abgelehnt, wonach die Ausübung von Rechten nicht vom guten Willen Dritter abhängen darf.

Die Gegner des Frauenstimmrechts argumentierten dagegen mit einer Reihe eher disparater Argumente, die zum einen die Notwendigkeit einer Neuerung in Zweifel zogen, zum anderen aber vor den zu erwartenden negativen Folgen des Frauenwahlrechts warnten.

Im ersteren Sinne wurde etwa angeführt, die Idee eines Frauenwahlrechts sei eine aus dem Ausland importierte, unschweizerische Idee, die auch von der grossen Mehrheit der Schweizer Frauen abgelehnt werde, welche an einem Stimmrecht gar nicht interessiert seien, zumal jede Frau ihre Meinung indirekt über ihren Mann zum Ausdruck bringen könne.

Ein eher fürsorglich verstandener Aspekt kam dagegen in der Vorstellung zum Ausdruck, Politik sei ein schmutziges Geschäft, in dem Frauen es zu schwer haben würden, die Achtung der Gesellschaft zu wahren. Ihre Einbeziehung in politische Entscheidungen werde so unweigerlich zum Verlust ihrer Weiblichkeit führen, während die Abhängigkeit von ihren Männern durch die Einführung des Stimmrechts nur gegen neue Abhängigkeiten eingetauscht werde.

Daneben wurde aber auch die negative Einwirkung auf Männer herausgestellt, die aufgrund der Bevölkerungsmehrheit der Frauen unweigerlich diskriminiert werden würden. Eine wichtige Rolle spielte dabei der nur für Männer verbindliche Militärdienst, der diese ohnehin benachteilige – ein Argument, welches von Befürworterseite meist mit dem Hinweis auf den freiwilligen Fraueneinsatz im militärischen Hilfsdienst gekontert wurde.

Schliesslich wurde auch die kategorische Auffassung vertreten, der Staat selbst sei seinem Wesen nach eine männliche Institution, die von Frauen daher ihrer Natur gemäss nicht in der notwendigen Tiefe verstanden werden könne.

Auswahl beteiligter Personen

Befürworter(innen) Gegner(innen)

Parteien

  Pro Contra
1959
  (Die anderen Parteien erteilten ihren Mitgliedern Stimmfreigabe

und gaben keine Abstimmungsparole heraus.)

1971

Keine Parteien, aber ebenfalls einflussreich:

  • keine

Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene

Bei Einführung des eidgenössischen Frauenstimmrechts hatten einige Kantone bereits ein kantonales Frauenstimmrecht eingeführt, die meisten folgten jedoch in den Jahren 1971 und 1972 [7].

Einzelnachweise

  1. Erste Frauenabstimmung der Schweiz am 3. März 1957 in Unterbäch, Schweizer Filmwochenschau vom 8. März 1957 (Archiv SF-Wissen)
  2. Vorlage Nr. 191
    Übersicht
  3. Erste Bundesversammlung mit Parlamentarierinnen, Schweizer Filmwochenschau, 10.12.1971 (Video, 3 min)
  4. Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (1848)
  5. Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (1874)
  6. SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
  7. http://www.frauenkommission.ch/pdf/d_2_2_politik.pdf
  8. Glarner Landsgemeinde stimmt zu, Schweizer Fernsehen, 3.5.1971 (Video, 4 min)

Literatur

  • Beatrix Mesmer: Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht. Die Politik der schweizerischen Frauenverbände 1914-1971. Chronos, Zürich 2007, ISBN 3-034008-57-0
  • Sibylle Hardmeier: Frühe Frauenstimmrechtsbewegung in der Schweiz (1890–1930) – Argumente, Strategien, Netzwerk und Gegenbewegung. Chronos, Zürich 1997, ISBN 3-905312-44-1
  • Werner Kägi: Der Anspruch der Schweizerfrau auf politische Gleichberechtigung. Zürich 1957.
  • Yvonne Vögeli: Zwischen Hausrat und Rathaus, Auseinandersetzungen um die politische Gleichberechtigung der Frauen in der Schweiz 1945–1971. Chronos, Zürich, 1997, ISBN 3-905312-30-1
  • Dokumentationsmappe Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen: Frauen Macht Geschichte, Frauen- und gleichstellungspolitische Ereignisse in der Schweiz 1848–1998. Bern 1999. (Die Mappe steht auch als PDF-Datei zur Verfügung)
  • Regula Stämpfli: Mit der Schürze in die Landesverteidigung 1918-1945. Über Frauen, Politik und Militär, Orell Füssli, Zürich 2002, ISBN 3-280-02820-5
  • Regula Stämpfli: Vom Stummbürger zum Stimmbürger. Ein Abc der Schweizer Politik, Orell Füssli, Zürich 2003, ISBN 3-280-05016-2

Weblinks

Bemerkung zu den Quellen: Die meisten Zitate in diesem Artikel wurden aus den beiden verlinkten Seiten der Universität Bern entnommen, stammen jedoch ursprünglich aus öffentlich zugänglichen Quellen wie Staatsarchiven und Pressearchiven.
Die Bilder stammen aus der Pressemappe des Zürcher Staatsarchivs zum 150-jährigen Bestehen der Eidgenossenschaft und sind öffentlich.


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