Frauenstimmrecht-Entscheid

Frauenstimmrecht-Entscheid
Bundesgerichtsentscheid
Abteilung I. öffentlichrechtliche
Datum des Urteils: 27. November 1990
Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung: BGE 116 Ia 359
Sachgebiet: Politische Rechte

Im Frauenstimmrecht-Entscheid vom 27. November 1990 hielt das schweizerische Bundesgericht einstimmig in öffentlicher Beratung[1] fest, dass den Frauen im Kanton Appenzell Innerrhoden die politischen Rechte zuständen.[2] Damit wurde das Frauenstimmrecht im letzten Kanton auf dem Weg der Rechtsprechung durch das oberste Gericht eingeführt.

Inhaltsverzeichnis

Erwägungen

Auf eidgenössischer Ebene wurde das Frauenstimmrecht im Jahre 1971 mittels Volksabstimmung eingeführt. Zehn Jahre später wurde die Gleichstellung von Mann und Frau in Artikel 4 BV verankert. Dabei blieb Artikel 74 Absatz 4 BV (alt), der einen Vorbehalt für das kantonale (und kommunale) Stimm- und Wahlrecht enthielt, unverändert.

Der Kanton Appenzell Innerhoden war der letzte Kanton, welcher den Frauen das Stimmrecht in kantonalen Angelegenheiten vorenthielt. Demgemäss lautete Artikel 16 der Kantonsverfassung wie folgt: "An Landsgemeinden und an Gemeindeversammlungen sind alle im Kanton wohnhaften Landsleute sowie die übrigen Schweizer stimmberechtigt, sofern sie das 20. Altersjahr vollendet haben und im Stimmregister eingetragen sind." Eine Änderung der Kantonsverfassung, mit der "alle im Kanton wohnhaften Schweizerbürgerinnen und Schweizerbürger" stimmberechtigt geworden wären, wurde am 29. April 1990 von der Landsgemeinde abgelehnt.[3]

Aufgrund einer von einer Appenzellerin bereits 1989 eingereichten Stimmrechtsbeschwerde und weiteren Beschwerden aufgrund des Beschlusses der Landsgemeinde, musste das Bundesgericht prüfen, ob die kantonale Verfassungsbestimmung gegen die Bundesverfassung verstiess. Gestützt auf eine verfassungskonforme Auslegung unter Einbezug des Gleichstellungsprinzips interpretierte es "Landsleute" und "Schweizer" entgegen der damals herrschenden kantonalen Praxis so, dass auch Frauen mitgemeint seien.

Der Bundesgerichtsentscheid wurde im Ergebnis begrüsst, aber wegen der nicht konsistenten Urteilsbegründung von der Doktrin kritisiert.[4][5]

Auswirkungen

Das Bundesgericht entschied, dass den Frauen die Stimm- und Wahlrechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten ab sofort gewährt werden müssten. An der nächstfolgenden Appenzell Innerrhoder Landsgemeinde vom 28. April 1991 nahmen erstmals Frauen teil.[6]

Literatur

  • Giovanni Biaggini: Die Einführung des Frauenstimmrechts im Kanton Appenzell I.Rh. kraft bundesgerichtlicher Verfassungsinterpretation. Recht (Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis) 1992, S. 65ff.
  • Etienne Grisel: Kommentar zu Artikel 74 BV (alt). Stand Mai 1995.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vöchelig schad. Im konservativen Appenzell Innerrhoden fiel die letzte Bastion der Männerherrschaft. Spiegel Online, 3. Dezember 1990, abgerufen am 13. November 2011.
  2. Bundesgericht befiehlt Frauenstimmrecht. SF DRS, 27. November 1990, abgerufen am 13. November 2011 (Video).
  3. BGE 116 Ia 361
  4. Biaggini, 1990, vgl. unter Literatur
  5. Grisel, 1995, vgl. unter Literatur
  6. 28. April 1991: Erstmals Frauen an der Innerrhoder Landsgemeinde. SF DRS, abgerufen am 16. November 2011.
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