Gebrüder Grimm

Gebrüder Grimm
Doppelporträt der Brüder Wilhelm Grimm (links) und Jacob Grimm von Elisabeth Maria Anna Jerichau-Baumann, 1855
Grimm-Denkmal in Hanau

Die Brüder Grimm, oder die Gebrüder Grimm, Jacob (* 4. Januar 1785 in Hanau, † 20. September 1863 in Berlin) und Wilhelm Grimm (* 24. Februar 1786 in Hanau, † 16. Dezember 1859 in Berlin), sind als Sprachwissenschaftler und Sammler von Märchen (Grimms Märchen) bekannt. Sie gelten gemeinsam mit Karl Lachmann und Georg Friedrich Benecke als „Gründungsväter“ der Deutschen Philologie bzw. Germanistik.

Dieser Artikel stellt das Gemeinsame in Leben und Arbeit der beiden Brüder dar. Zu den einzelnen Lebensläufen siehe die Einzelartikel Jacob Grimm und Wilhelm Grimm.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft

Die Familie Grimm war in Hanau beheimatet. Der Urgroßvater, Friedrich Grimm der Ältere (1672-1748), und der Großvater, Friedrich Grimm der Jüngere (1707-1777), waren Geistliche des (reformierten) Glaubensbekenntnisses. Die Eltern Dorothea und Philipp Wilhelm Grimm hatten in ihrer Ehe neun Kinder, von denen drei als Säuglinge starben. Neben Jacob und Wilhelm erlangte der jüngere Bruder Ludwig Emil als Maler Bedeutung. Das Geburtshaus der Brüder Grimm stand am alten Paradeplatz in Hanau. Ihre Jugend verbrachten sie in Steinau a. d. Str., wo der Vater eine Stelle als Amtmann hatte.

Stammliste der Familie Grimm

  1. Friedrich Grimm (der Ältere) (* 16. Oktober 1672 in Hanau; † 4. April 1748 in Hanau)
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      1. Friedrich Grimm (der Jüngere) (* 11. März 1707; † 20. März 1777) ∞ 6. Oktober 1734 Christine Elisabeth Heilmann (* 22. Oktober 1715 in Birstein; † 6. Oktober 1734)
        1. Juliane Charlotte Frederike Grimm (* 1735; † 1796 in Hanau) ∞ Schlemmer († 1785)
        2. Philipp Wilhelm Grimm (* 9. September 1751; † 10. Januar 1796) ∞ 23. März 1783 Dorothea Zimmer (* 20. November 1755 in Kassel; † 27. Mai 1805)
          1. Friedrich Hermann Georg Grimm (* 12. Dezember 1783; † 16. März 1784)
          2. Jacob Ludwig Carl Grimm (* 4. Januar 1785 in Hanau; † 20. September 1863 in Berlin)
          3. Wilhelm Carl Grimm (* 24. Februar 1786 in Hanau; † 16. Dezember 1859 in Berlin) ∞ 15. Mai 1825 Henriette Dorothea Wild (* 23. Mai 1795; † 22. August 1867)
            1. Jacob Grimm (* 3. April 1826; † 15. Dezember 1826)
            2. Herman Friedrich Grimm (* 6. Januar 1828; † 16. Juni 1901) ∞ 25. Oktober 1859 Gisela von Arnim (* 30. August 1827; † 4. April 1889)
            3. Rudolf Georg Ludwig Grimm (* 31. März 1830; † 13. November 1889)
            4. Auguste Luise Pauline Marie (* 21. August 1832; † 9. Februar 1919)
          4. Carl Friedrich Grimm (* 24. April 1787 in Hanau; † 25. Mai 1852)
          5. Ferdinand Philipp Grimm (* 18. Dezember 1788 in Hanau; † 6. Januar 1845)
          6. Ludwig Emil Grimm (* 14. März 1790 in Hanau; † 4. April 1863)
            1. ∞ 25. Mai 1832 Marie Böttner (* 9. August 1803; † 15. August 1842);
              1. Friederike (Ideke) Lotte Amalia Maria Grimm (* 23. Juli 1833; † 17. Dezember 1914) ∞ 19. August 1854 Rudolf von Eschwege (* 22. Januar 1821; † 24. November 1875)
            2. ∞ 14. April 1845 Friederike Ernst (* 24. Dezember 1806; † 1894)
          7. Friedrich Grimm (* 15. Juni 1791; † 20. August 1792)
          8. Charlotte Amalie Grimm (Lotte) (* 10. Mai 1793; † 15. Juni 1833) ∞ 2. Juni 1822 Hans Daniel Ludwig Friedrich Hassenpflug (* 26. Februar 1794 in Hanau; † 10. Oktober 1862 in Marburg)
            1. Karl Hassenpflug (* 5. Januar 1824; † 18. Februar 1890), Bildhauer, kinderlos verstorben
            2. Agnes (* 11. Dezember 1825; † 29. Oktober 1829)
            3. Bertha (* 27. April 1829; † 9. Juni 1830)
            4. Friedrich (* 10. September 1827; † 23. Januar 1892 in Breslau). Oberlandesgerichtsrat in Breslau, verheiratet mit Anna Volmar, Tochter eines Ministerkollegen seines Vaters
            5. Luis (*1. Dezember 1831; † 11. Oktober 1878 auf Malta), Offizier der Österreichischen Kriegsmarine, verheiratet, kinderlos
            6. Dorothea (*23. Mai 1833; † 1898 in München)
          9. Georg Eduard Grimm (* 26. Juli 1794; † 19. April 1795)
        3. Neun weitere Kinder
      2. Sechs weitere Kinder

Studienzeit

Um den ältesten Söhnen eine angemessene Bildung für eine eventuelle spätere Laufbahn als Juristen zu ermöglichen, schickte die Mutter die beiden im Herbst 1798 nach Kassel zu ihrer Tante. Jacob besuchte die Philipps-Universität in Marburg und studierte dort Rechtswissenschaft, sein Bruder Wilhelm folgte ihm ein Jahr später. Einer ihrer Lehrer, Friedrich Carl von Savigny, eröffnete den wissbegierigen jungen Studenten seine Privatbibliothek und machte den beiden, die bereits mit Werken von Goethe und Schiller vertraut waren, mit Werken der Romantik und des Minnesangs bekannt. Auch Johann Gottfried Herder hatte mit seinen Ansichten über die Dichtung der Völker wesentlichen Einfluss auf Jacob und Wilhelm. Sie entwickelten sich jedoch nicht zu Romantikern, die vom „gotischen Mittelalter“ schwärmten, sondern waren Realisten, die in der fernen Vergangenheit die Wurzeln für die zeitgenössischen Zustände sahen. So untersuchten sie die geschichtliche Entwicklung deutschsprachiger Literatur (Sagen, Urkunden ebenso wie Dichtung) und legten dabei die Grundlagen für eine wissenschaftliche Behandlung dieses Arbeitsgebietes. Ganz im Sinne Herders beschränkten sie sich dabei nicht auf deutschsprachige Urkunden. Englische, schottische und irische Quellen waren bereits in Mode; sie dehnten ihren Arbeitsbereich auf Skandinavien, Finnland, die Niederlande, Spanien und Serbien aus.

Frühe Arbeiten in Kassel

In die Zeit eines sparsamen und zurückgezogenen Lebens nach dem Studienabschluss 1806 datiert der Beginn der Sammlung von Märchen und Sagen, die uns heute als eines der Hauptwerke der Brüder bekannt sind. Die von Jacob und Wilhelm Grimm auf Veranlassung von Achim von Arnim und Clemens Brentano gesammelten Märchen entstanden nicht aus ihrer eigenen Fantasie, sondern wurden nach alten, vorwiegend mündlich überlieferten Geschichten von ihnen gesammelt und zusammengetragen und mehr oder minder stark überarbeitet, im Ausdruck und Aussage geglättet und geformt. Eine ihrer wichtigsten Quellen waren die Märchen, die die aus hugenottischer Familie stammende Dorothea Viehmann den Brüdern erzählte. Es ist das bleibende Verdienst von Wilhelm Grimm,der mit der Bearbeitung die weitere Verbreitung gesichert und mit der kritischen Untersuchung zu Quellen und Entwicklung der Volksmärchen die Märchenkunde als Wissenschaft begründet hat.

Nach dem Tod der Mutter musste Jacob Grimm mit 21 Jahren als Ältester der Familie für deren Unterhalt sorgen. Seit 1807 hatten Jacob und Wilhelm Aufsätze über Minnesang in Fachzeitschriften veröffentlicht. Nach dem Kuraufenthalt Wilhelms in Halle waren die Brüder wieder gemeinsam in Kassel und 1811 veröffentlichten sie ihre ersten selbständigen Bücher: Jacob über „Altdeutschen Meistersang“ und Wilhelm Grimm „Altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen“. 1812 folgten das erste gemeinsame Buch der Brüder (eine Ausgabe des althochdeutschen Hildebrandlieds und des Wessobrunner Gebets) und zu Weihnachten der erste Band der Kinder- und Hausmärchen“. Zu dieser Zeit versuchten sich die Brüder auch an einer deutschen Ausgabe der „Edda“ sowie des „Reineke Fuchs“. Von der Edda erschien 1815 nur ein erster Band, der keine Fortsetzung fand, da die Brüder Grimm auf diesem Gebiet von anderen Forschern überholt wurden. Den „Reinhart Fuchs“ in mehreren mittelalterlichen Versionen gab Jacob erst 1834 – dann allerdings mit einer umfangreichen Einleitung über das Wesen des Tierepos heraus. Von 1813 bis 1816 brachten die Brüder darüber hinaus drei Bände der Zeitschrift „Altdeutsche Wälder“ heraus, die altdeutsche Literatur zum Inhalt hatte und dann wieder eingestellt wurde.

1814 bezogen die Brüder Grimm zusammen mit ihrer Schwester Charlotte (Lotte) (* 1793; † 15. Juni 1833) eine Wohnung im – heute noch erhaltenen – nördlichen Torhaus am Wilhelmshöher Tor. Bereits 1815 veröffentlichte Jacob neben einem Buch zur mythologischen Deutung von Götterbildern und -säulen („Irmenstraße und Irmensäule“) auch „Silva de romances viejos“, eine kritische Auswahl altspanischer Romanzen.

1815 konnten die Brüder den zweiten Band der „Kinder- und Hausmärchen“ vorlegen, im Jahr 1819 wurde der erste Band stark überarbeitet neu aufgelegt: Es kamen weitere Märchen hinzu, etwa ein Viertel der Geschichten wurde gestrichen und fast die Hälfte der verbliebenen Märchen überarbeitet, häufig um die als anstößig empfundenen erotischen Anspielungen zu beseitigen. Die Anmerkungen zu den Märchen beider Bände wurden 1822 als dritter Band veröffentlicht. Im Jahr 1825 erfolgte die Herausgabe einer „Kleinen Ausgabe“ der Kinder- und Hausmärchen in einem Band, die maßgeblich zur Popularität des Stoffes beitrug. Für diese Aufgabe konnten die Brüder ihren Bruder Ludwig Emil als Illustrator gewinnen. Ab 1823 wurde eine illustrierte englische Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen veröffentlicht. Bereits zu Lebzeiten der Brüder erschienen sieben Auflagen der großen deutschen Ausgabe der Märchen und zehn Auflagen der kleinen Ausgabe.

In den Jahren 1816 und 1818 erschienen die beiden Bände einer Sagensammlung („Deutsche Sagen“), die allerdings nicht den breiten Erfolg hatte wie ihre Märchensammlung. Die Brüder hatten zuvor gleichermaßen Märchen und Sagen gesammelt. Eine gattungsmäßige Abgrenzung kann nur schwer erfolgen und wurde auch durch die Brüder nicht konsequent durchgeführt. Definitionsversuche beziehen sich beispielsweise darauf, ob die Sagen von Erzählern und Publikum im allgemeinen geglaubt wurden, die Märchen hingegen nicht, oder dass Sagen an konkrete historische oder örtliche Bezugspunkte gebunden sind, während die Märchen zeitlich und lokal nicht näher fixiert sind. Beide Gattungen sind Erzählformen aus der mündlichen Überlieferung, wobei die Brüder Grimm sie für ihre Sammlungen zu großen Teilen nur über schriftliche Zwischenstufen gewannen. Die Sagensammlung wurde zu Lebzeiten der Brüder nicht neu aufgelegt.

Eine weitere herausragende Leistung von Wilhelm ist „Die deutsche Heldensage“, eine Schrift, die nicht nur eine Sammlung von Sagen vom 6. bis zum 16. Jahrhundert darstellt, sondern wertvolle Aufsätze zu Stoffen, ihrer Geschichte und der künstlerischen Verarbeitung enthält. Im Verlauf der Arbeiten an den Sagen und Volksmärchen entwickelten die Brüder die „indogermanische Hypothese“.

Im Alter von 30 Jahren hatten sich Jacob und Wilhelm Grimm durch ihre zahlreichen Publikationen bereits eine herausragende Stellung erarbeitet. Sie lebten gemeinsam in Kassel, bis 1814 nur von Jacobs Gehalt und aus dem ererbten Familienvermögen. Neben der formellen offiziellen Tätigkeit als Bibliothekar (Jacob) bzw. Sekretär der Bibliothek (Wilhelm) konnten sie vor Ort ihre eigenen Forschungen vorantreiben, die im Jahr 1819 von der Universität in Marburg mit einer Ehrendoktorwürde honoriert wurden.

Ohne Förderer und Gönner hätten die Brüder Grimm über Jahre nicht in diesem Maße publizieren können. Aus der frühen Zeit sei hier Kurfürstin Wilhelmine Karoline von Hessen genannt. Nach deren Tod 1820 bzw. dem Tod des Kurfürsten 1821 mussten die Brüder das Haus in der Wilhelmshöher Straße räumen und gemeinsam mit ihrer Schwester Lotte eine schlechtere Wohnung beziehen. Lotte, die den Brüdern bislang den Haushalt geführt hatte, heiratete wenig später den mit der Familie befreundeten Juristen und späteren kurhessischen Minister Ludwig Hassenpflug (* 1794; † 1862) und verließ die Brüder, die fortan mehrfach die Wohnungen wechselten und über mehrere Jahre einen gemeinsamen Junggesellenhaushalt führten.

Die „Deutsche Grammatik“

In diese kreative Zeit in Kassel fiel die Arbeit Jacob Grimms an der „Deutschen Grammatik“. Der Titel ist irreführend, denn es handelt sich nicht um eine trocken-schematische Beschreibung des Aufbaus der zeitgenössischen Sprache. Jacob wollte vielmehr „ein historisches Leben mit allem Fluß freudiger Entwickelung in sie zaubern“. Das umfangreiche Werk bezieht sich auf sämtliche germanische Sprachen, ihre Zusammenhänge und ihre geschichtliche Entwicklung. Der erste Band beschäftigte sich zunächst mit Flexion, der zweite mit Wortbildung. Er stellte kein vollständiges Manuskript fertig, sondern ließ Druckbogen für Druckbogen drucken, sobald er die benötigte Menge Text geschrieben hatte. Der Druck des Ersten Bandes entsprach mit einer Zeitdauer von 14 Monaten ab Januar 1818 bis Sommer 1819 genau dem Zeitraum, an dem Jacob Grimm an dem Werk gearbeitet hat. Bis 1822 überarbeitete er den ersten Band nochmals komplett, so dass dieser nun eher die Lautbildung zum Inhalt hatte. Wie zuvor beim ersten Band schrieb und druckte er wieder Druckbogen für Druckbogen, und führte dieses Prinzip auch bis 1826 mit dem nun erst offiziell zweiten Band der „Deutschen Grammatik“ fort.

In diesem bahnbrechenden Werk verfolgte Jacob als Erster die Entwicklung der (heute „indoeuropäisch“ genannten) Sprachen und die Gesetze des Lautwechsels bei Vokalen und Konsonanten. Damit legte er das Fundament für die moderne Etymologie, die Forschung zum Bedeutungswandel in verschiedenen (verwandten) Sprachen. Jacob schrieb hierzu selbst: „Wissenschaftliche Wortforschung konnte weder bei Griechen und Römern, geschweige in unserem Mittelalter gedeihen... Solchem ratlosen und unbehaglichen Schweifen auf dem wogenden Meer der Wörter wurde endlich gesteuert durch den Vortritt der bisher noch unerforschten Sanskritsprache sowie den Zutritt der deutschen, slawischen, litauischen und der übrigen europäischen Idiome in den wissenschaftlichen Kreis der Untersuchungen.“ Ihm war auch klar, dass die Vertreter der klassischen Philologie (Latein, Griechisch und Hebräisch) kein Interesse daran hatten, weitere Sprachen näher zu untersuchen, da sie diese als barbarisch ansahen.

Jacob Grimm hatte jedoch Vorläufer: 1787 hatte William Jones in Bengalen auf Grund des Aufbaues und der Wortwurzeln das Sanskrit mit den altpersischen, griechischen, lateinischen, gotischen und keltischen Sprachen verglichen – dies jedoch noch nicht systematisch. Der junge Däne Rasmus Christian Rask hatte – einer Forderung Wilhelm von Humboldts folgend – ebendies in Angriff genommen. Jacob Grimm kannte (und besprach) dessen Schrift und begann, Wortbildung und Lautentwicklung im Altnordischen mit denen im Slawischen bzw. Griechischen zu vergleichen. In der Deutschen Grammatik wurden erstmals die frühesten, dann die späteren und schließlich die jüngsten Entwicklungsstufen der betrachteten Sprachen vergleichend behandelt. In der zweiten Auflage konnte er die Erkenntnis darlegen, dass die von Rask aufgedeckten lautlichen Entsprechungen nicht (zufällige) Einzelerscheinungen waren, sondern einer Gesetzmäßigkeit folgten. Diese Regel wird von angelsächsischen Forschern bis heute Grimm’s law genannt. Er erkannte auch, dass es nicht nur eine, sondern zwei derartige Verschiebungsphasen gegeben hatte.

Weitere Arbeiten in Kassel

Im Jahr 1814 übersetzte Jacob die serbische Grammatik seines Freundes Vuk Stefanović Karadžić und versah sie mit einer Einführung in slawische Sprachen und ihre Literatur. Wilhelm hatte inzwischen mehrere Bücher über Runen veröffentlicht, sein von ihm selbst als Hauptwerk betrachtetes Buch „Die deutsche Häldensage“ (siehe oben) erschien 1829. Gleichfalls bahnbrechend war Jacobs Studie „Deutsche Rechtsaltertümer“ (1828), in der er sich nicht mit Gesetzesvorschriften, sondern mit mittelalterlicher Rechtspraxis und Rechtsanschauung befasste. Sie wurde Anlass zu entsprechenden Untersuchungen in einer Reihe anderer Länder.

Erst als Wilhelm im Mai 1825 Dorothea Wild geheiratet hatte, festigten sich die Lebensumstände der Brüder wieder, die weiterhin, nun zu dritt, zusammenlebten. Wilhelm und „Dortchen“ wurden alsbald Kinder geboren (1828 Herman Grimm) und von häufigen Reisen der Grimm-Brüder wird berichtet.

Göttingen

Titelblatt von Band 1 des „Deutschen Wörterbuches“

Auch nach dem Wegzug von Kassel unterhielten die Brüder in Göttingen einen gemeinsamen Haushalt. Jacob war seit 1830 ordentlicher Professor, Wilhelm Bibliothekar und ab 1835 ebenfalls Professor. Jacob veröffentlichte bis 1837 zwei weitere Bände der „Deutschen Grammatik“. Im Jahr 1834 konnte er auch den 1811 begonnenen „Reinhart (Reineke) Fuchs“ fertigstellen und 1835 ein Werk über „Deutsche Mythologie“. In diesem Werk untersuchte Jacob vorchristliche Glaubensvorstellungen und Aberglauben und stellte sie klassischer Mythologie und christlichen Legenden gegenüber. Auch dieses Werk hatte enormen Einfluss – dieses Mal auf die Mythenforschung. Die dritte Auflage der Kinder- und Hausmärchen wurde 1837 von Wilhelm beinahe allein besorgt. 1838 begannen Jacob und Wilhelm Grimm ihre gemeinsame Arbeit am Deutschen Wörterbuch.

Wie bereits früher schon widmete Jacob sich auch in dieser Zeit der Namenkunde: er schrieb über die germanischen Göttinnen Tanfana und Freia, die thrakische Göttin Bendis und ihre Namen, über hessische Ortsnamen, den Namen des Landes Westfalen, und untersuchte Gesetzmäßigkeiten bei der Bildung von Eigennamen. Er wies darauf hin, dass in Namen frühe Wortformen bewahrt sein können, die in der Umgangssprache untergegangen sind.

In politischer Hinsicht arbeiteten die Brüder Grimm mit darauf hin, die damaligen deutschen Kleinstaaten zu vereinen, sowohl indirekt durch die Erforschung der deutschen Kulturgeschichte als auch durch politische Aktivitäten, von politischer Publizistik bis zu Jacob Grimms Tätigkeit als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung 1848. Jacob und Wilhelm halfen mit, die Menschenrechte in Deutschland zu formulieren. Für eine Streitschrift gegen einen Verfassungsbruch des Königs von Hannover, König Ernst August I., wurden sie, und mit ihnen fünf andere Professoren, entlassen und Jacob des Landes verwiesen (Göttinger Sieben). Ein überregionales Komitee von Bürgern mit Zentrum in Leipzig zahlte den entlassenen Professoren aus Spendengeldern vorerst die Gehälter weiter. Während die Brüder Grimm ohne Anstellung waren, unterbreiteten die Leipziger Verleger Karl Reimer und Salomon Hirzel ihnen den Vorschlag für das „Deutsche Wörterbuch“, „den Grimm“, der ohne die Göttinger Entlassung so nicht entstanden wäre. Sie selbst arbeiteten das Wörterbuch bis zum Buchstaben D (Wilhelm) bzw. F (Jacob) aus. Sie konzipierten das Wörterbuch als Sammlung sämtlicher Wörter aus der Zeit „von Luther bis Goethe“, die weniger ein Regelwerk, als vielmehr eine Naturgeschichte der Wörter sein sollte. Im Mittelpunkt der einzelnen Wortartikel steht die Bedeutungsgeschichte des jeweiligen Wortes; die historische Verwendungsweise wird anhand von Belegzitaten aus Hunderten von literarischen Werken, aber auch aus Fachsprachen und aus dem Alltagsgebrauch nachvollzogen. Bei der Sammlung der Belege standen den Brüdern Grimm zahlreiche Helfer zur Seite, die zumeist zum Kreis ihrer Freunde und wissenschaftlichen Kollegen gehörten oder ihnen von Freunden und Kollegen vermittelt wurden. Die Sammlung der Belege wurde ebenso wie die Ausarbeitung des Wörterbuchs durch den Verlag bezahlt. Für das Großprojekt des Wörterbuchs mussten die Brüder Grimm eigene Pläne und laufende Arbeiten zurückstellen, was ein Grundproblem ihrer letzten beiden Lebensjahrzehnte werden sollte.

Die Zeit in Berlin

Drei Jahre lang lebten die Grimms in Kassel im Exil und ohne Anstellung, obwohl sich verschiedene Anstalten im In- und Ausland um sie bemühten, bevor der neue preußische König Friedrich Wilhelm IV. sie unmittelbar nach seiner Amtsübernahme nach Berlin holte.

Rund 20 Jahre lang lebten sie in Berlin, nunmehr unbelastet von finanziellen Ungewissheiten. In Akademieabhandlungen (später gesammelt in den Ausgaben ihrer „Kleineren Schriften“), die sie in dieser Zeitspanne verfassten, ist viel Lesenswertes über ihre Forschungen, ihre Interessen und ihre liberalen politischen Ansichten zu finden. Auch die „Geschichte der deutschen Sprache“ entstand in dieser Zeit - ein erster Versuch, Sprachgeschichte mit Sozialgeschichte zu verknüpfen.

Wilhelm Grimm verstarb 1859, sein Bruder Jacob 1863. Viele Institutionen in ganz Europa waren stolz, dass sie sie zu ihren (Ehren-)Mitgliedern zählen konnten. Auch im Tod sind sie beisammen: sie liegen auf dem Alter St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin (Schöneberg).

Grabstätte der Brüder Grimm in Berlin (Schöneberg)

Georg Curtius schrieb 1871 über Jacob Grimm, sein ungestümes Schaffen habe dringend des Korrektivs kritischerer Geister bedurft: „… Auch traf es sich glücklich, dass Wilhelm Grimm, weniger kühn und umfassend, aber auf beschränkteren Feldern fein und sorgfältig, dem verwegenen Jacob zur Seite stand.“ So ergänzten sich der Wegweiser und der Moderator und eröffneten den Geschichts- und Sprachforschern ungeahnte, weite Arbeitsgebiete.

Nachfahren

Nachfahren finden sich unter anderem in Donauwörth, auch hier zwei Brüder, und in Haldensleben bei Magdeburg. Hier wird auch ein Teil des Nachlasses der Brüder Grimm im Städtischen Museum ausgestellt (Grimm-Ausstellung Haldensleben).

Sonstiges


Siehe auch

Werke

gemeinsame Werke
  • Kinder- und Hausmärchen. 1. Auflage: 2 Bände 1812, 1815
  • Deutsche Sagen. 2 Bände 1816, 1818, dann nicht wieder aufgelegt
  • Irische Elfenmärchen. Leipzig, 1826
  • Deutsche Mythologie, 1. Auflage 1835
  • Deutsches Wörterbuch, 1. Band 1854, 33. Band 1960
  • Kinder und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm, Rob Riemann (Hrsg.): Mit 446 Illustrationen von Otto Ubbelohde. 3 Bände., Turm-Verlag, Leipzig 1906
Jacob Grimm
  • Deutsche Grammatik, 1. Auflage: 4 Bände 1819-1837

Literatur

  • Ludwig Denecke: Jacob Grimm und sein Bruder Wilhelm. J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1971, ISBN 3-476-10100-2 (Überblicksdarstellung mit umfangreicher Bibliographie)
  • Hermann Gerstner: Brüder Grimm. 9. Aufl., Rowohlts Monographien 201, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1997, ISBN 3-499-50201-1
  • Lothar Bluhm: Die Brüder Grimm und der Beginn der Deutschen Philologie. Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, Hildesheim 1997, ISBN 3-615-00187-7
  • Hans-Georg Schede: Die Brüder Grimm. dtv, München 2004, ISBN 3-423-31076-6
  • Bernd Heidenreich und Ewald Grothe (Hrsg.): Kultur und Politik – Die Grimms. Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-7973-0852-3. Publikation der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung.
  • Grimm: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm Bd. 1–33 dtv Verlag, ISBN 3-423-05945-1
  • Wolfgang Mieder: Hänsel und Gretel. Das Märchen in Kunst, Musik, Literatur, Medien und Karikaturen (= Kulturelle Motivstudien, 7). Praesens Verlag, Wien 2007, ISBN 978-3-7069-0469-8
  • Hessische Briefe des 19. Jahrhunderts. Briefe der Brüder Grimm an Savigny. Aus dem Savignyschen Nachlaß hrsg. in Verbindung mit Ingeborg Schnack von Wilhelm Schoof. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen Band 23/01, Berlin 1953.
  • Heiko Postma: ... dann leben sie noch heute! (Über die Gelehrten, Volkskundler und Märchen=Sammler Jacob & Wilhelm Grimm) jmb-Verlag, Hannover 2008. ISBN 978-3-940970-07-7
  • Hans-Georg Schede: Die Brüder Grimm - Eine Biographie CoCon-Verlag Hanau 2009, ISBN 978-3-937774-69-5

Weblinks


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