Geistig-moralische Erneuerung

Geistig-moralische Erneuerung

Die „geistig-moralische Wende“, auch „geistig-moralische Erneuerung“, war eine von Helmut Kohl (CDU) ausgegebene politische Losung. In seinem Koalitionspapier versprach Kohl, eine „geistig-moralische Wende“ zu bringen, was zum Schlagwort seiner Politik der frühen Jahre als deutscher Kanzler wurde.

Im Bundestagswahlkampf 1980 hatte Kohl bereits von der Notwendigkeit einer „geistig-moralischen Wende“ gesprochen und sich damit vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt abgegrenzt, dem er eine Kapitulation vor dem Zeitgeist vorhielt.[1] Eine Bundesregierung - so Kohl - müsse durch entschiedene Handlungsweisen „politisch-geistige Führung“ beweisen. Kohls erste Regierungserklärung nahm diese Gedanken auf, verwendete jedoch den Begriff „geistig-moralische Herausforderung“. Das Wort „Wende“ vermied Kohl mit Rücksicht auf den alten und neuen Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP).[2]

Die Vorstellungen, was mit „geistig-moralischer Wende“ gemeint war, waren unterschiedlich. Konservative verbanden mit der „geistig-moralischen Wende“ eine Stärkung konservativer Werte. Heiner Geissler sprach rückblickend von grundsätzlichen Veränderungen in wichtigen politischen Bereichen ab 1982: „Man kann diesen Prozeß und seine Ergebnisse geistig-moralische Wende nennen oder weniger weihevolle Begriffe dafür nehmen.“[3]

Der Begriff fand bald auch Kritik und satirische Verwendung. Insbesondere in der Berichterstattung zur Flick-Affäre wurde „boshaft festgestellt, daß es mit der Moral der geistig-moralischen Erneuerung nicht weit her sei.“[4] Nach dem Eindruck des amerikanischen Nachrichtenmagazins Newsweek wirkte die Äußerung Kohls, die Republik sei nicht käuflich, auf viele Bundesbürger „wie die hohle Phrase eines Mannes, der vor zwei Jahren mit dem Anspruch auf geistig-moralische Erneuerung ins Amt kam.“[5] Der Journalist und Sozialwissenschaftler Hans Uske übersetzte nicht ohne satirischen Unterton die Worte „geistig“ mit „Werte und Tugenden“ sowie „moralisch“ mit „Opferbereitschaft“. Letztere sei von denen gefragt, die Uske zu den Verlierern der von der Regierung Kohl betriebenen Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft zählte.[6]

Einzelnachweise

  1. Klaus Stüwe: Die Rede des Kanzlers: Regierungserklärungen von Adenauer bis Schröder. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14506-1, S. 320.
  2. Hans-Rudolf Korte (Hrsg.): „Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.“ Eine Analyse der großen Regierungserklärungen von Adenauer bis Schröder. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2002, ISBN 3-531-13695-X, S. 224.
  3. zitiert nach Korte, Wort, S. 224.
  4. Hans Uske: Die Sprache der Wende. Dietz, Berlin 1986, ISBN 3-8012-3017-1, S. 199
  5. Zitiert in: Kohl vor Kap Hoorn. Ausländische Pressestimmen zur Lage Kohls in Bonn. In: Der Spiegel, 47/1984 vom 19. November 1984, Seite 18.
  6. Uske, Sprache, S. 200.

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