- Wende (Bundesrepublik Deutschland)
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Wende war ein Begriff für den Regierungswechsel in der Bundesrepublik Deutschland im Herbst des Jahres 1982. Der Begriff ging im Ursprung vermutlich auf Äußerungen von Helmut Kohl und der FDP-Führung aus dem Jahr 1982 zurück, in denen die Regierungskoalition mit der SPD von der FDP zunächst in Frage gestellt und dann aufgekündigt wurde. Der in diesem Prozess neu gewählte Bundeskanzler Helmut Kohl benutzte dann den Begriff „geistig-moralische Wende“, die mit dem Regierungswechsel einhergehen sollte. Bereits 1976 veröffentlichte der SPD-Politiker Erhard Eppler ein Werk mit dem Titel Ende oder Wende, in dem er kritisch über die westliche und deutsche Industriegesellschaft reflektierte und zu drastischen Veränderungen aufrief. Somit existierte der Begriff bereits vor der Verwendung durch Helmut Kohl als Synonym für radikale politische Kurswechsel.
Inhaltsverzeichnis
Verlauf der Wende
- Am 9. September 1982 stellt Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) in einem Schreiben an Bundeskanzler Helmut Schmidt ein Konzept zur Überwindung von Wachstumsschwäche[1] und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf, das mit SPD-Positionen unvereinbar ist.
- Am 17. September 1982 erklärt Helmut Schmidt in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag, dass er das politische Vertrauen in seinen Koalitionspartner FDP verloren habe und fordert die Opposition auf, das konstruktive Misstrauensvotum zu stellen. Nachdem Schmidt den Koalitionspartner vorab über den Inhalt seiner Rede informierte, hatte ihm Hans-Dietrich Genscher mitgeteilt, dass er und die anderen drei FDP-Minister zurücktreten würden.
- Am 1. Oktober 1982 stürzen die FDP und die CDU in einem konstruktiven Misstrauensvotum die Regierung von Helmut Schmidt und wählen Helmut Kohl zum Bundeskanzler. Er erhält 256 von 279 möglichen Stimmen der neuen Koalition – sieben mehr als für seine Wahl erforderlich. Dieses Datum wird später als eigentlicher Tag der Wende betrachtet.
- Bis zum Jahresende 1982 bleibt die FDP bei Landtagswahlen in den Bundesländern Hessen, Bayern und Hamburg unter der 5-Prozent-Hürde und verliert damit ihre Sitze in den Landtagen. Viele ehemalige FDP-Wähler empfinden den Koalitionsbruch offensichtlich als Verrat und strafen die FDP ab.
- Am 28. November 1982 gründen in Bochum aus der FDP ausgetretene Gegner der Wende die Partei Liberale Demokraten (LD).
- Helmut Kohl will die Wende möglichst bald vom Wähler bestätigen lassen. Um Neuwahlen zu erzwingen, stellt er am 17. Dezember 1982 im Bundestag die Vertrauensfrage. Durch Stimmenthaltung der meisten Abgeordneten der Regierungskoalition wird ein negatives Ergebnis erzielt.
- Bundespräsident Karl Carstens löst am 7. Januar 1983 den Bundestag auf und legt als Termin für Neuwahlen den 6. März fest.
- Die Bundestagswahl am 6. März 1983 bringt der Union 48,8 und der FDP 7,0 Prozent, so dass eine CDU/CSU-FDP-Koalition über eine deutliche Mehrheit im Bundestag verfügt.
Abgeleitete Begriffe
Als Wendebrief ging ein Rundschreiben an die FDP-Mitglieder vom 20. August 1981 in die Geschichte ein: Darin verlangten der FDP-Bundesvorsitzende Hans-Dietrich Genscher und sein Generalsekretär Günter Verheugen in einem Brief an die FDP-Mitglieder eine Wende. Indirekt wurde damit die SPD angesprochen. Der Text wurde als Aufforderung zum Koalitionsbruch verstanden.
Wendepapier wurde später das Schreiben von Otto Graf Lambsdorff vom 9. September genannt.
Als Wendekanzler wurde Helmut Kohl bezeichnet – vorwiegend ironisch von seinen politischen Gegnern, als die versprochene „geistig-moralische Wende“ ausblieb, respektive Formen wie die der Parteispendenaffären u. ä. annahm.
Siehe auch
Einzelnachweise
Literatur (chronologisch)
- Joseph Bücker, Helmut Schlimbach: Die Wende in Bonn. Deutsche Politik auf dem Prüfstand, 1983, ISBN 3-8114-5383-1
- Helmut Kohl: Der Weg zur Wende: Von der Wohlfahrtsgesellschaft zur Leistungsgemeinschaft, Hrsg. Dietrich Heissler, 1983, ISBN 3-88042-190-0
- Herbert Mies: Wende nach rechts? Rückblick und Ausblick nach 13 Jahren SPD-Regierung, 1983, ISBN 3-88012-683-6
- Klaus Farin: Die Wende-Jugend, 1984, ISBN 3-499-15527-3
- Günter Rohrmoser: Das Debakel: Wo bleibt die Wende? Fragen an die CDU, 1985, ISBN 3-88289-211-0
- Hans-Joachim Schabedoth: Bittsteller oder Gegenmacht? Perspektiven gewerkschaftlicher Politik nach der Wende, 1985, ISBN 3-924800-32-4
- Karsten Schröder (Hrsg.), Günter Verheugen: Halbzeit in Bonn: Die Bundesrepublik zwei Jahre nach der Wende, 1985, ISBN 3-462-01694-6
- Hans Uske: Die Sprache der Wende, 1986, ISBN 3-8012-3017-1
- Gerhard Hertel: Der Weg zur "Wende" - Die Bundesrepublik Deutschland in der Ära Schmidt (1974-1982), 1988, ISBN 3-89073-316-6
- Rödder, Andreas: Die Bundesrepublik Deutschland. 1969-1990, 2004, ISBN 3-486-56697-0
Tonträger
- Ich bin Kohl, mein Herz ist rein: Die Platte zur Wende mit Elke Heidenreich, Thomas Freitag, Stephan Wald (u.a.), 1984, Produktion: Günter Walter, Regie: Volker Kühn
Kategorien:- Deutsche Geschichte (Nachkriegszeit)
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