Gerhart Rudolf Baum

Gerhart Rudolf Baum
Gerhart Baum, 2007
auf einer Demonstration gegen Vorratsdatenspeicherung in Köln

Gerhart Baum (Gerhart Rudolf Baum; * 28. Oktober 1932 in Dresden) ist ein deutscher Politiker der FDP und Rechtsanwalt. Er war von 1972 bis 1978 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern und von 1978 bis 1982 Bundesminister des Innern.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Beruf

Baum beim FDP-Bundesparteitag in Frankfurt, 19. November 1976
Gerhart Baum, 2008
bei der Verleihung des Humanismus-Preises an Leoluca Orlando in Göttingen

Baum entstammt einer großbürgerlichen Familie, sein Vater war Rechtsanwalt. Nach der Bombardierung Dresdens in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 floh seine Mutter mit den Kindern zunächst an den Tegernsee. Die Familie zog 1950 nach Köln um. Der Vater war in sowjetrussischer Kriegsgefangenschaft verstorben. Nach dem Abitur 1954 absolvierte Baum ein Studium der Rechtswissenschaft in Köln, welches er 1957 mit dem ersten Staatsexamen beendete. Nach dem juristischen Vorbereitungsdienst folgte 1961 das zweite Staatsexamen. Er arbeitet danach als Rechtsanwalt in Köln und war dann von 1962 bis 1972 Mitglied der Geschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Seit 1994 ist er wieder als Rechtsanwalt tätig und seit 2007 ist Gerhart Baum Senior-Partner der Kanzlei Baum, Reiter & Collegen, die sich auf Anleger- und Verbraucherschutz spezialisiert hat. So hat Baum die Opfer des Ramstein-Unglücks, die Angehörigen des Concorde-Unglücks und die russischen Zwangsarbeiter gegen die Bundesregierung vertreten.

Gerhart Baum ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Köln. Neben politischen Publikationen veröffentlicht er gelegentlich auch in der Presse Beiträge.

Partei

Seit 1954 ist er Mitglied der FDP. Hier engagierte er sich zunächst bei den Jungdemokraten, deren Bundesvorsitzender er von 1966 bis 1968 war. Von 1966 bis 1998 war er Mitglied im FDP-Bundesvorstand. Von 1970 bis 1990 gehörte er außerdem dem FDP-Landesvorstand von Nordrhein-Westfalen an. Von 1978 bis 1991 war er Mitglied im Präsidium der FDP und von 1982 bis 1991 Stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender.

Gerhart Rudolf Baum gehört innerhalb der FDP zum linksliberalen Freiburger Kreis.

Abgeordneter

Von 1969 bis 1973 war er Mitglied im Rat der Stadt Köln und hier Vorsitzender der FDP-Fraktion. Von 1972 bis 1994 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Baum ist stets über die Landesliste Nordrhein-Westfalen in den Deutschen Bundestag eingezogen. Von 1989 bis 1993 war das spätere FDP-Bundesvorstandsmitglied Mehmet Daimagüler Leiter seines Bonner Abgeordnetenbüros.

Öffentliche Ämter

Am 15. Dezember 1972 wurde er als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern in die von Willy Brandt geführte Bundesregierung berufen. Dieses Amt behielt er zunächst auch unter Bundeskanzler Helmut Schmidt. Nach dem Rücktritt von Werner Maihofer wurde er dann am 8. Juni 1978 zum Bundesminister des Innern ernannt. Während seiner Amtszeit als Innenminister führte Baum eine Liberalisierung des von der SPD eingeführten Radikalenerlasses herbei, indem er einen „Verzicht auf die Regelanfrage“ durchsetzte.

Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition trat er am 17. September 1982 gemeinsam mit den übrigen FDP-Bundesministern zurück.

Im Anschluss an seine deutsche Politik-Karriere war Gerhart Baum für die UNO tätig, unter anderem als UNO-Beauftragter für die Menschenrechte im Sudan.

Gemeinsam mit Herta Däubler-Gmelin (SPD) leitet Baum seit 2008 die Ermittlungen zu der Datenschutzaffäre der Deutschen Bahn AG. Dabei kam unter anderem zu Tage, dass die Bahndirektion jahrelang 150.000 Mails pro Tag gefiltert haben soll.[1] Die Ermittlungen führten zu einem Rücktritt des Bahnvorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn, der jedoch eine „politische Kampagne“ gegen ihn als Begründung anführte.

Verfassungsbeschwerden

Am 3. März 2004 entschied das Bundesverfassungsgericht nach Verfassungsbeschwerde unter anderem von Gerhart Baum – neben Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Burkhard Hirsch – in 1 BvR 1084/99, dass große Teile des Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Großer Lauschangriff) gegen die Menschenwürde verstoßen und deshalb verfassungswidrig sind. [2] Baum erhofft sich durch das BVerfG-Urteil auch eine Einschränkung der Telefonüberwachung, insbesondere bei Journalisten.

Baum hatte auch mit einer weiteren Verfassungsbeschwerde erneut mit Burkhard Hirsch und weiteren vier Klägern Erfolg. Das Luftsicherheitsgesetz wurde am 15. Februar 2006 vom Ersten Senat des BVerfG im zentralen Punkt für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Ein Abschuss von Passagiermaschinen im Entführungsfall verstoße gegen das Grundgesetz, da dies weder mit dem Grundrecht auf Leben noch mit der Garantie der Menschenwürde vereinbar wäre. (Az.: 1 BvR 357/05) [3]

Eine Verfassungsbeschwerde gegen die durch das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz legalisierte Online-Durchsuchung hatte ebenfalls Erfolg. Am 27. Februar 2008 wurde die betreffende Regelung für verfassungswidrig erklärt.

Derzeit läuft eine weitere Verfassungsbeschwerde gegen die im November 2007 beschlossene Vorratsdatenspeicherung.[4] (Az.: 1 BvR 263/08)

Kulturelles Engagement

Baum ist ein Förderer der Neuen Musik und außerdem ein engagierter Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.[5] So wandte sich Baum gegen den geplanten Entzug der Förderung des SWR der Donaueschinger Musiktage, dem wichtigsten Musikfestival für Neue Musik, durch den Intendanten Peter Voß.[6] Ebenso setzte er sich 2004 für das weitere Bestehen des SWR Vokalensembles ein,[7] das in der Fachwelt zu den besten Chören der Welt gezählt wird.[8] Baum ist Mitglied im Kuratorium der „Donaueschinger Musiktage“, im Vorstand der Kölner Ausstellungshalle „Fuhrwerkswaage“ und unterstützte auch maßgeblich die umstrittene RAF-Ausstellung in den Kunst-Werken Berlin.[9] Am 1. Juli 2005 wurde er zum neuen Sprecher des Kulturrates NRW in Köln gewählt.[10]

Auszeichnungen

Gerhart Baum wurde 2008 „wegen seines unermüdlichen Engagements zur Stärkung und Sicherung der Bürger- und Freiheitsrechte“ mit dem Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet.[11] 2006 wurde er von der Verlagsgruppe markt intern und kooperierenden Verbänden zum Kustos des mittelständischen Unternehmertums [12] ernannt. 2009 erhielt er den Erich-Fromm-Preis wegen seines Eintretens für die Menschenrechte und die im Grundgesetz verbürgten Grund- und Freiheitsrechte sowie in Anerkennung für sein „mutiges Vorgehen gegen ein unverhältnismäßiges Sicherheitsstreben [...] das in Wirklichkeit die ‚Furcht vor der Freiheit‘ (Erich Fromm) verstärkt und das Vertrauen in die Freiheitsrechte zerstört.“[13]

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • mit Jochen Bölsche (Hrsg.): Der Weg in den Überwachungsstaat. Mit neuen Dokumenten und Stellungnahmen von Gerhart Baum. Rowohlt, Reinbek 1979, ISBN 3-499-14534-0
  • mit Axel Jeschke und Wolfgang Malanowski (Hrsg.): Der Minister und der Terrorist. Gespräche zwischen Gerhart Baum und Horst Mahler. Rowohlt, Reinbek 1980, ISBN 3-499-33001-6
  • mit Rudolf L. Schreiber (Hrsg.): Arche Noah 2000. Unsere Umwelt braucht unsere Hilfe. Pro Natur-Verlag, Stuttgart 1982, ISBN 3-88582-002-1
  • Deutsche Innenpolitik. Der Staat auf dem Weg zum Bürger. Econ Verlag, Düsseldorf/Wien 1980
  • Privatisierung. Gewinn für wen? godesberger taschenbuch-verlag, Bonn 1980
  • Technisierte Verwaltung. Entlastung oder Entfremdung des Menschen? godesberger taschenbuch-verlag, Bonn 1980
  • Gewalt von rechts. Beiträge aus Wissenschaft und Publizistik. Hrsg. vom Referat Öffentlichkeitsarbeit gegen Terrorismus im Bundesministerium des Innern, Bonn 1982, ISBN 3-9800235-2-4
  • mit Peter Juling: Auf und Ab der Liberalen von 1848 bis heute. Bleicher, Gerlingen 1983, ISBN 3-88350-007-0
  • mit Sebastian Cobler: Über den vorauseilenden Gehorsam. Gespräch mit dem Vorgänger Gerhart Baum. In: transatlantik, 1983, 11, S. 44–47.
  • Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen. Nomos, Baden-Baden 1998, ISBN 3-7890-5746-0
  • Menschenrechtspolitik ist immer Einmischung. Eine internationale Bestandsaufnahme. In: Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, 43, Nr. 2 (2004), S. 5–13.
  • Die Hölle auf Erden beenden. Die Lage in Sudan gebietet Einmischung. In: Vereinte Nationen. Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen 53, Nr. 2 (2005), S. 46ff., ISSN 0042-384X
  • Rettet die Grundrechte! Bürgerfreiheit contra Sicherheitswahn - Eine Streitschrift. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, gebunden, ISBN 978-3-462-03980-1

Kabinette

Weblinks

Interviews

Quellen

  1. Bahn soll jahrelang 150.000 Mails pro Tag gefiltert haben, Heise online, 28. März 2009
  2. 1 BvR 2378/98
  3. 1 BvR 357/05
  4. Vorratsdatenspeicherung: Verfassungsbeschwerde notwendig – Mitteilung vom 30. November 2007 auf leutheusser-schnarrenberger.de.
  5. Gerhart Baum: „Auftrag, nicht Wohltat – Öffentlicher Rundfunk und Neue Musik“, FAZ, 23. März 2005 und Original
  6. Eleonore Büning: „Notopfer“, Die Zeit, 1996, Nr. 20
  7. Gerhart R. Baum: „Zum Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“, neue musikzeitung, 2006, Nr. 7/8
  8. Seite des SWR Vokalensembles
       SWR Vokalensemble, Stadt Stuttgart, 2009
  9. „RAF-Ausstellung in Berlin wird eröffnet“, Wikinews, 29. Januar 2005
  10. „Kulturrat NRW wählt Gerhart Baum zum neuen Vorsitzenden“, Kulturrat NRW, 4. Juli 2005
  11. Gerhart Baum: „Innere Sicherheit. Die bittere Wahrheit“, 15. April 2008, Dank des Theodor-Heuss-Preis-Trägers 2008
  12. Preisträger Kustos des Mittelständischen Unternehmertums 2006, markt intern
  13. Erich-Fromm-Preis 2009, Internationale Erich-Fromm-Gesellschaft (PDF-Datei; 117 KB).



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