Glasersfeld

Glasersfeld

Ernst von Glasersfeld (* 8. März 1917 in München) ist ein österreichisch-amerikanischer Philosoph, Kommunikationswissenschaftler und gilt mit Heinz von Foerster als Begründer des Radikalen Konstruktivismus. Sein Lebensweg beschreibt die Entwicklung des Radikalen Konstruktivismus.

Wien, 8. April 2008

Inhaltsverzeichnis

Biografie

Von Glasersfeld wurde als Österreicher geboren, nach dem ersten Weltkrieg ließen sich seine Eltern in Norditalien nieder. Glasersfeld wuchs dreisprachig auf (deutsch, englisch, italienisch) und lernte in einem Internat in der Schweiz (Zuoz) eine vierte Sprache (französisch). Er studierte ein Semester in Zürich und ein Semester in Wien Mathematik, bevor Hitler durch die Annektierung Österreichs seiner akademischen Laufbahn ein Ende bereitete.

Er sagt von sich, dass er keine Muttersprache habe, nur mehrere Muttersprachen. Die Entwicklung des Radikalen Konstruktivismus führt er maßgeblich darauf zurück. Mit einer Muttersprache sei man auch immer so verbunden, dass „die Art und Weise in der diese Sprache die Erlebniswelt aufteilt, ordnet und beschreibt, selbstverständlich der wirklichen Wirklichkeit entspricht. Je tiefer ein Denker in seiner Muttersprache verankert ist, um so schwerer ist es für ihn, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß andere die Welt auf andere Weise sehen, kategorisieren und somit erkennen könnten.[1] Ihn selbst habe die Mehrsprachigkeit genau davor bewahrt und ihm die Einsicht ermöglicht, dass es eben verschiedene Wirklichkeiten gibt. (vgl. die Sapir-Whorf-Hypothese: die Struktur der Welt wird durch die Muttersprache festgelegt/geprägt)

Nach der Schule studierte er Mathematik in Zürich, musste aber, weil der Vater das Studium in der Schweiz nicht mehr finanzieren konnte, schon nach einem Semester nach Wien zurück. Besonders beeindruckte ihn Freud – vor allem die Traumdeutung – und der Tractatus von Wittgenstein. Als der den Satz 2.223 erreicht: „Um zu erkennen, ob ein Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen“, wird ihm schlagartig klar, das dies ja gar nicht möglich ist, weil man dazu über einen unmittelbaren Zugang zur Realität verfügen müsse, die ja jenseits der eigenen Erfahrung liegt. „Ich verstand, daß es Dinge gab, die man in der einen Sprache sagen und für wahr halten und die man dennoch nicht in eine andere Sprache übersetzen konnte.[2]

Den „Nazis in Gängen und Vorlesungsräumen“ wollte er ausweichen und nahm daher 1937 – noch vor dem Ende des 2. Semesters – einen Winterjob als Skilehrer in Australien an. Als Skilehrer merkte er schnell, dass man Kindern das Skifahren nicht erklären kann. Sie lernen durch Beobachtung und kopieren den Fahrstil des jeweiligen Skilehrers. Später denkt er darüber nach, „wie werden unbewußte visuelle Eindrücke in eigene motorische Programme übersetzt werden. Es muß also im Nervensystem Muster geben, die sowohl in der Wahrnehmung als auch im motorischen Netzwerk funktionieren können.[3]

Er heiratete seine erste Frau Isabel, eine Australierin mit britischer Mutter, und lebte während des Zweiten Weltkrieges als staatenloser Ausländer in Irland. Er bekam keine Arbeitserlaubnis und arbeitete daher freiberuflich als Farmer. Er nahm die irische Staatsbürgerschaft an und las mit Freunden James Joyce (Finnegans Wake), Giambattista Vico und G.A. Berkeley. Sie bewegten ihn in der Richtung der subjektiven Konstruktion.[4]

Nach dem Krieg zog er nach Meran in Südtirol, wo Glasersfeld am Gardasee Silvio Ceccato kennenlernt. Ceccato befasste sich mit Theorien der Semantik und gründete 1945 einen interdisziplinären Kreis (Logiker, Linguisten, Psychologen, Physiker, Ingenieure, Computerspezialisten), die „Italienische operationistische Schule“. Diese Gruppe beschäftigte sich damit, Semantik auf mentale Operationen zurückzuführen. Ceccato gründete die internationale Zeitschrift Methodos (für Sprachanalyse und Logik) und Glasersfeld wurde der Übersetzer für die Beiträge in dieser Zeitschrift und arbeitete die nächsten sechs Jahre als Fachjournalist für Methodos. 1955 wurde Ceccato von Colin Cherry dazu aufgefordert, seine operationalen Analysen auf maschinelle Uebersetzungsaufgaben anzuwenden. Ceccato gründete in Milano das erste „Zentrum für Kybernetik“ und arbeitete für die amerikanische Luftwaffe. Glasersfeld wurde sein Forschungsassistent. Auf dieser Arbeit beruht seine Erfahrung, dass „jede Sprache eine andere begriffliche Welt bedeutet.

Seit 1965 war er Leiter eines US-Projekts der Airforce über computergestützte Linguisitik in Athens (Georgia) 1969 starb seine Frau Isabel an einer Embolie. Als Präsident Nixon eine Reihe von Forschungsprojekten beendete – darunter auch das von Glasersfeld – wurden die Wissenschaftler aus seiner Gruppe von der Universität von Georgia übernommen.

Ihm wurde eine Professur für kognitive Psychologie angeboten. Man hatte großes Interesse für seine computerlinguistischen Arbeiten im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Schimpanse eine Sprache lernen könnte. Ray Carpenter fragte Glasersfeld ob er ein entsprechendes Computerprogramm entwickeln wollte. Zusammen mit seinem Kollegen Piero Pisani entwickelte er eine Kunstsprache mit dem Namen Yerkish zur Erforschung der Kommunikationsmöglichkeiten mit Schimpansen. Sie arbeiteten mit der Schimpansin Lena, zogen sich aber aus dem Projekt zurück, weil die erheblichen Meinungsverschiedenheiten bezüglich der starken behaviouristischen Forschungsorientierung nicht zu überbrücken waren.

Seit 1972 lernte er das Werk Jean Piagets kennen, dem er nach eigener Aussage viel Dank schuldete. Persönlich hat Glasersfeld Piaget nie kennengelernt. Sein „Konstruktivismus“ bildet das „Rückgrat der genetischen Erkenntnistheorie“, die sich sowohl mit der Herstellung als auch mit der Bedeutung des Wissens befasst.

Eine enge Freundschaft verband ihn mit Warren McCulloch und Heinz von Foerster.

1974 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1976 konnte er an den Untersuchungen von Leslie Steffe zur Entwicklung von Zahlenbegriffen bei Kindern teilnehmen. In der Arbeitsgruppe, der auch Paul Cobb und Patrick Tompson angehörten, entwickelten sie ein plausibles Modell, das erklärt „was Kinder möglicherweise tun, um den Begriff der Zahl und die Grundoperationen der Arithmetik zu erwerben.[5]. In Lehrexperimenten, einer Verbindung von erziehungswissenschaftlichen Verfahren mit der klinischen Methode Piagets, verfolgten sie die konstruktiven Wege der Kinder. Im Zentrum stand dabei die „spontane Art und Weise, wie die Kinder die einzelnen Probleme angehen, ... die Mathematik der Kinder[6].

Seit seiner Emeritierung 1987 war er mehrere Jahre bei Jack Lochhead Scientific Reasoning Research Institute, Physics Department, University of Massachusetts tätig. Ernst von Glasersfeld ist nach wie vor aktiv und hält Vorträge und Lesungen in zahlreichen Ländern.

Auszeichnungen

Werke

  • Zwischen den Sprachen. Eine persönliche Geschichte des Radikalen Konstruktivismus. Audio-CD. supposé, Köln 2005. ISBN 978-3-932513-63-3
  • Konstruktivismus statt Erkenntnistheorie (Tusculanische Gespräche), Klagenfurt 1998
  • Wissen, Sprache und Wirklichkeit, Braunschweig, 1987, ISBN 3-528-08598-3
  • Radikaler Konstruktivismus, Ideen, Ergebnisse, Probleme 1998, ISBN 3-518-28926-8
  • The constructions of knowledge, 1987
  • mit Heinz von Foerster: Wie wir uns erfinden - Eine Autobiographie des radikalen Konstruktivismus, Auer-Verlag, ISBN 3-89670-116-9
  • Unverbindliche Erinnerungen. Skizzen aus einem fernen Leben. Folio Verlag 2008, ISBN 978-3-85256-401-2

Zitate

"Eine kurze Liste der Bedeutungen, die dem Wort „Wahrheit“ zugeschrieben werden.

  • Realisten möchten etwas „wahr“ nennen, wenn es mit der Realität übereinstimmt;
  • Pragmatisten, wenn es sich bewährt;
  • Kohärenztheoretiker, wenn es mit der umfassenden Theorie vereinbar ist;
  • und Konstruktivisten sollten das Wort vermeiden, es sei denn in alltäglichen Kontexten, wo es nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als daß etwas gestern Gesagtes heute ohne wesentliche Änderung wiederholt wird." [7]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ernst von Glasersfeld: Wissen, Sprache und Wirklichkeit, Arbeiten zum radikalen Konstruktivismus, Braunschweig/Wiesbaden, 1987, S. XII
  2. Glasersfeld, 1998, S. 26f
  3. Glasersfeld, Foerster, S. 120
  4. Glasersfeld, 1987, S. XII
  5. Glasersfeld, 1998, S. 45
  6. Glasersfeld, 1998, S. 47
  7. EvG: Rezension von: S.J. Schmidt: Der unbehagliche Blick aufs Wissen, in: Soziologische Revue 22(3), 1999, S. 287-292

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