Grapus

Grapus

Grapus war das wichtigste wegweisende französische Grafikerkollektiv des 20. Jahrhunderts und existierte von 1970 bis 1991.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Grafikerkollektiv Grapus wurde 1970 als Reaktion auf die Studenten- und Arbeiterrevolte im Mai 1968 gegründet. Die Proteste hatten ihren Ursprung in dem Ärger der Studenten, dass das schwerfällige, überholte Universitätssystem, bei einer stark anwachsenden Anzahl von Studenten, das Bildungsniveau nicht mehr länger halten konnte. Des Weiteren war die Revolte auch ein Protest gegen die konservative Nachkriegsgesellschaft unter dem Staatspräsidenten Charles de Gaulle. Den Protesten schlossen sich angeblich bis zu neun Millionen Arbeiter an.

„Unter dem Pflaster wirst du den Strand finden.” (Franz.: Sous le pavé la plage.) – Anonymes Graffiti, Paris 1968

Bis zu den Studentenaufständen hatten die drei Gründer Pierre Bernard, Gérard Paris-Clavel und François Miehe am Atélier Populaire an der École des Arts Décoratifs in Paris studiert. Alle drei brachen ihr Studium dort ab, Bernard und Paris-Clavel studierten noch ein Jahr an der Schule der Schönen Künste in Warschau bei dem polnischen Plakatkünstler Henryk Tomaszewski. Mit seinem sehr eigenen Stil prägte er seine beiden französischen Studenten stark.

„Ich habe nicht die Geduld, Schönheit um ihrer selbst willen zu bewundern, Virtuosität des Auges oder der Hand. Mir ist ein verrückter Einfall lieber als künstlerische Perfektion. Ich habe versucht, mich anders auszudrücken, vielleicht ist es Kauderwelsch, zusammenhanglose Gedanken in einem unvollendeten, abgebrochenen Satz. Infolgedessen haben meine Zeichnungen einfach oft nichts, was man anschauen kann, nichts “Hübsches”. Es sind Dinge, die dem Auge nicht schmeicheln können; sie sind flüchtig und schwer erfassbar. Das mag erklären, weshalb sich ein Vergleich mit dem Kabarett anbietet.” – Henryk Tomaszewski

Das Jahr 1968 trieb in Frankreich auch einen Keil zwischen die einheimischen Grafiker; es bildete sich der Zweig der Grafiker im Bereich der kommerziellen Werbung und der Zweig derjenigen Kreativen, die gegen das herkömmliche Darstellungswesen rebellierten und ausschließlich im Bereich der Kultur und der Politik konzeptualisierten. Nach der Gründung 1970, wurde 1974 Jean-Paul Bachollet und 1976 der deutsche Alex Jordan, Meisterschüler von Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf, in das Kollektiv als Feste aufgenommen. 1978 verließ Miehe Grapus und kehrte an die École des Arts Décoratifs als Professor zurück.

Erste Erfolge erzielte Grapus mit Visualisierung linker Visionen. Sie entwarfen kulturelle und politische Poster für experimentelle Theatergruppen, progressive Stadträte, für die Kommunistische Partei PCF, die Kommunistische Gewerkschaft CGT und für bildungspolitische Kampagnen und soziale Institutionen.

Das Besondere an dem Studio war zum einen die Erfahrung der Arbeitsteilung, des Weiteren, dass alle Arbeiten nur mit dem Namen des Studios gekennzeichnet wurden und zum dritten die Konzeption von Bildern mit sozialer Nützlichkeit. Grapus pflegte Politik mit Vergnügen zu vermischen, ganz nach dem Motto “Spaß kostet nicht mehr Geld”. Ihr idealistisches Ziel war es, die Kultur zur Politik und die Politik zur Kultur zu bringen, sowie Menschen zur Eigentätigkeit zu animieren. Durch die öffentliche Stimulierung privater Phantasien wurden verloren gegangenen Utopien zurückgewonnen.

„Utopien basieren auf dem Gedächtnis der Dinge, die wir noch nicht realisieren konnten”Paul Ricœur (frz. Philosoph)

Viele grafische Techniken, die heute selbstverständlich erscheinen, wurden von den Grapus erstmals eingesetzt. Schon in den 1970ern druckten sie Fotos unscharf, setzten gegen alle Sehgewohnheiten Handschriften ein, klebten das eigene Schamhaar in die gestalterische Komposition, benutzten Fettflecken und sonstige auf den ersten Blick unmögliche Dinge. Ein sehr wichtiges Medium war das Plakat. Hier erzielten sie Wirkung durch die Verbindung von Collagen und Graffiti und der Technik der Sehunterbrechungen (detournement), d. h. eine Nachricht wird durch Sehvandalismus umgeleitet. Sie entwickelten die Strategie der paradoxen Intervention im öffentlichen Raum: Sie hatten als Ziel, mit ihren Arbeiten ein Teil des öffentlichen Raumes und somit auch ein Stück Demokratie zurückzugewinnen. Grapus entwickelte eine ganz eigene Bildsprache, mit anscheinend naiven Handschriften, hellen und leuchtenden Farben, sinnlichen Formen und temperamentvollen Sinneseindrücken.

Die Gründer der Gruppe, Pierre Bernard, Gérard Paris-Clavel und François Miehe kennzeichnete ein Mangel an Hemmungen, eine Poesie der Konzeption und ein generelles Misstrauen gegen Werbung und ihre Propagandatechniken. Nach der Meinung Bernards ist der Betrachter erst dann gerührt, wenn der Sinneseindruck durch den Filter der persönlichen Erfahrung und der inneren Überzeugung durchgegangen ist.

„Il faut s’approprier le message.” (Sie müssen sich die Nachricht zu ihrer eigenen machen.) – Grapus

Sie entwickelten die Idee des Grafikers als Autor mit. Jeder vom Kunden mitgebrachte Auftrag wurde hinterfragt. Es konnte vorkommen, dass ein Kunde ein Plakat wünschte, Grapus jedoch ein anderes Medium wie z. B. eine Broschüre für sinnvoller hielten und vorschlugen. Die Kundenbeziehungen waren schwierig. Eine bestimmte Art von Kunden kam nur einmal und nie wieder.

In den Hochzeiten des Studios arbeiteten dort mehr als 20 Personen. Das führte später dazu, dass in drei separaten Units gearbeitet wurde. In 15 Jahren schuf das Studio viele der bekannten grafischen Ikonen dieser Zeit in Frankreich. Beispielsweise das Corporate Design für den Sécours Populaire, La Villette, oder den Louvre. Die Gründer von Grapus waren bis in die 80er Jahre aktive Mitglieder der PCF, der kommunistischen Partei Frankreichs für die sie auch Plakate für Wahl- und andere Kampagnen entwarfen Die Krise von Grapus fing etwa 1987 an. Es gab einen Richtungsstreit zwischen Bernard, Paris-Clavel, Alex Jordan und Jean-Paul Bachollet. Während Paris-Clavel die alte Radikalität beibehalten und nicht mehr für staatliche Vorzeige-Institutionen arbeiten wollte, näherte sich Bernard diesen Institutionen, wie dem Louvre an. Er war der Ansicht, dass die grafische Kommunikation auch ein Instrument des sozialen Wandels sein kann, wenn man die großen staatlichen kulturelle Institutionen arbeitet. Alex Jordan und Jean-Paul Bachollet versuchten vergeblich,zwischen den beiden Extremen zu vermitteln. Dies zeigt sich auch in den Arbeiten der Grapus-Mitglieder nach der Trennung. Während Paris-Clavels Arbeiten zunehmend radikaler wurden, näherten sich Bernards Arbeiten eher denen eines großen, internationalen Designbüros an. Seine Langzeitpraktikanten brachten internationale Einflüsse aus ihren Heimatländern mit. Seit Ende der 1980er Jahre ist -im Gegensatz zu Gerard Paris-Clavel und Alex Jordan - ein starker niederländischer Einfluss in der Gestaltung und Typografie von Pierre Bernard zu erkennen.

Aufspaltung der Gruppe

  • Gérard Paris-Clavel gründete 1989/1990 zusammen mit Vincent Perrottet die Gruppe Les Graphistes Associés (LGA) und war dort bis 1992 aktiv. Er entwarf sehr viele Plakate mit einem starken politischen Bezug. 1989/1990 gründete er ebenfalls mit anderen den Verein Ne Pas Plier.
  • Pierre Bernard gründete 1990 mit Fokke Draier und Dirk Behage das Atélier de Création Graphique (ACG).
  • Alex Jordan gründete 1990 zusammen mit Ronit Meirovitz und Anette Lenz die Gruppe Nous travaillons ensemble (NTE).

Graffiti und die Arbeiten von Grapus und NTE

  • Bombing/Quick pieces: einfarbig ausgemalte Bilder
  • Outlines: kontraststarke Umrandungen
  • Straßenkunst: Eroberung des öffentlichen Raumes (Reclaim the streets)
  • Menetekel-Funktion (vor Unheil warnend): Arbeit als politisches Thermometer
  • Provokation, reiz- und schmerzerzeugende Grafik, die gleichzeitig faszinieren und das Auge lenken
  • Anarchie

Literatur

  • engagement & grafik design. Interviews und Abbildungen zu post-grapus-Gruppen wie NTE, ne pas plier, graphiste associes. ISBN 3-926796-62-6. (Ausschnitte)
  • Dieter Urban: Plakate. Posters. Über 400 ausgewählte Arbeiten von führenden Gestaltern. Stiebner, München 1996.

Weblinks


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