Gustav Nachtigall

Gustav Nachtigall
Gustav Nachtigal
Gustav Nachtigal als Mitglied des Corps Palaiomarchia in Halle (1854)

Gustav Nachtigal (* 23. Februar 1834 in Eichstedt (Altmark) bei Stendal; † 20. April 1885 vor der Küste Westafrikas) war ein deutscher Afrikaforscher.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Gustav Nachtigal, Sohn eines Pfarrers, studierte Medizin in Halle, Würzburg und Greifswald und wurde 1858 preußischer Militärarzt in Köln. Er war aktiv beim Corps Palaiomarchia in Halle und beim Corps Nassovia in Würzburg. Später wurde ihm die Schleife des Corps Pomerania Greifswald verliehen. Er erkrankte an Tuberkulose und begab sich zur Genesung nach Nordafrika. Zunächst lebte er in Algerien, ab 1863 in Tunis, wo er als Feldarzt am Feldzug gegen die aufständischen Stämme des Maghreb teilnahm und anschließend am Hof in Tunis Leibarzt des Beys wurde. Hier lernte er auch Arabisch.

1868 traf Nachtigal den Forscher Gerhard Rohlfs, der 1868 von König Wilhelm I. von Preußen mit der Übergabe von Geschenken an den Sultan von Bornu im heutigen Nigeria beauftragt worden war. Rohlfs übertrug diese Aufgabe an Nachtigal. In Murzuk traf Nachtigal mit der niederländischen Afrikaforscherin Alexandrine Tinne zusammen. Nachtigal brach am 17. Februar 1869 von Tripolis aus auf, durchquerte die Sahara, hielt sich in Fessan auf und ging dann in das vorher von keinem Europäer betretene Gebiet der Tibbu, das Land Tibesti. Die dort lebenden Tedas bedrohten Nachtigal jedoch mit dem Tod und raubten ihn aus, so dass er nach Murzuk fliehen musste, wo er dann den Winter verbrachte. Im Gegensatz zu anderen Afrikaforschern nutzte er dieses Erlebnis nicht, um die Afrikaner zu diffamieren, sondern bemühte sich zu verstehen, weshalb die Tibbu in ihm einen feindseligen Eindringling hatten sehen müssen.

Im Juli 1870 erreichte er Kuka, die Residenz des Sultans von Bornu, und überreichte diesem die Geschenke des preußischen Königs. Nachtigal bereiste danach die Gegenden von Kanem und Borku und kehrte im Januar 1872 wieder nach Kuka zurück. Darauf wendete er sich nach Bagirmi und in die damals noch vorhandenen Heidelandschaften, die südlich der Stadt lagen. Nachdem er im Herbst 1872 wieder nach Kuka zurückgekehrt war, reiste Nachtigal zum Fluss Chari im heutigen Tschad und von dort weiter in das Sultanat Wadai (heute östlicher Tschad). Im Sommer 1873 reiste er von der Hauptstadt Abeschr bis zur südlichen Landesgrenze und gelangte 1874 zunächst in das Sultanat Darfur und im Sommer 1874 in das Sultanat Kordofan. Er lernte unterwegs weitere regionale Sprachen und sammelte wissenschaftliche Daten über die Kultur der Afrikaner, wodurch er zu einem Vorläufer der modernen ethnographischen Feldforschung wurde. Nachtigal war bei der Interpretation der Forschungsergebnisse bemüht, keine negativen Rückschlüsse auf die Afrikaner zu ziehen, wie dies bei anderen Afrikareisenden seiner Zeit - etwa Henry Morton Stanley - der Fall war. Nachtigal war bei seiner Expedition auch Augenzeuge von Sklavenjagden geworden, die er schonungslos beschrieb.

Schließlich erreichte Nachtigal Khartum, die Hauptstadt des von Ägypten besetzten Sudan. Von hier aus reiste er entlang des Nils nach Kairo in Ägypten und kehrte 1875 schließlich nach Deutschland zurück. Nachtigal schrieb in Berlin die Ergebnisse seiner Reisen nieder. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde als Vorsitzender der Gesellschaft für Erdkunde und der Afrikanischen Gesellschaft eingesetzt. 1882 wurde Nachtigal von Reichskanzler Otto von Bismarck zum Generalkonsul in Tunis ernannt. Offizielle Berichte kritisierten, dass sich der Konsul Nachtigal zu sehr der Erforschung der islamischen Kultur Nordafrikas widme und sich nur unzureichend für die Interessen der deutschen Exportwirtschaft einsetze.

Im Jahre 1884 wurde Nachtigal zum Reichsbeauftragten für Togo und Kamerun ernannt und damit in die deutsche Kolonialpolitik eingespannt. Seine unveröffentlichten Briefe und Tagebücher zeigen, dass ihm diese Aufgabe widerstrebte. Lediglich die Hoffnung, durch eine europäische Intervention dem Sklavenhandel einen Riegel vorzuschieben, ließ ihn Bismarcks Auftrag annehmen. Im Frühjahr 1884 reiste er als kaiserlicher Kommissar an die Küste von Oberguinea und errichtete am 5. Juli 1884 die sogenannte deutsche „Schutzherrschaft“ über das Gebiet von Togoland (heute Togo bzw. Teilgebiet von Ghana). Am 14. Juli stellte er Kamerun „unter deutschen Schutz“. Im selben Jahr beglaubigte er die teilweise betrügerisch erworbenen Rechte bzw. Landerwerbungen der Firma Lüderitz in Südwestafrika, dem heutigen Namibia.

Das Regierungsgebäude in Kamerun mit der Grabstätte Nachtigals 1894

Er hielt sich noch einmal in Kamerun auf; bei der Rückreise nach Europa erkrankte er an Tuberkulose und starb am 20. April 1885 an Bord des Kanonenbootes SMS Möwe. Am 21. April 1885 wurde er auf Kap Palmas beigesetzt. 1888 wurden seine sterblichen Überreste nach Kamerun überführt, wo ihm beim ehemaligen Gouvernementsgebäude ein Denkmal errichtet wurde.

Trotz seiner kritischen Haltung gegenüber den deutschen Kolonialerwerbungen wurde Gustav Nachtigal in der deutschen Presse zum Kolonialhelden hochstilisiert. Seine teilweise abwertenden Äußerungen - u. a. über die Lobby der deutschen Schnapsexporteure - wurden auf offiziellen Druck hin nie veröffentlicht. In der DDR-Geschichtsschreibung wurde der Forscher unkritisch mit einem Carl Peters gleichgestellt. Angesichts der veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften Nachtigals ist jedoch zu sagen, dass er neben Heinrich Barth nicht nur als der wissenschaftlichste Afrikaforscher überhaupt, sondern auch eine der wenigen Persönlichkeiten der Forschungsgeschichte gelten darf, die den Afrikanern nicht als überhebliche, mit Rassenvorurteilen beladene Durchreisende oder als brutale Eroberer gegenüber traten.

Nachtigals Neffe, der Sohn seiner Schwester Marie Luise Nachtigal, Rudolf Prietze wurde ebenfalls Afrikaforscher und gilt als einer der Väter der modernen Afrikanistik (Sprachwissenschaft).

Werke

  • Sahara und Sudan. Berlin 1879-1881, 3 Bde. - als Reprints erhältlich.
  • Tibesti. Die Entdeckung der Riesenkrater und die Erstdurchquerung des Sudan, 1868 - 1874. Hg. v. Heinrich Schiffers. Tübingen - Stuttgart 1987

Literatur

  • Gustav Nachtigal 1869/1969. (Bonn-)Bad Godesberg 1969
  • A. Tunis: Gustav Nachtigal. Ein Philanthrop im Staatsdienst. In: Baessler-Archiv. 44 (1996), 407-424. [1]

Weblinks



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