HANE

HANE
Klassifikation nach ICD-10
T78.3 Angioneurotisches Ödem
- Quincke-Ödem
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Beim Angioödem, auch bekannt unter seinem Eponym Quincke-Ödem (nach Heinrich Irenaeus Quincke) und der älteren Bezeichnung angioneurotisches Ödem, wird die rasche Schwellung (Ödem) von Haut, Schleimhaut und submukösen Geweben bezeichnet, die Stunden bis Tage anhalten kann.

Charakteristische Schwellungen im Gesicht bei einem Angioödem

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Bei der häufigsten Form des Angioödems handelt es sich um eine allergische Reaktion. Das Angioödem kann auch als Nebenwirkung von Medikamenten auftreten, beispielsweise bei Einnahme von ACE-Hemmern. Außerdem gibt es eine erbliche Form, die auf einem Mangel an dem Blutprotein C1-Inhibitor beruht. Diese Form wird als Hereditäres Angioödem (HAE) bezeichnet, das auf einen Mangel an C1-Esterase-Inhibitor zurückführbar ist. Gelegentlich wird es mit dem veralteten Begriff "hereditäres angioneurotisches Ödem" (HANE) bezeichnet, da es als rein stressbedingte Erkrankung betrachtet wurde, die durch ein emotionales Trauma und/oder Neurosen verursacht wird. Diese unkorrekte Darstellung von HAE führte dazu, dass viele Betroffene fälschlicherweise als psychisch instabil abgestempelt wurden und ihnen häufig eine medizinische Behandlung der Symptome vorenthalten wurde, die oftmals mit äußerst starken Schmerzen verbunden sind, vor allem wenn die Schwellung tief im Magen-Darm-Trakt, in der Harnblase oder den Geschlechtsorganen auftritt. Die moderne Medizin hat seither die Theorie entlarvt, und somit wurde das Wort 'neurotisch' aus dem Namen eliminiert.

Fälle, in denen das Angioödem rasch fortschreitet, müssen als medizinischer Notfall behandelt werden, da eine Obstruktion des Atemtrakts und Ersticken auftreten können. Eine rasche Behandlung mit Adrenalin kann oftmals lebensrettend sein.

Symptome und Beschwerden

Innerhalb von Minuten entsteht eine Schwellung, die am häufigsten an Augenlidern, Lippen, Kinn, Wangen, Zunge oder Genitalien vorkommt. Bei Beteiligung der Luftwege, insbesondere der Stimmritze, tritt eine lebensbedrohliche Atemnot auf, die eine sofortige Behandlung erfordert.

In manchen Fällen fand kurz zuvor eine Exposition gegenüber einem Allergen statt, und es entwickelt sich gleichzeitig eine Nesselsucht (Urtikaria), oftmals ist die Ursache jedoch unbekannt (idiopathisch). Die Schwellung kann mit Juckreiz verbunden sein. In den betroffenen Bereichen kann es auf Grund einer Kompression der Nerven auch zu einer leicht herabgesetzten Empfindungsfähigkeit kommen.

In schweren Fällen tritt ein Stridor der Atemwege mit keuchenden Atemgeräuschen beim Einatmen und abnehmenden Sauerstoffwerten auf. Eine Intubation und rasche Behandlung mit Adrenalin sowie mit Antihistaminika ist in diesen Situationen erforderlich.

Bei hereditärem Angioödem (HAE) liegt häufig keine direkte identifizierbare Ursache vor, obgleich ein kleines Trauma und andere Reize Attacken verursachen können. Meist ist es nicht mit Juckreiz oder Nesselsucht verbunden, da es sich nicht um eine allergische Reaktion handelt. Bei Patienten mit HAE kann es auch zu immer wiederkehrenden Episoden (meist als 'Attacken' bezeichnet) von inneren Schwellungen kommen, die schwere Bauchschmerzen verursachen, meist begleitet von starkem Erbrechen, Schwäche und in manchen Fällen verbunden mit wässrigem Durchfall sowie einem nicht-erhabenen, nicht juckenden fleckigen/kreisförmigen Ausschlag. Diese Magenattacken können im Durchschnitt ca. 1-5 Tage andauern und einen Krankenhausaufenthalt zur aggressiven Schmerztherapie und Flüssigkeitszufuhr erfordern. Abdominale Attacken führen bei den Patienten nachweislich auch zu einem starken Anstieg der Leukozytenzahl (weiße Blutkörperchen), meist im Bereich von 13-30.000. Sobald die Symptome nachzulassen beginnen, fällt die Leukozytenzahl langsam ab und normalisiert sich wieder, wenn die Attacke abklingt.

Das hereditäre Angioödem verursacht auch Schwellungen in verschiedensten anderen Bereichen, am häufigsten an den Extremitäten, den Genitalorganen, im Bereich von Hals, Rachen und Gesicht. Der mit diesen Schwellungen verbundene Schmerz reicht vom leichten unangenehmen bis zum quälenden Schmerz, je nachdem, wo er lokalisiert ist und wie stark er ausgeprägt ist.

Ursachen

Diagnose

Die Diagnose erfolgt ausgehend vom klinischen Bild. Wenn der Patient stabilisiert ist, können Komplementspiegel, vor allem die Werte für C1-Inhibitor und ein Mangel an den Komplementfaktoren 2 und 4 auf das Vorliegen eines Hereditären Angioödems hinweisen (siehe unten).

Da bei vielen HAE-Patienten die Erkrankung über Jahre hinweg nicht diagnostiziert wird, bzw. viele falsche Diagnosen gestellt werden, kommt es oftmals zu unnötigen Bauchoperationen. Die verunsicherten Ärzte führen häufig eine Laparoskopie zur diagnostischen Abklärung durch, und in seltenen Fällen werden Darmabschnitte entfernt.

Pathophysiologie

Der abschließende gemeinsame Weg zur Entwicklung eines Angioödems ist offenbar die Aktivierung des Bradykininwegs. Dieses Peptid ist ein potenter Vasodilatator, der zu einer raschen Flüssigkeitsansammlung im Interstitium führt. Dies tritt am deutlichsten im Gesicht zutage, wo die Haut über verhältnismäßig wenig stützendes Bindegewebe verfügt, und sich ein Ödem leicht entwickeln kann. Bradykinin wird von verschiedenen Zelltypen als Reaktion auf zahlreiche unterschiedliche Reize freigesetzt; es ist auch ein Schmerzmediator.

Verschiedene Mechanismen, die die Bildung oder den Abbau von Bradykinin störend beeinflussen, können zum Angioödem führen. ACE-Hemmer blockieren die Funktion der Kininase II, des Enzyms, das Bradykinin abbaut. Beim hereditären Angioödem wird die Bildung von Bradykinin über eine kontinuierliche Aktivierung des Komplementsystems auf Grund eines Mangels eines seiner hauptsächlichen Inhibitoren, C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH), sowie durch die kontinuierliche Produktion von Kallikrein, einem anderen durch C1-INH gehemmten Prozess, verursacht. Dieser Serinproteasehemmer (Serpin) hemmt normalerweise die Umwandlung von C1 zu C1r und C1s, die - wiederum – andere Proteine des Komplementsystems aktivieren. Außerdem hemmt er verschiedene Proteine der Gerinnungskaskade, obgleich die Auswirkungen seines Mangels auf die Entwicklung von Hämorrhagie und Thrombose begrenzt zu sein scheinen.

Es gibt drei Arten des hereditären Angioödems:

  • Typ 1 – verminderte Spiegel von C1-INH (85%);
  • Typ 2 – normale Spiegel, jedoch beeinträchtigte Funktion von C1-INH (15%);
  • Typ 3 – keine nachweisbare Anomalie von C1-INH, tritt als X-chromosomale dominant vererbte Störung auf und betrifft daher hauptsächlich Frauen; sie kann durch eine Schwangerschaft und die Anwendung von oralen Kontrazeptiva verschlimmert werden (ursprünglich von Bork et al im Jahr 2000 beschrieben; die genaue Häufigkeit ist ungewiss);

Ein Angioödem kann auf einer Antikörperbildung gegen C1-INH beruhen; dies ist eine Autoimmunerkrankung. Dieses erworbene Angioödem ist mit der Entwicklung eines Lymphoms verbunden.

Der Verzehr von Nahrungsmitteln, die selbst als Vasodilatatoren wirken, wie Alkohol oder Zimt, kann die Wahrscheinlichkeit einer Angioödem-Episode bei anfälligen Patienten erhöhen. Wenn die Episode überhaupt nach dem Verzehr dieser Nahrungsmittel auftritt, kann sich der Beginn über Nacht oder für einige Stunden verzögern; dies erschwert es etwas, einen Zusammenhang mit dem Verzehr dieser Nahrungsmittel herzustellen.

Die Anwendung von Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure kann die Wahrscheinlichkeit einer Episode bei manchen Patienten erhöhen. Die Anwendung von Paracetamol (Acetaminophen) führt meist zu einem geringeren, jedoch noch vorhandenen Anstieg der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Episode.

Folgen und Komplikationen

Das schmerzhafte Ödem beeinträchtigt das Allgemeinbefinden und kann zu Schwierigkeiten beim Essen, Trinken und Sprechen, sowie zu Sehstörungen führen. Schwellen die Atemwege oder die Stimmritze an, kann das unbehandelt zum Tod durch Ersticken führen.

Die sichtbare Schwellung beeinträchtigt das Aussehen und kann soziale Folgen haben.

Behandlung

Bei Befall der Luftwege werden Glukokortikoide (Kortison-ähnliche Stoffe) und Allergiemedikamente intravenös verabreicht oder in flüssiger Form eingenommen; in schweren Fällen ist eine Intubation erforderlich. Für Patienten mit schwerwiegenden allergischen Reaktionen der Atemwege in der Vergangenheit stehen im Notfall zudem Adrenalin-Fertigspritzen zur Verfügung, die von dem Betroffenen nach einer Allergenexposition mit beginnender Symptomatik selbst intramuskulär appliziert werden können. Ansonsten erfolgt die Behandlung wie bei der Nesselsucht. Bei C1-INH Mangel sind sowohl Glukokortikoide wie auch Antihistaminika wirkungslos. Kurzzeitig zeigen Epinephrine (Adrenalin) durch die vasokonstriktive Wirkung abschwellende Wirkung. Eine effektive Therapie ist aber nur durch C1-INH Ersatz möglich, falls nicht vorhanden, frisch eingefrorenes Blutplasma (fresh frozen plasma) FFP. Des Weiteren werden auch anabol wirkende Androgene wie Danazol und Stanozolol in der Langzeittherapie verwendet. Sie erhöhen die Synthese von C1-Esterase-Inhibitor in der Leber, können aber erhebliche Nebenwirkungen haben.

Zunächst muss man grundsätzlich zwischen Histamin-induzierter Urtikaria, und den Bradykinin-induzierten Angioödemen unterschieden werden. Während für die allergisch bedingten Ödeme Antihistaminika und Cortison zur Verfügung stehen, zeigen diese Medikamente bei den Bradykinin-induzierten Angioödemen keine oder allenfalls nur geringe Wirkung.

Bradykinin kann durch genetisch bedingte vermehrte Bradykinin-Bildung wie bei hereditären Angioödemen (HAE) mit C1 Esterase-Inhibitor-Mangel und durch Abbaustörungen (z. B. infolge ACE-Hemmer (ACEH)) ansteigen.

Der C1-Esterase-Inhibitor hemmt in seiner Funktion die Bildung des Bradykinins und Patienten mit entsprechendem C1-INH Mangel (Typ 1, 85 %) oder Funktionsstörung (Typ 2, 15 %) erleiden ihren gesamten Leben lang rezidivierende Angioödeme, die an der Haut und den Schleimhäuten (Kopf-Hals, Abdomen) auftreten können (Prävalenz 1:10000-1:50000). Abdominelle Angioödeme treten z. T. mit Übelkeit und Erbrechen auf. Manifestationen der oberen Atemwege (Zunge, Pharynx, Kehlkopf) führen zu Dyspnoe, Heiserkeit, Schluckstörung bis hin im Einzelfall zum Erstickungstod. BK-induzierte Angioödeme gehen typischerweise ohne juckende Urtikaria einher. Die Therapie unterscheidet sich grundlegend von anderen Ödemen, die oftmals histaminerg sind. Entscheidend ist die fehlende oder nur geringe Wirksamkeit von Cortison oder Antihistaminika. Während HAE-Patienten bislang im akuten Anfall i. v. C1 INH-Konzentrate (humanes Blutplasmaprodukt) erhielten, existierte für ACEH induzierte Angioödeme bislang keine spezifisch wirksame, Pharmakotherapie.

Mit dem Peptidomimetikum Icatibant steht seit 2008 eine Akuttherapie mit neuem Therapieansatz zur Verfügung: Der Wirkstoff blockiert den Bradykininrezeptor B2 und verhindert so die Ödembildung bei allen Arten von HAE-Attacken durch Blockierung der Kaskade direkt am Anfang.

Differentialdiagnose

Die meist im frühen Kindesalter auftretende erythropoetische Protoporphyrie geht nach Sonnenexposition mit starken Schwellungen einher. Als häufige Fehldiagnose wird eine allergische Reaktion mit Ausbildung eines Quincke- Ödems erstellt.

Geschichte

Dr. Heinrich Quincke beschrieb erstmals das klinische Bild des Angioödems 1882. Sir William Osler bemerkte 1888, dass einige Fälle eine hereditäre (erbliche) Grundlage haben können; er prägte den Begriff hereditäres angioneurotisches Ödem.

Literatur

  • Bork K, Barnstedt SE, Koch P, Traupe H. Hereditary angioedema with normal C1-inhibitor activity in women. Lancet 2000;356:213-7. PMID 10963200.
  • Osler W. Hereditary angio-neurotic oedema. Am J Med Sci 1888;95:362-67.
  • Quincke H. Concerning the acute localized oedema of the skin. Monatsh Prakt Derm 1882;1:129-131.
  • Waytes AT, Rosen FS, Frank MM. Treatment of hereditary angioedema with a vapor-heated C1 inhibitor concentrate. N Engl J Med 1996;334:1630-4. PMID 8628358.

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