Haus der Wannseekonferenz

Haus der Wannseekonferenz
Villa der Wannseekonferenz
Auftrag Görings an Heydrich

Auf der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942 kamen 15 hochrangige Vertreter von nationalsozialistischen Reichsbehörden und Parteidienststellen zusammen, um unter Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich den begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit aller Instanzen dabei sicherzustellen.

Hauptzweck der Konferenz war entgegen verbreiteter Meinung nicht, den Holocaust zu beschließen – diese Entscheidung war mit den seit Monaten stattfindenden Massenmorden in vom Deutschen Reich besetzten Gebieten faktisch schon gefallen –, sondern die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung in den Osten in den Grundzügen zu organisieren und zu koordinieren. Die Teilnehmer legten den zeitlichen Ablauf für die weiteren Massentötungen fest, grenzten die dafür vorgesehenen Opfergruppen genauer ein und einigten sich auf eine Zusammenarbeit unter der Leitung des Reichssicherheitshauptamts, das Heydrich führte.

Dies war das Hauptanliegen Heydrichs, den Hermann Göring am 31. Juli 1941 mit der Gesamtorganisation der „Endlösung der Judenfrage“ beauftragt hatte. Daraufhin hatte Heydrich im Dezember 1941 zu der streng geheimen Konferenz eingeladen. Daran nahmen acht Staatssekretäre verschiedener Ministerien, sechs leitende Beamte der Polizei, der Gestapo und SS sowie ein Ministerialdirektor teil; unter ihnen waren neun promovierte Juristen. Protokollant war der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, Heydrichs Referent für „Judenangelegenheiten“. Der erst nach dem Zweiten Weltkrieg geprägte Begriff Wannseekonferenz ergab sich aus dem Tagungsort, dem damaligen Gästehaus der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes am Berliner Großen Wannsee 56–58.

Das dortige, zuvor Villa Marlier genannte Gebäude wurde 1914/1915 von Paul Otto August Baumgarten erbaut. Heute ist es eine Gedenkstätte für den Holocaust.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Nationalsozialistische „Judenpolitik“

Der Antisemitismus war einer der wichtigsten Bestandteile der nationalsozialistischen Ideologie, der die NS-Politik bestimmte. Schon in seinem Werk Mein Kampf propagierte Adolf Hitler Ideen, die auf die Ausrottung der Juden abzielten.

Am 30. Januar 1939 hatte Hitler in einer Reichstagsrede erstmals „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ für den Kriegsfall angekündigt. Im Jahr der Wannseekonferenz kam er öffentlich fünf Mal auf diese Drohung und ihre Verwirklichung zu sprechen, zuletzt am 8. November 1942:

„Sie werden sich noch der Reichstagssitzung erinnern, in der ich erklärte: Wenn das Judentum sich etwa einbildet, einen internationalen Weltkrieg zur Ausrottung der europäischen Rassen herbeiführen zu können, dann wird das Ergebnis nicht die Ausrottung der europäischen Rassen, sondern die Ausrottung des Judentums in Europa sein. Sie haben mich immer als Propheten ausgelacht. Von denen, die damals lachten, lachen heute Unzählige nicht mehr, und die jetzt noch lachen, werden es vielleicht in einiger Zeit auch nicht mehr tun.“[1]

Auch Propagandaminister Joseph Goebbels bezog sich in einem Artikel für Das Reich vom 16. November 1941 auf Hitlers Drohung:

„Wir erleben gerade den Vollzug dieser Prophezeiung und es erfüllt sich am Judentum ein Schicksal, das zwar hart, aber mehr als verdient ist. Mitleid oder gar Bedauern ist da gänzlich unangebracht.“[2]

Die Ziele der nationalsozialistischen Politik im Hinblick auf die Juden liegen also in ihren erklärten Absichten wie auch in ihren Ergebnissen offen zu Tage. Gleichwohl sind Einzelheiten des Entscheidungsprozesses, der zum Holocaust führte, nur spärlich dokumentiert. Wie dieser Prozess innerhalb des NS-Regimes genau ablief, ist in vielen Details unklar und wird in der Geschichtswissenschaft weiterhin intensiv diskutiert (siehe dazu Holocaustforschung).

Die Entscheidung zum Holocaust

Zu den erhaltenen Dokumenten gehört der Auftrag Görings an Heydrich, einen „Gesamtentwurf“ bezüglich Kosten, Organisation und Durchführung für die „Endlösung der Judenfrage“ auszuarbeiten. Er erging am 31. Juli 1941, also fünf Wochen nach Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion am 22. Juni, der Millionen von Juden erst in die Reichweite des nationalsozialistischen Regimes brachte.[3]

Für die Zeit nach dem deutschen Überfall auf Russland sind vermehrt Äußerungen führender Funktionäre des NS-Regimes feststellbar, die auf den geplanten Völkermord schließen lassen. Dies gilt als Hinweis darauf, dass die endgültigen Entscheidungen, die zum Holocaust führten, im Herbst 1941 gefallen sein müssen. So versammelte Hitler am 12. Dezember 1941 die Reichs- und Gauleiter der NSDAP in seinen Privaträumen in der Reichskanzlei. Goebbels notierte darüber in seinem Tagebuch:[4]

„Bezüglich der Judenfrage ist der Führer entschlossen, reinen Tisch zu machen. […] Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung des Judentums muss die notwendige Folge sein.“

Vier Tage später veröffentlichte er den oben zitierten Artikel in Das Reich.

Manche Historiker sehen die Gauleitertagung bei Hitler am 12. Dezember als spätesten Termin an, an dem die Entscheidung zur systematischen Judenvernichtung gefallen ist.[5] Andere bezweifeln, dass es überhaupt einen bestimmten Zeitpunkt gab, an dem ein solcher Beschluss getroffen und ein entsprechender Führerbefehl dazu ausgegeben wurde. Dazu führen sie u. a. ein Zitat aus dem Protokoll der Wannseekonferenz an: An die Stelle der Nötigung zur Auswanderung sei „nach vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten“ als Lösungsmöglichkeit getreten. Ein förmlicher Beschluss zum Völkermord, der Ermordung aller Juden, sei damit nicht gegeben worden; Hitler habe sich ungern festgelegt und sei nur „Legimitierungsinstanz“ in einem noch stufenweise weiter fortschreitendem Radikalisierungsprozess gewesen, der durch lokale Initiativen, selbstverursachte vermeintliche Sachzwänge und eliminatorischen Antisemitismus kumulierte.[6]

Die meisten Historiker folgern jedoch aus den Quellen, dass im Spätherbst 1941 ein entscheidender Schritt im Entscheidungsprozess zum Völkermord getan worden sei.[7] Damals zeichnete sich das Scheitern des Russlandkrieges ab, der als Blitzkrieg begonnen worden war. Damit zerschlugen sich die letzten unausgereiften Pläne, die Juden weit in den Osten abschieben zu können, nachdem vorher schon die Umsiedlungsprojekte nach Nisko und Madagaskar als undurchführbar zu den Akten gelegt worden waren.

Ein eindeutiger schriftlicher Befehl Hitlers zur Ermordung aller Juden im deutschen Einflussbereich wurde bisher nicht gefunden. Wahrscheinlich gab es keine derartige förmliche Anordnung. Auf mündliche Führerbefehle zur Judenvernichtung nehmen jedoch Briefe und Anordnungen hoher NS-Führer mehrfach Bezug. Diese Befehle waren offenbar meist stark verklausuliert; ebenso wie Heydrichs Befehle zu konkreten Massenmordaktionen. Was tatsächlich befohlen wurde, zeigte sich erst bei Umsetzung der Maßnahmen. Diese konnten aber nur mit Hitlers ausdrücklichem Einverständnis eingeleitet und vollzogen werden. In diesem Punkt stimmen alle Fachhistoriker bei allen sonst unterschiedlichen Deutungen überein.[8] Aufgrund der öffentlichen Äußerungen von Hitler, Goebbels, Himmler und anderen hochrangigen NS-Funktionären konnte jeder Befehlshaber – etwa der SD-Einsatzkommandos – dieses Einverständnis bei Mordaktionen gegen Juden voraussetzen.

Deportationen und Massenmorde bis Ende 1941

Das nationalsozialistische Vorgehen gegen die Juden radikalisierte sich seit 1933 über Ausgrenzung, Entrechtung, erzwungene Auswanderung, physische Verfolgung und Enteignung. Seit Kriegsbeginn kamen Ghettoisierung, Deportationen und Massenmorde in militärisch besetzten Gebieten Ost- und Südosteuropas hinzu. Diese Schritte erfolgten jedoch nicht überall chronologisch und geplant nacheinander, sondern teilweise in ständigem Wechsel und manchmal chaotisch nebeneinander.

Mit dem Polenfeldzug 1939 begannen Massenmorde an Zivilisten hinter der Ostfront. Eine „zur besonderen Verfügung“ gebildete Einsatzgruppe unter Udo von Woyrsch erschoss bis Jahresende etwa 7000 Juden[9][10], erfuhr dafür aber starke Kritik einiger Armeebefehlshaber, wie z. B. des Oberbefehlshabers im Generalgouvernement Johannes Blaskowitz. Der Historiker Hans Mommsen deutet diese Morde als noch planlose Einzelinitiativen.[11]

Seit dem 22. Juni 1941 erschossen vier im Mai aufgestellte Einsatzgruppen systematisch und in großem Umfang Staatsfunktionäre, Partisanen und – bevorzugt jüdische – „Geiseln“ hinter der gesamten Ostfront der deutschen Wehrmacht. Teils mit ihnen, teils ohne sie ermordeten im selben Gebiet Truppen der Ordnungspolizei und Einheiten der Waffen-SS unter Hans-Adolf Prützmann, Erich von dem Bach-Zelewski und Friedrich Jeckeln Juden in großer Zahl.[12] Ende September/Anfang Oktober 1941 fand zum Beispiel ein Massaker deutscher Sonderkommandos an der jüdischen Bevölkerung von Kiew statt, bekannt geworden als das Massaker von Babyn Jar. Diese Massenmorde liefen immer stärker auf eine flächendeckende Ermordung aller Juden zu.

In den von den Nationalsozialisten eingerichteten, überfüllten Ghettos starben täglich Juden an Unterernährung, Infektionskrankheiten und willkürlicher Gewalt ihrer Bewacher. Auch die „Vernichtung durch Zwangsarbeit“, die das Konferenzprotokoll als Methode der „Endlösung“ nannte, fand schon statt: etwa beim Bau einer wichtigen „Durchgangsstraße IV“ von Lemberg in die Ukraine[13]

Im September begannen Massendeportationen deutscher Juden aus dem „Reichsgebiet“. Auf Befehl Himmlers vom 18. September, unterzeichnet von Kurt Daluege, wurden bis zum 4. November 20.000 Juden und 5000 Zigeuner nach Łódź deportiert.[14] Am 23. Oktober 1941 verbot Himmler allen Juden im deutschen Einflussbereich die Auswanderung.

„Auf Wunsch des Führers“ sollte bei Riga ein weiteres großes Konzentrationslager errichtet werden.[15] Am 8. November 1941 erfuhr Hinrich Lohse, Reichskommissar für das besetzte Baltikum, dass je 25.000 „Reichs- und Protektoratsjuden“ nach Minsk und Riga deportiert werden sollten. Um letztere unterzubringen, ließ Jeckeln auf persönlichen Befehl Himmlers vom 29. November bis 1. Dezember sowie am 8. und 9. Dezember 1941 insgesamt 27.800 Bewohner des Rigaer Ghettos erschießen.[16][17] Unter den Opfern waren auch der erste Transport von 1.053 Berliner Juden, die am 30. November sofort nach ihrer Ankunft erschossen wurden. Himmlers Veto dagegen vom selben Tag kam zu spät. Der Historiker Raul Hilberg vermutet, dass es ohnehin nur zu erwartende Proteste Lohses beschwichtigen sollte.[17] Nach Deutung von Dieter Pohl fürchtete Himmler, ausbleibende Nachrichten der Deportierten würden in Deutschland rasch zu Gerüchten über ihre Liquidierung führen.[18] Am 25. und 29. November wurden bei Kaunas 5.000 eigentlich für Riga bestimmte Juden aus dem Reich und dem Protektorat erschossen.[19]

Das Vernichtungslager Belzec war seit November 1941 im Bau; dessen erste Gaskammern von geringer Kapazität waren zur Ermordung arbeitsunfähiger Juden vorgesehen. Auch für das Vernichtungslager Sobibor und das KZ Majdanek im Distrikt Lublin begannen die Bauvorbereitungen. Seit Anfang Dezember 1941 wurden in Kulmhof (Chelmno) Gaswagen zur Tötung von Juden eingesetzt. Darüber verfügten mittlerweile alle vier Einsatzgruppen.

Bis die Wannseekonferenz einberufen wurde, hatten die Mörder mit Hitlers Zustimmung rund 900.000 Juden aus Deutschland, Polen und Russland in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten umgebracht.[20] Nun sollte als letzte Eskalationsstufe die systematische Ermordung aller Juden im deutschen Einflussbereich organisiert werden.

Konferenzvorbereitungen

Die Wannseekonferenz war ursprünglich für den 9. Dezember 1941 anberaumt worden. Die Einladung zu einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ schrieb Adolf Eichmann und verschickte sie am 29. November. Er hob die „außerordentliche Bedeutung“ einer Gesamtlösung der Judenfrage hervor und legte das Ermächtigungsschreiben Görings an Heydrich vom 31. Juli bei. Zudem bestätigte er, dass Juden aus dem Reichsgebiet, Böhmen und Mähren seit 15. Oktober 1941 „evakuiert“ würden, also die Deportationen längst liefen.[21][22] Eichmann war als Leiter des Gestaporeferats IV B 4 unter anderem für „Juden- und Räumungsangelegenheiten“ zuständig und organisierte später die meisten Deportationen von Juden aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und anderen besetzten Gebieten in die Arbeits- und Vernichtungslager. Er lieferte Heydrich auch Vorlagen und Zahlenmaterial für sein Einleitungsreferat und fertigte das Protokoll über die Konferenz an.

Auch andere NS-Ministerien bereiteten die Zusammenkunft vor. Am 8. Dezember erhielt Unterstaatssekretär Martin Luther eine Zusammenstellung der „Wünsche und Ideen des Auswärtigen Amtes zu der vorgesehenen Gesamtlösung der Judenfrage in Europa“. Diese empfahl die Abschiebung aller im Deutschen Reich ansässigen Juden deutscher Staatsangehörigkeit sowie die der serbischen, staatenlosen und von Ungarn übergebenen Juden. Den Regierungen in Rumänien, Kroatien, Bulgarien, Ungarn und der Slowakei solle die Abschiebung der in ihren Ländern ansässigen Juden nach dem Osten angeboten werden. Ferner solle auf alle Regierungen Europas Druck ausgeübt werden, Judengesetze nach dem Vorbild der Nürnberger Gesetze zu erlassen.[23]

Nach Japans Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 lud Hitler den Reichstag für den 9. Dezember ein, um dort die Kriegserklärung gegen die USA zu verkünden. Einige der zur Wannseekonferenz Eingeladenen waren Reichstagsmitglieder, darunter Heydrich; daher ließ er die Konferenz kurzfristig absagen. Ein Gesprächsvermerk, der von einer Verschiebung „wegen der Reichstagssitzung“ sprach, bestätigt seinen Absagegrund.[24]Am 8. Januar 1942 ließ er neue Einladungen zum 20. Januar 1942 verschicken.[25]

Bis dahin wurden bereits wichtige Vorentscheidungen über einzelne auf der Konferenz besprochene Punkte getroffen. Hinrich Lohse hatte in einem Schreiben „Betreff: Judenexekutionen“ am 15. November 1941 in Berlin anfragen lassen:

„Soll dieses ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht und wirtschaftliche Interessen (z. B. der Wehrmacht an Facharbeitern in Rüstungsbetrieben) geschehen? Selbstverständlich ist die Reinigung des Ostlandes von Juden eine vordringliche Aufgabe; ihre Lösung muss aber mit den Notwendigkeiten der Kriegswirtschaft in Einklang gebracht werden. Weder aus den Anordnungen zur Judenfrage in der ‚braunen Mappe‘ noch aus anderen Erlassen konnte ich bisher eine solche Weisung entnehmen.“

Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete antwortete am 18. Dezember 1941, dass wirtschaftliche Belange „bei der Regelung des Problems grundsätzlich unberücksichtigt“ bleiben sollten.[26]

Ungeklärt ist, warum die Tagung um ganze sechs Wochen verschoben wurde. Der Historiker Christian Gerlach deutet Hitlers Erklärung vom 12. Dezember 1941, die Judenvernichtung müsse notwendige Folge des nun eingetretenen Weltkriegs sein, als Entscheidung zum Holocaust. Damit habe sich eine neue Lage ergeben, die grundlegende Änderungen der von Heydrich vorzuschlagenden Pläne erfordert habe.[27] Diese Deutung wird nur von wenigen Fachhistorikern geteilt.

Die Konferenz

Haus der Wannseekonferenz, Wasserseite

Teilnehmer

Folgende Beamte der nationalsozialistischen Regierung nahmen an der Konferenz teil:[28]

Zudem waren noch weitere Vertreter von Reichsministerien und sogenannten Obersten Reichsbehörden eingeladen. Einige davon hatten jedoch ihre Teilnahme abgesagt, z. B. Leopold Gutterer, Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Er nannte terminliche Gründe für seine Absage, bat aber darum, über alle Folgetermine unterrichtet zu werden.[29]

Inhalte

Auf der Konferenz sollten die Zuständigkeiten für die begonnenen Deportations- und Vernichtungsaktionen geklärt, die Maßnahmen zu ihrer Umsetzung koordiniert und ihr räumlicher und zeitlicher Ablauf festgelegt werden. Schließlich wurden hier die Gruppen derjenigen Juden definiert, die zur Deportation und damit zur Vernichtung bestimmt waren.[30] Dazu war die konstruktive Mitarbeit zahlreicher Institutionen notwendig, die bisher nicht über die „Endlösung“ informiert waren.

Im Protokoll der Wannseekonferenz wurden folgende Inhalte festgehalten: Heydrich teilte mit, dass er von Göring zum „Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage“ bestellt worden sei und die Federführung beim „Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei“, also Himmler, liege. Auf dieser Sitzung wollte er sich mit den unmittelbar beteiligten Zentralinstanzen abstimmen.

Heydrich berichtete über die erfolgte Auswanderung von rund 537.000 Juden aus dem „Altreich“, Österreich sowie Böhmen und Mähren, an deren Stelle nach „vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten“ treten solle. Für die „Endlösung der europäischen Judenfrage“ kämen rund elf Millionen Juden in Betracht. In dieser Zahl waren auch sogenannte „Glaubensjuden“ aus dem unbesetzten Teil Frankreichs, aus England, Spanien, Schweden, der Schweiz, der Türkei und weiteren neutralen oder gegnerischen Staaten außerhalb des deutschen Machtbereichs enthalten.[31] Weiter hieß es im Protokoll:

„In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.“

Bei der Durchführung würde „Europa vom Westen nach Osten“ durchkämmt werden; dabei sollte wegen „sozial-politischer Notwendigkeiten“ und zum Freisetzen von Wohnraum im Reichsgebiet begonnen werden. Zunächst sollten die deutschen Juden in Durchgangsghettos und von dort aus weiter in den Osten transportiert werden. Juden im Alter von über 65 Jahren und Juden mit Kriegsversehrung oder Träger des Eisernen Kreuzes I würden in das KZ Theresienstadt kommen. Damit wären „mit einem Schlag die vielen Interventionen ausgeschaltet“.

Nachdem mögliche Schwierigkeiten bei der „Evakuierungsaktion“ in den „besetzten oder beeinflussten europäischen Gebieten“ angesprochen und diskutiert worden waren, wendete man sich der Frage zu, wie mit jüdischen „Mischlingen“ und „Mischehen“ zu verfahren sei. Das Protokoll gibt an, die Nürnberger Gesetze sollten „gewissermaßen“ die Grundlage bilden. Doch tatsächlich gingen die von Heydrich eingebrachten Vorschläge weit darüber hinaus:

  • Im Regelfall sollten „Mischlinge 1. Grades“ („Halbjuden“) ungeachtet ihrer Glaubenszugehörigkeit wie „Volljuden“ behandelt werden. Ausnahmen waren nur für solche „Mischlinge“ vorgesehen, die mit einem „deutschblütigen“ Partner verheiratet und nicht kinderlos geblieben waren. Andere Ausnahmebewilligungen seien nur von höchsten Parteiinstanzen zu erteilen.
  • Jeder „Mischling 1. Grades“, der im Deutschen Reich verbleiben durfte, sollte sterilisiert werden.
  • „Mischlinge 2. Grades“ („Vierteljuden“) sollten im Regelfall den „Deutschblütigen“ gleichgestellt werden, sofern sie nicht durch auffälliges jüdisches Aussehen oder schlechte polizeiliche und politische Beurteilung als Juden einzustufen waren.
  • Bei bestehenden „Mischehen“ zwischen „Volljuden“ und „Deutschblütigen“ sollte der jüdische Teil entweder „evakuiert“ oder auch nach Theresienstadt geschickt werden, falls Widerstand durch die deutschen Verwandten zu erwarten sei.
  • Weitere Regelungen wurden für „Mischehen“ angesprochen, bei denen ein oder beide Ehepartner „Mischlinge“ waren.

Diese detaillierten Vorschläge wurden vom Staatssekretär Stuckart, der 1935 mit der Ausarbeitung der Nürnberger Gesetze befasst gewesen war, als unpraktikabel zurückgewiesen. Er schlug vor, die Zwangsscheidung von „Mischehen“ gesetzlich vorzuschreiben und alle „Mischlinge ersten Grades“ zu sterilisieren. Da in diesen Punkten keine Einigung herbeigeführt werden konnte, vertagte man diese Detailfragen auf die Folgekonferenzen.

Josef Bühler, Hans Franks Staatssekretär im Amt des Generalgouverneurs, drängte Heydrich auf der Konferenz, die Maßnahmen auf polnischem Gebiet im sogenannten „Generalgouvernement“ zu beginnen, weil er hier keine Transportprobleme sähe und „die Judenfrage in diesem Gebiete so schnell wie möglich zu lösen“ wünschte. Ohnehin sei die Mehrzahl dieser Juden nicht arbeitsfähig und „als Seuchenträger eine eminente Gefahr“.

Folgekonferenzen

Der ersten Wannseekonferenz auf Staatssekretärsebene folgten zwei Konferenzen auf Referentenebene zur Klärung weiterer Fragen. Diese Folgekonferenzen fanden am 6. März 1942 und 27. Oktober 1942 im Referat IV B 4 von Adolf Eichmann in der Berliner Kurfürstenstraße statt.

Nach einer Aufzeichnung des „Judenreferenten“ im Reichsaußenministerium, Franz Rademacher, wurde auf der Sitzung im März über den Vorschlag Stuckarts gesprochen. Dieser hatte für die Zwangssterilisation aller „jüdischen Mischlinge ersten Grades“ sowie für die Zwangsscheidung aller „Mischehen“ plädiert. Da die Krankenhäuser nicht zusätzlich mit der Sterilisation belastet werden könnten, sollte diese Maßnahme bis zum Kriegsende aufgeschoben werden. Gegen eine zwangsweise Ehescheidung wurden allgemeine rechtliche Einwände sowie „propagandistische“ Gründe ins Feld geführt. Damit waren die absehbaren Widerstände insbesondere von Seiten der katholischen Kirche und eine Intervention des Vatikan gemeint. Auch konnte man die Reaktionen der „jüdisch versippten“ Ehepartner schwer einschätzen. Wie sich 1943 anlässlich der Fabrikaktion beim Rosenstraße-Protest herausstellte, führte die vermeintlich drohende Deportation von jüdischen Ehepartnern tatsächlich zu öffentlichen Solidaritätsbekundungen der „deutschblütigen“ Angehörigen.

In der Folgekonferenz vom Oktober 1942 wurde die Forderung nach Zwangsscheidung von „Mischehen“ erneut behandelt. Offenbar gab es jedoch Hinweise aus der Reichskanzlei, dass der „Führer“ während des Krieges keine Entscheidung treffen wolle.[32] Im Oktober 1943 vereinbarten Otto Thierack vom Justizministerium mit Himmler, die jüdischen „Mischlinge“ vorerst nicht zu deportieren.[33] Derartige Rücksichten auf die Stimmung der Bevölkerung wurden der SS in den besetzten Ostgebieten nicht abverlangt: Jüdische Ehepartner aus „Mischehen“ und die „jüdischen Mischlinge ersten Grades“ wurden dort in den Völkermord einbezogen.[34]

Strittig ist die Beurteilung der Rolle geblieben, die Stuckart mit seinen Vorschlägen einnahm. Nach Angaben seiner Untergebenen Bernhard Lösener und Hans Globke hat Stuckart den Kompromiss-Vorschlag zur Massensterilisierung mit dem Hintergrundwissen gemacht, dass dies zumindest während des Krieges nicht realisierbar sei. Damit habe er die Deportation und Ermordung der deutschen „Mischlinge ersten Grades“ verhindert. Andererseits wäre sein Vorschlag einer Zwangsscheidung für „Mischehen“, die den Tod des jüdischen Partners zur Folge gehabt hätte, rasch realisierbar gewesen.[35]

Die im Protokoll angesprochene Absicht Heydrichs, einen „Entwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Belange im Hinblick auf die Endlösung der europäischen Judenfrage“ anzufertigen und diesen Göring zuzuleiten, wurde nicht verwirklicht.[36]

Historische Verarbeitung

Das Protokoll als Quelle

Das von Eichmann stenografisch erstellte Protokoll wurde von Müller und Heydrich mehrfach überarbeitet. Von der Endfassung wurden insgesamt 30 Exemplare ausgestellt, die als „Geheime Reichssache“ gestempelt und dann an die Teilnehmer bzw. ihre Dienststellen versandt wurden.

Davon wurde bis heute nur das 16. Exemplar, das des Konferenzteilnehmers Martin Luther, aufgefunden. Robert Kempner entdeckte es während der Vorbereitungen für den „Wilhelmstraßen-Prozess“ in Nürnberg in Geheimakten des Auswärtigen Amtes. Offenbar entging es nur deshalb der Vernichtung, weil Luther wegen eines Putschversuchs gegen Außenminister Joachim von Ribbentrop im KZ Sachsenhausen inhaftiert war und deshalb Aktenmaterial zur Vorbereitung seines Prozesses in Berlin-Lichterfelde ausgelagert war.

Auch wenn hier noch kein umsetzungsfähiger Gesamtplan für die „Endlösung“ vorlag, so ist das Protokoll ein Schlüsseldokument für die Organisation des Völkermordes. Holocaustleugner versuchen darum, das Dokument als Fälschung zu „entlarven“. Dabei greifen sie oft auf ein Buch Robert Kempners zurück,[37] in dem dieser in angreifbarer Weise Faksimiles mit Abschriften vermischt hat, ohne indes den Text selbst inkorrekt wiedergegeben zu haben. Der Historiker Norbert Kampe hat diese Fälschungsvorwürfe entkräftet.[38]

Das Protokoll ist nach Eichmanns Aussagen in seinem Prozess in Jerusalem 1961 eine „inhaltlich genaue Wiedergabe der Konferenz“. Eichmanns Aussagen widersprechen dem Konferenzprotokoll jedoch in manchen Punkten, besonders in Bezug auf die Bedeutung seiner eigenen Person bei der Konferenz. Die von ihm angegebene Dauer der Erörterungen von etwa anderthalb Stunden gilt jedoch als unstrittig.

Einordnung

Der erhaltene Protokolltext dokumentiert die Absicht zur Ermordung aller europäischen Juden, das prinzipielle Einverständnis und die effektive Beteiligung des nationalsozialistischen Staatsapparates am Völkermord. Die Formulierung „entsprechend behandelt“ in Eichmanns Wiedergabe des Einleitungsreferats von Heydrich wird als typische Tarnfloskel für die Ermordung der die Zwangsarbeit überlebenden Juden gesehen, da der Kontext keinen anderen Schluss zulässt (vgl. Sonderbehandlung). Nach Aussage Eichmanns in seinem Prozess war die tatsächliche Sprache unmissverständlich: Es wurde vom Töten und Eliminieren und Vernichten gesprochen.[39][40]

Über welche Tötungsvarianten gesprochen wurde, ist unter Fachhistorikern umstritten. Aus den zuvor angelaufenen Vernichtungsaktionen und dem Konferenzprotokoll selbst leiten die meisten ab, dass zuvor von höchster Stelle entschieden worden war, die Mordaktionen nunmehr zu einem systematischen Völkermord auszuweiten, denen unterschiedslos alle europäischen Juden zum Opfer fallen sollten.[41] Im Zahlenmaterial für die Gesamtplanung waren die Juden aus England und den nordafrikanischen Kolonialgebieten Frankreichs und Spaniens aufgeführt: Deren Einbeziehung war angesichts der damaligen für die Nationalsozialisten ungünstigen Kriegsentwicklung unrealistisch.

Peter Longerich kommt zu dem Ergebnis, es habe auch nach der Konferenz keinen festen Plan gegeben, in welchen Zeiträumen und mit welchen Mitteln der Völkermord durchgeführt werden sollte. Jedoch lasse sich nachweisen, dass danach „die Deportationen auf den gesamten deutschen Raum ausgedehnt wurden“ und ein „umfassendes Zwangsarbeitsprogramm“ zu greifen begann.[42]

Thomas Sandkühler stellt als entscheidende Auswirkung heraus, dass bis zur Konferenz in Ostgalizien von den Nazis als „arbeitsunfähig“ eingestufte Jüdinnen und Juden ermordet wurden. Erst danach habe der Mordbefehl für alle Juden außer den ganz wenigen in der Erdölindustrie als unentbehrlich deklarierten Juden gegolten. [43]

Die Wannseekonferenz war eine bürokratische Klärung der Zuständigkeiten beteiligter Stellen und des zu ermordenden Personenkreises: Dies setzte eine irgendwie geartete Beschlussfassung zur „Endlösung der Judenfrage“ bereits voraus. Ein derartiger Beschluss konnte auf keinen Fall durch untergeordnete Personen, sondern nur auf allerhöchster Ebene gefasst werden. Erst daraufhin sollte nun die Federführung des Reichssicherheitshauptamts festgeschrieben sowie Kooperation und Koordinierung der beteiligten Stellen sichergestellt werden.

Das Haus der Wannsee-Konferenz bezeichnet die verbreitete Annahme, hier sei der europaweite Völkermord beschlossen worden, als „fast nicht mehr revidierbaren Irrtum der Geschichtsschreibung und der Publizistik“. Dennoch ist die Konferenz von großer historischer Bedeutung: Hier wurde der laufende Völkermord koordiniert und den höchsten Beamten aller wichtigen Ministerien zur Kenntnis gebracht, in denen anschließend zahlreiche Personen als „Schreibtischtäter“ organisatorische Unterstützung leisteten.[44]

Strafverfolgung nach 1945

Ein Drittel der Konferenzteilnehmer überlebte den Krieg nicht. Heydrich verstarb 1942 an den Folgen eines Attentats, Roland Freisler kam bei einem Bombenangriff ums Leben, Rudolf Lange und Alfred Meyer verübten Suizid. Martin Luther verstarb im Frühjahr 1945 an den Folgen seiner Haft im KZ Sachsenhausen. Heinrich Müller gilt als verschollen.

Noch vor Entdeckung des Protokolls der Wannseekonferenz wurden zwei Teilnehmer wegen verübter Kriegsverbrechen hingerichtet. Eberhard Schöngarth wurde 1946 vom britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet, weil er persönlich die Erschießung eines Kriegsgefangenen angeordnet hatte. Josef Bühler wurde 1946 in Krakau zum Tode verurteilt. Wilhelm Kritzinger verstarb 1947 vor Eröffnung des Wilhelmstraßen-Prozesses, 1948 starb Erich Neumann.

Falls es überhaupt zu Verurteilungen kam, dann wurden anderen Tatbestände als die Konferenzteilnahme im Urteil angeführt. Zur Einstellung der Verfahren kam es bei Georg Leibbrandt (1950) und Gerhard Klopfer (1962). Beide waren 1949 aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Otto Hofmann war 1948 im Nürnberger Folgeprozess gegen das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt worden, wurde aber 1954 aus der Justizvollzugsanstalt Landsberg entlassen. Wilhelm Stuckart wurde im Wilhelmstraßenprozess zu einer Strafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt, kam aber schon 1949 frei, da die Internierungshaft angerechnet wurde.

Adolf Eichmann floh nach dem Krieg nach Argentinien, wurde dort aber von einem Kommando des israelischen Geheimdienstes Mossad entführt, nach Israel gebracht und 1962 nach einem Aufsehen erregenden Prozess in Jerusalem hingerichtet.

Das Konferenzgebäude als Gedenkstätte

Paul Baumgarten plante und baute die großbürgerliche Villa Marlier, Adresse „Große Seestraße 19a“, für den Fabrikanten Ernst Marlier 1914/1915. Das Gebäude galt als sein luxuriösester Bau und gehörte damals zur Gemeinde Wannsee, heute ein Ortsteil des Bezirk Steglitz-Zehlendorf. 1921 verkaufte Marlier das Anwesen an Friedrich Minoux, damals Generaldirektor im Stinnes-Konzern (daher auch der Name „Minoux-Villa“). 1929 erhielt es im Zuge der Umnummerierung der Straße die Hausnummer 56–58. Seit dem 8. April 1933 heißt die Straße Am Großen Wannsee. Wegen angeblicher Unterschlagungen wurde Minoux im Mai 1940 verhaftet. Aus der Haft heraus verkaufte er Villa und Grundstück zum damals marktüblichen Preis von 1,95 Millionen Reichsmark an die Stiftung Nordhav, die in Wirklichkeit für den SS-Sicherheitsdienst (SD) Grundstücksgeschäfte abwickelte.

Ab 1940 ließ die SS die Außenanlage durch Zwangsarbeiter im „geschlossenen jüdischen Arbeitseinsatz“ bzw. später durch osteuropäische Zwangsarbeiter pflegen. Als Gästehaus der Sicherheitspolizei übernachteten hier hohe SS-Offiziere, Führer von Einsatzkommandos oder befreundete ausländische Geheimdienstchefs. Im Oktober 1944 verlegte der Inlands-SD unter O. Ohlendorf und gegen Kriegsende auch Gestapo-Chef Heinrich Müller sein Hauptquartier in die Villa.

Nach Kriegsende nutzte die Rote Armee, später die US-Armee das Anwesen. Zeitweise stand es leer, sodass die Einrichtung nicht überliefert ist. Ab 1947 zogen die Berliner SPD und der Bezirk Neukölln ein und nutzten das Haus als Schullandheim.

1966 gründete der Historiker Joseph Wulf, der das KZ Auschwitz überlebt hatte, einen Verein zur Erforschung des Nationalsozialismus. Das Gebäude sollte als Dokumentationszentrum umgewidmet und vom Verein genutzt werden. Der Plan blieb lange umstritten; erst 1988 wurden Villa und Garten nach denkmalschützerischen Gesichtspunkten und für die Nutzung als Gedenkstätte rekonstruiert. 1992 wurde die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in den Räumen der Villa eröffnet. Im Erdgeschoss des Hauses informiert die Dauerausstellung „Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden“ über den Prozess der Ausgrenzung, Verfolgung, Vertreibung, Ghettoisierung und Vernichtung der Juden im deutschen Einflussbereich zwischen 1933 und 1945. Nach Umbau und Überarbeitung wurde im Januar 2006 eine neue Dauerausstellung eingeweiht.

Künstlerische Verarbeitung

Romane

Leslie Kaplan beschreibt in Fever die Bedeutung der Konferenz für Eichmanns Aufstieg in fiktiver Form. Demnach habe Eichmann sich eingebildet, dass das Zusammensitzen mit Heydrich für ihn ein Karrieresprung sei. Im Roman ist der erhoffte berufliche Aufstieg ein wichtiger Grund, dass Eichmann an den Massenverbrechen des Holocaust mitwirkte. Es habe sich dabei also um Morde ohne eigentliches Motiv gehandelt.

Robert Harris zeichnet in seinem Roman Vaterland die Vision, dass Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat und über ganz Europa herrscht. Die Juden sind aus dem gesamten Einflussgebiet verschwunden und ihre Existenz ist in der Bevölkerung eine verblassende, unausgesprochene Erinnerung. Wenige Tage vor dem 75. „Führergeburtstag“ Hitlers beginnt eine Mordserie an ehemaligen Nazigrößen. Nach und nach deckt der ermittelnde Kriminalpolizist auf, dass die Mordopfer die überlebenden Mitwisser des totgeschwiegenen Verschwindens der Juden sind. Der Roman beleuchtet dabei besonders die Heimlichkeit der Konferenz und die wenigen verbleibenden Belege.

Schauspiel

Paul Mommertz schrieb 1984 das Bühnenstück Die Wannseekonferenz. Er verwendete das Eichmannprotokoll, Aussagen Eichmanns in seinem Prozess und briefliche Dokumente für möglichst realistische Dialoge. Das Stück dauert – wie die Konferenz – 90 Minuten und bezieht seine Wirkung aus der technokratischen Kälte, mit der die Beteiligten den geplanten Massenmord an 11 Millionen Menschen als rein logistisches Problem verhandeln:[45]

„Beklemmend und authentisch schildert das Stück die Bürokratie und den Verwaltungsapparat des Terrors. Der funktionale Mensch delegiert sein Gewissen an die befehlsgebende vorgesetzte Stelle. Die Herren trinken Kaffee und Cognac, es herrscht eine lockere Atmosphäre, es wird gelacht, gescherzt und über die Endlösung diskutiert […] Das Grauen drückt sich durch die Normalität aus, die Selbstverständlichkeit und auch die Gewissheit richtig zu handeln, einen Auftrag zu erfüllen im Sinne der privilegierten Rasse. Sie sprechen völlig offen über die verschiedenen effektivsten Techniken des Massenmords. Die Zuschauer erwarten sich Monster und treffen auf 15 intelligente Männer, die ihnen in erschreckender Weise manchmal sogar sympathisch sein werden.“

Das Stück wurde im Volkstheater Wien uraufgeführt; weitere Aufführungen z. B. unter der Regie von Peter Sodann in Halle (Saale). Im September und Oktober 2003 wurde das Stück im Rahmen der Landesausstellung „Wert des Lebens“ von Isolde Christine Wabra inszeniert und im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim zehn mal aufgeführt.

Das Stück diente auch als Drehbuch für den gleichnamigen Film.

Siehe auch

Filmische Rezeptionen

Die Wannseekonferenz ist Thema von zwei Spielfilmen. 1984 erschien zunächst eine Fernsehversion des Schauspiels von Paul Mommertz unter der Regie von Heinz Schirk: Die Wannseekonferenz. Dietrich Mattausch spielte darin Heydrich, Gerd Böckmann spielte Eichmann. Der Film wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Adolf-Grimme-Preis. 1987 folgte die Kinoversion.[46]

Frank Pierson war Regisseur des englischsprachigen Films Conspiracy (USA/GB, 2001, auf Deutsch als Die Wannseekonferenz). Auch dieser Spielfilm dauert wie die historische Zusammenkunft 85 Minuten und basiert auf deren Protokoll. Da dieses jedoch keine wörtliche Rede wiedergibt, sind die Dialoge rekonstruiert und deshalb historisch nicht belegt. Der von Piersons Produktion ursprünglich angestrebte dokumentarische Charakter wurde nicht erreicht, da die Umsetzung dramaturgisch überarbeitet wurde. Hinweise der Gedenkstätte, der das Drehbuch vor Drehbeginn vorlag, auf unbelegte Details wurden nicht verarbeitet. So ist in der Verfilmung, die am Ort der Konferenz gedreht wurde, Kritzinger als Zweifler dargestellt: Dies deckt sich nicht mit den überlieferten historischen Fakten.

Neben diesen Verfilmungen war die Wannseekonferenz in einer Szene der vierteiligen TV-Serie Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß dargestellt, allerdings nur mit den Teilnehmern Heydrich und Eichmann.

Literatur

  • Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Hrsg): Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Katalog der ständigen Ausstellung. Berlin 2006 ISBN 3980851745 (Faksimile aller Exponate sowie Kommentare) Englische Version, ebd. The Wannsee Conference and the Genocide of the European Jews ISBN 3980851753
  • Christian Gerlach: Die Wannsee-Konferenz, das Schicksal der deutschen Juden und Hitlers politische Grundsatzentscheidung, alle Juden Europas zu ermorden. In: derselbe, Krieg, Ernährung, Völkermord. Deutsche Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg S. 79–152. Pendo, Zürich & München 2001, ISBN 3858424048 (zuerst in Werkstatt Geschichte H. 18, 6. Jg., November 1997), Rezension von Götz Aly
  • Wolf Kaiser: Die Wannsee-Konferenz. SS-Führer und Ministerialbeamte im Einvernehmen über die Ermordung der europäischen Juden. in: Heiner Lichtenstein & Otto R. Romberg (Hrsg.): Täter – Opfer – Folgen. Der Holocaust in Geschichte und Gegenwart. 2. Auflage, Bonn 1997, S. 24–37, ISBN 3893312579
  • Peter Longerich: Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942. Planung und Beginn des Genozids an den europäischen Juden. Edition Hentrich, Berlin 1998, ISBN 3894682507
  • Peter Longerich: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung. München 1998, ISBN 3492037550 (Kapitel VI D)
  • Kurt Pätzold und Erika Schwarz: Tagesordnung Judenmord. Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942, Metropol, Berlin 1998, ISBN 3926893125
  • Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz. Wie die Bürokratie den Holocaust organisierte. Ullstein, München & Berlin 2002, ISBN 3548364039 (Rezension von Peter Longerich)
  • Johannes Tuchel: Am Großen Wannsee 56–58. Von der Villa Minoux zum Haus der Wannsee-Konferenz (Reihe: Publikationen der Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ Bd. 1), Edition Hentrich, Berlin 1992, ISBN 3894680261

Weblinks

Dokumente
Historische Darstellungen
Filme

Einzelnachweise

  1. Max Domarus: Hitler – Reden und Proklamationen. Band 2, Würzburg 1963, S. 1937.
  2. zitiert nach Ralf Georg Reuth: Goebbels. München Zürich 1990, ISBN 3-492-03183-8, S. 491
  3. Brief Görings an Heydrich: Auftrag zur Endlösung.
  4. Guido Knopp: Holokaust. Goldmann 2001, ISBN 344215152X, S. 139.
  5. Christian Gerlach: „Die Wannsee-Konferenz, das Schicksal der deutschen Juden und Hitlers politische Grundsatzentscheidung, alle Juden Europas zu ermorden“, in: Christian Gerlach: Krieg, Ernährung Völkermord. Deutsche Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg. Zürich/München 2001, ISBN 3-8584-2404-8.
  6. Hans Mommsen: Auschwitz, 17. Juli 1942. Der Weg zur europäischen „Endlösung der Judenfrage. München 2002, ISBN 3-423-30605-X, S. 163 – Vgl. Peter Longerich: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, Kapitel „Die vier Eskalationsstufen…“, München 1998, ISBN 3-492-03755-0.
  7. Christopher Browning: Die Entfesselung der „Endlösung“ : nationalsozialistische Judenpolitik 1939–1942. München 2003, ISBN 3-549-07187-6, S. 536f; Götz Aly: „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden. Frankfurt am Main 2005, S. 358f; zusammenfassend: Michael Kißener: „Das Dritte Reich“, in: Kontroversen um die Geschichte. Darmstadt 2005, ISBN 3-534-14726-X, S. 30ff.
  8. Michael Kißener: „Das Dritte Reich“, in: Kontroversen um die Geschichte. Darmstadt 2005, ISBN 3-534-14726-X, S. 29.
  9. Ruth Bettina Birn: Die Höheren SS- und Polizeiführer. Düsseldorf 1986, ISBN 3-7700-0710-7, S. 168 ff.
  10. Dieter Pohl: „Die Ermordung der Juden im Generalgouvernement“, in: Ulrich Herbert (Hrsg.): Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939–1945. 4. Auflage, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-596-13772-1, S. 98–122.
  11. Hans Mommsen: Auschwitz, 17. Juli 1942. Der Weg zur europäischen „Endlösung der Judenfrage. München 2002, ISBN 3-423-30605-X, S. 113 und 150.
  12. Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, 9. Auflage 1999, ISBN 359624417X, S. 310ff.
  13. Hermann Kaienburg: „Jüdische Arbeitslager in der ‚Straße der SS‘“, in: Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 11 (1996), S. 13–39.
  14. Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, 9. Auflage 1999, ISBN 359624417X, S. 222ff.
  15. Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, 9. Auflage 1999, ISBN 359624417X, S. 368.
  16. Ruth Bettina Birn: Die Höheren SS- und Polizeiführer. Düsseldorf 1986, ISBN 3-7700-0710-7, S. 175.
  17. a b Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, 9. Auflage 1999, ISBN 359624417X, S. 370.
  18. Dieter Pohl: Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit 1933–1945. ISBN 3-534-15158-5, S. 86.
  19. Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, 9. Auflage 1999, ISBN 359624417X, S. 371.
  20. Dieter Pohl: Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit 1933–1945. ISBN 3-534-15158-5, S. 83.
  21. 1. Einladung Heydrichs an Hofmann (falsch buchstabiert mit doppeltem F), Seite 1; PDF.
  22. 1. Einladung, Seite 2; PDF.
  23. Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Hrsg.): Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Berlin 2006, ISBN 3-9808517-4-5, S. 94.
  24. Christian Gerlach: Krieg, Ernährung Völkermord… Deutsche Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg…, Zürich/München 2001, S. 116.
  25. 2. Einladung Heydrichs an Hofmann (diesmal richtig buchstabiert); PDF.
  26. Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Hrsg.): Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Berlin 2006, ISBN 3-9808517-4-5, S. 90.
  27. Christian Gerlach: Krieg, Ernährung, Völkermord… Hamburg 1998, S. 116 f.
  28. Organigramm der Konferenzteilnehmer: Rang, Funktion, Fotos; PDF.
  29. Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz. Wie die Bürokratie den Holocaust organisierte. München/Berlin 2002, ISBN 3-548-36403-9, S. 95.
  30. Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Hrsg.): Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Berlin 2006, ISBN 3-9808517-4-5, S. 84.
  31. Analyse der Zahlen bei Götz Aly: „Endlösung“. 3. Aufl. Frankfurt/M 2005, S. 299ff.
  32. Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz. Wie die Bürokratie den Holocaust organisierte. München/Berlin 2002, ISBN 3-548-36403-9, S. 144.
  33. Beate Meyer: „Jüdische Mischlinge“, Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945. Hamburg 1999, ISBN 3-933374-22-7, S. 12.
  34. Ursula Büttner: „Die Verfolgung der christlich- jüdischen ‚Mischfamilien‘“, in: Ursula Büttner: Die Not der Juden teilen. Hamburg 1988, ISBN 3-7672-1055-X, S. 63.
  35. Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz. Wie die Bürokratie den Holocaust organisierte. München/Berlin 2002, ISBN 3-548-36403-9, S. 139ff.
  36. Hans Mommsen: Auschwitz, 17. Juli 1942. Der Weg zur europäischen „Endlösung der Judenfrage. München 2002, ISBN 3-423-30605-X, S. 163.
  37. Robert M. W. Kempner:Eichmann und Komplizen. Zürich u. a. 1961.
  38. Norbert Kampe: „Überlieferungsgeschichte und Fälschungsvorwurf…“, in: Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz. Wie die Bürokratie den Holocaust organisierte. München/Berlin 2002, ISBN 3-548-36403-9, S. 157 f; Faksimiles auch bei Wikisource.
  39. Peter Longerich: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung. München 1998, ISBN 3-492-03755-0, S. 712, Anm. 238.
  40. Video auf www.youtube.com.
  41. Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Hrsg.): Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Berlin 2006, ISBN 3-9808517-4-5, S. 99.
  42. Peter Longerich: Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942. Planung und Beginn des Genozids an den europäischen Juden. Edition Hentrich, Berlin 1998, ISBN 3894682507, S. 32.
  43. Thomas Sandkühler: „Endlösung“ in Galizien. Der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz 1941–1944. Dietz Verlag, Bonn 1996, ISBN 3801250229, S. 421.
  44. Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Hrsg.): Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Berlin 2006, ISBN 3-9808517-4-5, S. 100.
  45. Paul Mommertz: Die Wannseekonferenz, Inhaltsangabe.
  46. Infafilm: Die Wannseekonferenz (1984)

52.43291666666713.1655277777787Koordinaten: 52° 25′ 58,5″ N, 13° 9′ 55,9″ O


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