Helmtherapie

Helmtherapie

Der Ausdruck Helmtherapie bezeichnet eine konservative (nicht operative) Behandlung kindlicher Schädeldeformitäten. Diese Kopfverformungen können geburts- oder lagerungsbedingt sein.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

Ursachen für eine kindliche Schädeldeformität können zum einen ein frühzeitiger Verschluss der Schädelnähte (prämature Nahtsynostosen) und zum anderen Lagerung oder Geburt des Babys sein. So werden Kopfdeformitäten unterschieden in synostotische und nichtsynostotische Kopfverformungen. Erstere treten mit einer Häufigkeit von etwa 1 : 2.500 Geburten und haben einen frühzeitigen Verschluss der Schädelnähte (sogenannte prämature Nahtsynostose) zur Ursache. Dies kann zu recht unterschiedlichen, teils bizarren Schädelformen führen und tritt auch im Rahmen umschriebener Fehlbildungssyndrome (z. B. Crouzon-Syndrom, Apert-Syndrom) auf. Solche Kopfverformungen sind schon von Geburt an vorhanden und prägen sich danach immer mehr aus. Hier ist meist eine operative Korrektur notwendig.

Im Gegensatz dazu sind bei den häufiger auftretenden nichtsynostotischen Verformungen die Schädelnähte (Sutur) offen, so dass das Gehirn keinen Platzmangel erleidet. Es besteht keine vorzeitige Verknöcherung. Diese Kopfdeformitäten entstehen meist durch äußere Einflüsse, wie z. B. Enge im Mutterleib bei Zwillingsgeburten oder sie sind geburts- oder lagerungsbedingt (positional plagiocephaly). Seit 1994 wird weltweit von zahlreichen kinderärztlichen Vereinigungen die Rückenlagerung der Kinder zur Vermeidung des plötzlichen Kindstodes empfohlen. Durch einseitige Lagerung der Babys wird ein Hauptteil der Verformungen verursacht. Darüber hinaus kann es dadurch zu muskulären Imbalancen im Halsbereich kommen, die zu Zwangshaltungen führen. Solche Zwangshaltungen können sich ungünstig auf das Schädelwachstum des Kindes auswirken. Schließlich kann dies zu einer Verschiebung der Schädelbasis führen, welche an einer unterschiedlichen Position der Ohren und weiteren Gesichtsasymmetrien erkennbar ist. Ein ungleichmäßiges Kopfwachstum kann sich auch auf das Kieferwachstum auswirken.

Diagnose

Durch die sichtbaren Deformierungen kann in den meisten Fällen eine Diagnose ohne eingreifende Untersuchungen, wie das Anfertigen von Röntgenbildern, gestellt werden. So erkennt man eine synotostotische Verformung aus der Vogelperspektive betrachtet an einer trapezförmigen Kopfform. Eine lagebedingte Kopfverformung hingegen erkennt man an einer parallelogrammförmigen Verschiebung.

Therapie

Zur Behandlung der sehr seltenen frühzeitigen Verknöcherung der Schädelnähte bei Babys, einer prämaturen Nahtsynostose, kommt eine frühzeitige operative Korrektur als Therapiemaßnahme in Frage.

Risikofaktoren für die Entstehung eines lagebedingten Plagiozephalus sind:

  • männliches Geschlecht
  • erstgeborenes Kind
  • einseitige Schlaf- und Fütterungshaltung
  • Standort des Kinderbettes
  • Bauchlage seltener als dreimal pro Tag
  • verzögerte motorische Entwicklung

Im Gegensatz dazu können die häufigen lagebedingte Deformitäten erst einmal durch intensive krankengymnastische Übungsbehandlungen behandelt werden. Da der Schädel unmerklich wächst, ist eine Therapiedauer von mindestens zwei Monaten bei einem Physiotherapeuten obligat (wird vom Kinderarzt verordnet). Durch die sogenannte „tummy time“ (Zeit auf dem Bauch) können Eltern ebenfalls zur Normalisierung der Schädelverformung beitragen: der wache Säugling wird in Bauchlage auf den Bauch eines Elternteiles gelagert und spielerisch angespornt das Köpfchen zu heben, um Blickkontakt aufzunehmen. Bei dieser Übung wird mehrmals täglich die Hals-, Nacken- und Schultermuskulatur gekräftigt und der Hinterkopf wird entlastet. Gerade die betroffenen Kinder können sich anfangs nicht mit der für sie wichtigen Bauchlagerung anfreunden. Der schlafende Säugling wird natürlich nur in Rückenlage gelagert. Parallel zu diesen Bemühungen gilt es, die Lage des Kinderbettes und interessanter Gegenstände im Kinderzimmer so zu verändern, dass der Säugling andere Positionen als gewohnt einnehmen muss, um diese interessanten Dinge in sein Blickfeld zu bekommen. Auch hierdurch wird der Hinterkopf an anderen Stellen als zuvor belastet.

Hieraus wird deutlich, dass eine vorbestehende Lageasymmetrie oder Vorzugshaltung zu einer Verformung des Schädels führen kann. Auf der anderen Seite kann aber auch die Abflachung des Schädels – wenn sie erst einmal entstanden ist – die Ausbildung einer Tonusasymmetrie (d. h. nicht seitengleiche Muskelspannung in einzelnen Muskelgruppen) und einseitig gesteigerter kindlicher Reflexe begünstigen. Hier wird insbesondere eine Zunahme der Ausprägung des sog. asymmetrisch-tonischen Nackenreflexes (ATNR) gesehen. Diese neuromuskuläre Imbalance kann den lagebedingten Plagiozephalus noch unterhalten, solange das Kind überwiegend auf dem Rücken gelagert wird. Viele dieser Kinder werden dann unter der Diagnose „muskulärer Schiefhals“ oder „KISS-Syndrom“ einer für die lagebedingte Schädeldeformität nicht adäquaten Behandlung („Einrenken“, Craniosacraltherapie) zugeführt.

Sollte sich trotz dieses Maßnahmenpaketes die Schädelform bis zum 5. bis 6. Lebensmonat nicht verändern, kann nach Rücksprache mit dem Kinderarzt eine Kopfhelmtherapie begonnen werden. Diese nutzt das eigene kindliche Kopfwachstum aus. Die Korrektur der Schädeldeformität gelingt nicht durch das Hineindrücken der ausgeprägten Bereiche, sondern dadurch, dass diese Stellen am Wachsen gehindert werden. Gleichzeitig wird das eigene kindliche Kopfwachstum für abgeflachte Stellen genutzt. Der Helm oder die Kopforthese besteht aus leichtem Kunststoff und wird entsprechend der idealen Kopfform des Kindes angefertigt.

Während der Behandlung wird das Kopfwachstum nicht eingeschränkt. Bei Wundsein und Druckstellen (oft im Bereich der Nieten oder Verschlüsse) ist der Verordner zu kontaktieren. Insgesamt folgt das Kopfwachstum streng dem natürlichen (percentilen) Verlauf. Da das Wachstum in den ersten 15 Lebensmonaten eines Menschen am größten ist, sollte die Kopfhelmtherapie in dieser ersten Lebensphase durchgeführt werden. Starke Deformitäten lassen sich idealer Weise in den ersten sechs Lebensmonaten beheben.

Der Kopfhelm muss 23 Stunden am Tag getragen werden, um einen guten Erfolg zu erzielen. In der freien Stunde muss er täglich gründlich gereinigt werden. Nebenwirkungen wie wunde Hautstellen oder Nekrosen sind beschrieben worden. Die Behandlung dauert abhängig von der Ausprägung und dem Alter des Kindes bei Behandlungsbeginn zwischen acht Wochen und acht Monaten. Befürworter der Helmtherapie geben an, dass ein einmal erzieltes Ergebnis ein Leben lang fortbestehe.

Kosten

Die Therapiekosten belaufen sich auf 1.300–2.500 € für die Kopfhelmtherapie.

  • Es dürfen die gesetzlichen Krankenkassen – entsprechend Vorgaben im Sozialgesetzbuch V – nicht im Nachhinein die Kosten für einen Kopfhelm erstatten, wenn dieser von den Eltern in Eigenregie angeschafft wurde. Es sei denn, die Übernahme der Kosten wurde vorher durch die Krankenkasse zu Unrecht abgelehnt. In diesem Fall können die Kosten im Nachhinein geltend gemacht werden.
  • Bisher liegt keine höchstrichterliche Rechtsprechung bezüglich der Verpflichtung zur Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen vor.

Kritik

Positive Leitlinienempfehlungen der kinderärztlichen Fachgesellschaften zur Kopf-Helmtherapie existieren bislang nicht. Auch gibt es keinen Nachweis, dass die Kopf-Helmtherapie sich mögliche Bewegungsstörungen der Halswirbelsäule positiv auswirkt.

Literatur

  • Christoph Blecher: Nicht alles wächst sich aus. In: Österreichische Hebammenzeitung 02(2008), Seite 22-24
  • Argenta LC, David LR, Thompson J.: Clinical Classification of positional plagiocephaly. J Craniofac Surg. 2004 May; 15 (4): 705
  • Martinez-Lage JF, Ruiz-Espejo AM, Gilabert A, Perez-Espejo MA, Guillen-Navarro E.: Positional skull deformities in children: skull deformation without synostosis. Childs Nerv Syst. 2006 Apr; 22 (4): 368–374
  • Argenta LC, David LR, Wilson JA, Bell WO.: An increase in infant cranial deformity with supine sleeping position. J Craniofac Surg. 1996 Jan; 7 (1): 5–11
  • Hummel P, Fortado D.: Impacting infant head shapes. Adv Neonatal Care. 2005, Dec; 5 (6): 329–340
  • Cunningham ML, Heike CL.: Evaluation of the infant with an abnormal skull shape. Curr Opin Pediatr. 2007 Dec; 19 (6): 645–651
  • Kopforthesen (Moldings helmets) zur Behandlung kindlicher Schädeldeformitäten – Prüfung des therapeutischen Nutzens. Sozialmedizinsche Expertengruppe „Hilfsmittel und Medizinprodukte“ SEG 5, 2. September 2005, MDK – MDS 2005
  • Karch D., Boltshauser E., Groß-Selbeck G., Pietz J., Schlack H-G. Manualmedizinische Behandlung des KISS-Syndroms und Atlastherapie nach Arlen: Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie e.V. Kommission zu Behandlungsverfahren bei Entwicklungsstörungen und zerebralen Bewegungsstörungen, 1998
  • Tourountza-Schefels Efterpi, Schefels Joerg: Schädelverformungen im Säuglingsalter, Die Hebamme 2009; 22: 99 - 101, Thieme Verlag
  • Stücker R.S.: Die mit Plagiozephalus assoziierte Säuglingsasymmetrie, Z Orthop Unfall 2009; 147:503 - 512, Thieme Verlag

Weblinks


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