Henker

Henker

Der Scharfrichter (der mit der Schärfe des Schwertes Richtende), ein besonderer Beruf, vollstreckt seit dem Mittelalter die Todesstrafe; heute synonym dazu wird die Bezeichnung Henker verwendet (ursprünglich der Vollstrecker einer Hinrichtung durch „Henken“).

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Hinrichtung von Seeräubern in Hamburg, 1573
Der italienische Henker "Mastro Titta" bietet einem Verurteilten eine Prise Schnupftabak an. 19. Jh.
Hinrichtung durch Scharfrichter
Henkerslohn
Scharfrichter bei der Vorbereitung
Schwert eines Scharfrichters, Deutschland, 17. Jahrhundert
Sinnspruch auf einem Richtschwert

In den alten europäischen Volksrechten (sächsisches Recht Sachsenspiegel, Lex Salica u. a.) wurde die Hinrichtung durch einen der Richter, oft den jüngsten, oder den Ankläger vollzogen. Auch ein Fronbote oder Amtmann (auch Büttel) wird als Hinrichter genannt, dieser erhält allerdings für den Akt der Hinrichtung kein Geld. Vor allem durch die Rezeption des römischen Rechts (Codex Justinianus) im 12. und 13. Jahrhundert trennte sich nach und nach die Rechtsprechung vom Vollzug. Aus dieser Zeit stammt auch das Synonym Nachrichter, welches den Aspekt der nachrichterlichen Urteilsvollstreckung in den Vordergrund stellt.

Da zu Beginn vielfach freigelassene bzw. begnadigte Schwerverbrecher zu der Ausübung des Amtes eines Scharfrichters gleichsam gezwungen wurden, hing von Anfang an diesem Beruf die Aura des Unheimlichen an, was natürlich durch die Art der Tätigkeit noch verstärkt wurde. Als Folge dessen wurde der Scharfrichter von der Gesellschaft gemieden. So mussten Scharfrichter mitsamt Familie, sofern sie verheiratet waren, in einigen Gegenden vor den Toren der Stadt wohnen.

Die erstmalige Erwähnung eines Scharfrichters (carnifex) im Augsburger Stadtrecht von 1276 belegt bereits die Unehrlichkeit des Berufes, denn bereits im alten Rom war der Carnifex unehrlich und verrufen, allein sein Erscheinen auf einer Feier genügte, diese zu entweihen. Im deutschen Reich wurde dieser Beruf aber ambivalent gehandhabt. Auf der anderen Seite ernannte der Kaiser die Scharfrichter und diese standen unter seinem Schutz. Wurde ein Scharfrichter ermordet, wurde die ganze Familie des Täters zu Vogelfreien erklärt.

Doch Scharfrichter waren nicht immer männlichen Geschlechts. So gibt es etwa stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass auch Frauen vom späten Mittelalter an bis ins 19. Jahrhundert vereinzelt als Scharfrichterinnen oder Henkerinnen agierten. Während der Französischen Revolution und danach, etwa bei der öffentlichen Hinrichtung von Frauenmördern in Frankreich, durften sie mitunter mit der Guillotine exekutieren. In Deutschland soll Mitte des 17. Jahrhunderts gar die Frau eines Henkers ihren Mann kurzfristig vertreten und zwei Diebe am Galgen hingerichtet haben.

Aufgaben

Zu den direkten Aufgaben des Scharfrichters gehörte die eigentliche Hinrichtung und die Folter zur Geständniserzwingung als Teil des Gerichtsverfahrens. Auch für die Durchführung von Körper- und Ehrenstrafen war er zuständig. Daneben musste er auch oft weitere unangenehme und geächtete Aufgaben übernehmen − z. B. die Kloakenreinigung, das Abschneiden und die Bestattung von Selbstmördern oder die Aufsicht über die Prostituierten. Oft wurde das Amt des Henkers aus praktischen Gründen mit dem des Abdeckers (andere Bezeichnungen sind Schinder, Racker oder Wasenmeister) zusammengelegt: Die Tierkörperverwertung sorgte für das finanzielle Auskommen des Scharfrichters und die Abdecker-Gehilfen konnten bei einer Hinrichtung assistieren (Henkersknechte).

Scharfrichter überließen das Foltern, das Henken und (seit der Französischen Revolution) die Tötung durch die Guillotine oft auch ihren Gehilfen und übernahmen nur die Aufsicht. Die Enthauptung mit dem Schwert oder dem Henkersbeil (Handbeil) wurde jedoch vom Scharfrichter selbst durchgeführt, da hierfür Geschick notwendig war: Der Kopf sollte nach Möglichkeit mit nur einem Schlag vom Rumpf getrennt werden. Gelang das nicht, konnte der Scharfrichter selbst zum Opfer von Lynchjustiz werden.

Gesellschaftliche Stellung

Den Söhnen von Scharfrichtern stand praktisch kein anderer Berufsweg offen. Ihre Töchter konnten nur in diesen Kreisen heiraten und halb verrufenen Tätigkeiten (Wahrsagen, Liebes- und Schadenszauber, magischen oder Naturheilverfahren) nachgehen. Heinrich Heine ließ erfolgreich durchblicken, sein erstes Liebchen sei aus einer solchen Familie gekommen. So bildeten sich Scharfrichterdynastien, die aufgrund des geschlossenen Heiratskreises vielfältige verwandtschaftliche Verflechtungen aufweisen.

Soziologisch gesehen wurden sie zu einer Kaste, jedoch nicht in einer Kasten-, sondern in einer Ständegesellschaft. Es war bereits sehr schwer für sie, bei der christlichen Taufe Paten zu gewinnen. Dieser „unehrliche“ Beruf hatte allerdings auch weitere Tabus zu befolgen - so war Scharfrichtern beispielsweise ein gesonderter Platz in der Kirche oder auch im Wirtshaus vorgeschrieben. Ebenso war ihnen die Jagd untersagt, ausgenommen der auf Wölfe. Eine der bekanntesten Henkerssippen war die der Sansons, die über vier Generationen die Henker von Paris und einigen anderen französischen Städten stellten.

Scharfrichter hatten auf Grund ihrer Tätigkeit gute medizinische, vor allem anatomische Kenntnisse. Viele nutzten dies, um sich durch chirurgische Tätigkeiten (z. B. das Einrenken von Schultern oder das Heilen von Knochenbrüchen) oder die Verabreichung von Heilmitteln aller Art (darunter nicht selten Salben aus Menschenfett) einen Nebenverdienst zu sichern. Als im 17. 18. Jahrhundert im Zuge der Humanisierung des Strafvollzugs immer weniger Scharfrichter benötigt wurden, wichen viele Angehörige der ehemaligen Scharfrichterdynastien auf verwandte Berufszweige wie Bader, Wundarzt oder Zahnreißer aus. Dies erklärt den ursprünglich großen sozialen Abstand von (hoch geachteten) Ärzten zu (anrüchigen) Chirurgen.

Einer der letzten Scharfrichter Deutschlands war Johann Reichhart (1893-1972). Während der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus vollzog er etwas mehr als 3.000 Hinrichtungen mit der Guillotine, darunter auch die von Hans und Sophie Scholl, Mitgliedern der Widerstandsgruppe Weiße Rose. 156 verurteilte Nazigrößen henkte er nach 1945 im Auftrag der amerikanischen Militärregierung am Galgen.

Der letzte k.u.k. Scharfrichter in Wien war Josef Lang (1855-1925). Er war ein Sonderfall, denn er kam nicht aus einer Scharfrichterfamilie, sondern betrieb vorher − und auch neben seiner Scharfrichtertätigkeit − ein Kaffeehaus in Wien, war als solcher sehr bekannt und beliebt − allerdings wusste zu Beginn niemand über seinen Zweitberuf Bescheid.

Zur Regel wurde der Wiener Sonderfall in der Zeit des Nationalsozialismus, als die meisten Scharfrichterstellen von Personen besetzt wurden, die vorher als Gehilfen anderer Scharfrichter tätig waren und nicht einer Scharfrichterfamilie entstammten. In Deutschland traten spätestens seit 1937 die meisten Scharfrichter als anonyme Personen auf, über deren Tätigkeit in der Öffentlichkeit nahezu nichts bekannt war. Nach außen hin waren sie Justizangestellte, ihre Gehilfen Justizhelfer.

Geheim und anonym waren auch die im Zweitberuf als Scharfrichter tätig gewordenen Personen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

Gegenwart

In Ländern des 21. Jahrhunderts, die die Todesstrafe noch kennen, wie z. B. in den USA, haben sich die Berufsanforderungen des Scharfrichters durch die Hinrichtungswerkzeuge geändert (Elektrischer Stuhl, Gaskammer, Giftspritze). Nach wie vor ist die Ausübung des Berufes dem Sozialprestige abträglich.

Ab ca. Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es nicht nur männliche Scharfrichter, sondern auch Frauen, welche offiziell Todesurteile vollstrecken. So etwa in den Vereinigten Staaten oder in einigen asiatischen Ländern, wo sie Hinrichtungen insbesondere an Frauen oder jüngeren männlichen Todeskandidaten vollziehen.

Hauptberufliche Scharfrichter im eigentlichen Sinne, die Leibesstrafen (Abschlagen der Hand) und Lebensstrafen (Enthaupten) mit dem Schwert bzw. dem Beil vollstrecken, existieren heute noch in einigen islamischen Ländern, in denen nach der Rechtsgebung der Scharia abgeurteilt wird, so vor allem in Saudi-Arabien oder dem Sudan. In diesen Ländern kann (nicht immer) die Rolle des Scharfrichters auch auf deren Wunsch von Angehörigen eines Opfers des Verurteilten, also von Laien, übernommen werden, mit oft extremen Konsequenzen für den Verurteilten in Gestalt einer verlängerten Todesqual. Der Scharfrichter nimmt in diesen Ländern nicht selten auch gemäß der Scharia die zum Teil öffentliche hochtraumatische Amputation von Gliedmaßen mit Beil, Säbel oder (Krumm-)schwert vor, z. B. bei Dieben oder Drogenhändlern.

Siehe auch

Literatur

  • H. Schuhmann: Gestalt und Funktion des Scharfrichters. Jur. Diss. Bonn 1964.
  • Rainer Stegbauer: Der Dieb dem Galgen. Die Entstehung der Hängestrafe als ordentliche Hinrichtungsform im germanischen Recht; Diss. Erlangen-Nürnberg, 1964.
  • A. Keller: „Der Scharfrichter in der deutschen Kulturgeschichte“, Bonn/Leipzig, 1921, Nachdruck Hildesheim 1968.
  • Else Angstmann: Der Henker in der Volksmeinung: seine Namen und sein Vorkommen in der mündlichen Volksüberlieferung, Bonn 1928 (= Teuthonista, Beiheft 1)
  • Johann Caspar Glenzdorf, Fritz Treichel: Henker, Schinder und arme Sünder, 2 Bde., Bad Münder am Deister, 1970.
  • Sergius Golowin: Hexer und Henker im Galgenfeld; Bern (Benteli) 1970.
  • Franz Irsigler/Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt. München 1989. Speziell S. 228-282.
  • Markwart Herzog: Scharfrichterliche Medizin. Zu den Beziehungen zwischen Henker und Arzt, Schafott und Medizin; in: Medizinhistorisches Journal 29 (1994), 309–331.
  • Jutta Nowosadtko: Scharfrichter und Abdecker. Der Alttag zweier „unehrlicher Berufe“ in der Frühen Neuzeit. Paderborn 1994.
  • P. Pechacek: Scharfrichter und Wasenmeister. 2003.
  • Johann Dachs: Tod durch das Fallbeil. Der deutsche Scharfrichter Johann Reichhart (1893−1972), MZ Verlag, Regensburg 1996. ISBN 3927529745
  • Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937 - 1945. Scharfrichter im Dritten Reich. Zwilling-Berlin, Berlin 2008, ISBN 9783000242656.
  • Peter Sommer: Scharfrichter von Bern, Bern 1969
  • Szymon Wrzesiński, Krwawa profesja. Rzecz o katach i ich ofiarach, LIBRON, Kraków (Krakau) 2006. (Funktion des Scharfrichters in Europa)
  • Szymon Wrzesiński, Wspólniczki szatana. Czarownice na ziemiach polskich, EGROS, Warszawa 2007. (Funktion des Scharfrichters in Europa)
  • Eduard Hermann Hoffmann: "Der Ruf nach dem Scharfrichter" Kriminalistik-Verl.

Weblinks


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