Henle-Koch-Postulate

Henle-Koch-Postulate

Die Henle-Koch-Postulate bezeichnen die Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen einem Parasiten und dem entsprechenden Wirt, die mit Hilfe dieser Postulate experimentell überprüft und abgegrenzt werden kann. Der Name der Postulate ergibt sich aus den Arbeiten des Anatomen und Pathologen Jakob Henle (1809–1885) und des Arztes und Mikrobiologen Robert Koch (1843–1910).

Inhaltsverzeichnis

Historische Ableitung

Die Anforderungen der Postulate lassen sich auf Henles Arbeit „Von den Miasmen und Contagien und von den miasmatisch-contagiösen Krankheiten“ aus dem Jahre 1840 zurückführen. Hier formulierte er die Vermutung, dass parasitäre Kleinstlebewesen die Ursache von Infektionen seien, was er aber noch nicht direkt beweisen konnte. Eine weitere Quelle sind Arbeiten Edwin Klebs’ aus den 1870er Jahren. Klebs formulierte den klassischen Dreischritt von Isolieren, Kultivieren, Verimpfen, ohne ihn jedoch für unbedingt erforderlich zu erklären. Robert Koch, der bei Henle in Göttingen studiert hatte, hat diese Postulate nicht in dieser Form in einer Arbeit notiert. Eine Zusammenstellung bestimmter Kriterien bei einer Infektion gab Koch 1884 in einem Aufsatz über Tuberkulose an. Friedrich Loeffler, ein Mitarbeiter von Koch, war es, der 1884 erstmals die drei Schritte als Postulate bezeichnete und durchnumerierte. In seiner Arbeit über den Diphtheriebazillus formulierte er wie folgt:

„Wenn nun die Diphtherie eine durch Mikroorganismen bedingte Krankheit ist, so müssen sich auch bei ihr jene drei Postulate erfüllen lassen, deren Erfüllung für den strikten Beweis der parasitären Natur einer jeden derartigen Krankheit unumgänglich notwendig ist:

  1. Es müssen constant in den local erkrankten Partien Organismen in typischer Anordnung nachgewiesen werden.
  2. Die Organismen, welchen nach ihrem Verhalten zu den erkrankten Theilen eine Bedeutung für das Zustandekommen dieser Veränderungen beizulegen wäre, müssen isoliert und rein gezüchtet werden.
  3. Mit den Reinkulturen muss die Krankheit wieder erzeugt werden können.“

Koch selbst variierte seine Methodik häufig und sprach auch nie von Postulaten. Loefflers Postulate bilden aber die Methodik ab, die beide in ihrer gemeinsamen Arbeit über Tuberkulose verwendet hatten. Koch, der dazu ebenfalls 1884 veröffentlichte, stellte aber das Problem und nicht die Lösung in den Mittelpunkt seiner Ausführungen:

„Die auf diesem Wege gewonnenen Tatsachen können möglicherweise schon soviel Beweismaterial liefern, daß nur noch der äußerste Skeptizismus den Einwand erheben kann, dass die gefundenen Mikroorganismen nicht Ursache, sondern eine Begleiterscheinung der Krankheit seien. […] Es gehört deswegen zur vollständigen Beweisführung, daß man sich nicht alleine damit begnügt, das Zusammentreffen der Krankheit und der Parasiten zu konstatieren, sondern daß außerdem direkt diese Parasiten als eigentliche Ursache der Krankheit nachgewiesen werden. Dies kann nur in der Weise geschehen, daß die Parasiten vom erkrankten Organismus vollständig abgetrennt und von allen Produkten der Krankheit […] befreit werden, und daß durch Einführung der isolierten Parasiten in den gesunden Organismus die Krankheit mit allen ihren eigentümlichen Eigenschaften von neuem hervorgerufen wird.“

Auf dem 10. Internationalen Medizinischen Kongress von 1890 in Berlin sprach Koch „Über bakteriologische Forschung“ und kombinierte nun gewissermaßen sich selbst und Loeffler:

„Wenn es sich nun aber nachweisen ließe:

  • erstens, dass der Parasit in jedem einzelnen Falle der betreffenden Krankheit anzutreffen ist, und zwar unter Verhältnissen, welche den pathologischen Veränderungen und dem klinischen Verlauf der Krankheit entsprechen;
  • zweitens, dass er bei keiner anderen Krankheit als zufälliger und nicht pathogener Schmarotzer vorkommt; und
  • drittens, dass er von dem Körper vollkommen isoliert und in Reinkulturen hinreichend oft umgezüchtet, imstande ist, von neuem die Krankheit zu erzeugen;

dann könnte er nicht mehr zufälliges Akzidens der Krankheit sein, sondern es ließe sich in jedem Falle kein anderes Verhältnis mehr zwischen Parasit und Krankheit denken, als dass der Parasit Ursache der Krankheit ist.“

Heute werden diese Postulate nicht mehr in dieser strikten Form gefordert, sie sind aber eine beliebte historische Referenz in infektiologischen Arbeiten.

Moderne Form der Postulate

Im „goldenen Zeitalter der Mikrobiologie“, das auf Louis Pasteurs und Kochs Entdeckungen folgte, galten Kochs Postulate uneingeschränkt. Zahlreiche Infektionskrankheiten wurden entdeckt, Therapien und Impfungen entwickelt. Heute wissen wir jedoch, dass es auch Krankheitserreger gibt, mit denen sich nicht alle Koch’schen Postulate erfüllen lassen. Viren beispielsweise lassen sich auf einfachen Nährmedien nicht kultivieren, ebenso bestimmte Bakterien (Rickettsien, Chlamydien, Treponemen). Andere Erreger wirken auf Tiere anders als auf Menschen, sodass das dritte Postulat verletzt wird (z.B. beim Erreger der Gonorrhoe, Neisseria gonorrhoeae). Andere Erreger wie z.B. das HI-Virus sind überhaupt erst mit modernen molekularbiologischen Methoden nachweisbar geworden. Es war deshalb erforderlich, die „Postulate“ neu zu fassen:

Das erste Postulat betrifft den regelmäßigen, z.B. mikroskopischen Nachweis des Erregers in den Produkten der betreffenden Krankheit. Das zweite Postulat behandelt die Reinzüchtung des Erregers außerhalb des erkrankten Organismus. Das dritte Postulat bestimmt den Nachweis der pathogenen Eigenschaften des reingezüchteten Erregers. Ein heute ergänztes viertes formuliertes Postulat rechnet auch noch den Nachweis immunologischer Erreger-Wirt-Beziehungen dazu.

Erstes Postulat

Das Auffinden des natürlichen Standorts der obligat pathogenen Erreger entspricht dem ersten Postulat. Jeder Erreger besitzt ein bestimmtes Wirtsspektrum bzw. eine bestimmte Gewebe- oder Organaffinität. Pathogene Eigenschaften des Erregers und die Empfindlichkeit des Wirts verhalten sich reziprok zueinander. So bedingt eins das andere und umgekehrt. Die beste Form der gegenseitigen Anpassung ist die Symbiose, das Zusammenleben von Erreger und Wirt mit gegenseitigem Nutzen. Beispielsweise sind Menschen, die Typhusbakterien ausscheiden, gegen die eigenen Keime, die für nichtimmune Personen hochgefährlich sind, immun. Verschiedene Übertragungsmechanismen gewährleisten die Weiterverbreitung bestimmter Erreger, wenn der Wirt und mit ihm der „Standort“ stirbt oder wenn die Parasiten der Wirtsabwehr erliegen. Andere Übertragungsmechanismen sind an die weitere Existenz des Standorts gebunden.

Kurz: Der mutmaßliche Krankheitserreger muss immer mit der Krankheit assoziiert sein und darf in gesunden Tieren nicht nachgewiesen werden.

Zweites Postulat

Die Erfüllung des zweiten Postulats stellt besondere Anforderungen an die Arbeit des Nährbodens für die Züchtungsbedingungen. Es sollen die natürlichen Umweltbedingungen des Erregers simuliert und dessen pathogene Eigenschaften erhalten bleiben.

Kurz: Der mutmaßliche Erreger muss in Reinkultur gezüchtet werden.

Drittes Postulat

Das dritte Postulat beruht auf dem Nachweis der pathogenen Eigenschaften des Erregers. Die gesuchten Merkmale müssen mit Labormethoden quantitativ überprüfbar sein. Das Haften und Eindringen, die Vermehrungskraft und Pathogenität sind Eigenschaften, die von der Virulenz, d.h. der Anzahl der notwendigen Erreger, und der Immunität, der Wirtsabwehr abhängig sind. Im Tierversuch wird entweder die Eindringungs- und Vermehrungspotenz der Erreger und bzw. oder deren Pathogenität gemessen. Fehlt die pathogene Wirkung im Tier oder sind die Faktoren derselben im Tierversuch andere als beim Menschen, so ist der Vergleich zwischen der experimentellen Infektion und der des Menschen zweifelhaft.

Kurz: Eine Reinkultur des mutmaßlichen Erregers sollte im gesunden Tier die Krankheit auslösen.

Ergänzung: Viertes Postulat

Das ergänzende vierte Postulat behandelt die immunologische Erreger-Wirt-Beziehung. Hier wird der Krankheitserreger in bezug auf die Fähigkeit definiert, nach dem Eindringen und der Vermehrung das System der weißen Blutzellen (Leukozyten) des Wirtes zur Bildung von Antikörpern zu stimulieren. Antikörper sind Eiweißmoleküle, die durch eine Neusynthese und Freigabe in die Körperflüssigkeiten gegen den ursächlichen Erreger gebildet werden oder schon vorhanden sind. Aufgrund ihrer spezifischen Struktur sind sie fähig, die pathogene Potenz des Erregers, seine Vermehrungskraft bzw. seine Pathogenität, nach der Bindung an den Krankheitserreger oder dessen pathogene Ausscheidungen zu reduzieren bzw. zu neutralisieren. Das Vorhandensein solcher Antikörpermoleküle ist zugleich ein wichtiger Hinweis auf ablaufende oder abgelaufene Kontakte zwischen den Geweben des Wirts und den Krankheitserregern.

Insbesondere ist die Steigerung bzw. die Senkung der messbaren Antikörperwirkungen im Blut des Wirts eine Erkennungshilfe, wenn die Erreger nicht oder schwierig zu züchten sind, wenn Schutzimpfungen geplant und deren Erfolg bestimmt werden sollen oder wenn der Stand der Abwehrbereitschaft und somit die Verbreitung des Erregers in der Bevölkerung untersucht werden sollen.

Kurz: Der Organismus muss reisoliert werden und identisch mit dem ursprünglichen Erreger sein.

Literatur

  • Koch, Robert: „Die Ätiologie der Tuberkulose“, in: Gesammelte Werke von Robert Koch, edited by Julius Schwalbe, Bd 1., Leipzig: Verlag von Georg Thieme, 1912 (1884), S. 467–565.
  • Loeffler, Friedrich: „Untersuchung über die Bedeutung der Mikroorganismen für die Entstehung der Diphtherie beim Menschen, bei der Taube und beim Kalbe“, in: Mittheilungen aus dem kaiserlichen Gesundheitsamte 2 (1884), S. 421–499.
  • Carter, K. Codell: „Koch’s Postulates in Relation to the Work of Jacob Henle and Edwin Klebs“, in: Medical History 29 (1985), S. 353–375.
  • Gradmann, Christoph: „Alles eine Frage der Methode. Zur Historizität der Kochschen Postulate 1840-2000“, in: Medizinhistorisches Journal 43 (2008), S. 121–148.

Siehe auch: Infektionsbiologie,Infektiologie


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