Herzogtum Baltikum

Herzogtum Baltikum

Das Vereinigte Baltische Herzogtum war der kurzlebige Versuch von Baltendeutschen, am Ende des Ersten Weltkriegs 1918 ein deutsch dominiertes staatliches Gebilde auf dem Gebiet der heutigen Staaten Estland und Lettland zu gründen.

Karte der russischen Ostseeprovinzen

Deutsche Baltikumpolitik im Ersten Weltkrieg

Die in Deutschland lebenden Baltendeutschen waren schon seit Beginn des Krieges die Hauptpropagandisten einer Angliederung des Baltikums. Der von einer Gruppe baltischer Emigranten gegründete „Baltische Vertrauensrat“ entwickelte schon vor der Eroberung Kurlands eine rege Agitation für die Vereinigung der deutschen baltischen Provinzen mit Deutschland. Historisch-ideologisch begründet wurde der deutsche Herrschaftsanspruch im Baltikum durch die frühere Herrschaft des Deutschen Ordens.[1]

Im Baltikum war eine Hauptfrage die Form der zukünftigen Organisation − als Union aller Baltenstaaten oder als Vasallenstaaten unter sächsischen, württembergischen oder preußischen Herrschern. Eine andere Hauptfrage war die der deutschen Besiedlung der neuen Gebiete, sah man doch in Kurland die beste Möglichkeit zu einer völligen „Entnationalisierung“, zur „Eindeutschung“ eines eroberten Gebietes.[2] Vorgesehen war, ähnlich wie im „polnischen Grenzstreifen“, durch Ansiedlung von Russlanddeutschen auf russischen Krondomänen, Kirchen- und Großgrundbesitz, neben den Besitzungen der baltendeutschen Aristokratie, die Verdrängung der Letten im eigenen Lande.[3]

Die deutsche Armee eroberte am 3. September 1917 die bis dahin zu Russland gehörende lettische Stadt Riga. Die deutsche Besatzungspolitik bestand aus einem Geflecht von Sicherheitserfordernissen und imperialistischen Herrschaftsansprüchen. Wie bereits zuvor bei der provisorischen russischen Regierung sollte auch die Haltung der deutschen Besatzer von einer weitgehenden Unterschätzung des Nationalitätenproblems bestimmt sein. Während die lettischen Bolschewiki die Vereinigung mit Sowjetrussland wollten, und lettische Sozialdemokraten, Liberale und konservative Bauern für einen unabhängigen Staat eintraten, erstrebten die konservative lettische Volkspartei und ein großer Teil der Deutsch-Balten den Anschluss an das Deutsche Kaiserreich.

Die deutschbaltische Führungsschicht verband sich jedoch eng mit der deutschen Besatzungspolitik. So kämpfte sie nicht nur gegen die Bolschewiki, sondern auch gegen die Errichtung selbstständiger demokratischer baltischer Staaten, die offiziell am 24. Februar 1918 (Estland) und am 18. November 1918 (Lettland) stattfanden. Da sie sich als „Träger der ältesten Kultur im Lande“ sahen, wollten sich ihre Angehörigen auch weiterhin die Führung sichern. Sie versuchten ein einheitliches baltisches Herzogtum zu bilden und wandten sich mit einem Hilfeersuchen an den deutschen Kaiser. Einsprüche der Esten und Letten wurden nicht berücksichtigt. Der Staat in spe wurde undemokratisch organisiert: In den Regierungsinstitutionen sollte die deutsche Minderheit mehr Abgeordnete als die Letten und Esten zusammen haben.

Im Frieden von Brest-Litowsk vom 3. März 1918 verzichtete Sowjetrussland unter anderem auf seine Hoheitsrechte in Kurland, dessen künftige Verhältnisse vom Deutschen Reich im Einvernehmen mit den dortigen Völkern nach dem Selbstbestimmungsrecht gelöst werden sollten. Estland und Livland blieben vorläufig von deutscher Polizeimacht besetzt. Das unter ritterschaftlicher Führung stehende Gremium, das auch als „Vereinigter Landesrat“ bezeichnet wurde, beschloss zudem am 12. April 1918, den Deutschen Kaiser zu bitten, das Baltische Herzogtum unter dem Schutz des Deutschen Reiches zu stellen. Derartige Pläne offenbarten den illusionären Charakter der damaligen deutschen Ostpolitik und der politischen Hoffnungen deutschbaltischer Führungskräfte.

Ausrufung des Herzogtums

Adolf Friedrich zu Mecklenburg (1962)

In Estland und Lettland galt der Obersten Heeresleitung (OHL) die deutschbaltische Elite, vor allem die Ritterschaft, als einzig möglicher Kooperationspartner. Mit estnischen und lettischen nationalen Kreisen arbeitete man nicht zusammen. Die Ritterschaft wollte einen von Russland getrennten einheitlichen baltischen Staat unter ihrer Führung, der die bisherigen Ostseegouvernements umfassen sollte. Der Plan zur Gründung eines selbständigen baltischen Herzogtums, unter Adolf Friedrich zu Mecklenburg, wurde von der Ritterschaft entwickelt und fand die Unterstützung der OHL.[4] Ein Alternativplan zum Vereinigten Baltischen Herzogtum war, aus den Provinzen Estland, Livland und Kurland einen gesamtbaltischen Staat in Personalunion mit Preußen zu bilden.[5]

Im September 1918 erkannte Wilhelm II. die Selbstständigkeit der baltischen Länder (unter deutscher Kontrolle) an, und am 5. November 1918 wurde das Herzogtum in Riga ausgerufen. Adolf Friedrich zu Mecklenburg sollte die Krone des neuen „Vereinigten Baltischen Herzogtums“ tragen. Bis zu seiner Ankunft sollte er von einem am 9. November 1918 von der Ritterschaft gegründeten 10-köpfigen „Regentschaftsrat“ unter Führung des livländischen Landmarschalls, Adolf Pilar von Pilchau als „Reichsverweser“ vertreten werden.[6]

Die Ansiedlungsprojekte und der von den Sozialisten als „romantischer Firlefanz“ und „dynastischer Scherz“ bezeichnete „Export von Prinzen“ als Staatsoberhäupter waren in dieser Zeit des wachsenden Nationalbewusstseins der Letten, Litauer und Esten zum Scheitern verurteilt.[7] Nach dem Ausbruch der Revolution in Deutschland unterschrieb der Generalbevollmächtigte für die besetzten baltischen Länder August Winnig am 19. November 1918 in Riga einen Vertrag mit der Provisorischen Regierung (EPR) von Estland. Aufgrund dieses Vertrages übernahm die EPR die Macht im estnischen Territorium. In Lettland erklärte am 18. November der Lettische Volksrat die Unabhängigkeit des Landes. Als dieser Staat de facto vom Deutschen Reich anerkannt wurde, stellte der Regentschaftsrat seine Tätigkeit am 28. November 1918 ein.

Einzelnachweise

  1. P.Ja. Krupnikov: Zur Baltikum-Politik des deutschen Imperialismus vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1917. In: B.A. Aisin, Willibald Gutsche (Hrsg): Forschungsergebnisse zur Geschichte des deutschen Imperialismus vor 1917. Berlin/DDR 1980, S. 223; und Imanuel Geiss: Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg. München/Wien 1978, S. 103.
  2. Imanuel Geiss: Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg. München/Wien 1978. S. 175 und Werner Basler: Deutschlands Annexionspolitik in Polen und im Baltikum 1914-1918. Berlin/DDR 1962, S. 251 und 324.
  3. Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf 1964, S. 351f.
  4. Toomas Anepaio: Die rechtliche Entwicklung der baltischen Staaten 1918-1940. In: Tomasz Giaro (Hrsg): Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen. Verlag Klostermann, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-465-04017-0, S. 7-30, hier: S. 14f.
  5. Georg von Rauch: Geschichte der baltischen Staaten. DTV, München 1990, ISBN 3-423-04297-4, S. 55.
  6. Toomas Anepaio: Die rechtliche Entwicklung der baltischen Staaten 1918-1940. In: Tomasz Giaro (Hrsg): Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen. Verlag Klostermann, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-465-04017-0, S. 7-30, hier: S. 15.
  7. Bernhard Mann: Die Baltischen Länder in der deutschen Kriegszielpublizistik 1914-1918. Tübingen 1965, S. 128f. Sowie Hans-Erich Volkmann: Die deutsche Baltikumpolitik zwischen Brest-Litovsk und Compiègne. Ein Beitrag zur „Kriegszieldiskussion“, Verlag Böhlau, Köln/Wien 1970, S. 229.

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