Heunisch

Heunisch
Weißer Heunisch. Gut erkennbar ist die lockerbeerige Traube sowie das kaum gebuchtete Blatt.

Heunisch war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine in Mitteleuropa weit verbreitete und wichtige Rebsorte, die als Elternteil vieler unserer heutigen Qualitätsrebsorten erscheint. Die Sorte bringt große Beeren mit dicker Schale hervor und existiert in einer weißen und roten Variante. Die großen Beeren lieferten bei vollem Ausreifen durchaus akzeptable Qualitäten. Heunisch zeichnet sich durch hohe Ertragsmengen aus und ist durch einen späten Austrieb vergleichsweise ertragssicher in Jahren mit spätem Frost. Genanalysen zeigen, dass der Heunisch in Mitteleuropa so verbreitet war, dass mindestens 75 der heute bekannten Rebsorten aus ihm hervorgegangen sind. Durch Kreuzung mit der Burgundertraube oder Vitis vinifera silvestris entstanden Sorten wie Chardonnay oder Riesling[1].

Seit dem Hochmittelalter ist der Heunisch in den deutschen Anbaugebieten weit verbreitet[2]. Die Streuung von Nordost- und Westfrankreich über die Schweiz, Südwestdeutschland bis Osteuropa ist durch die Namenkunde belegt. In französischen Quellen wird der Heunisch seit dem 13. Jahrhundert Gouais Blanc genannt. Philippe de Beaumanoir erwähnt 1283 den roten Heunisch als eine einfache Rebsorte, für die man beim Verkauf nur die Hälfte des Grauburgunders erhält[3]. Als Gwäss wird die französische Bezeichnung in der deutschsprachigen Schweiz entlehnt[4]. Weit verbreitet war der Heunisch in Ost- und Südosteuropa und lieferte hier gute bis sehr gute Qualitäten. In Siebenbürgen wurde aus ihm zum Beispiel der berühmte Cotnari erzeugt[5].

Der Name Heunisch wird oft mit der Bezeichnung "hunnisch", "huntsch" oder "hünsch" in Verbindung gebracht. Zunächst wurde "hunnisch" oder "heunisch" von den Hunnen hergeleitet. Gemeint ist jedoch nicht das Reitervolk der Völkerwanderungszeit, sondern das Volk der Ungarn und ihr Siedlungsgebiet in der pannonischen Ebene, dessen Ausdehnung im Mittelalter wesentlich größer war als der heutige Staat Ungarn. Philip Jacob Sachs schreibt 1661 in seiner Ampelographie, der Heunisch sei zu Beginn des 10. Jahrhunderts von den Hunnen oder den Ungarn während ihrer Raubzüge nach Deutschland gebracht worden[6]. Im isidorischen Glossar Summarium Heinrici taucht die Bezeichnung huniscdrubo auf. Der Text des Isidortext war verderbt. Balanite wurde fälschlich balatine geschrieben, was Heinrich als große Trauben übersetzte. Dass sich der ursprüngliche isidorische Begriff balanin auf die Größe von Eicheln bezog und von Heinrich nicht verstanden wurde, ist in diesem Zusammenhang nebensächlich. Aufschlussreich ist vielmehr, dass Heinrich die großen Trauben mit dem Balaton, dem Plattensee, in Verbindung brachte und entsprechend als huniscdrubo übersetzte. Ihm dürfte somit eine aus Ungarn stammende Rebsorte mit großen Trauben bekannt gewesen sein, die offenbar am Plattensee angebaut wurde[7]

Während des Hoch- und Spätmittelalters unterschied man in den deutschen Anbaugebieten zwischen hunnischen und fränkischen Reben. Die Interpretation dieser Bezeichnung beschäftigt die Forschung seit langem. Fritz Schumann spricht sogar vom "großen Weinrätsel des Mittelalters"[8]. Das Begriffspaar hunnisch und fränkisch umreißt nicht nur heute schwer fassbare Rebsortenunterschiede, sondern auch Qualitätsunterschiede. Hildegard von Bingen stellt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in ihrer Physica fest, der fränkische Wein sei ein starker Wein, der mit Wasser vermischt werden müsse, wohingegen der hunnische von Natur aus wässrig sei und nicht verdünnt werden müsse[9].

Wie Dr. Regner von der Weinbauschule Klosterneuburg ausführt, ist der Heunisch eher als Sortenfamilie zu sehen denn als Rebsorte im heutigen Sinn. Genetisch ist auch die Abstammung des Riesling vom Heunisch – der andere Elternteil ist ein Traminer-Klon – bewiesen, ebenso wie Chardonnay, Auxerrois und Melon de Bourgogne Kreuzungen mit dem Burgunder sind.

Der Heunisch kann mit Traminer und Burgunder als Stammsorte der modernen mitteleuropäischen Rebsorten bezeichnet werden.

Bedauerlicherweise sind heute nur äußerst geringe Restbestände des Heunisch vorhanden - unter anderem in Kroatien (→ Weinbau in Kroatien), Rumänien (→ Weinbau in Rumänien), Slowenien (→ Weinbau in Slowenien) und der Ukraine (→ Weinbau in der Ukraine), [10]. Heute wird die Heunisch-Rebe gezielt vermehrt, so unter anderem vom Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof in Siebeldingen.

Anmerkungen

  1. J. M. Boursiquot, T. Lacombe, J. Bowers, C. Meredith, Le Gouais, un cépage clé du patrimoine européen, in: [1] Bulletin de l'Organisation Internationale de la Vigne et du Vin (OIV), No. 77, 875-876 (2004), S. 5-19
  2. Fritz Schumann, Rebsorten und Weinarten im mittelalterlichen Deutschland, Heilbronn 1997, in: Christhard Schrenk, Hubert Weckbach (Hg.), Weinwirtschaft im Mittelalter. Zur Verbreitung, Regionalisierung und wirtschaftlichen Nutzung einer Sonderkultur aus der Römerzeit (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 9), S. 235-237.
  3. Philippe de Beaumanior, Coutumes de Beauvaisis, hg. von Amédée Salmon, 2 Bde., Paris 1899/1900 (Neudr. Paris 1970), Bd. 1, Nr. 790: Drois pris de vins de rentes (…) Li vins fourmenteus, a la mesure de Clermont, doit estre prisiés chascun mui .XII. s. de rente, et li vins de moreillons chascun mui .IX. s. de rente chascun an, et li vins de gros noirs ou de gouet chascun mui .VI. de rente.
  4. J. M. Boursiquot, T. Lacombe, J. Bowers, C. Meredith, Le Gouais, S. 9-12
  5. Olivier Jullien, Topographie de tous les vignobles connus, Genf, Paris 1985 (Reprint der Ausgabe von 1866), S. 446
  6. Philip Jacob Sachs, Ampelographie sive Vitis Viniferae, Preßburg 1661, S. 22: Heunisch vel Hunnisch quod ab Hunnis vel Hungaris in Germaniam anno 906 et 923 irrumpentibus eo simul translatae vites.
  7. Hildebrandt, Summarium Heinrici, Bd. 1, S. 171f.: Balatine a magnitudine sunt dicte huniscedruben. Vgl. zweite Fassung, Bd. 2, S. 41: Balatinae hunisc drubun a magnitudine dictae sunt.
  8. Fritz Schumann, Rebsorten und Weinarten im mittelalterlichen Deutschland, in: Christhard Schrenk, Hubert Weckbach (Hg.), Weinwirtschaft im Mittelalter. Zur Verbreitung, Regionalisierung und wirtschaftlichen Nutzung einer Sonderkultur aus der Römerzeit (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 9), Heilbronn 1997, S. 221-250, hier S. 222
  9. Hildegard von Bingen, Physica, Würzburg 1835, S. 45: Franconicum et forte vinum velut procellas in sanguine parat, et ideo qui eum bibere voluerit, aqua temperet. Sed necesse non est, ut hunonicum aqua permiscatur, quoniam illud naturaliter aquosum est.
  10. Siehe den Eintrag "Weißer Heunisch" in der Vitis-Datenbank "Vitis International Variety Catalogue" unter [2]

Literatur

  • Pierre Galet, Dictionnaire encyclopédique des cépages, Paris 2000.
  • Hermann Goethe, Ampelographisches Wörterbuch. Eine alphabetische Zusammenstellung und Beschreibung der bis jetzt bekannten Traubenvarietäten Deutschlands, Frankreichs, Griechenlands, Italiens, Oesterreichs, des Orients, der Schweiz, Serbiens, Südrusslands, Ungarns, Wien 1876.

Synonyme: Gouais Blanc, Gwäss, Rässer, Bettschisser

Abstammung: Europäische Ursorte


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