Hohenlychen

Hohenlychen
Heilanstalten

Die Heilanstalten Hohenlychen war ein Komplex von Heilanstalten in Lychen/Brandenburg, der von 1902 bis 1945 bestand.

Geschichte

Durch die Entdeckung des Tuberkulosebazillus und der von Ärzten entwickelten Behandlung zur Bekämpfung der Infektion, welche viel Sonnenlicht, saubere Luft, eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung voraussetzte, erwarb Prof. Dr. Gotthold Pannwitz im Jahre 1902 über zehn Morgen Land von der Stadt Lychen und ließ dort eine Kinderheilstätte bauen. Diese Heilanstalten wurden zum größten Teil aus Spenden finanziert und vom Roten Kreuz unterhalten. Vorläufig wurden 20-30 Betten versuchsweise für drei Monate im Sommer verwendet. Innerhalb weniger Jahre stieg die Zahl der Betten auf 500 im Sommer und 300 Betten im Winterbetrieb, ebenfalls wurde ein Sanatorium für Frauen eröffnet.

1904 wurde die Helenen-Kapelle durch die Stiftung von Prof. Dr. Venn erbaut.

Im Laufe der Jahre wurden die Heilanstalten ständig erweitert, 1914 waren alle Bautätigkeiten weitgehend abgeschlossen. 1911 besuchte die deutsche Kaiserin Auguste Victoria die Heilanstalten. Während des Ersten Weltkrieges wurden die Heilanstalten als Lazarett genutzt. 1927 tagte der Hygienekommission des Völkerbundes in Hohenlychen.

Ab 1933 übernahm Dr. med. Karl Gebhard die Leitung der Heilanstalten. Da die Zahl der Turberkuloseerkrankungen sank, verlagerte sich der Schwerpunkt der Heilanstalten von den bisherigen Lungenheilstätten zu drei weiteren Abteilungen und wurde umprofiliert. Bei der Übernahme im Jahre 1933 waren 133 Betten belegt. Ein Umbau mit Änderung des Profils war somit erforderlich. Der Schwerpunkt lag nun auf Sport- und Arbeitsschäden sowie der Wiederherstellungschirurgie, chirurgische und interne Abteilungen für spezielle Behandlungen für Erwachsene mit Gelenkerkrankungen und Lungenkrankheiten entstanden.

Im Zentrum stand die Arbeit für Sport- und Arbeitsschäden, damit wurden die Heilanstalten später zum Reichssportsanatorium. Durch die Finanzierung durch die Deutsche Sporthilfe konnten Investitionen zum Ausbau und zur Modernisierung der Anlage verwendet werden.

Den Höhepunkt erlebten die Heilanstalten ab 1935. Die klinische Abteilung für Sport- und Arbeitsschäden erfreute sich starken Zuspruchs. Der ehemalige Nationaltrainer Otto Nerz sprach von einer theoretischen „Hohenlychen Nationalmannschaft“, die in der Lage wäre, gegen nahezu allen hochwertigen Fußballteams zu bestehen, da viele Nationalspieler und Spitzensportler sich in Lychen behandeln und auskurieren ließen.

Nicht nur behandelten Patienten, sondern auch für Funktionäre der NSDAP galt Hohenlychen als „Modeaufenthaltsort“ zur Erholung. Dauergast waren hier Heinrich Himmler und Rudolf Heß. Die Besucherbücher weisen kaum eine Nazigröße auf, die nicht einmal die Heilanstalten besuchte. Unter den Besuchern waren neben Hitler selbst, der Reichsleiter, Reichssportführer, Staatssekretäre, Stabsärzte des Heeres und auch andere internationale Delegationen aus Italien, England, Frankreich, Portugal, Chile, Peru, Argentinien vertreten. Aus Japan verbrachte der Bürgermeister aus Tokio seinen Urlaub in Hohenlychen genauso wie das griechische Kronprinzenpaar. Neben dem Auskurieren und Erholen von Patienten und Funktionären wurden jetzt ebenfalls Vorträge vor allem für ärztliche Eliten abgehalten. Die Heilanstalten zählten nun über 500 Betten.

Schwimmhalle in den Lychener Heilanstalten

Eine Turnhalle konnte für Kinovorführungen und Betriebsfeiern umgestaltet werden. Es entstand, neben den Badeanlagen der Seen, eine große Schwimm- und Badehalle als Schwimm- und Behandlungsbecken mit Wassermassage mit Glasdach, welches an warmen Sonnentagen ausgezogen werden konnte. Neben weiteren Sportplätzen entstanden eine weitere Apotheke und eine Wetterstation, die zur Erforschung der Zusammenhänge vom Wetter und den Verlauf von Krankheiten erforschen sollte.

Die Heilanstalten erreichten einen Weltruf im Bereich der Meniskusschäden und zur Rehabilitation von Unfallverletzten, welches zum Spezialgebiet der Heilanstalten umfunktioniert wurde.

Die Stadt Lychen profitiere im großen Maße von den Heilanstalten, vor allem durch den Fremdenverkehr. Zwischen den Jahren 1933 und 1942 wurden über 25.000 Patienten behandelt. Viele Anwohner erhielten Arbeit in den Heilanstalten. Ein zweiter Bahnhof wurde angelegt, um eine bessere Infrastruktur, vor allem aber eine schnellere Verbindung nach Berlin zu gewährleisten. Unter Prof. Dr. Gebhard arbeitete ebenfalls Hitlers 2. Leibarzt Dr. Ludwig Stumpfegger, Dr. Fischer, Dr. Oberhauser und Dr. Kurt Heißmeyer, die mit den Geschehnissen am naheliegenden Frauenkonzentrationslager Ravensbrück beim Nürnberger Ärzteprozess belastet wurden.

Treppenhaus in den Lychner Heilanstalten

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erfolgte die Umwandlung in ein Kriegslazarett, später wurden Menschenversuche mit Wundinfektionen durchgeführt. Da der SS-Obergruppenführer und General der Polizei Reinhard Heydrich bei einem Attentat in Prag kurze Zeit später in Deutschland an einer Wundinfektion starb, sowie weitere Opfer zahlreicher Verwundeten in den Frontlazaretten durch die Infektionen starben, wurde nach einer zuverlässigen Therapie gegen bakterielle Wundinfektion gesucht. Die Westalliierten hatten bereits das „Penicillin“ erfunden, welches in Deutschland noch unbekannt war. Da die Zahl der Verwundeten speziell an der Ostfront ständig zunahm und das Leben Verwundeter von der Forschung des bis dahin bekannten, aber kontroversen Gegenmittels Sulfonamid abhing, begannen die Forschung intensiv und aus mangelnden Zeitgründen direkt am Menschen zu testen.

Die Erprobungsversuche der Sulfonamidwirkung wurden Prof. Karl Gebhardt übertragen, der erstmals über klinische Versuche am 29. August 1942 an Frauen des KZ Ravensbrück berichtete. Die Versuchsgruppen bestanden aus 36 Frauen, denen Bakterien, teilweise mit Holz- und Glaspartikeln, in den Oberschenkel geführt wurden. Drei der Versuchspersonen starben und man kam zu der Erkenntnis, dass die Sulfonamide nicht geeignet sind, um Wundinfektionen zu verhindern. Parallel zu den Sulfonamidversuchen wurden Experimente zur Transplantation von Knochen, Nerven und Muskeln von Dr. Stumpfegger durchgeführt. Ebenfalls experimentierte Dr. Heißmeyer, der zwecks seiner Habilitationsarbeit Menschenversuchen zur Bekämpfung schwerer Tuberkulose an Menschen vornahm. Dies geschah im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg. Da Heißmeyer seine Forschungsergebnisse für seine Habilitationsarbeit am Kriegsende nicht verlieren wollte, vergrub er sie in einer Zinkkiste im Jahre 1945 auf dem Geländer der Heilanstalten. Im März 1964 wurde sie nach einer Suchaktion wieder entdeckt und belastete Dr. Heißmeyer, der nach Kriegsende glimpflich davongekommen war, schwer.

Gebhardt wurde im Nürnberger Ärzteprozess 1948 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt und zum Tode verurteilt. Seine Assistenzärzte Dr. Fischer wurden zu lebenslanger Haft, Frau Dr. Oberheuser zu zwanzig Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Dr. Stumpfegger ist bereits bei der Flucht aus dem Führerbunker wenige Stunden nach dem Suizid Hitlers, bei dem Versuch Berlin zu verlassen am Lehrter Bahnhof ums Leben gekommen.

Während des gesamten Krieges ging es in den Heilanstalten nahezu friedlich zu. Da die Heilanstalten mit roten Kreuzen auf dem Dach versehen waren, kam es zu keinen Bombenangriffen. Reichsführer Himmler und Dr. Gebhardt, die erkannten, dass es dem Ende zuging, wollten Punkte für die Zeit nach dem Krieg bei den Alliierten sammeln. Es wurde ein Treffen zwischen dem Chef des schwedischen Roten Kreuzes arrangiert, der als Mittelsmann zu den westlichen Alliierten fungieren sollte, um ein eventuelles Kapitulationsangebot zu unterbreiten. Drei Treffen fanden zwischen beiden Parteien statt, das letzte am 20. April 1945, allerdings ohne nennenswerten Ausgang. Das Lazarett wurde zu diesem Zeitpunkt vollkommen evakuiert. Am 27. April starben bei einem Luftangriff 32 Soldaten, zwei Tage später wurden die weitesgehensten intakten Heilanstalten kampflos den russischen Verbänden übergeben. Die Rote Armee, unter dem Kommandanten Nasarow, plünderte und zerstörte sämtliche Einrichtungen. Operations- und Röntgeneinrichtungen wurden teils zerstört oder abtransportiert.

Nach dem Ende des Krieges nutzten die Russen die Heilanstalten ebenfalls als Lazarett und Geburtsstation. Mit einer Größe von 200 Betten erreichten die Heilanstalten nicht mehr ihre damalige Größe und wurden teils zu Wohneinheiten der Soldaten umfunktioniert. Am 31. August 1993 verließ das letzte sowjetische Kommando die Heilanstalten und beendete die sowjetische Besatzungsära.

Heute liegen die Heilanstalten als baufällige Anlagen in Hohenlychen. Einige ehemalige Ärztevillen wurden saniert und dienen als Wohnung. Der Großteil der Anlagen steht aber weitestgehend leer.

Literatur

Hans Waltrich: Aufstieg und Niedergang der Heilanstalten Hohenlychen (1902 bis 1945). Blankensee 2001, ISBN 3-934741-03-7

Weblinks

53.20138888888913.3261111111117Koordinaten: 53° 12′ 5″ N, 13° 19′ 34″ O


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