Indiennes

Indiennes
Indienne, Textilmuseum von Wesserling, Elsass (Frankreich).

Indiennes sind ursprünglich mit indisch-exotischen Motiven bedruckter Kattun des 17. bis 19. Jahrhunderts und heute eine Bezeichnung für Baumwollstoffe, deren Dessins den historischen Vorlagen folgen.

Das Bemalen von Baumwollstoffen wurde in Indien seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. entwickelt und verlangte sowohl hohe künstlerische Fertigkeiten als auch ein sehr spezialisiertes technisches Wissen im Umgang mit den verwendeten Farben. Portugiesische Kaufleute führten die Ware als Alternative zur schweren Seide oder Wolle und zum rauen Leinen in Europa im 17. Jahrhundert ein. Im kulturell führenden Frankreich bekamen die indischen Stoffe (französisch toiles indiennes) ihren Namen. Unverarbeitete indische Baumwolle selbst hieß Calico, nach der Hafenstadt Kalikut/Kalkutta.

Indiennes fanden Verwendung für Kleider und als Überzüge für Sitzmöbel oder als Tapeten; aufgrund von Farbenpracht und Tragkomfort entwickelte sich rasch ein Markt. Die Nachfrage war größer als das Angebot, so dass sich bald eine eigene europäische Indiennes-Produktion entwickelte. Die erste Fabrikationsstätte eröffneten armenische Kaufleute 1640 in Marseille, England und Holland folgten in den 1670er Jahren. Auch änderte sich die Herstellungstechnik; anstelle der individuellen Stoffmalerei wurde auf den billigeren und schnelleren industriellen Stoffdruck umgestellt, der wiederum ins Ursprungsland zurückexportiert wurde. Dort passte man zudem die Motive mehr dem europäischen Geschmack an: So tauchten europäische Pflanzen in indischen Szenerien auf. Bis in die 1790er Jahre kamen die meisten Indiennes aus Indien.

Besonders in Frankreich verspürten die traditionellen Produzenten und Lieferanten von Stoffen und Kleidern allmählich erhebliche Geschäftseinbußen durch das neue Massenprodukt. Auf ihr Drängen hin wurde Produktion, Einfuhr und Besitz von Indiennes von 1686 bis 1759 verboten (in England geschah dasselbe von 1700 bis 1774), was einerseits einen immensen Schleichhandel mit den weiterhin begehrten Indiennes und anderseits in den Nachbarstaaten den Aufbau einer Indiennes-Wirtschaft bewirkte. So arbeiteten in der Schweiz Ende des 18. Jahrhunderts 8.000–10.000 Menschen in den Indiennes-Betrieben; die größten Fabriken zählten mehrere Hundert Beschäftigte, meist nur Saisonarbeiter, da der damalige Stoffdruck im Winter aus klimatischen Gründen (Bleichen und Trocknen geschah unter freiem Himmel) nicht möglich war. Das mittlerweile ringsum aufgebaute Know-how führte nach der Öffnung des französischen Markts dazu, dass in Frankreich massenhaft ausländisches Leitungspersonal (z. B. rund tausend Schweizer) arbeitete. In der zunehmend mechanisierten Massenproduktion von Textilien fand die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts einen ihrer wichtigsten Ausgangspunkte.

Die größte Beliebtheit und Verbreitung erlangten die Indiennes in den 1780er Jahren, als sie auch für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich wurden. Sie waren Teil eines globalisierten Handels: Indische Arbeiter stellten Massenware für den europäischen Markt her; europäisches und indisches Stoffdesign vermischten sich; europäische Produktionsmethoden fassten in Indien Fuß; Baumwolle und Baumwolltücher wurde aus Asien und Amerika nach Europa transportiert; nicht zuletzt dienten die fertiggestellten Indiennes als Tausch- und Handelsware im atlantischen Dreieckshandel (und wurden zu diesem Zweck auch mit afrikanischen Motiven bedruckt). Die Indiennes als Endprodukt der bereits Ende des 18. Jahrhunderts weltumspannenden Baumwollwirtschaft sind ein bemerkenswertes Beispiel für die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Am einen Ende des Handelsstrangs über den Atlantik, in Amerika, stehen die strikt manuell bewirtschafteten Baumwollplantagen als Schlusspunkt der vormodernen Sklaverei, während sich am anderen Ende, in Europa, die protoindustriellen Textilbetriebe als eine Keimzelle der modernen Fabrikproduktion finden.

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