- Innungslade
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Unter einer Zunfttruhe oder Zunftlade versteht man einerseits das eigentliche Objekt, nämlich die Zunftlade als Verwahrmöbelstück, welches nicht nur alle wichtigen Dokumente der Innung sicher bewahrte, sondern auch eine ganz besondere Rolle für die Zünfte spielte und auch das Leben der Zunftmitglieder maßgeblich beeinflusste. Andererseits gilt die Zunftlade als Organisationselement für die Zünfte.
Inhaltsverzeichnis
Bedeutung
In den Zunfttruhen wurden die wichtigsten Dokumente der Zunft sicher aufbewahrt. Dazu gehörten die Zunftbücher mit den Artikeln, Statuten und Namensverzeichnissen, wichtige Dokumente und Urkunden. Aber auch die Hauptkasse, Wappen und Siegel, sowie Trinkkannen, darunter vor allem der Willkommbecher, wurden in ihr aufgehoben. Manchmal konnten in ihr auch Statuen und andere Wertgegenstände zu finden sein, welchen religiöse Gegenstände oder Bilder aus dem Handwerksleben zeigten. Diese wurden zu bestimmten Anlässen von der Zunft oder einzelnen Zunftmitgliedern gestiftet.
In der Kassa wurden die Beiträge der Mitglieder gesammelt und verwaltet. Die Kapitalbildung erfolgte durch verschiedene Gebühren. Ein Teil dieser Beiträge wurde zur Erhaltung von Spitalstellen und für die Begräbnisse von Meistern und Gesellen verwendet. Ein anderer Teil diente zur Erhaltung der Zunfthäuser und Herbergen, sowie zur Unterstützung von wandernden Gesellen. Ein dritter Teil wurde in Alkohol, vornehmlich Bier und Wein, umgesetzt.
Zunftladen waren aber nicht nur Aufbewahrungsmöbel für die wichtigsten Gegenstände der Zünfte, sondern sie spielten auch eine bedeutsame Rolle im Zunftrecht und Brauchtum. Wegen dieser besonderen Stellung und der großen Verehrung, die ihr entgegengebraucht wurde, wurden sie besonders gestaltet.
Die Zunfttruhe der Innungen waren also nicht nur Verwahrmöbel, „sondern mehr noch Ausdruck des Stolzes auf eigene Fertigkeit und Leistung, Symbol handwerklichen Gemeinschaftsgeistes und Selbstbewusstsein.“
Gestaltung der Zunftladen
Zunfttruhen wurden individuell angefertigt und waren daher der Typenbildung weit weniger unterworfen als andere Behältermöbel. Sie wurden wahrscheinlich schon in spätmittelalterlichen Zeit, aber sicherlich in der Neuzeit fast ausschließlich aus Hartholz angefertigt. Es gibt nur wenige Weichholztruhen, die aber offenbar nicht Eigentum der Zünfte waren, sondern eher Bruderschaften zuzuordnen sind. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich in der Sicherheit, die durch Hartholzmöbel besser gewährleistet wurde, aber auch in der bessere Qualität von Nuss-, Kirschen- oder Buchenholz.
Beschlagen wurden die Truhen meist mit Eisen, immer aber mit Eisenblech. Sie waren mit gut durchdachten sperrbaren Schlössern versehen, deren Schlüssel in verschiedenen Händen aufbewahrt wurden. Das sicherte neben der guten Ausführung der Lade die Gegenstände der Zunft vor Diebstahl oder Korruption.
Das Holz wurde entweder mit Einlegearbeiten versehen oder in dem Stil der jeweiligen Zeit bemalt. Motive waren großteils die Zunftembleme, weshalb die Truhe für jedermann außerhalb der Zunft unbrauchbar war. Diese standen fast immer mit den Geräten im Zusammenhang, die bei der jeweiligen Arbeit verwendet wurden. Manchmal wurden auch die Schutzheiligen der Zunft auf den Truhen dargestellt. Da die Zünfte so ihr Eigentum signierten, lassen sich die erhaltenen Zunfttruhen heute noch sehr oft den jeweiligen Gewerben zuordnen. Da besonders die offene Lade von großer Bedeutung war, wurden auch die Deckelinnenseiten schön verziert und gestaltet. Maßgebend für die Gestaltung der Zunfttruhen war außerdem, ob der betreffende Ort Sitz der Zunft selbst, also Sitz der Hauptlade, oder Sitz einer Viertellade war. Verständlicherweise mussten die Truhen der Hauptladen größer und dementsprechend auch prunkvoller sein.
Nadja Elisabeth Istenes, die sich in ihrer Diplomarbeit „Zunfttruhen in der Steiermark. Steirisches Handwerk vom 16. -19. Jahrhundert“ aus dem Jahre 1989 mit Zunftladen in der Steiermark auseinandergesetzt hat, teilt die Ausführung bzw. die Gestaltung von Zunfttruhen drei Typen zu. Sie unterscheidet dabei folgende Truhenarten:
- Sehr schlichte Truhen, ohne Aufsatz, rechteckig, mit einfachen Verzierungen, welche den Truhen aus der Möbelkunde äußerst ähnlich sind.
- Zunfttruhen mit Aufsatz, außen ornamental geschnitzt, oft auch mit geometrischen Mustern intarsiert.
- Überaus reich gestaltete Laden, meist mit Aufsatz und Laden, welche kunstvoll intarsiert und bemalt wurden und manchmal vergoldete Teile aufweisen. Manche Truhen dieses Typus sind nach Anleihen aus der Architektur gefertigt. Diese Art der Zunftlade wurde mit viel Liebe zum Detail hergestellt und war sicherlich der große Stolz der jeweiligen Zunft.
Aufbewahrung der Zunftlade
Die Zunftlade wurde gewöhnlich im Haus des Zunftmeisters aufbewahrt oder im so genannten Zunfthaus. Zunfthäuser hatten ursprünglich nur den Zweck, den Zünften einen Platz für ihre Versammlungen zu bieten. Im frühen Mittelalter hatten die meisten Zünfte dafür noch mehrere Häuser, später entwickelte sich aber der Besitz eines eigenen Zunfthauses zum Ausdruck des Stolzes und des Prestiges, sodass bald jede größere Gemeinschaft ein eigenes besonders schönes Haus dafür besaß und hier nun die Zunftlade als wichtigstes Requisit fungierte.
Wenn die Zunftlade im Haus des Zunftmeisters aufbewahrt wurde, musste diese nach jeder Installierung eines neuen Zunftmeisters in dessen Haus getragen werden. Diesen Ritus nannte man dann auch bezeichnenderweise „Ladumtragen“.
Da Zunfttruhen von ausgesprochenem Gemeinschaftsbesitz waren, sozusagen allen und keinem gehörten, wurden die Truhen kaum verschleppt und fanden, wenn sie funktions- bzw. herrenlos wurden, oft in Rathäusern Aufnahme und kamen in glücklichen Fällen in Heimatmuseen.
Die Zunftlade in Brauchtum und Recht
Eine ganz besondere Funktion nahm die Zunftlade bei den Versammlungen der Zünfte ein, denn diese behandelten alle wichtigen Angelegenheiten der Gemeinschaft und fungierte so als „wichtigstes Organ der Zünfte“. Besondere Bedeutung hatten die großen Versammlungen, also der Haupt- und Viertelladen, welche einmal jährlich, nämlich an Fronleichnamstag stattfanden. Manchmal wurden solche großen Treffen auch noch ein zweites Mal im Jahr veranstaltet, nämlich an Ägydi (1. September). Dieser Tag eignete sich gut, weil sich viele auswärtige Handwerker an diesem Jahrmarktstag am Ort der Hauptlade einfanden. Dann unterschied man wöchentliche, monatliche und vierteljährliche Zusammenkünfte. Vierteljährliche Zusammenkünfte nannte man Quatemberversammlungen, bei denen die Vierteljahresraten, das Quatembergeld eingefordert wurde. Außerdem gab es noch außerordentliche Versammlungen.
Bei diesen Zunftversammlungen, bei denen eine bestimmte Sitzordnung vorherrschte, wurde zu Beginn der Sitzung immer die Zunftlade geöffnet. Dazu wurde sie feierlich meistens aus dem Haus des Zunftvorstandes herbeigeschafft, denn dort wurde sie, wie schon beschrieben, gewöhnlich aufbewahrt. Danach wurde sie vor der versammelten Zunft aufgestellt und von den Schlüsselinhabern gemeinsam geöffnet. Bei besonderen Anlässen wurde sie manchmal zwischen brennenden Kerzen aufgeschlossen. Wenn die Truhe geöffnet wurde, musste jeder Trunk unterbleiben, jedes unrechte Wort war streng verboten, ebenso wie Karten- und Würfelspiele. Außerdem mussten die Waffen abgelegt werden. Nadja Elisabeth Istenes beschreibt dieses Öffnen der Lade als „eine feierliche, fast heilige Handlung.“ Vielleicht kommt unser heutiger Ausdruck „einladen“ von diesem feierlichen Öffnen der Zunftlade. Wenn die Lade aufgeschlossen wurde, begann also der Ernst der Sitzung, dann hatte die Sitzung „Kraft und Macht“, das Schließen der Lade bedeutete eine Unterbrechung der rechtskräftigen Sitzung.
Bei geöffneter Lade wurden alle wesentlichen Angelegenheiten der Zunft behandelt. Vor ihr wurde der Lehrjunge losgesprochen, der Geselle zum Meister gemacht, ein Auswärtiger in die ehrsame Zunft aufgenommen etc. So begleitete die Zunftlade als Inbegriff des Handwerks die wichtigsten Stationen des Handwerkerlebens: Aufdingung, Freisprechung und Meisteraufnahme.
Die Aufdingung
Die Aufdingung wurde sehr feierlich begangen, wodurch dem Lehrling vor Augen geführt wurde, dass er jetzt in ein neues Ordnungsgefüge eintritt. Das geschah wie schon gesagt, vor offener Lade, das heißt vor der versammelten Handwerkergemeinschaft und oft nach Ablegung einer gewissen Probezeit. Das Ende der Aufdingung bildete eine Aufdingungsjause oder ein Mahl, das der aufdingende Meister bezahlte.
Die Freisprechung
Auch die Freisprechung nach abgelegter Lehrzeit fand vor offener Lade statt. Dabei wurde er von den Meistern losgesprochen. Eine Prüfung gab es nicht, sondern den Bericht des Meisters über den Abschluss der Lehre. Mit der Freisprechung schied der Handwerker aus dem Familienverband des Meisters aus und trat in ein sach- und lohnbezogenes Verhältnis zur Werkstatt. Er wurde in das Gesellenbuch der Zunft eingetragen, das in der Zunftlade verwahrt wurde, was oft mit einer in formelhafter Weise mit Freisageformel und Eid vor sich ging. Es folgte ein Mahl, das der neue Geselle zahlen musste. Schlussendlich wurde von den anderen Gesellen aufgenommen. Diese bemächtigten sich des neuen Mitgliedes und nahmen es in bunten Bräuchen, welche man als Initiationsriten bezeichnen kann in ihre Gemeinschaft auf. Diese Bräuche waren halb ernste, halb spaßhafte Feierlichkeit, die man das Hänseln nannte. Je nach Handwerksbranche wurde er von den um die Lade versammelten Gesellen zum Beispiel „gehobelt“, „geschliffen“ oder „gebissen“. Das ging manchmal nicht ohne Misshandlungen ab. Der Vorstand des Gesellenverbandes, der Altgeselle, gab ihm danach noch in roher Sprache oder in Volkspoesie Ermahnungen und Anweisungen für sein Verhalten in der Werkstatt, auf der Landstraße und in der Herberge mit.
„Hobeln“ nannte man den Initiationsritus bei den Tischlern. Die eigentliche Zeremonie erfolgte folgendermaßen: Der Lehrling wurde auf eine Bank gelegt und alle Werkzeuge der Zunft wurden an ihm angewendet, wobei diese allerdings nur aus Holz bestanden.
„Schleifen“ hieß die Lossprechung bei den Schuhmachern. Hier wurde der Geselle von den um die Lade versammelten Zunftmitgliedern geprügelt, geohrfeigt bzw. mit Bier übergossen. „Beißen“ war der Ausdruck für die Lossprechung des Schlosserlehrlings. Dem Lehrling wurde hierbei symbolisch die Zunge gelöst, indem man ihm einen Schlüssel in den Mund steckte und diesen drehte. Dadurch wurde er zum Gesellen gemacht und durfte in den Versammlungen der Zunft seine Stimme erheben und mit jedermann frei und ungefragt sprechen.
Die Meisteraufnahme
Wenn ein Geselle Meister werden wollte, entschied die Zunft über seine Zulassung durch die Prüfung seines Meisterstückes, welches unter Aufsicht von den Beschaumeistern untadelig gefertigt werden musste. Außerdem zählten zu dieser Meisterprüfung gewerberechtliche Fragen und die Kenntnis der Zunftordnung. Wenn er für würdig befunden wurde, musste er Aufnahmegebühren an die Zunft zahlen, die oft sehr hoch waren und er musste allen Mitgliedern der Zunft, also allen Meistern, Gesellen und dem Gesinde, das Meistermahl bezahlen. Wichtig ist nun, dass der neue Meister einen Treueeid vor der offenen Lade ablegen musste, der sich besonders auf das gute Verhalten zu den Mitmenschen und die Förderung der Ehre seines Handwerks bezog. Für gewöhnlich begann dieser Eid mit folgenden Worten: „Ich lobe und schwöre, dass ich unserem Amte stets treu dienen will, so wahr mir Gott helfen soll und sein heiliges Evangelium“.
Zunftgerichtsbarkeit
Neben dieser wichtigen Funktion der offenen Lade als Begleiter der Handwerkskarriere, fungierte sie aber auch als Instrument der Rechtsprechung. Bei außerordentlichen Zusammenkünften der Zunft, die von einzelnen Mitgliedern einberufen wurden, um Streitigkeiten zu schlichten, bedeutete das Öffnen den Beginn des Zunftgerichtes. Das Zunftgericht war unterste Instanz für alle Zunftmitglieder für alle gewerbe- und sittenpolizeiliche Angelegenheiten.
Bestraft wurde entweder mit Geldstrafen („Puz“), die der Kapitalbildung der Zunft dienten oder Wachsgeld, welches für den gemeinsamen Gottesdienst verwendet wurde. Manchmal konnte aber auch zeitlicher oder dauernder Ausschluss aus der Zunft drohen. Das nannte man „das Handwerk legen“.
Die Zunftlade als Organisationselement
Neben der Bedeutung der Zunftladen als Aufbewahrungsmöbel und dessen wichtige Rolle im Handwerksrecht und –brauchtum, fungierte sie auch als Organisationselement, das sich ab dem 17. Jahrhundert auszubilden begann. Dabei fungierte das Möbelstück Zunftlade als Namensgeber, sodass die Einheiten, die entstanden, sich nach ihr Haupt- bzw. Viertelladen nannten.
Die Hauptladen galten als eine Art obere Instanz in Handwerkssachen. Sie teilten Ordnungen mit, übertrugen diese auf neue Laden und bestätigten diese, indem sie besiegelte Urkunden ausstellten.
Für das Errichten einer Viertellade war die Zustimmung der Hauptlade erforderlich und sie mussten sich auch in ihrer Arbeitsweise nach den Bräuchen dieser oberen Instanz richten. Außerdem wurde von ihnen jährlich ein bestimmten Betrag abverlangt, der an die Hauptlade abführt werden musste oder direkt von den auswärtigen Meistern abgeholt wurde. Viertelladen hießen ursprünglich so, weil in jedem Landesviertel eine solche Zunft aufgerichtet werden sollte. Dieser eigentliche Begriff verallgemeinerte sich aber im Laufe der Zeit, weil sehr schnell mehr als vier Viertelladen in einem Gebiet bestanden.
In Graz erklärten sich viele große Zünfte auch im 17. Jahrhundert als Hauptladen. Die bis dahin selbstständig gewesenen Zünfte in den steirischen Städten und Märkten sanken auf die Stufe von Viertelladen herab. Die Grazer begründeten auch neue Viertelladen, sodass um etwa 1700 die meisten größeren Gewerbe eine das ganze Land umspannende Organisation mit dem Mittelpunkt in Graz besaßen. 1696 verbot die Regierung allerdings sämtlichen Zünften aus eigenem Ermessen Haupt- und Viertelladen aufzurichten und Abschriften von Privilegien und Freiheiten eigenmächtig zu vergeben. Dieses Verbot setzte sich aber erst im 18. Jahrhundert allmählich durch.
Literatur
- Nadja Elisabeth Istenes, Zunfttruhen in der Steiermark. Steirisches Handwerk vom 16.–19. Jahrhundert. Dipl.-Arbeit, Graz 1989
- Leopold Schmidt, Zunftzeichen. Zeugnisse alter Handwerkskunst, Salzburg 1973.
- Herbert Sinz, Das Handwerk. Geschichte, Bedeutung, Zukunft. Düsseldorf, Wien 1977.
- Fritz, Popelka, Geschichte der Stadt Graz mit dem Häuser- und Gassenbuch der Vorstädte am rechten Murufer von Hans Pirchegger, Bd. 2, Graz 1935.
- Bruno Brandl, Günter Creutzburg, Die Zunftlade. Das Handwerk vom 15. bis 19. Jahrhundert im Spiegel der Literatur. Berlin 19762.
- Johann von Leers, Geschichte des deutschen Handwerks, Berlin 1940.
- Gerhard Pferschy, Vom Werden der Sozialgefüge im steirischen Handwerk. In: Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Kulturreferat (Hg.), Das steirische Handwerk. Meisterschaft als Träger der Kultur und Wirtschaft des Landes. Katalog zur 5. Landesausstellung 1970. I. Teil: Handbuch, Graz 1970.
- Ursula Kröper, Zunft und Genossenschaft. Ein Vergleich von Grundgedanken und Zielen. Dissertation, Graz 1961.
- Jochen Voigt, Ritus und Symbol. Sächsische Innungsladen aus fünf Jahrhunderten. Chemnitz 2002.
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