Intersectionality

Intersectionality

Intersektionalität beschreibt die Überschneidung (engl. intersection = Schnittpunkt, Schnittmenge) von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person. Intersektionelle Diskriminierung liege vor, "wenn - beeinflusst durch den Kontext und die Situation - eine Person aufgrund verschiedener zusammenwirkender Persönlichkeitsmerkmale Opfer von Diskriminierung wird."[1]

Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus oder Klassismus addieren sich nicht nur in einer Person, sondern führen zu eigenständigen Diskriminierungserfahrungen. So wird ein gehbehinderter Obdachloser gegebenenfalls nicht nur als Obdachloser und als Gehbehinderter diskriminiert, sondern er kann auch die Erfahrung machen, als gehbehinderter Obdachloser diskriminiert zu werden.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung der Intersektionalitätstheorie

Das Konzept der Intersektionalitätstheorie entstand in den USA gegen Ende der 60er Jahre im Umfeld einer feministischen Bewegung schwarzer Frauen (die sogenannte "re-visionist feminist theory"), deren besondere Situation aufgrund von rassistischer Diskriminierung kaum wahrgenommen wurde[2]. Während in den 1980er[3] und 1990er[4] Jahren bereits die Verknüpfung der drei großen Unterdrückungsformen "Race, Class und Gender" (ethnische, klassenspezifische und geschlechtliche Gruppenzugehörigkeit) in der Triple Oppression-Theorie diskutiert wurde, wird in der Intersektionalitätsforschung von mehr als zehn verschiedener Diskriminierungsformen ausgegangen. Ende der 1980 Jahre benutzte die amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw zum ersten Mal den Begriff Intersectionality (oder auch Intersectional Analysis).[5]

Intersektionalitätstheorie

Die Intersektionalitätstheorie geht davon aus, dass Diskriminierungsformen Differenzen schaffen (schwarz - weiß, Ausländer - Inländer, behindert - nichtbehindert ...), die in der Theorie auch als Differenzlinien bezeichnet werden[6]. Im Prozess der Diskriminierung kann es zu einer Interaktion dieser Differenzlinien kommen und damit auch zu einer intersektionellen Identität[7] Im Gegensatz zu einem "ereignisorientiertem Ansatz", in dem nur ein Merkmal im Vordergrund stehe, wird in diesem "prozessorientiertem Ansatz" Diskriminierung als ein "Produkt der sozialen Konstruktion von Identität, die in einem sozialen, historischen, politischen und kulturellem Kontext" stehe, verstanden[8] Mit Hilfe dieses prozessorientierten Ansatzes der Intersektionalitätstheorie könne auch eine Diskriminierungshierarchie kritisch betrachtet werden, die bestimmte Diskriminierungsformen unterschiedlich gewichtet. Obschon es auf der individuellen Ebene der intersektionellen Identität zu Verschiebungen der Täter-Opfer-Seite kommen könne (Alter, Ausländerstatus, ...), sei dennoch die gesellschaftlich wirkende Diskriminierung tief in gesellschaftliche Strukturen eingegraben.

Siehe auch

= Literatur

  • Regina Becker-Schmidt (2007): <<class>>, <<gender>>, <<ethnicity>>, <<race>>: Logiken der Differenzsetzung, Verschränkungen von Ungleichheitslagen und gesellschaftliche Strukturierung. In: Knapp, Gudrun-Axeli/Wetterer, Angelika (Hg.): Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik 2. Münster:Westfälisches Dampfboot, S.56-83
  • Combahee River Collective (1982): A Black Feminist Statement. In: Hull, Gloria T.; Scott, Patricia Bell; Smith, Barbara (eds): But Some of Us Are Brave. Black Women's Studies. Old Westbury, 13-22
  • bell hooks (1996): Sehnsucht und Widerstand. Kultur, Ethnie, Geschlecht Berlin
  • bell hooks (2000[1984]): Feminist Theory–From Margin to Center. Zweite Auflage. Cambridge: South End Press
  • Kimberlé Crenshaw(1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine. In: The University of Chicago Legal Forum, S. 139-167
  • Kimberlé Crenshaw(1991): Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color, Stanford Law Review, Vol. 43, No. 6., pp. 1241-1299.
  • Angela Davis/ Helma Lutz: Geschlechterforschung und Biographieforschung. Intersektionalität am Beispiel einer außergewöhnlichen Frau. In: Völter et al. (Hrsg.): Biographieforschung im Diskurs. Wiesbaden: Opladen, S.228-247
  • Judy Gummich (2004): Schützen die Antidiskriminierungsgesetze vor mehrdimensionaler Diskriminierung? Oder: Von der Notwendigkeit die Ausgeschlossenen einzuschließen, in: Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (Hrsg.):QUEbERlin. Mehrfachzugehörigkeit als Bürde oder Chance? - Die Gesichter des Queer-Seins und Migrantin / Schwarz-Seins, S. 6-16
  • Hardmeier, Sibylle/Vinz, Dagmar (2007): Diversity und Intersektionalität – Eine kritische Würdigung der Originalität und Leistungsfähigkeit der zwei Ansätze für die Politikwissenschaft, in: femina politica, „Frauen – Gender – Diversity. Perspektiven theoretischer Konzepte und ihrer politischen Umsetzung“, Heft 1/2007, 16. Jg., 15-25.
  • Patricia Hill Collins / Margaret Andersen (Hg.):Race, Class, and Gender: An Anthology, ISBN 0-534-52879-1, 1992, 1995, 1998, 2001, 2004, 2007
  • Patricia Hill Collins: Black Feminist Thought: Knowledge, Consciousness and the Politics of Empowerment, ISBN 0-415-92484-7, 1990, 2000
  • Cornelia Klinger: Ungleichheit in den Verhältnissen von Klasse, Rasse und Geschlecht. In: Knapp/Wetterer (Hrsg.): Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik 2. Münster:Westfälisches Dampfboot, S.14-48
  • Mitja Sabine Lück / Güler Arapi (2008): "I feel a little bit weird..." - Beispiele für Intersektionalität von Diskriminierungen, in: Leah Carola Czollek / Heike Weinbach: Lernen in der Begegnung. Theorie und Praxis von Social Justice-Trainings, Düsseldorf, S. 57 - 60
  • Helma Lutz / Norbert Wenning (2001): Differenzen über Differenz - Einführung in die Debatten. in: dies. (Hg.): Unterschiedlich verschieden. Differenz in der Erziehungswissenschaft. Opladen, 11-24
  • Katrin Meyer / Patricia Purtschert (2008): Intersektionalität, Geschlecht und Humankapital, in: Beat Ringger (Hg.): Zukunft der Demokratie. Das postkapitalistische Projekt. Zürich, 131-154.
  • Katharina Walgenbach (2007): Gender als interdependente Kategorie. In: Walgenbach, Katharina/Dietze, Gabriele/Hornscheidt, Antje/Palm, Kerstin: Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen 23-64

Einzelnachweise

  1. Judy Gummich (2004): Schützen die Antidiskriminierungsgesetze vor mehrdimensionaler Diskriminierung?
  2. bell hooks: Feminist Theory: From Margin to Center. 2nd. Cambridge, MA: South End Press, 1984
  3. Combahee River Collective 1982:A Black Feminist Statement
  4. bell hooks (1996): Sehnsucht und Widerstand. Kultur, Ethnie, Geschlecht
  5. Nina Degele, Gabriele Winker u.a.: Intersektionalität [1]
  6. Lutz, Helma/Norbert Wenning (2001): Differenzen über Differenz - Einführung in die Debatten
  7. Mitja Sabine Lück / Güler Arapi (2008): "I feel a little bit weird..." - Beispiele für Intersektionalität von Diskriminierungen
  8. Judy Gummich (2004): Schützen die Antidiskriminierungsgesetze vor mehrdimensionaler Diskriminierung?, S.9

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Intersectionality — is a theory which seeks to examine the ways in which various socially and culturally constructed categories interact on multiple levels to manifest themselves as inequality in society. Intersectionality holds that the classical models of… …   Wikipedia

  • Intersectionality theory — is a term invented by Kimberle Crenshaw and utilized during the 1990s by sociologist Patricia Hill Collins. This term replaced her previously coined term black feminist thought, which increased the general applicability of her theory from African …   Wikipedia

  • Intersektionalität — beschreibt die Überschneidung (engl. intersection = Schnittpunkt, Schnittmenge) von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person. Intersektionelle Diskriminierung liege vor, „wenn – beeinflusst durch den Kontext und die Situation – eine… …   Deutsch Wikipedia

  • Intersectionnalité — L’intersectionnalité (de l anglais intersectionality) est une notion employée en sociologie et en réflexion politique, qui désigne la situation de personnes subissant simultanément plusieurs formes de domination ou de discrimination dans une… …   Wikipédia en Français

  • Interseccionalidad — Se denomina Interseccionalidad a la teoría sociológica que propone y examina cómo diferentes categorías de discriminación, construidas social y culturalmente, interactúan en múltiples y, con frecuencia, simultáneos niveles, contribuyendo con ello …   Wikipedia Español

  • Sylvia Walby — OBE, is one of the world s leading authorities on gender.Fact|date=June 2008 She is a British sociologist, currently Professor of Sociology at Lancaster University. She is noted for work in the fields of the domestic violence, patriarchy, gender… …   Wikipedia

  • Gender — This article is about the distinction between male and female entities and concepts. For other uses, see Gender (disambiguation). Gender is a range of characteristics used to distinguish between males and females, particularly in the cases of men …   Wikipedia

  • Double burden — is a term describing the workload of men and women who work to earn money, but also have responsibility for unpaid, domestic labor.[1] According to studies done dealing with a stressful environment chronically, such as a stressful job or… …   Wikipedia

  • Black feminism — argues that sexism, class oppression, and racism are inextricably bound together. [cite web|url=http://www.feministezine.com/feminist/modern/Defining Black Feminist Thought.html|title=Defining Black Feminist Thought|accessmonthday=May… …   Wikipedia

  • Political hip hop — Stylistic origins Hip hop, protest songs Cultural origins 1980 s Derivative forms Conscious hip hop Other topics L …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”