Jüdisches Leben in Mannheim

Jüdisches Leben in Mannheim
Lemle-Moses-Klaus in Mannheim von 1708 (um 1900)
Bankhaus Ladenburg in Mannheim im Jahr 1907
Mannheimer Hauptsynagoge von 1855
(Lithografie von Jakob Ludwig Buhl)
Israelitisches Kranken- und Pfründnerhaus in Mannheim (ab 1877)

Inhaltsverzeichnis

Historische Entwicklung

1650–1700

In Mannheim wurden erstmals im Jahr 1652 fünf jüdische Familien aus Pfeddersheim in der Stadt aufgenommen, um 1660 schon die erste Synagoge gebaut. Diese erste Ansiedlung wird in Artikel 10 der ersten Mannheimer Judenkonzession vom 1. September 1660 ausdrücklich erwähnt, die von Kurfürst Karl I. Ludwig für die deutschen Juden erlassen wurde und die in einem 13 Punkte umfassenden Programm die Rechte und Pflichten der bereits ansässigen und noch zuziehenden deutschen Juden regelte, ihnen weitgehende Privilegien einräumte und somit die rechtliche Sonderstellung der Mannheimer Stadtjudenschaft gegenüber der übrigen Pfälzer Landjudenschaft begründete. Nur wenige Jahre später wurde diese Siedlung - wie die ganze Stadt - während des Pfälzischen Erbfolgekrieges im März 1689 von den Franzosen zerstört.

1700–1800

Die Einwohner flohen und die Neubesiedlung begann erst etwa zehn Jahre später um 1700, als auch bereits wieder eine neue Synagoge eingeweiht werden konnte. Allerdings ist es sehr schwierig, die Herkunft der zugewanderten Juden zu erforschen, da Juden keine einheitlichen Familiennamen trugen und sie ohnehin meistens von Generation zu Generation in wechselnden Orten leben mussten, wenn den Söhnen der Kauf bzw. die Erneuerung des Schutzbriefes („Schutzjude“) und damit das zeitlich begrenzte Aufenthaltsrecht in ihrer Geburtsstadt verwehrt wurde.

Die Zuwanderung jüdischer Familien nach Mannheim um 1700 wurde hier insbesondere durch die Konzession vom 31. Oktober 1698 ermöglicht, mit der Kurfürst Johann Wilhelm (1658–1716) die bisherige Höchstzahl jüdischer Familien von 84 auf 150 heraufsetzte, aber außer dem Kapital zum Bau eines Hauses auch den Besitz von mindestens 1000 Talern verlangte, um möglichst nur die Ansiedlung wohlhabender Juden zu fördern. Andererseits war es aber - auf Druck der christlichen Mitbürger - den Juden per Kleiderordnung durch den Mannheimer Stadtrat von 1717 verboten, diesen Wohlstand auch öffentlich zu zeigen, indem ihnen „das Tragen kostbarer Kleider und Mäntel von Damast und Seide“ untersagt wurde, obwohl sie „in den vornehmsten Straßen die schönsten Paläste und Häuser bewohnten und ihre Hochzeiten mit dem größten Pomp feierten.“ Die meisten Familien kamen erst Mitte des 18. Jahrhunderts in die Stadt, zumal Kurfürst Karl III. Philipp (1661–1742) am 23. Mai 1717 die Höchstzahl jüdischer Familien auf 200 steigerte – etwa ein Achtel der Gesamtbevölkerung - und die Verlegung der Residenz nach Mannheim in 1720 der unter den Kriegsfolgen noch immer leidenden Stadt neuen wirtschaftlichen Aufschwung gab.

So kommt zum Beispiel auch der Stammvater der Fabrikanten-Familie Mayer, Elias Hayum, wohl 1740 aus Stuttgart nach Mannheim und die später so genannte Familie Ladenburg, Inhaber des Bankhauses Ladenburg, der auch Mannheims Ehrenbürger Carl Ladenburg angehört, 1760 aus Ladenburg, dem kleinen Nachbarort Mannheims.

Schon um 1750 gibt es in Mannheim 18 jüdische Hoffaktoren. Und im Jahr 1780 gehört Mannheim, auch das „deutsche Jerusalem“ genannt, mit Frankfurt am Main, Hamburg, Fürth in Bayern, Zülz (Kr. Neustadt, Oberschlesien) und Glogau (Niederschlesien) zu den einzigen Städten mit jeweils über 1000 jüdischen Gemeindemitgliedern.

1800–1900

So lebten im Jahr 1809 nach einer amtlichen Zählung genau 1.095 jüdische Bürger in Mannheim. Um 1830 lag ihr Anteil bei etwa 7 % der Gesamtbevölkerung (20.000 Einwohner), wovon etwa zwei Drittel im Handel tätig waren.

Überhaupt hatten am wirtschaftlichen Aufschwung Mannheims im 19. Jahrhundert gerade die jüdischen Einwohner beträchtlichen Anteil: Jüdische Tuch-, Eisen-, Getreide- und Tabakhandelsfirmen entstanden, Zigarrenfabriken - siehe Gottschalk Mayer (1761-1835) und seine „Gebr. Mayer Zigarrenfabriken“ - und Brennereien wurden eröffnet, das Bankhaus Ladenburg finanzierte zahlreiche Industrieprojekte. Weltruf genossen der 1838 gegründete Verlag von J. Bensheimer (rechts- und staatswissenschaftliche Literatur) und die Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik der Gebrüder Bensinger.

1875 wurden 3.943 jüdische Einwohner in Mannheim gezählt, entsprechend 6,6 % der gesamten Einwohnerschaft.

Das Mannheimer Judentum spielte eine bedeutende Rolle in allen Bereichen des städtischen Lebens, unter anderem durch verschiedene Stiftungen, mit denen einige Einrichtungen finanziert oder großzügig ausgestattet werden konnten wie das Herschelbad, die städtische Kunsthalle, das Reiß-Museum und die Stadtbibliothek.

1900–heute

Die neue Synagoge

Mit 6972 Mitgliedern war die israelitische Glaubensgemeinschaft in Mannheim 1925 zahlenmäßig die stärkste in Baden. Auch am urbanen Aufschwung der Stadt nahm die jüdische Gemeinde seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts einen gleichwertigen Platz neben den christlichen Religionsgemeinschaften ein. Die Namen von Juden verbinden sich mit führenden Industrieunternehmen, bedeutenden sozialen und kulturellen Stiftungen und findet sich in politischen Gremien von der gemeindlichen Selbstverwaltung bis in den Reichstag.

Generelle Stimmung in Mannheim um 1930

Die Stimmung in Mannheim war aufgrund der Mannheimer Gesellschaftsstruktur (ein großer Teil der Bevölkerung stammte aus dem Arbeitermilieu) generell nicht sehr antisemitisch. Daher wurde durch die Nationalsozialisten im nordbadischen Raum die administrative Seite der Verfolgung stärker betont. Jedoch fanden auch „wilde“ Methoden statt, wie man z.B. an der Verdrängung der Juden aus dem Geschäftsleben erkennen kann.

Entwicklung der Mannheimer Juden nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten

Die Gemeinde reagierte gewappnet. Jedoch gab es im Gemeindeblatt keinen besonderen Hinweis auf dieses bedeutende Ereignis. Erst nach Erlass der Anti-Juden-Gesetze fand sich dort erste Kritik. Im Inneren litt die Gemeinde von Anfang an. Sie begannen sich eine „jüdische Welt“ zu errichten, mit eigenen Schulen, eigenem Seniorenheim und Krankenhaus. Zur Versorgung der Juden ohne Einkommen wurden Vereine gegründet.

Novemberpogrome 1938

Novemberpogrome 1938 (9./10. November): Die Mannheimer Synagoge wurde gesprengt und die Feudenheimer Synagoge in Brand gesteckt. Geschäfte sowie Wohnungen von Juden wurden geplündert und deren Habe verbrannt. Führende Gemeindemitglieder flohen, oder wurden nach Dachau deportiert.

1940 - Zu den Deportationen nach Gurs

Nach der Eroberung Frankreichs am 2. August 1940 gingen das Elsaß an Gauleiter Robert Wagner (Gau Baden) zur Bildung eines neuen Gaus „Oberrhein“ und Lothringen an Josef Bürckel (Gau Saarpfalz) zur Bildung eines neuen Gaus „Westmark“. Im Rahmen der Waffenstillstandsvereinbarung mit Frankreich am 22. Juni 1940 war vereinbart worden, dass alle französischen Juden aus den deutschen Besatzungsgebieten in das Landesinnere von Frankreich deportiert werden. Bis Mitte September 1940 wurden so über 23.000 Franzosen aus den besetzten Gebieten deportiert. Anlässlich einer Besprechung der beiden Gauleiter in der Reichskanzlei am 25. September 1940 forderte Hitler sie auf dafür zu sorgen, dass ihre Gebiete „judenfrei“ gemacht werden. Beide beschlossen, in einer konzertierten Aktion die Deportationen auch auf die im Reichsgebiet lebenden Juden auszudehnen. So wurden im Rahmen der „Wagner-Bürckel-Aktion“ die letzten in Mannheim und der ganzen Umgebung lebenden Deutsche jüdischen Glaubens am 22. Oktober 1940 von Kripo-Beamten (Gestapo) abgeholt, in Sammellager nach Heidelberg, Mannheim und Karlsruhe gebracht und in sieben Zügen über Belfort nach Gurs deportiert. Nur wenigen gelang von dort die Flucht. Viele starben an Hunger und Krankheiten. Im August 1942 wurden von dort Transporte in die Gaskammern von Auschwitz und Lublin-Majdanek zusammengestellt.

Leben der jüdischen Gemeinde nach Zusammenbruch der eigentlichen Gemeinde

Krankenhaus und Altersheim waren kostspielig, aber für die Gemeinde von steigender Bedeutung. Das Krankenhaus wurde jedoch 1941 beschlagnahmt und das Altenheim wurde kurz darauf infolge von Deportationen geschlossen.

Bis 1940 gelang rund 4000 Juden die Emigration bzw. Flucht ins Ausland. 2300 Menschen aus dem jüdischen Kulturkreis fallen in Mannheim dem Nationalsozialismus zum Opfer.

Judendiskriminierung am Beispiel Wirtschaft

Von den vor der Machtergreifung 1244 jüdischen Betrieben blieben bis zum 1. März 1939 noch 64 übrig, d.h. sie waren noch rentabel, bzw. noch nicht arisiert.

1945 - Langer Weg zu einem eigenen Denkmal

Die Wiedergründung der jüdischen Gemeinde nach der nationalsozialistischen Verfolgung erfolgte mit nur 120 Mitgliedern.

Als 1952 ein Friedensengel errichtet wird, ist die Aussage des Gedenkens noch sehr strittig. Der damalige Oberbürgermeister Hermann Heimerich (1885-1963) will damit für die Bevölkerung einen Ort öffentlicher Trauer und gemeinschaftlichen Gedenkens schaffen. Das Denkmal soll zur Versöhnung der in der Frage des Umgangs mit der Vergangenheit gespaltenen Nation beitragen. Die vom Bildhauer Gerhard Marcks geschaffene und in Anwesenheit von Bundeskanzler Konrad Adenauer am Volkstrauertage eingeweihte Plastik wurde schließlich im Mai 1983 von ihrem prominenteren Standort in B 4 im Schatten der Jesuitenkirche nach E6 wegverlegt.

1987 wurde die neue Mannheimer Synagoge eingeweiht.

In den Planken wurde 2003 ein Mahnmal errichtet. Auf dem Glaskubus sind in Spiegelschrift die Namen der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Mannheim angebracht. Der Kubus selbst wurde schräg aufgestellt, so dass er auf den Mittelpunkt des Paradeplatzes weist.

2005 hat die Gemeinde etwa 600 Mitglieder.

Jüdische Persönlichkeiten in Mannheim

Siehe auch

Literatur

  • Tilde Bayer: Der Platz in der Synagoge, in: „Stadt und Land. Bilder, Inszenierungen und Visionen in Geschichte und Gegenwart. Wolfgang von Hippel zum 65. Geburtstag“, Seite 239.
  • Tilde Bayer: Minderheit im städtischen Raum. Sozialgeschichte der Juden in Mannheim während der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, Jan Thorbecke Verlag, Stuttgart 2001. 280 Seiten. ISBN 3799509046
  • Hans-Joachim Flieder: Die Judenverfolgung in Mannheim 1933–1945, Stadtarchiv Mannheim
  • Schule in Mannheim 2: 22. / 23. Oktober 1940 Deportation Mannheimer Juden nach Gurs, Schulverwaltungsamt Mannheim
  • Hans-Joachim Hirsch: „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen“. Die Gedenkskulptur für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Mannheim, Kleine Schriften des Stadtarchivs Mannheim, Nr. 23 Verlagsbüro von Brandt, Mannheim 2005.
  • Volker Keller, Bilder vom jüdischen Leben in Mannheim, Mannheim 1988
  • Monika Ryll: Lukas Strauß - Badisches Bürgertum im Kaiserreich, Kleine Schriften des Stadtarchivs Mannheim, Heft Nr.3, Mannheim 1996.
  • Friedrich Teutsch: Geschichte der jüdischen Gemeinde vom Westfälischen Frieden bis zur Weimarer Republik im Spiegel des Quadrats F3, Stadtarchiv Mannheim, Verlagsbüro von Brandt, Mannheim 1987.
  • Shulamit Volkov: Die Juden in Deutschland 1780–1918, Enzyklopädie deutscher Geschichte, Band 16, R. Oldenbourg Verlag, München, 1994 u. 2000 (2. A.). 166 Seiten. ISBN 3486564811
  • Florian Waldeck: Alte Mannheimer Familien, Schriften der Familiengeschichtlichen Vereinigung Mannheim, Selbstverlag, Mannheim 1920 (Neudruck 1986).
  • Karl Otto Watzinger: Geschichte der Juden in Mannheim 1650–1945, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Mannheim, Band 12, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1984.
  • Moshe Zimmermann: Geschichte des deutschen Judentums 1914–1945. Verlag Oldenbourg. 1997. 170 Seiten. ISBN 3486550802

Weblinks


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