Jütisches Low

Jütisches Low

Das Jütische Recht (Gerichtsterminus: Jütisches Low, dänisch Jyske Lov, niederdeutsch Jütsche Low) ist eine Gesetzesordnung aus dem 13. Jahrhundert. Es galt auf der Halbinsel Jütland bis an die Eider (also einschließlich Schleswigs bzw. Südjütlands) auf diversen angrenzenden kleineren Inseln (wie z. B. Rømø) sowie auf den Inseln Fünen, Fehmarn und Helgoland und war eine der ältesten schriftlich fixierten Rechtsgrundlagen in Dänemark.

Zu den noch etwas älteren, ebenfalls unter König Waldemar II. verfassten Landschaftsrechten, gehörte weiter das Seeländische Recht (für Seeland und die südlichen Inseln) und das Schonische Recht (für Schonen einschließlich Bornholm, Halland und Blekinge).

Im Königreich blieb das Jütische Recht bis 1683 gültig, als es durch das Dänische Recht Christian des V. ersetzt wurde. Im Herzogtum Schleswig hingegen wurde es weiterhin angewendet und blieb teilweise sogar noch bis zur im ganzen Deutschen Reich erfolgten Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahr 1900 gültig. In auch gegenwärtiger juristischer Literatur und Rechtsprechung wird allerdings davon ausgegangen, dass einzelne Normen des Jütischen Low auch weiterhin im Geltungsgebiet in Kraft sein und sogar in Einzelfällen innerhalb von Gesetzeskonkurrenzen Vorrang gegenüber aktuellen Gesetzen (wie dem BGB) haben können. Eine der Ursachen für das Fortbestehen der Gültigkeit ist darin zu finden, dass einige preußische Gesetze, wie das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 in Schleswig-Holstein nie in Kraft gesetzt wurden, so dass zum Beispiel nach Art. 55 ff. EGBGB die weiterhin gültigen landesrechtlichen Normen die des Jütischen Low sein können.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Nestor der mittelalterlichen dänischen Chronisten Saxo Grammaticus berichtet in seinem um 1200 entstandenen Werk Gesta Danorum über die Versuche der dänischen Könige, übergreifende Gesetze durchzusetzen. Wie bereits in der Antike verbreitet, ging man im 12. Jahrhundert in vielen Teilen des christlichen Europa dazu über, geltende Gewohnheitsrechte zu kodifizieren. Unter Waldemar dem Sieger (König von 1202 bis 1241, vorher schon Herzog zu Schleswig) nahmen die ersten Landschaftsrechte Gestalt an. Das Jütische Recht ist als einziges derselben datiert, es erschien kurz vor dem Tode des Königs 1241. Dem Inhalt nach müssen Schonisches und Seeländisches Recht jedoch noch einige Jahre älter sein.

Als Hauptverfasser des Werks gilt Bischof Gunner von Viborg, dem politischen Zentrum Jütlands. Aus der Vorrede geht hervor, dass der König gemeinsam mit seinen Söhnen Erik Plovpenning, Abel, Christoffer und Uffe, seinerzeit als Erzbischof von Lund höchster geistlicher Würdenträger im Reich, sämtlichen dänischen Bischöfen und „den besten Männern im Reich“ den Rechtscodex anerkannt habe. Wahrscheinlich ist der Gesetzestext auch am jütischen Landesting in Viborg beschlossen worden, denn im Vorwort wird erwähnt, dass niemand gegen das Recht verstoßen und richten dürfe, das der König gegeben und das Land beschlossen habe.

Inhalt

Kopenhagener Stadtgericht. Über dem Porticus steht der berühmte einleitende Satz des Jütischen Rechts

Das Jütische Recht war für seine Zeit sehr detailliert, was der kasuistischen Rechtsauffassung durchaus entsprach. In erster Linie war der Codex eine Zusammentragung von älteren Gewohnheitsrechten für viele alltägliche Angelegenheiten, bei denen es zum Interessenkonflikt zwischen zwei Parteien kommen könnte. Neu war jedoch die Festschreibung von Prozessführung mit Beweisaufnahme, Zeugenverhör und Schwüren, um Blutrache und das Recht des Stärkeren endgültig zu überwinden.

Im Gegensatz zu den beiden anderen dänischen Landschaftsrechten hat das Jütische Recht eine Vorrede, aus der nicht nur wie erwähnt die Initiatoren kenntlich werden, sondern auch Sinn und Zweck des Rechtscodex’ ausgeführt werden.

Die Einführung lautet in der Übersetzung: „Mit dem Gesetz soll das Land gebaut werden. Doch würde jedermann sich mit seinem eigenen begnügen und Männern dasselbe Recht zugestehen, dann hätte man für kein Gesetz Bedürfnis. Aber kein Gesetz ist gleich gut zu folgen wie Wahrheit; wo man um die Wahrheit zweifelt, da soll das Gesetz herausfinden, was recht ist.“

Des Weiteren wird betont, dass vor Gott und Gesetz alle gleich seien, dass der Schwache vor dem Recht des Stärkeren geschützt werden sollte, dass jeder friedliche Mensch seinen Frieden gewahrt sehen sollte, und dass die Ungerechten für ihre taten nach dem Gesetz verurteilt und bestraft werden sollen. Somit wird bereits in der Vorrede ein bemerkenswertes Idealbild von Recht und Gerechtigkeit gezeichnet – das der Rechtslage im Staat wohl kaum entsprochen haben dürfte, wenn man allein an den bald nach dem Tod des Königs ausbrechenden Krieg zwischen seinen Söhnen Erik und Abel denkt.

Das Original wurde 1241 auf Mittelalterdänisch abgefasst. Das älteste erhaltene Exemplar (Ende 13. Jahrhundert) liegt heute in der Königlichen Bibliothek in Stockholm. Um 1700 gehörte diese Handschrift noch dem Bischof von Ribe, Christian Muus, aber sie könnte als Kriegsbeute nach Schweden geführt worden sein.

Spätestens im 16. Jahrhundert entstand eine niederdeutsche Übersetzung, Jütsche Low, und 1717 deren mit hochdeutschen Vorbemerkungen und in der mittelalterlich-juristischen Tradition „Glossa” genannten Kommentierungen versehene Ausgabe, Das Jütische Low-Buch[1].

Der erste Satz Med Lov skal Land bygges ist noch heute in ganz Dänemark allgemein bekannt und ziert unter anderem den Giebel des Kopenhagener Stadtgerichtsgebäudes von 1815. In Zeiten der Nationalromantik wurde gerade das oben genannte, in der Vorrede gezeichnete Idealbild des auf Recht basierten Staates hochstilisiert.

Geltungsbereich

Das Jütische Recht war die einzige übergeordnete Rechtsordnung in Jütland (mit Schleswig) und auf Fünen. Teilweise wurde es auch im östlichen Dänemark miteinbezogen, da es ausführlicher war als das Schonische und Seeländische Recht. Laut einigen Rechtshistorikern könnte das Jütische Recht für eine Anwendung im ganzen Reich abgesehen sein, da es auf einer Tagung von Großherren in Vordingborg auf Seeland angenommen wurde.

Das Jütische Recht wurde niemals grundlegend geändert, da man bis teilweise ins 19. Jahrhundert hinein die ältesten Gesetze und Rechte als die einzig wahren ansah und der Grundsatz, dass neues Recht älteres ersetze, noch nicht durchgesetzt worden war. Das Jütische Recht deckte jedoch längst nicht alle Lebensbereiche. Vor allem im Herzogtum Schleswig wurde, vermittelt durch in Mitteleuropa ausgebildete Juristen, Römisches Recht immer häufiger zu Rate gezogen. Die Carolina, das peinliche Hand- und Halsrecht des Kaisers Karl V., wurde sogar zum dominierende Strafgesetzbuch, obwohl Schleswig niemals zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörte. Hinsichtlich des Strafrechts war das Jütische Recht im 17. Jahrhundert nicht mehr ausreichend. Im Königreich Dänemark wurden die Landschaftsrechte 1683 durch das Dänische Recht ersetzt, welches allerdings viele Grundsätze des Jütischen Rechts weiterführte.

Im Herzogtum Schleswig blieb es gültig, sofern es dort nicht mit bestimmten Landschaftsrechten (auf Eiderstedt, Nordstrand und Fehmarn) oder Stadtrechten kollidierte; letztere waren allerdings jünger als das Jütische Recht und standen daher nicht im Gegensatz zu diesem. Als Schleswig 1866 preußisch und 1871 deutsch wurde, gab es zunächst keine neue oder auswärtige Gesetzesordnung, welche die alten Rechte ersetzte. Daher blieb das Jütische Recht formell gültig, außer in den ehemaligen königlichen Enklaven an der Westküste, wo das Dänische Recht von 1683 galt. Erst 1900 ersetzte das Bürgerliche Gesetzbuch die traditionsreiche Ordnung aus dem Mittelalter allerdings auch nicht vollständig, da nach dem Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB) sowie nach einzelnen Normen innerhalb des BGBs weiterhin zum Teil landesrechtliche Vorschriften in Kraft bleiben.

Anwendung heute

Einige wenige Bestimmungen des Jütischen Rechts bleiben heute noch gültig, weil sie nie von anderen Gesetzen abgelöst oder aufgehoben wurden. Dazu gehört die Regel, dass jedermann in dem Wald eines anderen beliebig viele Nüsse und Beeren vor Ort verzehren, jedoch nicht mit sich bringen darf. Sollte man einem Bienenschwarm begegnen, kann man sich auf folgendes berufen: „Findet ein Mann Bienen im offenen Felde, und kein Mann folgt ihnen, dann soll der, wer sie fand, sie haben, wenn er auch weder Land noch Wald auf jenem Felde besitzt. Denn wenn sie von der Augensicht eines Mannes (des Eigentümers) weg fliegen, dann gehören sie ihm, der sie findet.“ [2]

Nach den Artikeln 55 ff. EGBGB könnte im heutigen Gültigkeitsbereich (Südschleswig, Fehmarn, Helgoland) des Jütischen Low dieses alte Gesetz von 1240 als Landesgesetz gegenüber BGB-Normen unter anderem in den Vorschriften über Lehen und Stammgüter (Art. 59), Erbpachtrecht (Art. 63), Anerbenrecht (Art. 64), Wasserrecht (Art. 65), Deichrecht (Art. 66), Jagdrecht (Art. 69), Zwangs- und Bannrechten (Art. 74), Haftung des Staates und der Gemeinden (Art. 77) Vorrang haben.

In einer komplizierten Erbsache in den 1980er Jahren zitierte das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht noch das Jütische Recht. Auch im Jahre 2000, in einer Sache von Fehmarn, ob der Vorstrand Eigentum des Staates sei, griff das OLG auf das Jütische Low in seiner 1592 von Christan IV. autorisierten Übersetzung zurück.[3] Dabei ist es vielleicht das einzige Beispiel geltenden Rechts in niederdeutscher Sprache.

Gesamte Vorrede in Übersetzung

Mit Gesetz soll Land gebaut werden. Doch würde jedermann sich mit seinem eigenen begnügen und Männern dasselbe Recht zustehen, dann hätte man für kein Gesetz Bedürfnis. Aber kein Gesetz ist gleich gut zu folgen wie Wahrheit; wo man um die Wahrheit zweifelt, da soll das Gesetz herausfinden, was recht ist.

Wäre kein Gesetz im Lande, dann hätte der mehr, wer sich mehr aneignen könnte; deswegen soll das Gesetz nach aller Menschen Bedürfnis gemacht werden, dass gerechten Männern und Friedlichen und Unschuldigen ihre Rechtschaffenheit und Friedlichkeit zugute kommen, und üble und ungerechte Männer sich davor ängsten, was im Gesetz geschrieben ist, und deswegen nicht ihre Bosheit, wonach ihr Sinn steht, zu vollstrecken wagen.

Gut ist es und recht, dass der, wen Angst vor Gott und Liebe zum Recht nicht zu Gutes locken können, dass Angst vor dem Häuptling und dem Gesetz des Landes sie verhindert, übles zu tun, und sie bestraft, wenn sie übles tun.

Das Gesetz soll ehrlich, gerecht und billig, nach den Gebrauchen des Landes sein, passend und hinsichtsgemäß und so klar, dass alle Männer wissen und verstehen können, was das Gesetz sagt, und nicht zum besonderen Gunst eines Mannes geschrieben oder gemacht sein, aber nach aller Männer Bedürfnis, die im Lande wohnen.

Auch soll kein Mann gegen das Gesetz urteilen, das der König gibt und das Land annimmt; aber nach dem Gesetz soll das Land geurteilt und geleitet werden.

Das Gesetz, das der König gibt und das ganze Land annimmt, das kann er auch nicht aufheben oder ändern ohne Willen des Landes, denn dabei würde er offenbar gegen Gott handeln.

Es ist Königs und Häuptlings Amt, die im Lande sind, das Recht zu wehren und Rechtes zu tun und den zu befreien, der mit Gewalt gezwungen wird, so wie Witwen und Kinder ohne Vormund und Pilger und Ausländer und arme Männer: sie trifft am häufigsten Gewalt, und nicht Untatsmänner, die, die sich nicht verbessern wollen, in seinem Lande leben lassen, denn darin, dass er Untatsmänner bestraft oder totschlägt, da ist er Gottes Diener und des Gesetzes Beschützer.

Denn wie die heilige Kirche von Papst und Bischof gelenkt wird, so soll jedes Land mit dem König oder seinen Richtern gelenkt und gewehrt werden.

Dazu sind auch alle pflichtig, die in seinem Lande wohnen, ihm hörig und gehorsam und untertänig und gefügsam zu sein; dafür ist er pflichtig, ihnen allen Frieden zu leisten.

Das sollen auch die Häuptlinge der Welt wissen, dass mit der Macht, die Gott ihnen in dieser Welt übertrug, da übertrug er ihnen und seiner heiligen Kirche, vor allen unrechten Forderungen zu wehren, aber werden sie vergesslich und parteilich und wehren nicht, so wie recht ist, dann sollen sie am jüngsten Tage zur Verantwortung stehen, wenn der Kirche Freiheit und des Landes Freiheit ihretwegen in ihrer Zeit gemindert werden. [4]

Weblinks

  • Internetversion digitalisiert von der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen.
  • Vorrede des Jyske Lov wie sie im 13. Jahrhundert lautete (vom Professor und Sprachwissenschaftler Lars Brink eingesprochen)
  • Holsteinisch-Niederdeutsche Textausgabe von 1717 (Das Jütische Low=Buch/So in diesen Landen / Vornehmlich Im Hertzogthum Schleßwig / Durch Königl. Befehl introduciret/ und biß dato gebräuchlich ist … ) Flensburg (Bosseck) 1717, digitalisiert beim Deutschen Rechts-Wörterbuch online
  • Joachim Blütings Kommentar von 1717 (Glossa, Oder Gründliche Erklährung / Des in hiesigen Landen / absonderlich Im Herzogthum Schleßwig / introducirten oder gebräuchlichen Low= oder Rechts=Buchs / Uber alle desselben drei Theile beschrieben von Herrn JOACHIMUM BLÜTING, Weiland Hoch=Fürstlichen Hoff=Gerichts=Advocaten zu Schleswig), Flensburg (Bosseck) 1717, digitalisiert beim Deutschen Rechts-Wörterbuch online

Quellen

  1. Das Jütische Low-Buch, So in diesen Landen, Vornehmlich im Hertzogthum Schleßwig gebräuchlich ist. Vor diesen 2. mahl von B. Eichenberger in Hollsteinischer Sprache heraus gegeben, Anitzo aber zum Dritten mahl wiiederumb in selbiger Sprache sampt einem vermehrt- und verbesserten Repertorio oder Register, benebst des Herrn Blütings Glossa oder Erklährung über obgedachtes Low-Buch zum Druck befördert durch E. W(ölffel). Flensburg, Bossek, 1717.; s. Weblinks
  2. Jyske Lov, Kapitel 3, § 40
  3. OLG Schleswig-Holstein 1 U 89/99 vom 14.12.2000
  4. Dänischer Text von dieser Webseite; hier vom Benutzer:Sasper übersetzt
  • Håndbog for Danske Lokalhistorikere.
  • Stig Iuul: Lov og Ret i Danmark. Kopenhagen 1942.
  • Ole Fenger & Christian R. Jansen: Jydske Lov 750 år. Viborg 1991.

Literatur

  • Das Jütsche Recht. Aus dem Altdänischen übersetzt und erläutert von Klaus von See, Weimar 1960.

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