Kloster Gandersheim

Kloster Gandersheim

51.87039710.0260977Koordinaten: 51° 52′ 13″ N, 10° 1′ 34″ O

Stift Gandersheim

Das Stift Gandersheim (das heutige Bad Gandersheim in Niedersachsen) wurde 852 von Sachsenherzog Liudolf, dem Namensgeber der Liudolfinger, gegründet. Für dieses Vorhaben erhielt er auf einer Pilgerreise nach Rom von Papst Sergius II. die Zustimmung und die für die Gründung notwendigen Reliquien der heiligen Päpste Anastasius und Innocentius. Der Konvent wurde zunächst in Brunshausen angesiedelt und zog nach der Fertigstellung der Stiftskirche nach Gandersheim, den ursprünglich geplanten Ort, um. Es war seinem Charakter nach ein fürstliches Familienstift und kam nach seiner Gründung reich ausgestattet zu baldiger Blüte.

Das „Kaiserlich freie weltliche Reichsstift Gandersheim“, wie es sich seit dem 13. Jahrhundert bis zu seiner Auflösung 1810 offiziell nannte, war eine Gemeinschaft unverheirateter Töchter hochadliger Familien, die in diesem Frauenstift ein gottgefälliges Leben führen wollten. Der Begriff „weltlich“ im Namen ist als Gegensatz zu „klösterlich“ zu verstehen, nicht zu „kirchlich“, wie man es heute verstehen würde. Die Bewohnerinnen waren Kanonissen (seit der Reformation auch als Stiftsdamen bezeichnet).

Sie verfügten über Privatbesitz und legten kein ewiges Gelübde ab, konnten also jederzeit aus dem Stift austreten. Die Ottonischen und Salischen Kaiser weilten mit ihrem Gefolge häufig in Gandersheim. Es war also keineswegs ein beschauliches und weltabgewandtes Leben, das die Kanonissen führten. Neben der Memoria für die Gründerfamilie war eine der Aufgaben der Kanonissen und damit des Stifts die Ausbildung und Erziehung von adligen Töchtern. Dabei mussten die Schülerinnen nicht zwingend selbst Kanonissen werden.

Inhaltsverzeichnis

Kirchenbau

In der Stiftskirche erkennt man noch den romanischen Kirchenbau, der mit gotischen Anbauten erweitert wurde. Die Stiftskirche in Bad Gandersheim ist eine kreuzförmige Basilika mit einem mit zwei Türmen ausgestatteten Westbau. Er besteht aus einem flach gedeckten Langhaus mit sächsischem Stützenwechsel und zwei gewölbten Seitenschiffen. Das Querhaus besitzt eine querrechteckige Vierung mit ungefähr quadratischen Querarmen und daran schließt sich das querrechteckige Chorjoch an. Unter Vierung und Chor befindet sich eine Hallenkrypta. Der Westbau besteht aus zwei Türmen mit einem Verbindungsbau, der über zwei Geschosse verfügt. Ursprünglich hatte das Westwerk noch eine vorspringende Vorhalle mit Obergeschoss, das sogenannte Paradies. Der bestehende Kirchenbau wurde um 1100 begonnen und im Jahr 1168 geweiht. Reste der Vorgängerbauten sind in die Kirche integriert. Der heute zu besichtigende Bau ist durch Restaurierungen des 19. und 20. Jahrhunderts überformt.

Geschichte

Gründung

852 wurde das Gandersheimer Stift von Graf Liudolf und seiner Ehefrau Oda gegründet. Diese hatten bei einer Romwallfahrt von Papst Sergius II. die Erlaubnis zur Einrichtung eines Frauenstiftes eingeholt und die Reliquien der heiligen Päpste Anastasius und Innocentius erhalten, die bis heute die Titelheiligen der Stiftskirche sind. Liudolf ist der Stammvater der Liudolfinger, aus deren Familie die ottonischen Könige hervorgingen. Zunächst wurde der Konvent in Kloster Brunshausen angesiedelt, die Leitung übernahm Hathumod, Tochter des Stiftsgründerehepaares. Auch die folgenden beiden Äbtissinnen waren Töchter Liudolfs. 856 wurde der Bau der Stiftskirche in Gandersheim begonnen und 881 konnte Bischof Wigbert die Kirche auf die heiligen Anastasius, Innocentius und Johannes den Täufer weihen. Nach 29 Jahren konnte der Konvent in die neue Stiftskirche einziehen.

Schon 877 wurde das Stift von König Ludwig dem Jüngeren unter den Schutz des Reichs gestellt und erhielt damit weitgehende Unabhängigkeit. 919 bestätigte König Heinrich I. die Reichsunmittelbarkeit des Stiftes. Diese enge Bindung an das Reich hatte zur Folge, dass das Stift den König auf seinen Reisen durch das Reich beherbergen musste. Diverse Besuche von Königen sind verzeichnet.

Das Stift in ottonischer Zeit

Die Gründung des Stiftes durch den Stammvater der Liudolfinger führte zu einer besonderen Bedeutung des Stiftes in ottonischer Zeit auch auf Reichsebene. Bis zur Gründung des Stiftes Quedlinburg 936 war Gandersheim das wichtigste ottonische Familienstift. Die Stiftskirche war eine der Grablegen der ottonischen Familie.

Um 973 beherbergte das Stift eine seiner bekanntesten Kanonissen, Hrotsvith von Gandersheim, die als erste deutsche Dichterin Bekanntheit erlangte. Sie schrieb historische Dichtungen, geistliche Schriften und Dramen. Ihre Verehrung für Otto I. brachte sie in den „Gesta Ottonis“ zum Ausdruck.

Im sogenannten Großen Gandersheimer Streit, an der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert, meldete der Hildesheimer Bischof Ansprüche auf das Stift an, so dass sich die Kanonissen wegen der Lage an der unklaren Grenze zwischen den Diözesen Mainz und Hildesheim an den Mainzer Erzbischof annäherten. Diese Zuständigkeit wurde auf verschiedenen Synoden diskutiert und erst das volle Exemtionsprivileg von Papst Innozenz III. vom 22 Juni 1206 befreite das Stift von den Ansprüchen des Hildesheimer Bischofs. Von da an konnten sich die Äbtissinnen Reichsfürstinnen nennen.

Mit dem Tod des letzten Salierkönigs 1125 nahm die Bedeutung des Stifts ab und es geriet immer stärker in Abhängigkeit von den Landesherren. Besonders die Welfen versuchten bis zur Auflösung des Stiftes mit mehr oder weniger Erfolg ihren Einfluss auf das Stift auszudehnen. Es war dem Stift nicht möglich, eine eigene Landesherrschaft aufzubauen. Spätestens seit der Mitte der 70er Jahre des 13. Jahrhunderts konnten sich die Braunschweiger Herzöge die Vogtei über das Stift sichern. Sie bauten am Ende des 13. Jahrhunderts eine Burg in Gandersheim. Ein weiterer Weg, Einfluss auf das Stift zu bekommen, war es, verwandte Adlige auf den Stuhl der Äbtissin zu setzen. Dies gelang zum ersten Mal 1402 mit der Äbtissin Sophia III., Prinzessin zu Braunschweig-Lüneburg.

Die Reformation

Nach anfänglicher Ruhe in den Wirren der Reformation wurde das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel 1542 von Truppen des Schmalkaldischen Bundes besetzt und die Reformation eingeführt. Die Reformatoren ignorierten die Reichsunmittelbarkeit des Stiftes und ordneten den evangelischen Gottesdienst an. Durch die Abwesenheit der Dekanin, die für die erst siebenjährige Äbtissin das Stift regierte, konnten die Kanonissen die Ausführung herauszögern. Die Bürger Gandersheim hatten die Reformatoren freudig empfangen und am 13 Juli 1543 kam es zu einem Bildersturm in der Stiftskirche, bei dem Bürger und der Pöbel Altäre zerstörten. Doch Herzog Heinrich der Jüngere konnte zurückkehren und das Fürstentum wechselte zurück zum katholischen Glauben. Er ersetzte teilweise die Schäden und die Kirche wurde neu geweiht. Erst 1568 wurde die Reformation unter Herzog Julius von Braunschweig endgültig eingeführt. Das Stift und seine Eigenklöster Brunshausen und Clus wurden evangelisch, das Marienkloster und das Franziskanerkloster aufgelöst. Es gab aber in der Folge weitere Streitigkeiten zwischen der Äbtissin des Stifts und dem Herzog, weil beide ihren Einfluss ausdehnen wollten. Erst 1593 wurden die Streitigkeiten in einem Vertrag endgültig geklärt.

Eine letzte barocke Blüte

Unter den Äbtissinnen Henriette Christine zu Braunschweig-Wolfenbüttel und Elisabeth Ernestine von Sachsen-Meiningen begann eine erneute Blütezeit des Frauenstiftes. Sie förderten Künste und Wissenschaften. Elisabeth Ernestine Antonie ließ das Sommerschloss Brunshausen und den Barockflügel der Abtei mit dem Kaisersaal bauen und sorgte für die Ausstattung der Kirche.

Die Aufhebung des Stifts

1802 gab das Stift seine Reichsunmittelbarkeit in einem Vertrag auf, um der drohenden Säkularisation zu entgehen. Das Stift unterstellte sich der Landeshoheit des Hauses Braunschweig-Wolfenbüttel. Der langwierige Kampf um die Reichsfreiheit im Gegensatz zu den Welfenherzögen war beendet. In der Zeit der französischen Besetzung gehörte Gandersheim zum Königreich Westphalen. Zunächst war die geflohene Äbtissin mit Genehmigung Napoleons in das Stift zurückgekehrt und durfte dort weiter residieren. Nach ihrem Tod am 10. März 1810 gab es aber keine Wahl einer Nachfolgerin mehr. Das Stift wurde aufgelöst, die Besitzungen den westphälischen Krondomänen zugeschlagen und die Stiftsangehörigen entschädigt. Auch nach dem Ende des Königreichs sah sich das Herzogtum Braunschweig nicht gewillt, das Stift wieder herzustellen.

Das Stift in der heutigen Zeit

Heute wird das Stift von der evangelisch-lutherischen Stiftskirchengemeinde St. Anastasius und St. Innocentius genutzt. Bei Restaurierungsarbeiten entdeckte man 1997 Teile des alten Kirchenschatzes, Reliquien, Textilien und Reliquienbehältnisse. Diese werden als Kirchenschatz seit März 2006 im Portal zur Geschichte ausgestellt.

Äbtissinnenliste

Siehe Liste der Äbtissinnen von Gandersheim

Literatur

  • Hans Goetting: Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim. In Max-Planck-Institut für Geschichte (Hrsg.): Germania sacra: historisch-statistische Beschreibung der Kirche des Alten Reiches. de Gruyter, Berlin/New York 1973, ISBN 3-11-004219-3.
  • Martin Hoernes, Hedwig Röckelein (Hrsg.): Gandersheim und Essen. Vergleichende Untersuchungen zu sächsischen Frauenstiften. In: Essener Forschungen zum Frauenstift. Band 4. Klartext Verlag, Essen 2006, ISBN 3-89861-510-3.
  • Portal zur Geschichte : Schätze neu entdecken! Auswahlkatalog, hrsg. von Martin Hoernes und Thomas Labusiak, Delmenhorst 2007.
  • Helga Wäß: Form und Wahrnehmung mitteldeutscher Gedächtnisskulptur im 14. Jahrhundert. Katalog ausgewählter Objekte vom Hohen Mittelalter bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts. Band 2. Tenea, Bristol/Berlin 2006, ISBN 3-86504-159-0, S. 222 f.
  • Ernst Andreas Friedrich: Wenn Steine reden könnten. Landbuch-Verlag, Hannover 1989, ISBN 3-7842-0397-3

Weblinks


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