Kultklassiker

Kultklassiker
Der seinerzeit avantgardistische Citroën DS genießt Kultstatus; das Automodell wurde von Roland Barthes 1957 als beinahe übernatürliches Objekt besprochen.

Der Ausdruck Kult bezeichnet in der Szenesprache der Sub-, Massen- und Gegenkultur (dem Englischen parallel gebildet) anerkennend eine Qualität, die Kulturphänomene (von Fernsehserien über Rockbands, Autoren, Solisten, Aufführungen bis hin zu Markenartikeln oder Zeiträumen) in einem speziellen Anhängerkreis gewinnen können. Der Begriff ist abgeleitet vom religionswissenschaftlichen Begriff Kult, der auch metaphorisch für säkulare Phänomene verwendet wird, um die ein Kult betrieben wird.

Das Wort wird in Komposita wie Kultfilm, Kultband, oder Kultautor verwendet und daneben im Slang sprachlich auffällig gehandhabt, bei substantivischem Gebrauch ohne bestimmten oder unbestimmten Artikel, bei adverbischem zumeist ohne Endung: Diese Fernsehserie ist Kult oder adverbisch verstanden kleingeschrieben: Diese Fernsehserie ist kult. Um die spezielle Qualität der bezeichneten Gegenstände anzusprechen, existieren zudem die mittlerweile arrivierten Wortfügungen Kultstatus und Kultcharakter in Sätzen wie Diese Serie hat Kultstatus (Kultcharakter) gewonnen.

Kultstatus wird zumeist Gegenständen der Massenkultur zugeschrieben, die keinen Anspruch darauf erheben müssen, als herausragende kulturelle Leistungen geschätzt zu werden, die aber von eingeschworenen Fangemeinden verehrt werden und an die die unterschiedlichsten Mythen geknüpft sind. Kultstatus können dementsprechend auch ganz abgelegene kulturelle Produktionen gewinnen. Unter Büchern, die bereits mit „Bestsellern“ und „Gegenwartsklassikern“ Kategorien haben, die mit dem Kultgegenstand konkurrieren, hat sich eine spezielle Produktion von Kultbüchern entwickelt, die zu einzelnen Jahrzehnten in Insiderkreisen hoch gehandelt werden und hier vor allem eine Ahnung tieferen Wissens vermitteln, an das gewöhnliche Leser, so die allgemeine Hoffnung wie die allgemeine Leseerfahrung, mit ihrer Lektüre kaum herankommen. Das Wort wird oft auch ironisch gebrochen verwendet: Was nicht offen als kulturtragend anerkannt ist, findet da eine viel heftigere, an einen Kult erinnernde Protektion der Fangemeinde, die sich ihren Geschmack an diesem Gegenstand nicht verbieten lässt. Das impliziert fast immer, dass die Fans sich beträchtlich aus Kreisen rekrutieren, die eigentlich die hohe Kultur konsumieren – hier sich jedoch zu einem schichtenübergreifenden Geschmack bekennen.

Sofern es bei diesem Kult um Waren und nicht um Personen geht, kann er als eine stark ausgeprägte Form des (von marxistischen Kritikern so genannten) Warenfetischismus angesehen werden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Phänomen der Kultfilme, Kultbands und Kultserien kam im ausgehenden 20. Jahrhundert nach einer längeren Vorgeschichte auf, die sowohl in der Kulturkritik eine Linie hat, wie in der Massenkultur, wie auf Seiten der Publikumsgruppen, die Filme, Musik und Bücher konsumieren.

19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert hatte eine Trennung hoher, Rezensenten beschäftigender, und niederer, kommerzieller, unbesprochen bleibender Kultur aufgebracht. „Hoch“ standen die anspruchsvolle Kunst und Literatur und die „ernste“ Musik, niedrig die „leichte Muse“, die Unterhaltungsmusik, der Kitsch, die Trivialliteratur – eine Trennung, die nicht zuletzt gesellschaftliche Schichtungen wiedergab: An die hohe Kultur führte der Unterricht in den Gymnasien heran, von der niederen Kultur musste mit Geschmacksbildung und Verweis auf die hohen Güter und Werte weggeführt werden. Revolutionen fanden in der hohen Kultur statt, in gezielten Attacken auf deren ästhetische Konzepte. Das Ergebnis solcher Revolutionen waren avantgardistische Werke, die das gänzliche Unverständnis des einfachen Publikums auf sich zogen („das soll Kunst sein?“), und die beim kulturell arrivierten Publikum Abscheu erzeugten als Attacken auf das Wertvolle und Hohe. Die verbreitetste Kulturthese legte bis weit in das 20. Jahrhundert hinein nahe, dass hohe Kultur stets am Anfang erschreckte und einige Zeit benötige, um verstanden zu werden, bevor sie dann Allgemeingut wurde – und schließlich sogar noch Niederschläge im Trivialen und im Kitsch fand. (Ein Beispiel der Entwicklung sind die Werke Vincent van Goghs, die als Revolution der hohen Kunst begannen und dann allgemein verträgliche Ästhetik wurden.)

20. Jahrhundert

Eine Auflösung der kulturellen Differenzierung kam im 20. Jahrhundert schrittweise zustande: Früh erzwang der Film ein Umdenken. Er begann als niederes Medium, entwickelte jedoch bereits in den 1920er Jahren Qualitäten (bahnbrechend waren hier die Analysen Siegfried Kracauers), die eine ernsthafte Film- und Kulturkritik auf sich zogen. Die sich an die Alltags- und Massenkultur wagende Kulturkritik blieb von Distanz geprägt. Der Kritiker selbst blieb in der hohen Kultur verortet, jedoch eben daran interessiert, gesellschaftliche Entwicklungen mit Blicken auf das niedere und nicht so klar reflektierte, dafür vielleicht viel aussagekräftigere Material aufzuzeigen. Einen neuen Status gewannen die Kritiken, die Roland Barthes in den 1950ern Gegenständen der Massen- und Alltagskultur widmete. Sie erschienen – vom neuen Citroën DS bis zum Gesicht der Greta Garbo, wie es die Titelblätter der Zeitschriften verbreiteten – ihm so komplex und vielschichtig interpretierbar wie die höchsten Kulturgüter.

In der linken Kulturkritik blieben Rezensionen, die von der Massen- und Konsumkultur fasziniert waren, die Ausnahme. In der Kunst vertraute die Avantgarde bis in die 1960er darauf, dass moderne experimentelle und atonale Musik genauso wie abstrakte Malerei und Skulptur eines Tages das Publikum erobern würden, so wie dies alle Klassiker zuvor getan hatten. Die kommerzielle Massenkultur war, so die verbreitete Meinung insbesondere in linken Kreisen, als dem Kapitalismus entspringendes Produkt dessen Interessen verpflichtet. Neue Strömungen mussten im hohen Kulturbetrieb als Attacken auf bestehende Ästhetiken aufkommen und sich dann einen Weg nach unten bahnen. Es schien natürlich, dass sie zuerst auf Ablehnung und Desinteresse der breiten Masse stießen.

Popkultur der 1960er

Mit der Popkultur der 1960er wurden diese Thesen fragwürdig. Kritische Auseinandersetzungen mit der Gegenwart fanden plötzlich in der Rockmusik und auf großen Veranstaltungen wie Woodstock statt, eher als in den Konzertsälen der Musikhochschulen, in denen junge Komponisten neue Streichquartette vorstellten. Eine effektive Gegenkultur, die sich gegen den Vietnamkrieg wie die Konsumkultur richtete, fand mit der neuen kommerziell breit vermarkteten Massenkultur Ausdruck entgegen der Annahme, dass Konsumkultur per se systemstabilisierend und konsumbejahend ausgerichtet sein müsste.

Andy Warhol und Roy Lichtenstein gehörten zu den ersten Künstlern aus der Rezensionen findenden hohen Kunstszene, die das Phänomen aufnahmen und ihm mit Verfremdungen und Großreproduktionen Nachdruck verliehen. Die marktgängige Campbell-Suppe, in Dosen vervielfältigt, in neue Zirkulation gebracht, das Gesicht der Monroe und Mao Zedongs in variierenden Farbreduktion, multipliziert erlangten, den Originalen nacheilend, als Pop-Ikonen Kultstatus. Das Rezensionswesen der 1960er nahm den Angriff, der von der neuen Kultur ausging, kaum auf. Kulturkritiker wie Theodor W. Adorno sympathisierten mit der politisch aktiven 1968er Bewegung; zu einem Apostel der Popkultur und der Rockmusik wurde der Alban Berg-Schüler und Kracauer-Freund Adorno nicht.

Die 1970er Jahre

In den 1970ern veränderte sich das Rezensionswesen mit einer ersten Generation von Kritikern, die sich von der Protestkultur, der sie entstammten, nicht distanzierten. Ein neues Phänomen kam hinzu: Über die Massenmedien verbreiteten sich Serien und Filme, die eine weitgehend unkritische populäre Wertschätzung quer durch alle, im Moment noch vor allem jungen, Konsumentenschichten erfuhren: Star Trek – „Raumschiff Enterprise“ – wurde schichtenunspezifisch begeistert im Fernsehen verfolgt. Neu war Ende der 1970er das Bekenntnis der neuen Publikumsgruppen zu ihren eigenen Erfahrungsräumen im Populären und Trivialen. Was man hier genossen hatte, mochte trivial sein, es bot trotzdem weit mehr an Nachdenkstoff und Anreiz für – eine im Ernstfall spielerische, doch hoch komplexe – Beschäftigung und Identifikation als die hohe, anspruchsvolle Kultur.

Gegenstände aus der Massen-, Konsum- und Subkultur gewannen nun Kultstatus: Anhänger, die diese Produktion durchaus nicht als revolutionäre Kultur verteidigten, als eine Kultur, die ebenso anspruchsvoll sei wie die hohe. Das neue Phänomen war weit mehr von Nostalgie und einem privaten Bekenntnis zu Vorlieben und zur eigenen Vergangenheit geprägt. Es entwickelte dabei gleichwohl eine eigene Subversion als Angriff auf die kulturellen Differenzierungen und auf das Anspruchsdenken, mit dem hohe Kultur sich rechtfertigte. Man stellte die Grenzen zwischen Hoch- und Massenkultur in Frage, nicht dadurch, dass man die Hochkultur nach ihrem eigenen Reglement angriff und eine neue, erneut elitäre Kunstrichtung etablierte, sondern dadurch, dass man sich einfach nicht auf die hohe Kultur verpflichten ließ. Eine leichte Revolte bedeutete das immer noch, da das Bekenntnis zum Trivialen im selben Moment von oben nach unten soziale Trennlinien unterläuft, Material würdigt, das in allen Schichten Geschmack findet.

Eigene Rituale der Verehrung, bildeten sich an den kultigen Kulturgütern aus: Die Rocky Horror Picture Show wurde und wird von Fangemeinden regelmäßig in speziellen Kinovorführungen besucht, bei denen eigene Zeremonien – wie das Streuen von Reis – zum Begleitprogramm des Kinopublikums gehören. „Trekkies“ – Star Trek-Fans – besuchen „Conventions“ in ausgesuchter Kostümierung, Star-Wars-Fans haben ihre eigene Kultur der gemeinsamen Verehrung ihres Gegenstands. Die Tolkien-Gemeinde entwickelte sich zur größeren Lord-of-the-Rings-Fangemeinde mit den Kinofilmen und den Rollenspielen, die im Internet und in privaten Spielgemeinden Fantasy-Literatur zum neuen Erlebnis- und Kommunikationsraum machten.

Gemeinsam ist den kultigen Kulturgütern, dass sich um sie herum eigene Verehrungsformen bilden, die Begegnungen von Fangruppen aus unterschiedlichen Schichten erleichtern – man spricht eine gemeinsame Sprache, verhält sich für die Dauer der Begegnung in festgelegten Formen. Mit Erfolg ist das in der „Star-Trek“-Vermarktung durchgespielt worden. Zu ihr gehörte am Ende die Herausbildung der klingonischen Sprache: Die außerirdische Spezies, die anfangs als gefährliche Bedrohung eingeführt worden war, wurde in der Serie auf Drängen der Fangemeinde in den 1980ern ausgebaut und schließlich mit einer eigenen Sprache ausgestattet, die in Buchform publiziert von jedermann erlernt und gesprochen werden kann.

Das Kultige wird in der Regel mit Humor und Ironie gepflegt, was die bestehende kulturelle Differenzierung stabilisiert: Man weiß, dass man hier verehrt, was nicht zur hohen Kultur gehört, und spielt diese Verehrung als eher irrationalen „Kult“ aus – das wahrt die Grenzen, aber auch die Tatsache, dass man sie mit einer subversiven eigenen Geschmacksentscheidung übertritt.

Der Markt des Kultigen

Das Spektrum der Kult-Phänomene verbreiterte sich. Viele Kultfilme sprechen eine Elite der Cineasten an. Kultbands können sich dadurch rechtfertigen, dass sie nur von einer kleinen und zähen Anhängerschaft im kulturellen Gedächtnis behalten werden. Kultstatus gewannen und gewinnen jedoch weit eher Massenprodukte, die sich in das Gedächtnis als zeittypische einprägten, Identität stifteten. Kult wurden drittens bestimmte Bereiche des Billigen unter einer Anhängerschaft, die mit ihrer Wertschätzung des Trivialen die Subversion deutlicher gestaltet. Im Kino wurden B-Movies Kult, Low-Budget-Filme (Niedrigpreisfilme), deren Plots unfreiwillig ans Groteske grenzen, Splatter-Movies, in denen die Zerstückelung menschlicher Körper zur kultisch betriebenen Obsession wird. Nur mit einem neuen subversiven Humor kann man die skurrile Ware ernsthaft schätzen – respektive mit einem gediegenen Interesse an allem, was diese Filme unfreiwillig – weil kaum doch noch von ihren Machern reflektiert – über die Zeit und die Kultur, aus der sie kommen, ihre Ängste und unterdrückten Sehnsüchte und ihre nie geäußerte Kritik verraten. „Trash“ gewann Kultstatus – Material, das man von der Warte der hohen Kultur als „Abfall“ bezeichnen könnte. Die Simpsons wurden in satirischer Aufnahme der Trash-Mode zur Kult-TV-Comicserie; mit ihren Helden aus der zur beliebigen Geschmacklosigkeit neigenden Familie der unteren US-amerikanischen Mittelklasse, übertroffen noch von der im Design selbst „trashigeren“ Comicserie Beavis and Butt-head. In der rechten Szene, die ein eigenes Abgrenzungsproblem gegenüber dem Label „white trash“, der unterprivilegierte Schicht "weißer Rasse" hat, wurde eine besondere Absage an die Kultur Kult: Ein Spiel mit kulturellem Material, über das sich eine von der Kultur ausgeschlossene Gruppe mit neuem Selbstbewusstsein positioniert.

Eine eigene Vermarktung richtete sich auf das neue Kulturphänomen ein. Es musste möglich sein, den Weg des Massenprodukts zum Kultgegenstand wie zum Trash abzukürzen. Sehr früh – etwa in den 1980ern – notierte die Textilindustrie hier Optionen, die Lebensdauer ihrer Produkte zu verkürzen und deren Nachfragezyklen zu erhöhen: Wenn Jeans als Kultkleidungsstücke bis zum Zerfall getragen wurden, lag es nahe, den Zerfall vorzufabrizieren und dem Kunden auf diese Weise die Zeit zu ersparen, in der sein Kleidungsstück noch nicht den Beigeruch des geliebten kultigen Gegenstands hatte.

In der Film- und Musikbranche kam ein eigenes, tieferes Interesse an den Gegenständen auf, die Kultcharakter gewonnen hatten. Eigene Qualitäten zeichneten sie aus – sie waren nicht glatt, boten heimlichen Identifikationsraum, tangierten Diskurse des Trivialen, erlaubten Interpretationen mit ganz eigenen inneren Widersprüchen, die sie mitten in der Gegenwartskultur aufwarfen. Science Fiction erwies sich als für den Kultstatus prädestiniertes Genre. Der Zuschauer kommt aus der Zukunft. Die Vergangenheit, der er mit dem kultigen SF-Film begegnet, ist dabei zum Teil seine eigene: Er selbst hielt diese Zukunft für möglich. Was in diesen Filmen atemberaubend modern wirkte, wirkt aus dem zeitlichen Abstand heraus jetzt komisch bis in die technische Realisation hinein, während sich andererseits die Zeit gar nicht so dramatisch entwickelte wie vorhergesagt. Die eigene jetzige Position gegenüber den ehemaligen Träumen von der Zukunft gewinnt in dieser Begegnung mit dem Vergangenen am Ende Stabilität und Souveränität. Gewaltdarstellungen haben Kultpotential, nicht zuletzt, da sie schwerer als andere Themen zu rechtfertigen sind und hier die Rechtfertigung eines distanzierten Blicks gewinnen. Eine eigene Sprache und Thematik des Kultigen wurde geschaffen mit dem besonderen Potential, Moden und Design zu vermarkten. Die Sonnenbrillen in Matrix (einem Film von 1999) gehören zum kultigen Inventar des gestylten Kultfilms. Kultfilme der letzten Jahre wiesen insbesondere quasireligiöse Ebenen auf, die es Fankreisen erlaubten, die eigene Verehrung des Kultprodukts gleich an den angebotenen Kult anzuschließen – im Film war der Kult zweckmäßig als in alle weltanschaulichen Richtungen anschlussfähiger Insiderkult ausgestaltet, was es ermöglichte, das Spiel der frühen Kultfilme und Kultbands, die nur wenige Anhänger fanden, in der Simulation fortzuführen, man bleibe auch hier der Masse letztlich fern.

Eine zweite Ebene direkter Produktion von Kultprodukten eröffnete sich im Spiel mit dem Trivialen. Pulp Fiction fällt in diesen Bereich, wie auch die Verfilmungen der Kultcomics der 1950er Jahre, die eher die Zweitvermarktungen des Kultigen bewerkstelligen.

Eine dritte Ebene eröffnet sich im Umgang mit der Vergangenheit der mittlerweile etablierten Kultgüter. Rückblicke in die 1970er oder die DDR partizipierten an der Kultmode. Fußball wurde in den letzten dreißig Jahren Kult – das Fernsehen machte das einfach, da es Berührungen zwischen Fangruppen erst einmal nicht erforderte. Die Wiederentdeckung des „Wunders von Bern“ im Kino fällt in die Produktion, die Profit aus der in den neuen Kultgegenstand fließenden Investition schlägt.

Von den Vermarktungstendenzen blieb die Trash-Kultur nicht ausgeschlossen. Markant dürfte hier die mittlere Werbekampagne der Zigarettenmarke West sein, in der es gezielt zu Begegnungen zwischen Repräsentanten aus arrivierten, jedoch unauffälligen Kundengruppen mit Protagonisten offensichtlich niedrigeren sozialen Status kam, die sich indes alle Freiheit des eigenen Geschmacks an Idolen und Moden nahmen. Die Zigarette, die sich brückenschlagend anbieten ließ, verband Gruppen, die ansonsten gerade indirekt miteinander verbunden bleiben: das Kultige, kulturell Suspekte lockt, es gefällt heimlich, aber nie würde sich, wer arriviert ist, so auch nur kleiden, geschweige denn so sein wollen, wie hier die Charakterdarsteller auf den Plakaten es anboten. Man kann mutmaßen, dass das Zielpublikum der Kampagne selbst weder der privilegierten Schicht entstammt noch den dargestellten Mut zur eigenen Kultigkeit besitzt, am Aufstieg, den die westliche Konsumkultur mit ihren poppigen Produkten bis in die Oberschicht hinein nahm, jedoch gerne Anteil hätte. Die aktuelle Werbekampagne (2005) modifiziert das Spiel mit Protagonisten, die sich mit geliebten Gegenständen der Vergangenheit zu ihren eigenen Werten bekennen – mit einer ironischen Brechung: es sind Mittzwanziger, die hier die späten 1960er und frühen 1970er als ihre Vergangenheit verteidigen und dabei die Zigarette des Jahres 2005 rauchen.

Das Phänomen des Kultigen ist heute mit einer eigenen Merkmalssprache ausgestattet. Produkte, die auf dem Markt mit einer Überalterung ihres Kundenstamms kämpften, versuchten, sich in den letzten Jahren durch Orientierungen an der Kult-Kultur zu verjüngen. Die Jägermeister-Werbekampagne fiel hier mit ihrer Umstrukturierung des Marketing auf. Zum einen wurde der Konsum des Artikels neu gestaltet: Aus dem Magenbitter, der älteren Kunden den Konsum einer kleinen Menge Alkohols „aus Verdauungsgründen“ gestatten sollte, wurde ein Partygetränk, zu genießen mit Eis und in verschiedenen Drink-Mixturen. Das eingeführte Markendesign blieb samt seinem wichtigsten Emblem, dem Hirschenkopf als Jagdtrophäe erhalten. Die Vermarktung des Kultobjekts brachte jedoch nun Selbstironie ins Spiel: Die neue Werbung ließ genau das Lachen zu, das die alte im schlimmsten Fall unfreiwillig auf sich zog. Ging die Rechnung auf, so entdeckten Kunden, die das Produkt für hoffnungslos überholt hielten, es als rettenswert antiquiertes. Gezielten Kampagnen wie dieser steht eine inflationäre Vermarktung von Dingen gegenüber, die als „Kult-Single“ oder „der neue Knabber-Kult“ angepriesen werden. Ein eigenes Design kam am Ende der Postmoderne auf: das der Retro-Welle, wie es sich im Auto-, Radio- und Fahrradbau äußerte. In Deutschland kam mit der Ostalgie eine eigene selbstironische Aufwertung der untergegangenen DDR-Kultur mit ihren Konsumgütern hinzu. Das Phänomen des Kultigen und Trashigen ist heute mit seinen originären subversiven Ausprägungen wie mit den Tendenzen von Anbieterseiten, die Marktmechanismen anzustoßen und zu nutzen, inhomogen und im Definitionsprozess offen. Was für den einen Kult oder Trash ist, Zeichen seines ungewöhnlichen Geschmacks, Beleg einer eigenen kulturellen Prägung, kann für den Anderen Zeichen einer unreflektierten modischen Hörigkeit sein, gerade das Gegenteil des eigenen Geschmacks. Das Phänomen erlaubt seine ganz eigene kulturelle Ausdifferenzierung und Auseinandersetzung.

Literatur

  • Francesco Farkas: Kult um Marken und Produkte. Grundlagen, Unternehmensnutzen, Beispiele. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2006, ISBN 3-86550-395-0 (aus betriebswirtschaftlicher Sicht)
  • Klaus Schmeh Der Kultfaktor. 42 Erfolgsstorys von Rolex bis Jägermeister Redline Wirtschaft 2004 (beschreibt 42 der bedeutendsten Kultobjekte)
  • Rudi Steiner: Das Lexikon der Kultfilme. Klassiker, Kuriositäten, Katastrophen. Kino-Phänomene mit ewiger Faszination. Lexikon-Imprint-Verlag, Berlin 1999, ISBN 3-89602-216-4

Weblinks


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