Körperbild

Körperbild

Der Begriff Körperbild bezeichnet ein in der Psychodiagnostik und Körperpsychotherapie verwendetes Konzept.

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Körperbild

Das Körperbild gewinnt als grundlegende Kategorie der Körperpsychotherapie bzw. körper-basierten Psychotherapie und –diagnostik zunehmend an Bedeutung. Bei Weiterbildungen zeigen sich oft Probleme einer Begriffsverwirrung mit verwandten Konzepten. Dieser Artikel vermittelt aufgrund theoretischer Beiträge[1][2][3] eine Übersicht über relevante Kategorien und ihre Zusammenhänge und informiert über psychodiagnostische Entwicklungen.

Körpergedächtnis

Analog zum Aufbau einer Gedächtnisstruktur zur Orientierung über die Umwelt aufgrund exterozeptiver Daten, die unsere fünf, nach außen gerichteten, Sinnesorgane erfassen, konstruiert unser Körpergedächtnis aus interozeptiven und haptischen Sinneswahrnehmungen ein dreidimensionales Modell unseres Körpers. Die Wahrnehmungen des Leibinneren basieren auf Viszerozeption (die Zustandsänderungen innerer Organe meldet, z. B. der Herz- und Atemfrequenz, Darmperistaltik, Spannungen von Gefäßen und Geweben, Temperaturunterschiede) und Propriozeption (die Stimulationsveränderungen des Bewegungsapparates, sowohl intern als auch in Bezug zum umgebenden Raum erfasst). Durch Integration und Speicherung dieser Körperwahrnehmungen wird das Körpergedächtnis aufgebaut. Dies ist die Schlüsselkategorie zum Verstehen unserer körperlichen Selbst-Repräsentationen: Vorhandene Gedächtnismuster wirken selektiv filternd auf die aktuellen Wahrnehmungen zurück.

Körperschema

Betrachten wir die dreidimensionale Widerspiegelung des Körpers im Nervensystem auf dem neurophysiologischen Regulationsniveau, sprechen wir vom Körperschema.[4][5] Das Körperschema vermittelt eine permanente sowie implizite (dem Bewusstsein nicht direkt zugängliche) Hintergrundinformation. Ein klassisches Beispiel für Störungen des Körperschemas ist das Phantomphänomen, bei dem Bahnungsstärke beziehungsweise Gedächtniseffekte vor dem Verlust eines Körpergliedes nach dessen Amputation nachwirken. Wird auf der psychologischen Ebene wird das Körperschema subjektiv erlebt, sprechen wir von Körperbild.[6][7][8] Dies geht mit differentiellen Bewertungen einzelner Körperregionen einher. Gravierende Störungen drücken sich in Körperdysmorphie bzw. als körperdysmorphe Überzeugungen aus, wie diese u. a. für Ess-Störungen typisch sind. Psychodynamische Konzepte postulieren eine Homöostase der Selbstwert-Regulation: Mit dem Selbstkonzept übereinstimmende Informationen („ich-synton“) werden assimiliert. Mit-teilungen, die das Konzept des Selbst bedrohen („ich-dyston“), dissoziiert. Der Begriff des Körperselbst[9][10][11] bezeichnet diese Funktion der Aufrechterhaltung der Vorstellung eines Menschen von seiner leiblichen Identität.

Die Körperskulptur-Methode

Das Konstrukt des Körpergedächtnisses kann durch verschiedene diagnostische Verfahren [12] operationalisiert werden. Zur dreidimensionalen Erfassung eignen sich die Verfahren der Ausdrucks- und Bewegungsanalysen [13] und die Körperskulptur – Methoden. Letztere sind im Gegensatz zu verbalen Methoden (zum Beispiel Polaritäten- Profilen oder Fragebögen) für die therapeutische Anwendungen besonders geeignet, da sie sensorisch konstruierte Körper-Raumbilder unvermittelt (primärprozesshaft) widerspiegeln. Ebenso wie Bewegungsanalysen aktivieren Körperskulptur-Methoden im Verlaufe der Ausdruckshandlungen emotionale Prozesse bzw. affektmotorische Reaktionsbereitschaften.[14] Jedoch verdichten die Körperplastiken relevante Daten stärker. Daraus resultiert ein objekthaftes Körper-Gedächtnismodell, dessen begriffliche Auswertung zeitlich unabhängig vom Darstellungsprozess erfolgen kann. Zur Auswertung sind Probanden weder auf technische Hilfsmittel noch Expertenwissen angewiesen. Anhand von Auswertungsrichtlinien können sie den Symbol und Ausdrucksgehalt ihrer Körperplastiken weitgehend selbst erschließen. Der Begriff der „Körperskulptur“ wurde von der Eutonie - Pädagogin Gerda Alexander, 1976 [15], geprägt. Dieser Begriff wird aus Tradition benutzt, obwohl kürzlich der treffendere Begriff der „Körper-Plastik“ von einer Studentin vorgeschlagen wurde. Alexander ließ die Teilnehmer ihrer „funktionellen Entspannung“ mit geschlossenen Augen aus einem Stück formbarer Masse herausarbeitend das Raumbild ihres eigenen Körpers formen. Unter diesen Bedingungen entfällt mit der visuellen Rückmeldung ein Leistungsdruck bzw. der Maßstab für ein „korrektes“ Ergebnis der Darstellung. Daher bleibt der Gestaltungsprozess weitgehend unbeeinflusst von Selbstdarstellungsabsichten, handwerklichen und motorischen Fertigkeiten (im Unterschied vor allem zu zeichnerischen Verfahren und Bewegungsanalysen). Zweck der Übung nach ALEXANDER ist die entspannende Wirkung der intensiven Achtsamkeitsorientierung auf den eigenen Körper.

Psychodiagnostischer Körperskulptur-Formversuch

Im darauf folgenden Jahrzehnt untersuchten Brigitte und Martin Wadephul[16][17] die Eignung dieser Gestaltungsübung als psychodiagnostisches Verfahren. Ihre Studie an Hämodyalyse - Patienten ergab, das diese die Position von Shunts (mehrfach wöchentlich punktierten Blutgefässfisteln) topisch passend in ihren Skulpturen darstellten. Weiterhin versuchten die Autoren anhand, eines Katalogs von 211 Formmerkmalen ein psychometrisches Verfahren zu entwickeln. In Clusteranalysen zeigte sich die Diskriminanz spezieller Formkombinationen zwischen Formen von Ess-Störungen. Das Verfahren erwies sich jedoch wegen seiner Komplexität in der klinischen Praxis als zu aufwändig. Brigitte Wadepuhl entwickelte in den folgenden Jahren ein projektives Formdeutungsverfahren. Dieses beruht auf einem strukturierten Interview und der Analyse von Form-Merkmalen (nach den Kriterien: Vollständigkeit, Verbundenheit, Symmetrie, Über- und Unterrepräsentation von Körperregionen).

Anhand dieser Methode beschrieb v. Arnim Behandlungsergebnisse von Fibromyalgie - Patientinnen anhand weiter differenzierter Auswertungskriterien für Gestaltungsformen. Schubert [18] postulierte im Ergebnis empirischer Untersuchungen mittels Körperskupturen ein lerntheortisches Modell zur Darstellung des Körpergedächtnisses.

Modulare Körperbild-Methode

Aus dem Körperskulptur-Formversuch wurde für Anwendungen in der Psychotherapie die empirische Modulare Körperbild-Methode (18) entwickelt. Diese besteht (a) aus einem diagnostischen und (b) einem behandlungsmethodischen Teil.

(a) Diagnostik –Module dienen der systematischen Selbst - Exploration von individuellen Besonderheiten des Körpergedächtnisses bzw. des Körperbildes.

Sie beinhalten die Durchführungs- und Auswertungsrichtlinien des projektiven Verfahrens in folgenden Arbeitsschritten: - Schätzversuch - Skulpturgestaltung - halbstandardisiertes Interview - Analyse von Körpergedächtnis-Superzeichen - Analyse topischer Bewertungen mittels Farbschema

b) Therapie - Module stimulieren die Modifikation von Körperbildern, aktivieren lerngeschichtliche Ressourcen (z. B. Körpergedächtnis - Zustände vor dem Einwirken von Traumata) und dämpfen durch Differenzierungslernen dysfunktionale Erregungsschleifen (z. B. bei posttraumatischen Belastungsstörungen). Die Module sind instrumentell, unabhängig von übergreifenden Therapiekonzeptionen anwendbar.

Bisher sind folgende Module klinisch erprobt und anwendbar beschrieben: • „Heilsame Körperfarben“ – ein nonverbales Autosuggestionsverfahren mit spezifischem Indikationsbereich (Formenkreis entzündlicher bzw. rheumatischer Erkrankungen, Störungen des Körperschemas bei Neuropathien und Zustände nach Chemotherapie) • Kontrast-Skulpturen – innerhalb lösungsorientierter Behandlungsansätze zur Aktivierung von Ressourcen, z. B via imaginierter „Zeitreisen“ • Symptomskulpturen zur physischen Konfrontation mit der Symptomatik mit dem Ziel, episodische Erinnerungen an zugrunde liegende prägende Interaktionen zu stimulieren und die Bedeutung dieser Verhaltensmuster begrifflich zu verstehen • sensumotorisches Koordinationstraining zur Mitbehandlung von Beeinträchtigungen der Basaliformation bzw. orthostatischen Regulation, speziell bei Angststörungen.

Quellen

  1. Joraschky, P.; T. Loew ; F. Röhricht (2009) Körperleben und Körperbild: Ein Handbuch zur Diagnostik: Stuttgart: Schattauer. ISBN 379452425X
  2. Bielefeld, J., Hrsg., (1986): Körpererfahrung. Grundlage menschlichen Bewegungsverhaltens, Göttingen: Hogrefe.
  3. Röhricht, F (2000) Körperorientierte Psychotherapie psychischer Störungen. Göttingen: Hogrefe.
  4. Head H. (1920) Studies in Neurology, Vol. 2. London: Oxford, Univ. Press.
  5. Schilder, Paul (1923) Das Körperschema. Ein Beitrag zur Lehre vom Bewusstsein des eigenen Körpers. Berlin: Springer.
  6. Bielefeld, J., Hrsg., (1986): Körpererfahrung. Grundlage menschlichen Bewegungsverhal-tens, Göttingen: Hogrefe.
  7. Auersperg, Prinz A.:(1960): Körperbild und Körperschema. Nervenarzt 31, 76-96.
  8. Joraschky, P. (1983) Das Körperschema und das Körper-Selbst als Regulationprinzipien der Umwelt-Interaktion des Organismus. München: Med. Diss., Minerva.
  9. Jacobson, E (1973, original 1954) Das Selbst und die Welt der Objekte. Frankfurt a. M: Suhrkamp.
  10. Laplanche, J., Pontalis, J.-B., (1972) Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
  11. Geißler P., Heisterkamp, G. (2007): Psychoanalyse der Lebensbewegungen: Zum körperlichen Geschehen in der Analytischen Psychotherapie, Berlin: Springer.
  12. Joraschky, P.; T. Loew ; F. Röhricht (2009) Körperleben und Körperbild: Ein Handbuch zur Diagnostik: Stuttgart: Schattauer. ISBN 379452425X
  13. Lausberg, H. (2009): Körperschema, Körperbild und Bewegungsmuster.- Bewegungsanalyse in der Diagnostik von Körperschema- und Körperbildstörungen. In: P. Joraschky, T. Loew und F. Röhricht (Hrsg.) Körpererleben und Körperbild. Stuttgart: Schattauer.
  14. Alexander, G. (1976): Eutonie. München. Kösel.
  15. Wadepuhl, B. (1986) Psychosoziale Belastungen bei Hämodialyse, chronisch ambulanter Perionealdialyse und Transplantation (S. 17-23, 38). Zürich: unveröffentl. Med. Diss.
  16. Wadepuhl, B. & Wadepuhl, M. (1991) Der Körperbildtest - ein dreidimensionaler Nachweis von Körperschemastörungen. 'Vortrag, gehalten auf der DKPM-Tagung »Modelle und Methoden der Psychosomatik« am 15. November, Tagungsmanuskript; Heidelberg.
  17. Arnim v., A., Joraschky, P. (2009): Körerpbildskulpturtest bei Fibromyalgiepatienten. In: Joraschky, P.; T. Loew ; F. Röhricht (Hrsg.) Körperleben und Körperbild: Ein Handbuch zur Diagnostik: Stuttgart: Schattauer.
  18. Schubert, A. (2009): Das Körperbild: Die Modulare Körperskulptur-Methode. Stuttgart: Klett-Cotta. ISBN 978-3-608-89082-2

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