Lagi Gräfin Ballestrem

Lagi Gräfin Ballestrem
Hanna Solf

Der Solf-Kreis war eine Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus, die von Regimekritikern der teils liberalen, teils konservativen deutschen Eliten getragen wurde. Er entstand aus ehemaligen Angehörigen des SeSiSo-Clubs, die sich zu Teegesellschaften in der Berliner Wohnung von Hanna Solf, der Witwe von Wilhelm Heinrich Solf, zusammenfanden. Der Solf-Kreis leistete keinen aktiven Widerstand in Form eines geplanten oder versuchten Umsturzes. Er diente dem Meinungsaustausch von Regimegegnern und stand in Kontakt zu anderen Oppositionsgruppen in Reichswehr und Auswärtigem Amt. Darüber hinaus gab es Verbindungen zu der kommunistischen Uhrig-Römer-Gruppe und zum Kreisauer Kreis.

Dem Solf-Kreis gehörten Diplomaten aus dem Auswärtigen Amt, wie z. B. der Gesandte Otto Kiep an, aber auch Industrielle wie Nikolaus Christoph von Halem oder Publizisten wie Karl Ludwig Freiherr von Guttenberg.

Am 10. September 1943 schleuste die Gestapo den Spitzel Paul Reckzeh in ein Treffen des Kreises bei Elisabeth von Thadden ein. Daraufhin wurden die meisten Mitglieder des Kreises verhaftet, so Hanna Solf und ihre Tochter Lagi Gräfin Ballestrem, geb. Solf. Nur wenige Angehörige des Solf-Kreises überlebten das Kriegsende.

Inhaltsverzeichnis

Die Mitglieder des Solf-Kreises

Hanna Solf

Hanna Solf (* 14. November 1887 in Neuenhagen bei Berlin als Johanna Susanne Elisabeth Dotti; 4. November 1954 in Starnberg) war die Witwe des ehemaligen kaiserlichen Gouverneurs von Samoa und deutschen Botschafters in Tokio, Wilhelm Solf. Wilhelm Solf war geprägt durch liberale und humane Grundsätze, die er versuchte, mit Tatkraft umzusetzen. Hanna Solf sah sich nicht nur als seine Ehefrau, sondern auch als Mitstreiterin im Kampf für Humanität, Recht und Frieden. Die Aufenthalte außerhalb Deutschlands (Samoa, Indien, Deutsch-Ostafrika, Japan und England) prägten Hanna Solf und sorgten nicht zuletzt für das tiefe Verständnis anderer Kulturen, das das Paar auszeichnete.

In den zwanziger Jahren besuchte sie die Veranstaltungen des SeSiSo-Clubs, dessen Vorsitzender Wilhelm Solf war. Bereits dort war sie ebenso wie ihr Mann davon überzeugt, dass für eine freiheitliche und soziale Gesellschaft der Austausch der Menschen unterschiedlicher politischer Richtungen unerlässlich war. Diese Überzeugung führte auch zu der Gründung des Solf-Kreises. Nach der Machtergreifung Hitlers nahm sie früh Kontakt zu Regimekritikern auf, etwa zu General von Hammerstein, dessen Treffen sie mit Richard Kuenzer regelmäßig besuchte.

Bald fanden auch in der Wohnung Solfs in der Berliner Alsenstraße ähnliche Treffen statt. 1941 stattete der japanische Außenminister Yosuke Matsuoka dem Solf-Kreis einen Besuch ab, was einem Affront gegen Roland Freisler, der damals schon Hanna Solf beobachten ließ, gleich kam. Dadurch bestärkt versuchte Hanna Solf – gemeinsam mit ihrer Tochter Lagi – einigen von den Nationalsozialisten Verfolgten den sicheren Weg in die Schweiz zu ermöglichen. Dazu besorgte sie falsche Pässe und Maria von Maltzahn, eine ausdauernde Schwimmerin, schwamm mit den Flüchtlingen durch den Bodensee. Hanna Solf hatte u. a. für diese Aktionen ein Haus in Garmisch-Partenkirchen erworben, in dem ihre Schwester Elisabeth Dotti wohnen konnte. Als Hanna Solf und ihre Tochter 1943 total ausgebombt wurden, fanden sie dort Zuflucht.

Am 10. September 1943 ließ der Spitzel Paul Reckzeh auf Befehl des SS-Sturmbannführers Kriminalrat Leo Lange die Teegesellschaft von Elisabeth von Thadden festnehmen. Maria von Maltzahn, Hanna Solf und Lagi Gräfin von Ballestrem waren bei diesem Treffen nur zufällig nicht anwesend gewesen. Am 12. Januar kamen auch in die Wohnung der Solfs in Garmisch Beamte der Gestapo, um sie festzunehmen und nach München zu bringen. Dort wurde Hanna Solf in einem Turmzimmer ohne Fenster von zwei Beamtinnen festgehalten. Nach drei Tagen verbrachte man sie nach Berlin, Lagi wurde weitere zwei Monate dort gefangengehalten. Von Berlin, wo sie verhört worden war, kam Hanna Solf in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Obwohl sie gequält und beinahe jeden Tag verhört wurde, verriet sie keines der Mitglieder des Solf-Kreises.

Am 15. März 1944 kam sie ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, wohin man auch Lagi Gräfin von Ballestrem verschafft hatte. Dort setzte man sie der Folter Leo Langes aus, der sowohl für den Fall „20. Juli“, als auch für den Solf-Kreis zuständig war. Nach dem 20. Juli brachte man Hanna Solf ins Zuchthaus nach Cottbus, in dem sie bis Weihnachten 1944 verblieb. Danach wurde sie nach Moabit überstellt, wo Lagi seit August in Haft saß. Den Verhandlungstermin im Fall „Solf und fünf andere“ setzte Roland Freisler auf den 8. Februar 1945 fest.

Doch als am 3. Februar einer der schwersten Bombenangriffe auf Berlin stattfand und Freisler dabei getötet wurde, keimte bei Hanna Solf die unter Qualen der Folter verlorene Hoffnung wieder auf. Schließlich wurden Hanna Solf und Lagi Gräfin von Ballestrem entlassen. Ernst Ludwig Heuss war es gelungen, einen Beamten des Justizministeriums zu überreden, Entlassungsscheine für sie auszustellen.

Nach ihrer Entlassung musste Hanna Solf mit Trauer erfahren, dass über 70 Angehörige des Solf-Kreises den Rollkommandos zum Opfer gefallen waren. Sie selbst wog nur noch 42 Kilo.

Im Zuge der Nürnberger Prozesse sagte Hanna Solf als Zeugin gegen die 23 Hauptkriegsverbrecher aus. Nach einem etwa einmonatigen Aufenthalt bei ihrem Sohn Hans Heinrich in England zog sie nach Starnberg, wo sie bis zu ihrem Tode am 4. November 1954 lebte. Sie ist auf dem Starnberger Friedhof begraben worden. Lagi von Ballestrem starb nur ein Jahr später an den Folgen ihrer Misshandlungen in Haft.

In ihrem Heimatort Neuenhagen bei Berlin wird im Frühjahr 2008 eine Straße nach Hanna Solf benannt werden. Ihr Elternhaus wird derzeit zu einem Haus der Begegnung umgebaut. [1]

Lagi Gräfin von Ballestrem

Lagi Gräfin von Ballestrem (geborene Solf, * 31. August 1909 in Vailima auf Samoa; † 14. September 1955 in Bonn) war 1909 als erstes Kind von Hanna und Wilhelm Solf bei Apia auf der samoanischen Insel Upolu geboren worden. Als Adolf Hitler an die Macht gelangte, lebte Lagi Gräfin von Ballestrem mit ihrem ersten Mann, dem Diplom-Ingenieur Wolfgang Mohr in Shanghai. Da sie dort seit ihrer Anreise in den zwanziger Jahren offen mit Juden verkehrte bzw. aus ihrer Heimat ausgewanderten jüdischen Deutschen Quartier bot, wurde Lagi Gräfin von Ballestrem von der deutschen Minderheit in Shanghai gemieden. Sie unterhielt regen Schriftverkehr mit ihren Eltern, Walter Simons und Hans von Seeckt, wozu sie einen Code verwendete, der 1943 der Gestapo in die Hände fiel.

Doch bereits 1938 war sie aus China nach Berlin zurückgekehrt. Bei ihrer Ankunft wurde sie sofort zu einem Verhör gebracht, da „ der Hoheitsträger vernichtend über ihre politischen Umtriebe im Ausland“ berichtet hatte. Nachdem man sie wieder gehen gelassen hatte, versuchte sie, dem Frauenarzt und Schriftsteller Dr. Ferdinand Mainzer zur Flucht nach London zu verhelfen. 1940 musste sie sich erneut einem Verhör im Hauptquartier der Gestapo stellen, zu dem sie mit zwei gefüllten Markttaschen erschien, um selbst in der Zentrale des nationalsozialistischen Geheimdienstes den Hitlergruß vermeiden zu können. Am 25. November 1940 heiratete sie den schlesischen Adligen Hubert Graf von Ballestrem (* 1910; † 1995), der seit seiner Studienzeit Gegner des Nationalsozialismus war und dessen bester Freund Nikolaus Christoph von Halem hieß.

In Berlin versuchte Lagi Gräfin Ballestrem zu den damals in irgendeiner kleine Wohnung verborgenen, armseligen jüdischen Damen zu gehen, um sie zu besuchen und ihnen irgendetwas zu bringen, so Hanna Solf über ihre Tochter.

Am 15. März 1944 brachte man sie von München, wo sie gemeinsam mit ihrer Mutter versucht hatte, dem Bombenhagel der Hauptstadt zu entkommen, in das Konzentrationslager Ravensbrück. Nach zahlreichen Verhören, zu denen man Lagi Gräfin von Ballestrem jedes Mal nach Berlin gefahren hatte, lautete die Anklageschrift gegen die Mitglieder des Solf-Kreises auf Hochverrat, Wehrkraftzersetzung, Feindbegünstigung und Defätismus. Am 18. Oktober 1944 wurde sie ins Frauengefängnis Berlin-Moabit verbracht. Dort wartete sie auf ihre Gerichtsverhandlung, welche jedoch, wegen eines schweren Bombenangriffs auf Berlin, nie stattfand. Ihr Mann, der von der russischen Front im Dezember 1944 zu Weihnachten auf Heimaturlaub geschickt worden war, konnte sie lediglich 15 Minuten besuchen. In dieser Viertelstunde wechselten beide kein Wort miteinander, zu groß waren die Gefühle, die keiner der beiden vermochte unter Zeitdruck in Worte zu fassen.

Schließlich wurde Lagi Gräfin von Ballestrem am 23. April 1945 aus der Haft entlassen, durch Hungerödeme entstellt und psychisch schwer geschädigt.

Sie starb kinderlos mit gerade einmal 47 Jahren in Bonn, nur ein Jahr nach ihrer Mutter. Ihr Lebensabend war geprägt von Wehmut:

Ich möchte nicht an die Vergangenheit denken, da sie ihre Bedeutung verloren hat. Die Welt hat nichts aus ihr gelernt – weder die Schlächter, noch die Opfer oder die Zuschauer. Unsere Zeit ist wie ein Totentanz, dessen unheimlichen Rhythmus wenige verstehen. Alle wirbeln verwirrt herum, ohne den Abgrund zu sehen.

Die anderen Mitglieder

Der Solf-Kreis war keine einheitliche Widerstandsorganisation, sondern eine Gruppe von Regimekritikern, die Kontakt zu anderen Widerstandskämpfern aufnahmen. Daher ist eine komplette Auflistung aller Mitglieder des Solf-Kreises nicht möglich.

Literatur

  • Martha Schad: Frauen gegen Hitler. Schicksale im Nationalsozialismus. München 2002, S. 169–200, ISBN 3-453-86138-8. (Kapitel: Widerstand wider Willen – Hanna Solf.)

Fußnoten

  1. Märkische Oderzeitung: Nachfahren der Dottis zu Gast (21. November 2007)

Weblinks


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