Laiengestühl

Laiengestühl
Bischof Maximians Elfenbein-Stuhl in Ravenna
Zelebrantensitz aus dem 13. Jahrhundert im Kloster Kappel
Herrschaftsgestühl, Kirche Rerik
Kirchenvaterstuhl (kleine Loge rechts, mit Dach), St. Jakobus (Rottmersleben)

Das Kirchengestühl sind die Sitzmöbel für die Gottesdienstbesucher. Historisch und regional geprägt – bei bestimmten kirchlichen Feiern funktional – weisen die Sitzplätze einer Kirche auch eine ständisch geprägte Zuordnung auf.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Von der Kathedra des Bischofs und den Sedilien des Klerus abgesehen, gab es bis zum Hochmittelalter keine Bänke und Stühle in den Kirchen. Man wohnte der Liturgie stehend, kniend oder auch gehend bei. Erst im Spätmittelalter – Ende des 14. Jahrhunderts in einigen bayerischen Pfarrkirchen, im 15. Jahrhundert besonders in den Kirchen der Predigerorden – wurden Sitzgelegenheiten für die Gläubigen aufgestellt, die dann bald auch reservierbar waren. Allgemein wurde die Bestuhlung erst im Reformationszeitalter, ausgehend von den evangelischen Territorien, üblich.

Orthodoxer Kirchenbau

Orthodoxe Kirchenbauten sind auch meist ohne Stühle oder Bänke. Lediglich für Alte und Schwache gibt es eine Sitzreihe an den seitlichen Wänden.

Römisch-Katholischer Kirchbau

Eine Kathedrale verfügt über einen repräsentativen auf der Evangelienseite im Chor befindlichen erhöhten Bischofsstuhl (griech. cathedra = Sitz). Ein besonders kunstvolles Exemplar ist der frühbyzantinische Elfenbeinstuhl des Bischofs Maximian von Ravenna.

Viele alte Kirchen, soweit sie Kloster- oder Stiftskirchen waren, weisen im Chorraum ein typischerweise dem Kapitel vorbehaltenes Chorgestühl auf. Dieses ist in aller Regel aus edlerem Material und mit viel größerem künstlerischen und handwerklichen Aufwand als das Laiengestühl oder Volksgestühl hergestellt. Es ist daher auch nicht überraschend, dass es zu Letzterem kaum Literatur gibt.

Ein typischer Kirchenstuhl des Mittelalters ist der Dreisitz, auch Levitenstuhl oder Zelebrantensitz im Altarraum mit Plätzen für den zelebrierenden Priester in der Mitte sowie für Diakon und Subdiakon.

Evangelischer Kirchenbau

Patronatskirchen verfügten in Altarnähe oder an anderer bevorzugter Stelle über herausgehobene reservierte Sitzplätze für die Familie des Patrons, meist in Form einer Patronatsloge.

Daneben gab es für weitere kirchliche Amts- und Würdenträger besondere Sitzplätze, wie z. B. den Kirchenvaterstuhl für den „Kirchenvater“ oder Kirchvater (lat. vitricus ecclesiae), der dem heutigen Kirchenpfleger (Kirchenvorsteher) entspricht. Auch diese Plätze befanden sich in Altarnähe.

Dem ständischen System des Gemeinwesens entsprechend schlossen sich Kirchenstühle der Korporationen an, zunächst des Rates, dann der Gilden und Ämter/Zünfte, erst dann vermietete oder Privatplätze an. Das Gestühl war häufig als in sich geschlossenes Kastengestühl gestaltet und in evangelischen Kirchen auf die Kanzel hin ausgerichtet. Besonders reformierte Kirchen oder die gottesdienslichen Räume evangelischer Freikirchen sind meist als Predigtkirchen konzipiert. Die Vermietungsgebühren von Stuhlplätzen, um die sich eine Stuhlfrau kümmerte, war eine wichtige regelmäßige Einnahme der Kirchengemeinden vor Einführung der Kirchensteuer.

Kirchenbänke

Kirchenbänke der Gustav Vasa Kirche in Stockholm

Das Laiengestühl oder Volksgestühl im Kirchenschiff ist erst seit der Neuzeit in fast allen römisch-katholischen und evangelischen Kirchen zu finden, in orthodoxen Kirchen fehlt es zumeist. Die in zwei parallelen Reihen aufgestellten Stühle oder Kirchenbänke für das gemeine Volk bzw. den Normalbürger waren auf der Evangelienseite – auf den Altar blickend links (bei geosteten Kirchen: Nord) – für Männer und auf der Epistelseite – auf den Altar blickend rechts (Süd) - für Frauen frei zugänglich.

Die ältesten erhaltenen Kirchenbänke etwa in England datieren auf das späte 13. Jahrhundert.[1] Während sich Kirchenbänke in römisch-katholischen Kirchen nur langsam durchsetzten, waren sie von Beginn der Reformation an typisch für protestantische Kirchen. Diese Entwicklung hängt mit dem besonderen Gewicht zusammen, das der Protestantismus zum einen der Predigt als Medium der Heilsvermittlung, zum anderen dem persönlichen Glaubenserlebnis zumisst. Im Sitzen konnte sich der Gläubige ganz der Botschaft von der Kanzel oder aber seiner innerlichen Andacht widmen.[2]

Die Liturgie der Konfessionen schlägt sich auch in der Bauart von Kirchenbänken nieder. So gibt ein Lehrbuch für Möbelschreiner aus dem Jahr 1892 an, dass die Höhe von Bänken für protestantische Kirchen bei etwa einem Meter anzusetzen sei, während sie in römisch-katholischen Kirchen bei nur 80 bis 90 cm vom Boden liegt, da der katholische Ritus ein wiederholtes Niederknieen auf dem vor der Bank angebrachten Kniebrett erfordert.[3]

Da Volksgestühl nicht wie Chorgestühl erhöht auf einem Unterbau stand, war es häufig der aus dem Boden aufsteigenden Nässe und damit dem Zerfall stärker ausgesetzt. Zum ältesten vollständig erhaltenen Volksgestühl in Deutschland zählen die spätgotischen Kirchenbänke von Erhart Falckener in der Simultankirche Bechtolsheim (1496) und in der Pfarrkirche St. Dionysius und Valentinus (Kiedrich) (1510). Dass diese Gestühle erhalten geblieben sind, dürfte auch der Armut der Gemeinden zuzuschreiben sein, die es verbot, dem verbreiteten Trend der Barockisierung Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zu folgen.

Besonderheiten

Brautstühle

Ein Brautpaar auf Brautstühlen während seiner Trauung in Tettnang

Viele Kirchen in Deutschland verfügen über zwei künstlerisch besonders gestaltete Lehnstühle, die als Brautstühle bei Kirchlichen Trauuungen Verwendung finden.

Hurenstühle

Eine regionale Besonderheit bildeten die Hurenstühle, die z. B. in Baden-Württemberg unverheirateten schwangeren Frauen vorbehalten waren.[4]

Möglicherweise leitet sich die Bezeichnung „Bankert“ für die so geborenen Kinder von dieser „Hurenbank“ ab.[5]

Beichtstühle

Beichtstühle gibt es in allen katholischen Kirchen. Meist bieten sie eine Sitzgelegenheit für den Geistlichen und eine Kniebank für den Beichtenden.

Literatur

Weblinks

Anmerkungen

  1. Peter Draper: The Formation of English Gothic: Architecture and Identity. Yale University Press, New Haven 2006. S. 205. vgl. Eric Fernie: The Architecture of Norman England, Oxford University Press 2000. S. 231.
  2. Wolfgang Lück: Das Bild in der Kirche des Wortes: Eine Einführung in die Bilderwelt evangelischer Kirchen. LIT Verlag, Berlin, Hamburg, Münster 2001. S. 17ff.
  3. Theodor Krauth und Franz Sales Meyer: Die gesamte Möbelschreinerei; Leipzig: E. A. Seemann, 1892; S. 179 ff.
  4. Zitat aus dem Link über Hurenstühle: „In den streng protestantischen Gebieten Württembergs war es teilweise bis zur Wende zum 20. Jahrhundert üblich, Frauen, die uneheliche Kinder erwarteten, in der Kirche auf einem separaten Platz, dem sogenannten Hurenstuhl, auszustellen.“
  5. Üblicher ist folgende Ableitung: das uneheliche Kind war auf der harten „Bank“ der Magd und nicht im weichen Bett des Bauern oder des Herren gezeugt.

Siehe auch


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