- Leere Nische
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Das Konzept der leeren ökologischen Nische besagt, dass in Ökosystemen oder Biotopen mehr Arten existieren könnten, als zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhanden sind, weil viele Möglichkeiten durch potentielle Arten nicht ausgeschöpft sind.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte des Begriffes
Anscheinend der erste, der die Möglichkeit leerer Nischen in Betracht zog, war G.E.Hutchinson (1957), von dem auch die Definition der Nische als vieldimensionalem Hypervolumen stammt. Der Begriff der “vacant niche” oder “empty niche” ist seitdem generell in der internationalen Literatur zu finden. Einige der vielen Beispiele sind Rohde (1977, 1979), Lawton (1984), Price (1984), Compton et al. (1989), Begon et al. (1990), und Cornell (1999). Weitere Beispiele werden teilweise ausführlich in Rohde (2005b) besprochen.
Leere Nischen
Leere Nischen können verschiedene Ursachen haben.
Eine Ursache sind radikale Veränderungen in einem Biotop. Dürren oder Waldbrände können eine lokale Flora und Fauna weitgehend oder vollständig vernichten. Meist überleben jedoch geeignete Arten in der näheren oder weiteren Umgebung. Solche Arten können den freien Lebensraum relativ schnell neu besiedeln und die ursprünglichen Verhältnisse wiederherstellen.
Weitere Ursachen der Entstehung leerer Nischen stellen radikale und lange andauernde Umweltveränderungen dar, wie beispielsweise Eiszeiten.
Ebenso kann eine leere Nischen durch evolutionären Zufall entstehen. Für bestimmte Biotope geeignete Arten konnten sich aus unbekannten Gründen nicht entwickeln.
Nachweis leerer Nischen
Leere Nischen lassen sich am überzeugendsten durch Vergleich der räumlichen Komponente von Nischen in einfachen Biotopen nachweisen. Lawton und Mitarbeiter zeigten beispielsweise, dass die Artenzahl der Insektenfauna auf dem Adlerfarn Pteridium aquilinum (einer sehr weit verbreiteten Art), in verschiedenen Habitaten und geographischen Gebieten ausgesprochen stark variiert. Hieraus schlossen sie auf die Existenz vieler leerer Nischen (siehe z.B. Lawton 1984).
Rohde und Mitarbeiter wiesen auf die Schwankung der Artenzahl von Ektoparasiten hin, welche die Kiemen verschiedener Meeresfischarten besiedeln. Die Zahl dieser Parasiten variierte von 0 bis etwa 30, selbst wenn Fischarten ähnlicher Größe oder aus vergleichbaren Habitaten verglichen wurden. Nimmt man die größte Artenzahl pro Fischart als mögliches Maximum an, sind nur 16% aller Nischen besetzt. Denkbar wäre jedoch, dass selbst die Wirtsart mit der größten Parasitenzahl noch weitere Parasitenarten tragen könnte. (siehe z.B. Rohde 2005b).
Walker und Valentine (1984) schätzten, dass 12-54% der Nischen von Meereswirbellosen leer sind.
Auch die bahnbrechenden theoretischen Untersuchungen von Kauffman (1993) und Wolfram (2002) weisen auf das Vorhandensein einer enormen Zahl leerer Nischen hin. Sie zeigten, dass Arten selten oder niemals globale adaptive Optima erreichen, sondern vielmehr in lokalen Optima “gefangen” sind, aus denen sie nicht entkommen können. Da es jedoch eine fast unendlich große Zahl solcher lokalen Optima gibt, ist der Nischenraum weitgehend ungesättigt, und viele Arten haben wenig Gelegenheit zum zwischenartlichen Wettbewerb.
Konsequenzen der Nichtsättigung des Nischenraumes
In der "klassischen" Ökologie ist die Annahme weit verbreitet, dass Lebensräume weitgehend besetzt sind, und dass neue Arten vorwiegend durch Einengung der Nischen bereits existierender Arten entstehen, obwohl eine Artenzunahme im Laufe der Evolution zum Beispiel durch Eroberung großer neuer Lebensräume (wie zum Beispiel des Landes in geologischer Zeit) und durch die Entstehung neuer Baupläne wichtig ist. Es wird auch anerkannt, dass viele Tier- und Pflanzengemeinschaften einem Klimaxzustand (d.h. einem Gleichgewicht) zwar nahe kommen, ihn aber oft nicht erreichen. Insgesamt überwiegt die Ansicht, dass Individuen und Arten “dicht gepackt sind”, und dass ein zwischenartlicher Wettbewerb deswegen von überragender Bedeutung ist. Nach dieser Ansicht entstehen Ungleichgewichte im allgemeinen durch Störungen der Umwelt.
Zahlreiche neuere Untersuchungen (siehe oben und Rohde 2005a,b) stützen dagegen die Auffassung, dass der “Nischenraum” weitgehend ungesättigt ist, d.h. dass es zahlreiche leere Nischen gibt. Dies hat zur Folge, dass der Wettbewerb zwischen den Arten nicht die bedeutende Rolle spielt, die oft angenommen wird. Ungleichgewichte in ökologischen Systemen werden zwar auch verursacht durch Umweltstörungen, doch sind sie viel weiter verbreitet als allgemein angenommen wegen der Nichtsättigung des Nischenraumes.
Kritik
Der Terminus der "leeren Nische" ist in der internationalen Fachliteratur eingeführt und wird angewandt. Es gibt jedoch auch kritische und ablehnende Positionen. Hier sind insbesondere Sudhaus und Rehfeld (1992) zu nennen. Die Kritik postuliert, dass das Konzept aufgrund der Definition der ökologischen Nische unlogisch ist (obwohl selbst Hutchinson, von dem diese Definition stammt, die Möglichkeit leerer Nischen in Betracht zog) und auch die komplexen Wechselwirkungen in Ökosystemen unzureichend reflektiert.
Zur Darstellung der kritischen Positionen ist es erforderlich sich mit dem Konzept der ökologischen Nische zu befassen. Eine ökologische Nische kann definiert werden als die Zusammenfassung aller Aspekte der Lebensweise einer Art, also interne wie externe Faktoren. Da die Merkmale einer Art zur Beschreibung einer ökologischen Nische gehören, kann es folglich ohne Art weder eine ökologische Nische noch eine "leere Nische" geben.
Anders als bei einer Mauernische, aus der man den in ihr stehenden Gegenstand wie z.B. eine Vase entnehmen kann, wodurch eine leere Nische zurückbleiben würde, ist dies in Ökosystemen nicht möglich. Die nach Verlust einer Art verbliebenen Möglichkeiten werden vielmehr durch die noch vorhandenen Arten völlig erschöpft.
Im Vergleich mit dem Mauerwerk wäre der Verlust einer Art so, als ob sich die Lücke in der Wand schließt, sobald man die Vase aus dieser herausnimmt. Die Konsequenz des Artverlustes in einem Ökosystem besteht in einem Gewinn oder Verlust für die verbleibenden Arten. Beispielsweise führt der Verlust eines Parasiten zu erhöhter Fitness des ehemaligen Wirtsorganismus.
Dies wird auch im entgegen gesetzten Fall deutlich, also wenn sich eine neue Art in ein vorhandenes Ökosystem integriert. Die Integration der neuen Art wird ebenfalls bestimmt durch die Möglichkeiten der Art und die Bedingungen des Ökosystems. Beide Aspekte stehen in Wechselwirkung miteinander und müssen zueinander passen. Die Integration der Art ist dabei ein aktiver Vorgang, die neue Lebensform "erobert" ihren Platz im Ökosystem, "baut" sich dabei gewissermaßen ihre Nische selbst. Auch hier ändern sich die Bedingungen der bereits vorhandenen Organismen in Sinne von Gewinn und Verlust. Ein drastisches Beispiel ist die Aussetzung von Nilbarschen im afrikanischen Viktoriasee in den 1960er Jahren, die zu einer spektakulären Massenvermehrung dieser Art führte und ein anschließendes Massenaussterben vor allem von Buntbarsch-Arten zur Folge hatte.
Statt von leeren Nischen wird seitens der Kritiker empfohlen, von nicht vollständigen Habitaten zu sprechen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht angesichts des Wesens der Natur, die sich in ständiger Veränderung befindet, ein Zustand der Vollständigkeit nur relativ sein kann. Eine Vorstellung von Unvollständigkeit würde sich damit ebenfalls als obsolet erweisen.
Siehe auch
- Zum vertiefenden Verständnis unterschiedlicher Nischenbegriffe: Ökologische Nische
- Auseinandersetzung mit dem Thema Diskussion:Konzept der leeren ökologischen Nische
- Effektive evolutionäre Zeit
- Latitudinale Gradienten im Artenreichtum
- Nischenbegrenzung und Nischenabgrenzung
Literatur
Begon, M.J., Harper, L. and Townsend, C.R. (1990). Ecology. Individuals, populations and communities. 2.Auflage. Blackwell Scientific, Boston.
Compton, S.G., Lawton, J.H. and Rashbrook, V.K. (1989). Regional diversity, local community structure and vacant niches: the herbivorous arthropods of bracken in South Africa. Ecological Entomology 14, 365-373.
Cornell, H.V. (1999). Unsaturation and regional influences on species richness in ecological communities: a review of the evidence. Ecoscience 6, 303-315.
Gotelli, N.J. and Rohde, K. (2002). Co-occurrence of ectoparasites of marine fishes: null-model analysis. Ecology Letters 5, 86-94.
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Kauffman, S.A. (1993). The origins of order. Self-organization and selection in evolution. Oxford University Press, New York Oxford.
Lawton, J.H. (1984). Non-competitive populations, non-convergent communities, and vacant niches: the herbivores of bracken.
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Price, P.W. (1984). Alternative paradigms in community ecology. In: Price, P.W., Slobodchikoff, C.N. and Gaud, W.S. eds. (1984). A new ecology. Novel approaches to interactive systems. John Wiley & Sons, New York, Chichester, Brisbane, Toronto, Singapore, pp.353-383.
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Rohde, K. (1977). A non-competitive mechanism responsible for restricting niches. Zoologischer Anzeiger 199, 164-172.
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Rohde, K. (2001). Spatial scaling laws may not apply to most animal species. Oikos 93, 499-503.
Rohde, K. (2005a) Eine neue Ökologie. Aktuelle Probleme der evolutionären Ökologie. Naturwissenschaftliche Rundschau, 58, 420-426.
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Sudhaus,W. und Rehfeld,K. Einführung in die Phylogenetik und Systematik. Gustav Fischer Verlag Jena.
Torchin, M.E. and Kuris, A.M. (2005). Introduced parasites. In: Rohde, K. (Ed.) Marine Parasitology. CSIRO Publishing Melbourne und CABI Wallingford, Oxon., pp. 358-366.
Walker, T.D. und Valentine, J.W.(1984). Equilibrium models of evolutionary diversity and the number of empty niches. American Naturalist 124, 887-899.
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