Leipziger Meuten

Leipziger Meuten

Die Leipziger Meuten waren Gruppen von Jugendlichen, die sich aus der Arbeiterklasse der Stadt Leipzig rekrutierten und 1939 durch die Gestapo zerschlagen wurden. Viele der Jugendlichen kamen in Zuchthäuser, Jugendgefängnisse oder Erziehungsanstalten.

Die sogenannten Meuten trafen sich Mitte der 1930er Jahre unabhängig von staatlichen Organisationen wie der Hitler-Jugend (HJ) oder dem Bund Deutscher Mädel (BDM) zur selbstorganisierten Freizeitgestaltung. Sie verweigerten sich damit dem körperlichen und ideologischen Zugriff der NS-Jugendorganisationen. Sie bildeten sich in Anlehnung an die Arbeiterjugendverbände der Zeit vor 1933 und Gruppenformen der Bündischen Jugend. Zahlreiche Mitglieder waren vor 1933 in einer der sozialdemokratischen oder kommunistischen Kinder- und Jugendverbänden organisiert gewesen. Entsprechend bezeichneten sie sich selbst meist als „Bündische Jugend“, während der diffamierend gemeinte Name „Meute“ dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch, insbesondere dem der Gestapo, entstammt. Die einzelne Gruppe trat nicht als eine fest geschlossene Einheit unter einem von ihr gewählten Namen auf, sondern es handelte sich um mehr oder weniger lose Vereinigungen. Die Namen hatten meist einen direkten Bezug zu den öffentlichen Plätzen, an denen sich die Gruppenmitglieder regelmäßig trafen. Insgesamt gab es in Leipzig zwischen 1937 und 1939 bis zu 1.500 Jugendliche, die Mitglied in einer Meute waren, davon etwa ein Viertel bis ein Drittel Mädchen. Die bekanntesten der etwa 15 aktenkundig gewordenen Gruppen waren

  • „Hundestart“ in Kleinzschocher, benannt nach dem volkstümlichen Namen des Alten Friedhofs und
  • „Lille“ in Reudnitz, nach dem „Lilienplatz“, dem ursprünglichen Namen des Bernhardiplatzes, mit jeweils etwa 40 Mitgliedern sowie die mit bis zu 100 Mitgliedern größte Gruppe
  • „Reeperbahn“ in Lindenau. Sie sammelte sich in der Schlageterstraße (heute Georg-Schwarz-Straße), einer beliebten Amüsiermeile mit zahlreichen Kinos und Gastwirtschaften, die nach der gleichnamigen Straße in Hamburg so benannt wurde.

Die Mitglieder entwickelten mit der Zeit einen eigenen Dresscode nach dem Vorbild der Kleidung der früheren Wanderbewegung, linkssozialistischer Jugendgruppen und der Bündischen Jugend, um sich auch optisch von der HJ und dem BDM zu unterscheiden. Die Jungs trugen karierte Hemden, kurze Lederhosen mit Hosenträgern, weiße Kniestrümpfe und Wanderschuhe. Die Mädchen waren ähnlich gekleidet oder trugen ein Kleid bzw. Rock. Zuweilen wurden auch rote Halstücher getragen sowie Abzeichen wie das Totenkopfabzeichen oder mit den Initialen „BJ“, welche für „Bündische Jugend“ standen.

Zunächst noch mehr oder weniger ignoriert und als „Auswuchs großstädtischen Rowdytums“ abgehandelt, gerieten die Jugendlichen zunehmend in Konflikt mit dem NS-Regime und betrieben teilweise aktiven Widerstand. Häufig wurden einzelne Mitglieder oder Gruppen der HJ sowie deren Treffpunkte angegriffen und Flugblätter mit Losungen „HJ verrecke“ verteilt. So zerschlugen beispielsweise Mitglieder der „Reeperbahn“ die Fenster des Hermann-Göring-Heims der HJ in der Nähe des heutigen Zentralstadions noch vor dessen Einweihung. Die Connewitzer Meute, die sich vor dem Kino UT Connewitz traf, attackierte regelmäßig die Schaukästen der NSDAP- und HJ auf der damaligen Adolf-Hitler-Straße (heute Karl-Liebknecht-Straße) oder änderte das Ortseingangsschild „Leipzig-Reichsmessestadt“ in „Leipzig-Reichsmeckerstadt“. Es nahm solche Ausmaße an, dass sich die lokale HJ-Führung in Berlin beklagte, in einigen Leipziger Stadtteilen würden sich Mitglieder der HJ abends nicht mehr in Uniform auf die Straße trauen.

Dies führte ab ca. 1938 zu verstärkter staatlicher Repression. In diesem Jahr wurden eine Reihe von Ermittlungsverfahren gegen Meutenmitglieder angestrengt, die jedoch mangels Beweisen von den Gerichten anfangs noch eingestellt wurden. Ende Oktober 1938 fanden zwei Prozesse am Leipziger Volksgerichtshof wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ statt, die mit mehrjährigen Zuchthausstrafen endeten. Nach dem sich die erhoffte abschreckende Wirkung dieser als Exempel gedachten Prozesse nicht eingestellt hatte, ging die NS-Justiz ab 1939 dazu über, in zahlreichen Prozessen möglichst viele Mitglieder zu Gefängnisstrafen zu verurteilen. Außerdem richtete das Leipziger Jugendamt ein KZ-ähnliches „Jugendschulungslager“ ein, in dem Meutenmitglieder mehrere Monate lang „erzogen“ werden sollten. Damit waren die Leipziger Meuten in ihrer bekannten Form im Sommer 1939 weitgehend zerschlagen, wenngleich einige Meuten noch etwas länger existierten.

Siehe auch

Literatur

  • Wolfgang Benz, Walter H. Pehle (Hrsg.): Lexikon des deutschen Widerstandes. 2., durchges. Aufl. Frankfurt am Main, Fischer, 1994, ISBN 3-10-005702-3, 429 S.
  • Arno Klönne: Jugendliche Opposition im „Dritten Reich“. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Weimar 1996. (PDF) (277 kB)
  • Alexander Lange: Jugend zwischen Nichtanpassung und Widerstand in Leipzig während der NS-Zeit. Ungedruckte Dissertation an der Universität Leipzig, 2009.
  • Alexander Lange: Meuten – Broadway-Cliquen – Junge Garde. Leipziger Jugendgruppen im Dritten Reich. Böhlau, Weimar / Köln / Wien 2010, ISBN 978-3-412-20594-2, 371 S.

Weblinks


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