Luftmunitionsanstalt

Luftmunitionsanstalt

Rund 370 staatliche Einrichtungen mit der Bezeichnung Munitionsanstalt wurden ab 1936 im Deutschen Reich durch die Wehrmacht aufgebaut und betrieben. Nach der jeweiligen Teilstreitkraft wird dabei oft unterschieden zwischen Heeresmunitionsanstalt, Luftmunitionsanstalt und Marinemunitionsanstalt. Bekannte Munitionsanstalten sind z. B. Seewerk I und Seewerk II in Vorpommern, oder das Werk Tanne in Niedersachsen.

Damals und heute sind die Anlagen regional oftmals unter der Abkürzung Muna bekannt.

Im Vierjahresplan 1936–40 legte die nationalsozialistische Regierung den Grundstein für die Kriegsvorbereitungen des Zweiten Weltkriegs. Neben der Herstellung synthetischer Rohstoffe (Benzin und Gummi) war der Aufbau einer flexiblen und leistungsstarken Sprengstoffindustrie Ziel des Vierjahresplans.

Um das spätere Auffinden der Industrieanlagen für feindliche Bomberstaffeln zu erschweren, wurden die Standorte für die Anlagen auf ganz Deutschland verteilt. Häufig wurden land- oder forstwirtschaftliche Regionen gewählt, die zudem eine leichte Rohstoffversorgung ermöglichen, und einen einfachen und sicheren Abtransport des Sprengstoffes sichern sollten.

Inhaltsverzeichnis

Standorte (Auswahl)

Standort Seewerk II

Einer dieser Standorte war ein südöstlich von Ueckermünde gelegenes Waldgebiet im heutigen Mecklenburg-Vorpommern, nahe der polnischen Grenze. Seit 1936 wurde hier unter dem Tarnnamen „Seewerk II“ im Waldgebiet östlich der Uecker und nördlich der Randow im Auftrag und finanziert durch die deutsche Wehrmacht eine private Sprengstoff-Fabrik errichtet. Die Wehrmachtsorganisation versteckte sich dabei hinter den irreführenden Firmenbezeichnungen „Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH“ und „GmbH zur Verwertung chemischer Erzeugnisse“ (kurz Verwertchemie). Gebaut und betrieben wurde das Werk von der DSC (Deutsche Sprengchemie GmbH), einer Tochtergesellschaft der WASAG („Westfälisch-Anhaltinische Sprengstoff AG“, heute H&R WASAG).

Bauten

Zum Sprengstoffwerk gehörten verschiedene Zufahrtsstraßen, ein eigener Bahnanschluss und mehrere, aus Sicherheitsgründen weit voneinander abgesetzte Fertigungsstätten zur Herstellung von Nitrocellulose, Nitroglyzerin und Schwarzpulver, sowie zur Gewinnung hochkonzentrierter Säuren. Zusätzlich wurden Gebäude für chemische Labore und Tests gebaut. Das Werk wurde von drei Kraftwerken und einem Wasserwerk versorgt. Alle Bauten wurden massiv gemauert oder aus Stahlbeton errichtet. Zwischen den Anlagen wurden zahlreiche Bunker mit bis zu 90 cm dicken Wänden errichtet.

Zusätzlich zu den Produktionsanlagen wurden rund um das Werk Siedlungen für die Arbeiter angelegt. Ein Arbeiterlager befand sich in Eggesin westlich des Werkes. Weiter entfernt, in Torgelow, südwestlich der Anlage, und am Ortsrand von Ueckermünde wurden Siedlungen für leitende Angestellte und Facharbeiter erstellt. Im abseits liegenden Ortsteil Spechtberg wurde ein zusätzliches Arbeiterlager mit Holzbaracken gebaut.

Die Anlage Seewerk II war streng bewacht und wurde geheim und getarnt betrieben. Neben den festangestellten Ingenieuren und Facharbeitern wurden hier tausende deutsche Reichsangehörige und Kriegsgefangene „arbeitsverpflichtet“. Die extrem harte Arbeit wurde häufig von Frauen ausgeführt.

Produktion

Die Herstellung von Sprengstoff durch die DSC begann 1938. Produziert wurde hauptsächlich POL-Pulver („Pulver ohne Lösungsmittel“), das als Treibladung für Munition diente.

Die Produktion fand bis Anfang April 1945 statt. Im August 1944 fand ein alliierter Bombenangriff statt. Am 27. April 1945 besetzte die Rote Armee die Anlagen. Nach Kriegsende wurde eine umfassende Demontage (größtenteils durch zwangsarbeitende Frauen aus dem Landkreis) und Sprengung der Werksanlagen durchgeführt. Während der Produktion kamen im Werk durch Betriebsunfälle, Bombenangriffe und Überlastung fast 400 Menschen ums Leben.

Auf dem Gelände in Torgelow-Spechtberg wurde ab 1952 eine Kaserne der Volkspolizei errichtet. Nach 1960 entstand auf dem Gelände der DSC-Werke in ein wenig genutzter Truppenübungsplatz.

Heutiger Zustand

Die ehemalige Kaserne der Volkspolizei wird heute von der Bundeswehr genutzt. In Torgelow wurde 1946 auf dem Gelände einer Wohnsiedlung der Muna ein psychiatrisches Pflegeheim der Kursana errichtet. Die Gebäude wurden 1998 saniert und rekonstruiert. Die "Waldsiedlung" genannte Betreuungseinrichtung für psychisch kranke Menschen liegt, vom Kiefernwald umgeben, am Ausgang von Torgelow in Richtung Anklam [1]. In Eggesin wird die Wohnsiedlung heute unter dem Namen „Wohngebiet Karl-Marx-Straße“ betrieben.

Die eigentlichen Produktionsanlagen sind tief im Ueckermünder Wald verborgen. Die Ruinen der früheren Produktionsanlagen sind vielfach zwischen Birken und Fichten sichtbar. Das Gelände gilt heute als unbewachtes militärisches Sperrgebiet, es wird durch eine Hochspannungs-Trasse durchschnitten. Bei Untersuchungen wurden zahlreiche Schadstoffe festgestellt, eine endgültige Bewertung dieser Untersuchungen steht noch aus.

Standort Nürnberg-Feucht

Im Lorenzer Reichswald östlich von Nürnberg liegt bei Feucht das 224 ha umfassende Areal der ehemaligen Muna Nürnberg-Feucht. Unter anderem wurde hier die Dicke Bertha sowie Sprengköpfe für die „VergeltungswaffeV2 und die "Hochdruckpumpe" V3 gefertigt.
Nach der Einnahme der Muna am 17. April 1945 sammelten die Amerikaner Wehrmachts-Bestände aus Munitionszügen und Beutemunition in der Muna. Sie wurde in Ammo Collecting Point Feucht umbenannt. Seit am 4. Mai 1946 bei der Explosion der von den Alliierten gesammelten Munitionsreste der Großteil der 130 Bauten zerstört wurde, ist das Gelände ein verlassenes unbewachtes militärisches Sperrgebiet. Lediglich das Muna-Fertigungsgebiet (49° 22′ 53″ N, 11° 10′ 53″ O49.38138888888911.1813888888897) wurde in ein amerikanisches Treibstofflager umgewandelt. Nördlich des Muna-Geländes entstand nach 1960 das Feucht Army Airfield, welches nach dem Abzug der US Army 2002 bis 2004 in einen Gewerbepark umgewidmet wurde. [2]
Im westlichen und südlichen Teil (von der US-Army FASA und Nato Site 23 genannt) der Muna wird der Boden mit seinen Rüstungsaltlasten seit 2006 mit Beton versiegelt. [3] Anstatt den Boden zu sanieren, ist dies ist auf diese Weise notwendig, da das Risiko zu hoch ist, die teils mit Giftgas bestückte Munition aus dem Boden zu entfernen und dabei Giftgas freizusetzen. Zum Grundwasser hin ist das Gebiet durch eine wasserundurchlässige Tonschicht abgegrenzt.

Standort Wulfen

Zwischen den Dorstener Stadtteilen Holsterhausen, Hervest und Wulfen befindet sich die MUNA Wulfen. Das Gelände wird heute durch die Bundeswehr als Munitionsdepot genutzt. Durch Kriegseinwirkung und unsachgemäße Munitionsvernichtung (Haufensprengungen) durch die Alliierten war das Gelände mit Blindgängern und Munitonsresten verseucht. Trotzdem wurde durch die Britische Rheinarmee dort weiter ein Munitionsdepot betrieben. In den neunziger Jahren wurde das Depot grundlegend modernisiert, dabei wurden alle alten Munitionsbunker entfernt und neue Munitionslagerhäuser errichtet. Bei diesen Arbeiten wurden die vorhanden Bodenkontaminationen weitgehend entfernt und Blindgänger geräumt. (Ein Grundwasserschaden besteht weiterhin und wird beobachtet) Nach der Wiedervereinigung wurde das Depot im Rahmen der Reduzierung der britischen Streitkräfte in Deutschland an die Bundeswehr übergeben.

Weitere Standorte

Literatur

  • Landesarchiv Greifswald, Inklusive Online-Recherche
  • Dieter Materna: Tarnname See. Ein Bericht über zwei ehemalige Werke der Pulver- und Sprengstofferzeugung im Kreis Ueckermünde. Milow 2000, ISBN 3933978300
  • Dietmar Materna: Briefe gegen das Vergessen, ehemalige Zwangsarbeiter erinnern sich.
  • Der Primer, 60-seitige Broschüre des Fördervereins Güstrow e.V.

Fußnoten und Einzelnachweise

  1. http://www.torgelow.de/freizeit_teil1.htm?menuid=6&mid=2
  2. http://www.wehrtechnikmuseum.de/Exponate/Sonderausstellungen/Muna_Feucht/muna_feucht.html
  3. http://www.konrad-rupprecht.de/jahresschluss2006.htm

Weblinks


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