- Lumpenproletarier
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Lumpenproletariat ist ein Begriff von Karl Marx und Friedrich Engels. Sie fassten 1848 damit die in der gesellschaftlichen Hierarchie unter dem ländlichen und industriellen Proletariat stehenden subproletarischen Bevölkerungsgruppen zusammen. Gemeint waren zum Beispiel Bettler, Prostituierte, Lumpensammler, "Vagabunden", Glücksspieler, Gaukler oder Menschen, deren Existenzgrundlage die kleine oder große Delinquenz ist. In der marxistischen Theorie gehen Lumpenproletarier keiner werterzeugenden Arbeit nach. Ein Lumpensammler etwa setze seiner Ware, den gesammelten Altstoffen, keinen Neuwert zu.
Dass das in sich sehr heterogene „Lumpenproletariat“ sich nicht wie die Industriearbeiterschaft organisieren lasse, ein geringes Bewusstsein seiner Interessenlage habe und offen für Bestechung durch den Klassengegner sei, sah man in der organisierten Arbeiterbewegung als Problem. Es schied wegen seiner Unzuverlässigkeit und seiner Unfähigkeit zur Entwicklung eines proletarischen Klassenbewusstseins als Bündnispartner der Arbeiterklasse aus. Marx und Engels formulierten es im Manifest der Kommunistischen Partei (1848) so:
„Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen.“
Viele Gruppen des so zusammengefassten „Lumpenproletariats“ galten weiten Teilen der Bevölkerung als Milieu der „Asozialität“ und der Kriminalität. Als um die Wende zum 20. Jahrhundert die bevölkerungssanitären Vorstellungen von Sozialhygienikern populär zu werden begannen, richtete sich ihr Interesse vor allem auf die subproletarischen Gruppen, die nun als „asozial“ etikettiert wurden. 1912 behauptete der Hygieniker Alfred Grotjahn, Mitglied der SPD und in der Weimarer Republik Mitglied des Reichstags und Autor des gesundheitspolitischen Abschnitts des Görlitzer Programms der SPD von 1922:
„Die Verbrechernaturen erheben sich als heroische Spitzen […] aus einem Bevölkerungskonglomerat, das sich aus Vagabunden, Arbeitsscheuen, Hausierbettlern, Prostituierten, Zuhältern, Trunkenbolden und sonstigen Verwahrlosten zusammensetzt. Das Bestehen dieses Bodensatzes der Bevölkerung […] ist eine Gefahr und eine Bürde für jedes Gemeinwesen.“
– zitiert nach Patrick Wagner: Kriminalprävention qua Massenmord. Die gesellschaftsbiologische Konzeption der NS-Kriminalpolizei und ihre Bedeutung für die Zigeunerverfolgung[1]
Im Nationalsozialismus geriet das sog. Lumpenproletariat, ein Begriff, der mit erbbiologischem Inhalt auch in der nationalsozialistischen Gesellschaftspolitik verwendet wurde, als „asozial“ und „gemeinschaftsfremd“ in den Fokus der Rassenhygiene und damit der Verfolgung bis hin zur Vernichtung.
Siehe auch
Literatur
- Gerd Stein: Lumpenproletarier – Bonze – Held der Arbeit. Verrat und Solidarität. Kulturfiguren und Sozialcharaktere des 19. und 20. Jahrhunderts. Band 5, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-596-25039-0.
- Richard Albrecht: Pauper(ismus). In: ders., Werner Seppmann u. a.: Umbau der Klassengesellschaft. Beiträge zur Klassen@analyse. Band 2, Neue Impulse, Essen 2006, S. 138–145.
Anmerkungen
- ↑ in: Michael Zimmermann (Hrsg.), Zwischen Erziehung und Vernichtung. Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung im europa des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2007, S. 379–391, hier: S. 387.
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