Gesellschaftliche Klasse

Gesellschaftliche Klasse

Der Begriff Klasse bezeichnet in der Soziologie eine Gruppe von Menschen, die sich durch gemeinsame, insbesondere ökonomische Merkmale, aber häufig auch durch ein spezifisches Zusammengehörigkeitsgefühl oder Klassenbewusstsein auszeichnen. Sehr viel stärker als die Begriffe Schicht oder Milieu betont der u. a. von Karl Marx verwendete Begriff Klasse ein Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnis. In der Soziologie wird über die genaue Definition des Klassenbegriffs, aber auch über die Frage, ob die Leitbegriffe Klasse, Schicht oder Milieu die Gliederung der Sozialstruktur einer Gesellschaft besser beschreiben, kontrovers diskutiert. Der Klassenbegriff ist wegen seiner politischen Auswirkungen besonders umstritten. Zu konkurrierenden Begriffen siehe „Sozialstruktur“.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung des Konzeptes der sozialen Klassen

Der Begriff und das dazugehörige Konzept stammt von Henri de Saint-Simon, und wurde später von Karl Marx, von anderen Sozialisten und in der Soziologie aufgenommen und verfeinert. Marx machte die Klasse zum zentralen Konzept seiner philosophischen, historischen, ökonomischen, politologischen und anthropologischen Analysen, weshalb der Begriff heute vielfach mit dem Marxismus und dem von diesem definierten Kapitalismus und Sozialismus in Verbindung gebracht wird.

Soziale Klassen im Marxismus

Allgemeines

Eine Kritik aus der IWW-Zeitung Industrial Worker an der Klassengesellschaft

Im Marxismus unterscheiden sich die Klassen voneinander durch ihren Platz im System der gesellschaftlichen Produktion und insbesondere durch ihr Verhältnis (d. h. dem Besitz oder Nichtbesitz) zu den Produktionsmitteln. Davon hängen die anderen Faktoren ab, wie z. B. der jeweilige Anteil am gesellschaftlichen Reichtum, über den eine Klasse verfügt.

Der Marxismus betont den historischen Charakter der Klassen: Die menschliche Gesellschaft war nicht immer in Klassen gespalten und wird auch nicht immer in Klassen gespalten bleiben.

In der Urgesellschaft existierten keine Klassen. „Die gering entwickelten Produktivkräfte bedingten das gemeinsame Eigentum an den Produktionsmitteln, die gemeinsame Arbeit aller Mitglieder der Gesellschaft und schlossen die Möglichkeit der Ausbeutung des Menschen aus.“ (Georg Klaus / Manfred Buhr (Hrsg): Marxistisch-Leninistisches Wörterbuch der Philosophie, S. 619)

Zu einer Entstehung von Klassen kam es erst, als die Menschen die Fähigkeit erlangten, mehr zu produzieren, als für ihr unmittelbares Überleben erforderlich war. Die Entwicklung der Produktivkräfte und die beginnende gesellschaftliche Arbeitsteilung bildeten die Grundlage für die Entstehung der Klassen.

Diese Klassen existieren solange, wie die gesellschaftliche Gesamtarbeit einen Ertrag liefert, der das zum Überleben Notwendige nur wenig überschreitet und die Arbeit, diesen Ertrag hervorzubringen, die Zeit der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in Anspruch nimmt. „Neben der ausschließlich der Arbeit frönenden großen Mehrheit bildet sich eine von direkt produktiver Arbeit befreite Klasse, die die gemeinsamen Angelegenheiten der Gesellschaft besorgt: Arbeitsleitung, Staatsgeschäfte, Justiz, Wissenschaften, Künste usw.“ (Friedrich Engels: Anti-Dühring, S. 224).

Die Klassenspaltung ist dann nicht mehr notwendig, wenn die gesellschaftlichen Produktivkräfte so hoch entwickelt sind, dass alle notwendigen Güter in so kurzer Zeit hergestellt werden können, dass sich die gesamte Bevölkerung neben ihrer produktiven Tätigkeit auch um die allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft kümmern kann. Dieser hohe Stand der Produktivkräfte ist nach Auffassung vieler Marxisten im gegenwärtigen Kapitalismus erreicht. So hält es Ernest Mandel für möglich, den Arbeitstag auf vier Stunden zu verkürzen. Unter der Voraussetzung eines Kollektivbesitzes an den Produktionsmitteln und einer Planwirtschaft könne es dann zu einem Absterben der Klassen kommen, was ein wichtiges Merkmal des Sozialismus darstellt (Vgl. Ernest Mandel: Marxistische Wirtschaftstheorie, Band 2, S. 829ff).

In Verlauf der Geschichte haben sich die Formen des Eigentums an den Produktionsmitteln mehrfach geändert und damit die Klassenstruktur der jeweiligen Gesellschaft. Darüber hinaus kann innerhalb einer Gesellschaft auch zwischen Grundklassen und Nebenklassen unterschieden werden.

Die vorherrschende Form des Eigentums an den Produktionsmitteln bildet die Basis für die Existenz der jeweiligen Grundklassen. Neben diesen vorherrschenden Formen existieren auch andere Formen des Eigentums. Diese untergeordneten Formen sind die Grundlage für die Existenz der jeweiligen Nebenklassen.

In den verschiedenen Ökonomische Gesellschaftsformationen existierten bisher folgende Klassen:

ökonomische Gesellschaftsformation Hauptklassen Nebenklassen
Urgesellschaft keine
Asiatische Produktionsweise Staatsbürokratie / persönlich freie Bauern Sklaven; Handwerker; Händler; Proletarier (z. B. Lohnknechte)
Sklavenhaltergesellschaft (Antike) Sklavenhalter / Sklaven Freie Bauern (z. B. Zeugiten) und Handwerker soweit sie keine Sklaven besitzen; Proletarier (z. B. Lohnarbeiter in antiken Manufakturen, vgl. auch Theten)
Feudalismus Lehnsherren / Unfreie (z. B. leibeigene) Bauern Handelsherren/(Fern)kaufleute (Bourgeois); Zunfthandwerker; Universitätsgelehrte und Juristen; Proletarier (z. B. Mühl- und Hammerknechte, i. w. S. auch Landsknechte)
Kapitalismus Bourgeois / Proletarier Großgrundbesitzer, Bauern, Landarbeiter (Insten, Tagelöhner; Kleinbürger (kleine Kaufleute, Handwerker); Lumpenproletarier („Klassen“-Charakter umstritten)

Nebenklassen können Reste alter oder Erscheinungen neuer, noch unzureichend entwickelter Produktionsverhältnisse sein.

Das Verhältnis zwischen der jeweils herrschenden Grundklasse und den Nebenklassen ist immer auch ein Verhältnis der Herrschaft und Knechtschaft, aber nicht immer ein Verhältnis der Ausbeutung.“ (Georg Klaus / Manfred Buhr (Hgg): Marxistisch-Leninistisches Wörterbuch der Philosophie, S. 620). Wie aus der obigen Tabelle ersichtlich ist, verwandeln sich im Laufe der Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformationen Nebenklassen in Hauptklassen und umgekehrt. So waren z. B. die Bauern im Feudalismus eine Hauptklasse, im Kapitalismus sind sie nur noch eine Nebenklasse.

Die Klassengliederung im Kapitalismus bei Karl Marx

Karl Marx verwendet den Begriff Klasse unterschiedlich:

  • In seinen früheren Schriften beschreibt er konkrete Klassen in bestimmten Gesellschaften, so z. B. in den Schriften, die sich mit der Bilanz der Revolution von 1848 und ihren Folgen beschäftigen, wie „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“ und „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“. Hier definierte er die Klassen nicht ausschließlich ökonomisch, sondern er nannte die gemeinsamen Existenzbedingungen in ihrer Gesamtheit, die eine Klasse von der anderen unterscheiden. Darunter fallen z. B. ihre Lebensweise, ihre Interessen, Bildung, und ihre politische Organisation. Marx beschreibt detailliert die mannigfaltigen Beziehungen zwischen den Klassen, die Rolle des Mittelstandes, verschiedene Allianzen bzw. Koalitionen zwischen ihnen und sogar die mögliche Vertretung einiger dieser Klassen durch andere.
  • In seinen späteren Werken, z. B. im Kapital, beschreibt er die unterschiedlichen Klassen abstrakter als Resultat der Produktionsverhältnisse des Kapitalismus. Marx hat sich aber auch hier nicht grundsätzlich dagegen ausgesprochen, in eine Klassenanalyse auch Merkmale des Überbaus wie Bildung und Politik einzubeziehen. In seiner Darstellung der allgemeinen Bewegungsgesetze des Kapitalismus im ersten Band des Kapitals werden die Klassen aber zunächst sehr abstrakt beschrieben und Überbaumerkmale nicht berücksichtigt. Zudem abstrahiert Marx hier auch von der Zirkulation des Kapitals, indem er diese als funktionierend unterstellt. Er beschreibt stattdessen nur den unmittelbaren Produktionsprozess. Unter diesem Gesichtspunkt kann es nur zwei Klassen geben: die produktiven Lohnarbeiter und die industriellen Kapitalisten. Am Ende des dritten Bandes nennt Marx auch die Klasse der Grundeigentümer. Zwar bricht dort das gesamte Werk mitten im zusammenfassenden Kapitel „Die Klassen“ ab, aber die vorhandenen ausführlichen Einzelanalysen füllen diese Lücke.

Bei der Klassentheorie handelt es sich also um einen Spezialfall eines wissenschaftlichen Programms, das sich in der fortschreitenden Rücknahme von Abstraktionen entwickelt: In dem Maße, wie man sich der ‚Oberfläche’ der sozialen Beziehungen nähert, werden sukzessive neue Bestimmungen des Klassenbegriffs aufgenommen. (Koch 1994, S. 14)

Im Kapital beschreibt der Begriff Klasse nicht mehr nur empirisch bestimmte Bevölkerungsschichten, sondern Marx versucht, diese „Schichtungen“ zu erklären. Sie sollen selbst aus den spezifischen Produktions- und Reproduktionsverhältnissen der Gesellschaft abgeleitet werden.

Marx geht davon aus, dass nur die Arbeit wertschaffend ist (Arbeitswertlehre). Die Arbeitskraft, die von den Lohnarbeitern verkauft wird, ist nach dieser Theorie die einzige Ware, deren Gebrauchswert darin besteht, mehr Wert zu bilden, als sie selbst besitzt. Denn ihr Wert wird wie der Wert aller anderen Waren durch die zu ihrer Produktion notwendigen durchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeitszeit bestimmt. Das heißt in diesem Fall, der Wert der Ware Arbeitskraft entspricht dem Wert aller Waren, die die Arbeiter benötigen, um sich (einschließlich der „Ersatzmannschaft“, des Nachwuchses) zu reproduzieren. Allerdings können die Arbeiter länger arbeiten, als es notwendig wäre, um nur das Äquivalent ihrer eigenen Reproduktion zu erzeugen. Denn:

  1. arbeiten die Arbeiter unter Kontrolle der Kapitalisten, die ihre Arbeitskraft kaufen und diese Arbeitskraft dann in ihrem Interesse nutzen können
  2. ist das Produkt dieser Arbeit Eigentum der Kapitalisten, nicht der Arbeiter.

Mehrwert wird gebildet, indem das Kapital die Arbeitskraft länger wirken lässt, als es zu ihrer eigenen Reproduktion notwendig wäre. Der Arbeitstag der Arbeiter zerfällt also in zwei Teile: in notwendige Arbeit, in einen bezahlten Teil, der für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft notwendig ist und in einen unbezahlten Teil, in Mehrarbeit, in dem die Arbeiter für die Kapitalisten arbeiten.

Die Kapitalisten suchen also im Klassenkampf beständig nach Mitteln und Wegen, um den unbezahlten Teil des Arbeitstages gegenüber dem bezahlten zu vergrößern. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten:

  1. absoluter Mehrwert: Die Steigerung der absoluten Mehrwertproduktion durch Verlängerung des Arbeitstages
  2. relativer Mehrwert: Die Steigerung der relativen Mehrwertproduktion: Hier wird bei gegebener Größe des Arbeitstages derjenige Teil ausgedehnt, in dem die Arbeiter für die Kapitalisten arbeiten

Die Kapitalisten sind also in der Lage, sich das von den Arbeitern geschaffene Mehrprodukt anzueignen. Diese qualitativ unterschiedlichen Positionen innerhalb des kapitalistischen Produktionsprozesses kennzeichnet Marx folgerichtig als die Hauptklassen der kapitalistischen Produktionsweise: die Klasse der Lohnarbeiter und die der Kapitalisten. (Koch 1994, S. 22)

Die Kapitalisten konsumieren nun aber nicht den gesamten Mehrwert, sondern sie reinvestieren einen Teil davon und verwandeln ihn in Kapital zurück. Ein Teil des Mehrwerts wird konsumiert, ein anderer dient der Kapital-Akkumulation. Dies führt dazu, dass sich die Trennung in Arbeiter und Kapitalisten immer wieder reproduziert und dauerhaft ist. Die Arbeiter können sich nicht die Arbeit von anderen aneignen. Denn ihr Lohn reicht gewöhnlich nur zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft aus. Daher stehen sich Kapitalisten und Arbeiter als gegensätzliche Klassen gegenüber, deren Ausgangspunkt im Laufe des Akkumulationsprozesses ständig neu hergestellt wird.

Neben Arbeitern und Kapitalisten, also denjenigen Klassen, die direkt aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehen, finden sich in einer konkreten Gesellschaftsformation noch Klassen, die auf andere Produktionsweisen zurückgehen. Dabei handelt es sich z. B. um die einfachen Warenproduzenten (altes Kleinbürgertum), die noch selbst Eigentum an Produktionsmitteln haben, aber keine oder nur wenige Arbeitskräfte ausbeuten, und um die Großgrundbesitzer, die nur über Eigentum an Land verfügen, es aber nicht selbst bearbeiten, sondern eine Grundrente beziehen.

Alle diese Produktionsformen und Klassen sind aber über den kapitalistischen Markt vermittelt. Daher konkurrieren die Angehörigen dieser Klassen untereinander und mit den kapitalistisch hergestellten Waren.

Allerdings bedeutet die Existenz von objektiv existierenden Klassen noch nicht, dass sich ihre Mitglieder ihrer Gemeinsamkeiten subjektiv bewusst sind und einheitlich auftreten. Aber Marx und seine Nachfolger gingen davon aus, dass die Bewusstwerdung der Arbeiterklasse quasi automatisch aufgrund ihrer objektiven Situation erfolgen werde („Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“) Diese Annahme hat sich nicht immer bestätigt.

Bereits in der Nachfolge Marx' wurde sein Klassenbegriff kritisch differenziert. So hob 1910 Rudolf Hilferding in Das Finanzkapital die ausschlaggebende Bedeutung der Banken hervor.

Neuere marxistische Klassentheorien

Die Autoren des Projekts Klassenanalyse (PKA), wie z. B. Joachim Bischoff, versuchten in den 70er Jahren anhand der marxschen Kriterien die unterschiedlichen Klassen in der Bundesrepublik auch empirisch nachzuweisen. Das Kriterium für die einzelnen Klassen ist hier – wie bei Marx – ihre Stellung im kapitalistischen Verwertungsprozess.

Auch wie Marx ging das PKA von der Existenz zweier die bürgerliche Gesellschaft spaltenden Hauptklassen aus: die Klasse der Kapitalisten und die der Arbeiter.

Die Kapitalistenklasse setzt sich zusammen aus aktiven Kapitalisten und bloßen Kapitaleigentümern, wobei die Anzahl der letzteren Kategorie zunehmen soll. Auch Lohnarbeiter gehören zur Kapitalistenklasse, wenn ihr Lohn so groß ist, dass er tatsächlich ein Teil des Mehrwerts darstellt. Dies ist bei leitenden Angestellten der Fall.

Zum Kleinbürgertum gehören Personen, die noch eigene Produktionsmittel besitzen, aber keine oder nur sehr wenige Lohnarbeiter ausbeuten. Abgrenzungskriterium zur Kapitalistenklasse ist die Größe des von ihnen erlangten Mehrwerts. Wenn er so groß wird, dass sie durch Investitionen ihr Kapital vergrößern und zur Kapitalakkumulation übergehen können, werden sie zur Kapitalistenklasse gezählt. Nach Ansicht des PKA waren zwischen 1950 und 1970 in der Bundesrepublik hierfür die Beschäftigung von ca. 3,7 Lohnarbeitern notwendig. Zum Kleinbürgertum gehören also auch noch Personen, die bis zu 3 Lohnarbeiter beschäftigen.

Neben dem alten Kleinbürgertum gibt es auch noch lohnabhängige Zwischenklassen, also hauptsächlich Staatsangestellte, die im marxistisch-ökonomischen Sinn Dienst leisten, deren Einkommen also von den primären Revenuen Arbeitslohn und Gewinn über die Steuern abgezweigt ist. Zu dieser Klasse gehören jedoch auch nichtstaatlich Beschäftigte, also Angestellte von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen etc., aber auch Diener oder Putzkräfte in Privathaushalten.

Die Arbeiterklasse kann in produktive und nichtproduktive Lohnarbeiter (im marxistischen Sinne) untergliedert werden (vgl. Max Koch: Vom Strukturwandel einer Klassengesellschaft, S. 42ff). Diese Untergliederung ist nicht moralisch wertend gemeint, sondern gibt nur die Stellung der jeweiligen Personen im Produktionsprozess wieder, siehe Artikel: Produktive Arbeit (Marxismus).

Nach dieser Gliederung verteilten sich im Deutschen Reich bzw. in der Bundesrepublik Deutschland die Klassen wie folgt auf die jeweilige Erwerbsbevölkerung:

Klassen(fraktion) 1907 1978 1985
Kapitalisten 3,0 2,5 1,5
Kleinbürgertum 34,0 11,5 8,3
Lohnabhängige Mittelklasse 13,0 19,7 24,8
Arbeiterklasse 50,0 66,3 65,4
davon produktive Arbeiter  ? 42,8 37,8
davon nichtproduktive Arbeiter  ? 19,7 18,5
davon arbeitslos  ? 3,8 9,3
Zusammen 100 100 100

Tabelle: Anteil an der Erwerbsbevölkerung pro Klasse (Daten aus: B. Erbslöh / T. Hagelstange / D. Holtmann / J. Singelmann / H. Strasser: Klassenstruktur und Klassenbewusstsein in der Bundesrepublik Deutschland, Endbericht eines DFG-Forschungsprojektes, Duisburg 1987, zitiert nach Koch: Vom Strukturwandel einer Klassengesellschaft, S. 45). Der Rückgang der Kapitalistenklasse ist auf statistische Ungenauigkeiten zurückzuführen.

Die Autoren des Projekts Klassenanalyse wollten auch feststellen, ob den unterschiedlichen Klassen auch bestimmte Bewusstseinsformen (Klassenbewusstsein) entsprechen. Sie erwarteten, dass das Eintreten für die herrschende Ordnung in der Kapitalistenklasse größer ist als beim Kleinbürgertum und dass bei den Lohnabhängigen die Distanz zur herrschenden Ordnung am größten ist. Innerhalb dieser Kategorie sollte das Bewusstsein des Klassencharakters der Gesellschaft umso ausgeprägter sein, je mehr die Lohnarbeiter dem Kapital direkt subsumiert sind. Es sollte also bei den lohnabhängigen Mittelklassen verhältnismäßig gering sein und bei den produktiven Arbeitern am höchsten. Die nichtproduktiven Arbeiter würden eine Zwischenposition einnehmen. Um das Klassenbewusstsein zu messen, führten die Autoren des Projekts Klassenanlyse 1987 eine repräsentative Umfrage zu typischen „Arbeitereinstellungen“ durch. Ein Beispiel ist: „Arbeitnehmer in unserer Gesellschaft brauchen Gewerkschaften, um ihre Interessen durchzusetzen.“ Diese Aussagen werden dann auf einer Skala von 1 (extreme Pro-Kapital-Einstellung) bis 8 (extreme Pro-Arbeitnehmer-Einstellung) geordnet.

Die Ergebnisse waren:

Klasse Bewusstseinsindex
Kapitalisten 3,2
Kleinbürgertum 3,7
Lohnabhängige Mittelklasse 5,3
Arbeiterklasse
davon produktive Arbeiter 5,7
davon nichtproduktive Arbeiter 5,1
davon arbeitslos 6,0

Zwar stimmten die Werte der Kapitalisten, des Kleinbürgertums und der Lohnabhängigen insgesamt mit den theoretischen Klassenpositionen überein, jedoch erwies sich die lohnabhängige Mittelklasse kapitalismuskritischer als die der nichtproduktiven Arbeiter (hauptsächlich Angestellte). Insofern erscheint die Differenzierung zwischen verschiedenen Lohnarbeiterkategorien in Bezug auf das Klassenbewusstsein als problematisch (vgl. Koch: Vom Strukturwandel einer Klassengesellschaft, S. 46ff).

Ernest Mandel definiert dementsprechend die Arbeiterklasse anders: Zu ihr gehören alle Menschen, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Das schließt sowohl die eigentlichen industriellen Handarbeiter (im wesentlichen „produktive Arbeiter“), als auch die kommerziellen Arbeiter (im wesentlichen „unproduktive Arbeiter“), aber auch große Teile der Staatsangestellten („Lohnabhägige Mittelklasse“) ein. Sie alle sind den gleichen fundamentalen Zwängen unterworfen: Nichteigentum an Produktionsmitteln, Fehlen des direkten Zugangs zur Produktion von Lebensmitteln, ungenügender Geldbesitz, um die Mittel des Lebensunterhalts ohne den mehr oder weniger regelmäßigen Verkauf der eigenen Arbeitskraft erwerben zu können.

Andererseits gehören nach Mandel diejenigen Personen nicht zur Arbeiterklasse, die zwar formal angestellt sind, deren Einkommensniveau es ihnen aber gestattet, zusätzlich zu ihrem „normalen“ Lebensstil Kapital zu akkumulieren, wie z. B. Manager (vgl. Mandel: Kontroversen um „Das Kapital“, S. 153f).

Klassen bei Max Weber

Der Soziologe Max Weber unterscheidet generell zwischen Erwerbs-, Besitz-, und Sozialen Klassen.

Besitzklasse meint die Unterscheidung nach Besitz. "Bevorteilte "Besitzklassen" sind etwa Rentiers aller Art, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich oder zumindest vorwiegend durch Vermietung von Häusern, Verpachtung von Boden oder von Aktiendividenden leben" (Groß 2008: 22). Diesen stehen die Unfreien, Sklaven, Deklassierten, Schuldner und Armen gegenüber.

Erwerbsklasse meint die Unterscheidung nach den Chancen der Marktverwertung von Gütern oder Leistungen. Hier können Unternehmer, Mittelklassen der Handwerker und Bauern sowie Arbeiter unterschieden werden.

Erwerbs- und Besitzklassen an sich sind für Weber jedoch noch keine sozialen Einheiten. Eine soziale Klasse umfasst nach seiner Definition jedoch die Gesamtheit der Lebensbedingungen zwischen denen ein Wechsel der Person oder ihrer Nachkommen relativ leicht möglich und auch häufig ist. Hierbei sind insbesondere die Kategorien Besitz und Erwerb zu berücksichtigen. In seiner Zeit, also zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sah Weber in Deutschland drei Hauptklassen:

  1. „die Klassen der Besitzenden und durch Bildung Privilegierten.“
  2. „das Kleinbürgertum und die besitzlose Intelligenz und Fachgeschultheit (Techniker, kommerzielle und andere 'Angestellte', das Beamtentum, untereinander eventuell sozial sehr geschieden, je nach den Schulungskosten)“
  3. „die Arbeiterschaft als Ganzes, je automatisierter der Arbeitsprozeß wird.“

Darüber hinaus unterscheiden sich die Menschen auch noch in Bezug auf ihre ständische Lage, d. h. ihre sozialen Schätzung, begründet auf:

  1. „Lebensführungsart
  2. formale Erziehungsweise
  3. Abstammungsprestige oder Berufsprestige.“

Praktisch drückt sich die ständische Lage aus vor allem in:

  1. Connubium (Endogamie innerhalb eines Standes)
  2. Kommensalität (man isst und trinkt gemeinsam, d. h. feiert gemeinsame Feste, lädt sich gegenseitig ein)
  3. oft: monopolistischer Appropriation von privilegierten Erwerbschancen oder Perhorreszierung bestimmter anderer Erwerbsarten (Abscheu vor ihnen),
  4. ständischen Konventionen (Traditionen) anderer Art.

Die ständische Lage kann auf der Klassenlage beruhen, aber sie ist nicht allein durch sie bestimmt.

(Zitate: Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Kapitel I,IV vgl. auch Korte/Schäfers: Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie, S. 140)

Die Klassentheorie von Pierre Bourdieu

Eine Voraussetzung für die Darstellung der Klassentheorie von Pierre Bourdieu ist die Klärung seines Kapitalbegriffs. Im Unterschied zu Karl Marx geht er davon aus, dass es nicht nur ökonomisches Kapital gibt, sondern auch noch andere Kapitalformen wie soziales oder kulturelles Kapital. Für ihn ist Kapital akkumulierte Arbeit, die sich entweder in Form von Material entäußert, oder die verinnerlicht und inkorporiert wird. Diese Inkorporierung schlägt sich habituell nieder, was bedeutet, dass es klassenspezifisch je unterschiedliche Wahrnehmungsweisen, Geschmäcker, Ängste und Verhaltensmuster gibt. Da dies häufig unbewusst geschieht, spricht Bourdieu auch vom Habitus als dem 'Klassenunbewusstem'.

Viele Praktiken, wie etwa der Gabentausch oder die Ehrenhändel in vorkapitalistischen Gesellschaften oder der Kulturbereich in kapitalistischer Gesellschaften besitzen den Anschein der Uneigennützigkeit, denn sie sind nicht auf unmittelbaren ökonomischen Gewinn ausgerichtet. Dennoch gehorchen sie einer ökonomischen Logik. Auch hier ist das Ziel der Beteiligten eine Maximierung der Profite des jeweiligen Feldes etwa in Form von Ehrenerweisen oder Ansehen.

Diese können u. U. auch in ökonomisches Kapital konvertiert werden. Die von Bourdieu entwickelten „Ökonomie der Praxis“ umfasst also alle Sorten von sozialen Transaktionen. Der Warentausch ist lediglich ein spezieller Fall des sozialen Austausches.

Kapitalformen

Die wichtigsten Kapitalformen sind:

Soziales Kapital Bourdieu definiert das soziale Kapital folgendermaßen: „Das soziale Kapital ist die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennenes verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.“ (Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital, S. 63)

Die sozialen Beziehungen können nur auf der Grundlage von materiellen und/oder symbolischen Tauschbeziehungen existieren, zu deren Aufrechterhaltung sie beitragen. Dabei kann es sich um des Austausch von Worten, Geschenken oder Frauen (d. h. Heiraten in archaischen Gesellschaften) handeln.

Ökonomisches Kapital Als Ökonomisches Kapital bezeichnet Bourdieu den Besitz, das Vermögen, Einkommen und Eigentumsrechte. Im Gegensatz zum Kapitalbegriff von Marx meint Bourdieu mit dem Begriff Ökonomisches Kapital nur die Verfügung über Geld und Einkommen, die quantitativ gemessen wird. Für Marx dagegen ist mit Kapital nur dasjenige Geld gemeint, das ausgelegt wurde, um mehr Geld zu produzieren, als ursprünglich vorhanden war („Geld heckendes Geld“). Demnach verfügen für Bourdieu alle Menschen über ökonomisches Kapital, wobei nur der Umfang der Kapitalausstattung unterschiedlich ist. Das ökonomische Kapital dominiert in modernen kapitalistischen Gesellschaften gegenüber den anderen Kapitalsorten (Vgl. Bourdieu: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital, S. 55).

Kulturelles Kapital Das kulturelle Kapital kann in drei Formen existieren:

  1. als inkorporiertes Kulturkapital, verinnerlichter Zustand in Form von dauerhaften Handlungsdispositionen
  2. als objektiviertes Kulturkapital, in Form von kulturellen Gütern
  3. als institutionalisiertes Kulturkapital, in Form von schulischen Titeln

Die Aneignung des inkorporierten kulturellen Kapitals ist sehr zeitaufwendig und setzt voraus, dass die Individuen von der Notwendigkeit der unmittelbaren gesellschaftlichen Reproduktion freigestellt werden, etwa um die Universitäten besuchen zu können.

Symbolisches Kapital Das symbolische Kapital ist die als legitim auch von den Beherrschten anerkannte Form der drei anderen Kapitalsorten. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Wirksamkeit der drei primären Kapitalsorten überhaupt und auch eine Voraussetzung für die Entstehung von Herrschaft. Denn ein gesellschaftliches Herrschaftsverhältnis kann ohne den Schleier symbolischer Verhältnisse nicht oder nur zeitweilig Wirklichkeit werden.

Die Kapitalumwandlungen

Im Allgemeinen können die einzelnen Kapitalsorten ineinander umgewandelt werden. Hierbei gilt entsprechend dem Satz von der Erhaltung der Energie das Prinzip, dass die Gewinne einer Kapitalsorte notwendigerweise mit Kosten einer anderen bezahlt werden. Das universelle Maß dieser Kapitalumwandlungen ist die Arbeitszeit im weitesten Sinn des Wortes. Hierbei muss sowohl die in Form von Kapital akkumulierte Arbeit als auch die Arbeit berücksichtigt werden, die für die Umwandlung von einer Kapitalart in die andere notwendig ist. Beispiele für Kapitalumwandlungen:

  • Bei der Umwandlung von ökonomischem in soziales Kapital handelt es sich um Aktivitäten, die aus ökonomistischer Sicht als reine Verschwendung erscheinen müssen. Es ist eine scheinbar kostenlose Verausgabung von Zeit, Aufmerksamkeit, Sorge und Mühe für eine andere Person. Im Sinne der umfassenderen Logik der sozialen Austauschbeziehungen stellen diese Tätigkeiten aber eine relativ sichere „Investition“ dar, deren „Profite“ sich früher oder später ergeben werden.
  • Der Erwerb von kulturellem Kapital setzt einen Aufwand an Zeit voraus, der durch die Verfügung über ökonomisches Kapital ermöglicht wird (Vgl. Bourdieu: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital, S. 72).

Die historische Entwicklung der sozialen Felder

Die oben genannten drei primären Kapitalsorten sind jeweils nur in einem spezifischen Feld wirksam. Dabei handelt es sich um Untergliederungen innerhalb des sozialen Raumes, der sich mit der Entwicklung einer Gesellschaft immer mehr ausdifferenziert, und in dem die Kapitalakkumulation spezifischen Gesetzen gehorcht.

Historisch gesehen ist das Feld der sozialen Beziehungen, in dem soziales Kapital akkumuliert wird, das älteste. Es dominierte in den vorkapitalistischen Agrargesellschaften. Das grundlegende Prinzip der Kapitalakkumulation ist hier die Konkurrenz um Ansehen und Ehre. Diese wird durch hervorragende Leistungen, z. B. im Krieg, aber auch durch Großzügigkeit bei Austauschvorgängen wie dem Gabentausch erreicht. In dieser Hinsicht erfolgreiche Personen werden auch ökonomisch profitieren, etwa indem sie sehr wertvolle Gegengeschenke erhalten oder über die Arbeitskraft von anderen Personen verfügen können, wenn diese nicht in der Lage sind, Geschenke zu erwidern, die sie nach den Regeln des Gabentausches machen müssen. Allerdings funktioniert hier die Akkumulation von Reichtum nicht nach den Gesetzen des ökonomischen Feldes, die z. B. von Karl Marx beschrieben wurde.

Erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit spaltete sich das ökonomische Feld mit eigenständigen Gesetzen von Feld der sozialen Beziehungen ab. Eine Voraussetzung war die Verwendung des Geldes als Kapital und die Existenz eines Staates, der die Einhaltung der vertraglich eingegangenen Verpflichtungen garantieren kann. Das Prinzip der Kapitalakkumulation auf diesem Feld wurde von Marx und anderen Ökonomen beschrieben: Es geht darum, Geld so zu verwerten, dass am Ende eines bestimmten Zeitraums mehr Geld herauskommt, als am Anfang in diesen Prozess hineingesteckt wurde. Nach Bourdieu entstand das ökonomische Feld mit eigenständigen Gesetzen zuerst in der klassischen Antike bei den Griechen und Römern. Allerdings dominierte es damals noch nicht die Gesellschaft. Dies ist erst in den modernen kapitalistischen Industriegesellschaften der Fall.

Das Feld der kulturellen Produktion spaltete sich ebenfalls erst zu einem späteren Zeitpunkt vom Feld der sozialen Beziehungen ab. Eine Voraussetzung hierfür ist die Verwendung der Schrift und zumindest eines rudimentären Schulsystems. Auf diesem Feld konkurrieren Individuen gegeneinander um eine hervorragende wissenschaftliche und / oder philosophische Leistung. Dies geschah zum ersten mal in der Geschichte bei den griechischen und chinesischen Philosophenschulen ab dem Jahr 600 v.u.Z.. Obwohl dieses Feld in den modernen kapitalistischen Industriegesellschaften stark an Bedeutung gewinnt, dominiert es doch in keinem Fall eine Gesellschaft (Vgl. Bourdieu: Sozialer Sinn, S. 208ff).

Die Klassengliederung einer modernen kapitalistischen Gesellschaft

Auf Grund der oben dargestellten Theorie der Kapitalsorten und Felder ist es nun möglich, die Klassengliederungen bestimmter Gesellschaften zu bestimmen. Bourdieu bezeichnet eine objektive Klasse als ein Ensemble von Akteuren, die homogenen Lebensbedingungen unterworfen sind. Einer solchen Gruppe sind sowohl objektivierte, wie etwa Besitz oder Nichtbesitz von Gütern, als auch inkorporierte Merkmale wie klassenspezifischen Habitusformen gemeinsam. Eine objektive Klasse ist definiert durch die Struktur der Beziehung zwischen allen relevanten Merkmalen, die in Kombination miteinander spezifische Wirkungen auf die Praxisformen ausüben.

Allerdings dürfen objektive Klassen nicht mit mobilisierten Klassen verwechselt werden. Denn bei Letzteren handelt es sich um ein Ensemble von Akteuren, die sich zusammengefunden haben zum Kampf für eine Bewahrung oder Veränderung der Verteilungsstruktur der Kapitalsorten unter die Klassen.

Die oben genannten relevanten Merkmale können durch die Stellung der Individuen zu den einzelnen Kapitalsorten beschrieben werden. Sie hängen von deren Verfügung über Kapital in den von Bourdieu genannten Feldern ab, die in drei Dimensionen beschrieben werden können:

  • das quantitative Volumen des Kapitals
  • die Kapitalstruktur, also das Verhältnis des Besitzes der verschiedenen Kapitalsorten untereinander
  • die zeitlichen Entwicklung dieser Größen, also die Frage, ob ein Individuum oder eine Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt sich eher auf einer absteigenden oder aufsteigenden sozialen Laufbahn befinden.

Die Unterschiede, die die Hauptklassen einer Gesellschaft ausmachen, liegen im Gesamtvolumen des Kapitals begründet als Summe aller effektiv aufwendbaren Ressourcen und Machtpotentiale, also als Gesamtheit der Verfügung über ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital. Die Verteilung der Klassen in einer modernen kapitalistischen Gesellschaft erstreckt sich von den am reichhaltigsten mit ökonomischem und kulturellem Kapital ausgestatteten bis zu den in beiden Bereichen am stärksten benachteiligten Individuen.

Diese Hauptklassen sind noch einmal differenziert nach Klassenfraktionen mit unterschiedlichem Umfang der einzelnen Kapitalsorten bei etwa gleichem Volumen des Gesamtkapitals. Der Rang der verschiedenen Kapitalsorten innerhalb des sozialen Raumes ist in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich, doch für die kapitalistischen Industriegesellschaften geht Bourdieu davon aus, dass das ökonomische Kapital das dominierende Ordnungsprinzip darstellt. An zweiter Stelle kommt hier schon das kulturelle Kapitals, während das soziale Kapital in Vergleich zu vorhergehenden Gesellschaftsformationen an Bedeutung verloren hat. Die Klassenfraktionen oder einzelne Berufsgruppen innerhalb dieser Fraktionen unterscheiden sich noch zusätzlich durch ihre aufsteigende oder absteigende soziale Laufbahn.

Neben diesen primären Unterschieden wird eine Klasse auch noch determiniert durch eine Reihe von sekundären Teilungsprinzipien wie Geschlecht, Ethnie, Wohnort sowie weiteren Eigenschaften.

Gemäß diesen Merkmalen kann eine moderne kapitalistischen Gesellschaft in die grundlegende Klassen aufgegliedert werden.

Die erste Klasse ist die herrschende Klasse oder Bourgeoisie, die in zwei Fraktionen gespalten ist: denjenigen Fraktionen der Klasse, deren Reproduktion von ökonomischem, meist ererbtem Kapital abhängt, stehen die an ökonomischem Kapital relativ schwächsten Fraktionen gegenüber, deren Reproduktion in der Hauptsache über kulturelles Kapital verläuft. So wächst beispielsweise von den Künstlern bis hin zu den Industrie- und Handelsunternehmern der Umfang des ökonomischen Kapitals ständig, während der des kulturellen Kapitals abnimmt. Die herrschende Klasse zeigt in ihrem Aufbau also eine chiastische Struktur, wobei die Fraktion, deren Reproduktion vor allem über das ökonomische Kapital verläuft, hier die dominierende ist. Bourdieu bezeichnet sie als die „herrschenden Herrschenden“ oder den „dominierenden Teil der herrschenden Klasse“.

Dagegen bezeichnet er die Fraktion, die über mehr kulturelles als ökonomisches Kapital verfügt, also beispielsweise Künstler und Intellektuelle, als „beherrschte Herrschende“ oder den „dominierten Teil der herrschenden Klasse“. Diese Rangfolge ist aber auch dauernd der Gegenstand von Klassenkämpfen. Der herrschenden Klasse entspricht der Habitus des legitimen Lebensstils.

Die zweite große Klasse ist die Mittelklasse oder das Kleinbürgertum, dessen Kapitalvolumen deutlich geringer ist, als das der Bourgeoisie. Diese Klasse ist wie die Bourgeoisie in zwei Fraktionen gespalten. Auch hier besteht ein Gegensatz zwischen den „alten“ Mittelklassen, also den kleinen Kaufleuten und Handwerkern, deren Reproduktion primär von ihrem ökonomischen Kapital abhängt, und den „neuen“ Mittelklassen, also z. B. den Angehörigen der neuen Dienstleistungsberufe, deren Reproduktion über das kulturelle Kapital verläuft. Im Vergleich zu anderen Klassen ist hier das Kriterium der Laufbahn besonders wichtig, denn in der Mittelklasse sind die Mobilitätsprozesse am größten. So nimmt das Kapitalvolumen und der numerische Umfang der alten Mittelklasse (Kleinhändler, Handwerker) tendenziell ab, während die Bedeutung der neuen Mittelklassen zunimmt. Der mittleren Klasse entspricht der Habitus des Strebens.

Die dritte Klasse ist die Arbeiterklasse oder beherrschte Klasse, deren Kapitalvolumen sehr gering ist. Eine chiastische Struktur dieser Klasse kann Bourdieu mangels Daten nicht nachweisen. Er nimmt aber an, dass sie in abgeschwächter Form auch hier existiert. Der beherrschten Klasse entspricht der Habitus der Notwendigkeit.

Diese Klassengliederung, die primär durch das Kapitalvolumen und die beiden Kapitalsorten ökonomisches und kulturelles Kapital bestimmt wird, gilt nur für kapitalistische Gesellschaften. In anderen Gesellschaftsformationen, zum Beispiel im Feudalismus, nehmen andere Kapitalsorten die dominierende Stellung ein. In diesem Beispiel (Feudalismus) wären dies das soziale und das kulturelle Kapital (Vgl. Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. 175ff und Wayand: Pierre Bourdieu: Das Schweigen der Doxa aufbrechen, S. 223)

Klassen, Habitusformen und Milieus

Die Klassenlagen determinieren nach Bourdieu grundsätzlich den Habitus und damit die konkreten Praxisformen der Individuen. Dies manifestiert sich in ähnlichen Arbeitserfahrungen, Formen der Konsumption, Lebensperspektiven etc. Eine kohärente Gesamtheit solcher Praxisformen wird als Lebensstil oder als soziales Milieu bezeichnet.

Demnach wäre zu erwarten, dass Individuen, die derselben Klasse oder Klassenfraktion angehören, auch einen ähnlichen Habitus besitzen und damit dem gleichen sozialen Milieu zuzurechnen sind. Wie sozialwissenschaftliche Beobachtungen gezeigt haben, ist diese Hypothese nur bedingt richtig. Eine wichtige Ursache hierfür ist der Hysteresis (Trägheit)-Effekt, auch Don Quixote-Effekt genannt.

Denn der Habitus besitzt ein Beharrungsvermögen. Er kann an Existenzbedingungen angepasst sein, die bereits nicht mehr existieren und demnach mit den aktuellen Existenzbedingungen nicht mehr übereinstimmen. Eine solche Fehlanpassung muss freilich nicht so extrem sein, wie im Fall des Beispiels der literarischen Figur des Don Quixote selbst, der nicht mehr in der Lage war, ein eigenständiges Leben in der realen Welt zu führen. Sie kann auch zur Folge haben, dass Handlungsmöglichkeiten, die aufgrund der Entwicklung der Produktivkräfte potentiell gegeben wären, nicht wahrgenommen werden. Dies kann bei gleicher Klassenlage zu einer Ausdifferenzierung der Milieus führen, je nachdem, in welchem Maß der Habitus bereits an die aktuellen Existenzbedingungen angepasst ist (vgl. Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. 175ff)

Eine solche Entwicklung konnte die SINUS-Studie für die Bundesrepublik Deutschland empirisch nachweisen. Die auf der Basis von Bourdieus Klassentheorie durchgeführte Untersuchung konnte im Jahr 1992 neun soziale Großmilieus identifizieren. Danach ist die Gesellschaft einerseits noch vertikal in Klassen bzw. unterschiedliche Habitusformen gegliedert, andererseits hat sie sich quer dazu horizontal pluralisiert, in dem Sinne, dass mehrere Werthaltungen miteinander konkurrieren.

Insbesondere die Ausweitung des Massenkonsums nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch die soziale, politische und sexuelle Liberalisierung ("Sexuelle Revolution") in Gefolge der 68er-Bewegung führte - trotz Beibehaltung der Klassengegensätze - in Teilen der Klassen zu einem Wertewandel. Während die an traditionellen Werten orientierten Milieus schrumpften, nahmen die an „modernen“ Werten orientierten Milieus stark zu. Als moderne Werte werden Bildung, Selbstverwirklichung, Individualität und Authentizität betrachtet. Traditionelle Werte dagegen sind Solidarität und materielle Sicherheit.

Wenn jetzt die Klassen und die Werthaltungen kombiniert werden, ergeben sich die oben genannten neun Milieus. Diese Milieus unterscheiden sich durch ihre spezifische Kombination von Klassenlage und Modernisierungsgrad, der sich vor allem in ihrer Haltung zu Werten und Lebenszielen ausdrückt.

Klasse / Werthaltung Modernisiert (20 %) Teilmodernisiert (45 %) Traditionell (35 %)
Oberklasse (19 %) Alternatives Milieu (2 %) Technokratisch liberales Milieu (9 %) Konservativ gehobenes Milieu (8 %)
Mittelklasse (59 %) Hedonistisches Milieu (13 %) Aufstiegsorientiertes Milieu (24 %) Kleinbürgerliches Milieu (22 %)
Arbeiterklasse (22 %) Neues Arbeitnehmermilieu (5 %) Traditionsloses Arbeitnehmermilieu (12 %) Traditionelles Arbeitnehmermilieu (5 %)

Tabelle: Die Sozialen Milieus in der Bundesrepublik Deutschland in Jahr 1992. Die Prozentzahlen geben den Anteil der Klasse, der Werthaltung oder des Milieus an der Gesamtbevölkerung an. Diese Aussagen gelten nur für Westdeutschland und nicht für die neuen Bundesländer (vgl. Michael Vester et. al: Soziale Milieus, S. 16).

Die Ausdifferenzierung der Milieus nach Modernisierungsgrad ist nicht deckungsgleich mit der Differenzierung der Klassen in unterschiedliche Fraktionen, je nach der dominierenden Kapitalsorte. (vgl. Vester et. al: Soziale Milieus, S. 15f)

Klassen- und Schichttheorien

Überblick (Tönnies, Schelsky, Dahrendorf)

Ferdinand Tönnies betonte 1935 (in Geist der Neuzeit, § 63), dass Macht und Machtstreben, also „der große und entscheidende, immer erneute Kampf […] um 1. die ökonomische, 2. die politische, 3. die geistig moralische Macht […] immer ein Klassenkampf“ sei.

Helmut Schelsky stellte in den 1950er Jahren die These auf, die sozialen Schichten in der Bundesrepublik hätten sich einander so weit angenähert, dass man von einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ sprechen könne.

Ralf Dahrendorf verwarf 1957 (in Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft) desgleichen das Merkmal „Besitz|Nichtbesitz von Produktionsmitteln“ als zu eng und baute seine „Klassen“-Konzeption auf dem Besitz und Nichtbesitz von Machtmitteln auf. Die englische Fassung von 1959, Class and Class Conflict in Industrial Society, wurde oftmals aufgelegt und in den 1960er und 1970er Jahren ein Standardtext der soziologischen Ausbildung in Großbritannien und den USA.

Während Marx und viele klassische Soziologen (Tönnies, Durkheim) und auch noch Dahrendorf mit gesellschaftlichen Dichotomien arbeiten (wie etwa Sklavenhalter-Sklave, besitzend-besitzlos, landbesitzend-landlos, mächtig-machtlos), verfeinerten spätere Autorinnen und Autoren ihre Konzepte, weswegen dann z. T. auch andere Terminologien verwendet wurden. Siehe dazu auch Sozialstruktur und Soziale Schichtung.

Zur Diskussion in Deutschland

In der Nachkriegszeit wurden in der deutschen Soziologie dem Konzept Klasse die Konzepte Schicht und Milieu gegenüber gestellt und intensiv diskutiert. Der Klassenbegriff ist so bis heute eng mit der Verwendung durch Marx verbunden geblieben. Das führte dazu, dass Klassenkonzepte aus anderen Ländern, z. B. aus der angelsächsischen oder französischen Soziologie, oft nicht dem hiesigen Verständnis gleichzusetzen sind.

In der heutigen Gesellschaft Deutschlands ist eine klare Trennung in drei „Lebenswelten“ besonders hinsichtlich der Sorge von Eltern um die Ausbildung ihrer Kinder zu betrachten: Unterschicht, Mittelschicht und Oberschicht. Eltern der Mittelschicht versuchen, ihre Kinder von Kindern der Unterschicht fernzuhalten. Abgrenzbar ist die Unterschicht von der sehr breiten Mittelschicht im Wesentlichen dadurch, das sich die Eltern in der unteren Schicht kaum um die schulischen Belange ihrer Kinder kümmern oder kümmern können. Es handelt sich hier um etwa 5 % der in einer Studie erfassten Eltern. Noch schärfer als die Trennung zwischen Mittelschicht und Unterschicht ist die Trennung zwischen Mittelschicht und Oberschicht. Diese Trennung ist weitgehend unüberwindbar. Kinder, die in die Oberschicht eingeordnet werden können, erfahren eine von materiellen Beschränkungen weitgehend losgelöste Förderung durch ihre Eltern, Helfer und private Schulen.[1]

Einzelnachweise

  1. Michael Borchard, Christine Henry-Huthmacher, Tanja Merkle M.A., Carsten Wippermann: Eltern unter Druck - Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten, Berlin, Feb. 2008, ISBN 978-3-8282-0424-9 (Hrsg.: Konrad-Adenauer-Stiftung)

Literatur

  • Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-518-28258-1
  • Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Pierre Bourdieu: Schriften zu Politik und Kultur: Die verborgenen Mechanismen der Macht. VSA, Hamburg 1992, ISBN 3-87975-605-8
  • Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-518-28666-8
  • Ralf Dahrendorf: Class and class conflict in industrial society. Stanford: Stanford University Press [dt. Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, Stuttgart: Enke 1955; engl., überarbeitete 1. Aufl. 1959] 1973
  • Sven Ellmers: Die formanalytische Klassentheorie von Karl Marx. Ein Beitrag zur „neuen Marx-Lektüre“. Duisburg 2007, ISBN 978-3-940251-02-2
  • Friedrich Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring). In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Band 19. Dietz, Berlin 1957ff, ISBN 3-320-00220-1
  • Berthold B. Flaig, Thomas Meyer, Jörg Ueltzhöffer: Alltagsästhetik und politische Kultur. Zur ästhetischen Dimension politischer Bildung und politischer Kommunikation. Dietz, Bonn 1993, ISBN 3-8012-0194-5
  • Jour fixe initiative berlin: Klassen + Kämpfe (2006) Münster: Unrast Verlag ISBN 3-89771-438-8
  • Georg Klaus, Manfred Buhr (Hrsg): Marxistisch-Leninistisches Wörterbuch der Philosophie. rororo, Hamburg 1972, ISBN 3-499-16156-7
  • Max Koch: Vom Strukturwandel einer Klassengesellschaft. Westfälisches Dampfboot, Münster 1994, ISBN 3-929586-34-7
  • Hermann Korte, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Einführungskurs Soziologie 1: Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie.UTB, Stuttgart 1992, ISBN 3-8252-8063-2
  • Ernest Mandel: Marxistische Wirtschaftstheorie, Band 2. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968, ISBN 3-518-10596-5
  • Ernest Mandel: Kontroversen um „Das Kapital“. Dietz, Berlin 1991, ISBN 3-320-01715-2
  • Karl Marx: Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-50. In: Karl Marx (Hrsg.): Neue Rheinische Zeitung. Ausgabe 1, Köln 1848
  • Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: Joseph Weydemeyer: Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften., New York 1852
  • Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. VSA, Hamburg 1978, ISBN 3-87975-159-5
  • Karl Marx: Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie: Band 1: Der Produktionsprozess des Kapitals. Dietz, Berlin 1987, ISBN 3-320-00262-7
  • Karl Marx: Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie: Band 2: Der Zirkulationsprozess des Kapitals. Dietz, Berlin 1987, ISBN 3-320-00263-5
  • Karl Marx: Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie: Band 3: Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion. Dietz, Berlin 1987, ISBN 3-320-00264-3 [Mitten im Kapitel Die Klassen bricht Marx' Manuskript ab. Ralf Dahrendorf war so kühn, es 1955 in seinem Buch (s. o.) aus Marxzitaten zu Ende zu schreiben.]
  • Michael Vester, Peter von Oertzen, Heiko Geilling, Thomas Herman, Dagmar Müller: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Bund Verlag, Köln 1993, ISBN 3-7663-2484-5
  • Gerd Wayand: Pierre Bourdieu: Das Schweigen der Doxa aufbrechen. In: Peter Imbusch (Hrsg.): Macht und Herrschaft. Leske und Budrich, Opladen 1998, ISBN 3-8100-1911-9
  • Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie. Mohr, Tübingen 1980, ISBN 3-16-538521-1
  • Groß, Martin (2008). Klassen, Schichten, Mobilität. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. ISBN 3-531-14777-3

Siehe auch


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