Makroökonomische Theorie

Makroökonomische Theorie

Die Makroökonomie oder Makroökonomik (von griechisch μακρος makros "groß"; οἶκος, oíkos "Haus" und νόμος, nomos "Gesetz") ist ein Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre, das die Struktur, die Leistungsfähigkeit, das Verhalten und die Entwicklung der Gesamtwirtschaft untersucht. Während die Makroökonomie die Volkswirtschaft selbst bezeichnet, ist die Makroökonomik die Wissenschaft von der Volkswirtschaft.

Inhaltsverzeichnis

Hintergründe

Die Makroökonomie versucht, die wesentlichen Bestimmungsgründe, die internationalen Unterschiede und die zeitliche Entwicklung makroökonomischer (gesamtwirtschaftlicher) Schlüsselvariablen, wie zum Beispiel gesamtwirtschaftliche Produktion von Gütern und Dienstleistungen, Gesamteinkommen, Arbeitslosigkeit, Inflation und Zahlungsbilanz, zu erklären. Als Begründer der Makroökonomie gilt John Maynard Keynes, der 1936 die erste simultane Analyse der makroökonomischen Schlüsselvariablen vorlegte.[1]

Wichtige Teilgebiete der makroökonomischen Theorie sind die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die Einkommens- und Beschäftigungstheorie, die Wachstumstheorie und die Konjunkturtheorie. Die Trennung zwischen Mikroökonomie und Makroökonomie ist bisweilen problematisch. Viele Teilgebiete der Volkswirtschaftslehre, insbesondere die monetäre Theorie (Geldtheorie und Theorie der Geldpolitik), die Finanzwissenschaft, die Außenwirtschaftstheorie und die Verteilungstheorie, weisen Elemente der Mikroökonomie und der Makroökonomie auf.

Mittelpunkt makroökonomischer Theorien ist schließlich die Frage nach der Rolle des Staates im gesamtwirtschaftlichen Kontext; aus den Theorien werden Forderungen an die Wirtschaftspolitik abgeleitet. Regierungen versuchen, die Größen, die auf Grund der ex-post-Betrachtung als maßgeblich erscheinen, zu ändern. So werden durch Änderungen bei Steuern, Zinsen oder Staatsausgaben politisch definierte Ziele wie Preisniveaustabilität, Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und/oder Wirtschaftswachstum angestrebt. Makroökonomische Kenngrößen spielen daher im politischen Legitimationsprozess eine wichtige Rolle, da sie von den Wählern als Hinweis auf die Qualität der Arbeit einer Regierung gedeutet werden.

Heute werden makroökonomische Analysen häufig auf mikroökonomischen Zusammenhängen aufgebaut (sogenannte Mikrofundierung). Allerdings ergeben sich hierbei viele Probleme, da sich mikroökonomische Zusammenhänge nicht ohne weiteres auf die Makroökonomie übertragen lassen. Beispielsweise besagt das Sonnenschein-Mantel-Debreu Theorem, dass die aggregierte Nachfragefunktion nur einen Teil der Eigenschaften der individuellen Nachfragefunktionen übernimmt, wodurch multiple Gleichgewichte theoretisch möglich würden.[2] Der Keynesianismus verfügt nur innerhalb der Neuen Makroökonomie in Teilen über eine eigenständige Mikrofundierung. Er greift weitestgehend auf die neoklassische Mikroökonomie zurück.

Die makroökonomische Analyse versucht die komplexe wirtschaftliche Wirklichkeit auf eine überschaubare Anzahl wesentlicher Zusammenhänge zu vereinfachen. In der Regel wird dabei die Anzahl der betrachteten Märkte auf vier reduziert:

Auf dem Gütermarkt wird das homogene Inlandsprodukt gehandelt, das fiktiv in den privaten Konsum, den Staatskonsum, die Investitionen sowie die Importe und Exporte aufgespalten wird.

In der Makroökonomie existieren verschiedene Erklärungsansätze. Es lässt sich indessen rechtfertigen, letztlich nur von zwei Erklärungsmustern (Paradigmen) zu sprechen. [3] Auf der einen Seite steht die klassische Makroökonomik, die durch den Monetarismus und die Neue Klassische Makroökonomik neu begründet und verfeinert wurde. Auf der anderen Seite steht der Keynesianismus.

Inhalte der Makroökonomie

Kurzfristige Betrachtung

Der einfache Wirtschaftskreislauf zwischen Haushalten und Unternehmen

In der kurzfristigen Sicht wird in der Regel unterstellt, dass sich der Bestand der Produktionsfaktoren (Arbeit, Boden, Kapital und technisches Wissen) im betrachteten Zeitraum nicht ändert. Außerdem wird häufig davon ausgegangen, dass Güterpreise und/oder Geldlöhne starr sind.

In den Modellen der Gleichgewichtstheorie ergibt sich ein Marktgleichgewicht durch die Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage nach einem Gut. Über den Weg zum Gleichgewicht gibt es unterschiedliche Auffassungen: Laut Keynesianismus führt die Nachfrage zu einem Angebot. Gemäß dem Sayschen Theorem wiederum schafft jedes Angebot sich seine Nachfrage.

Eine Volkswirtschaft kann mit Hilfe eines Wirtschaftskreislaufes beschrieben werden. In seiner einfachsten Form unterscheidet das Modell zwei Akteure: private Haushalte und Unternehmen. Die Haushalte konsumieren die produzierten Güter und bieten den Unternehmen ihre Arbeitskraft an. Dem steht der Geldkreislauf gegenüber: Die Haushalte erzielen ein Einkommen aufgrund geleisteter Arbeit und die Unternehmen erzielen durch die Verkäufe ihrer Produkte Einnahmen.

Das Modell lässt sich mit drei Bereichen erweitern: Staat, Vermögensbildung und Ausland.

Das von den Haushalten erzielte Einkommen fließt nicht vollständig als Konsumausgaben zurück an die Unternehmen. Ein Teil geht an die genannten drei Bereiche in Form von Steuern (Staat), Ersparnissen (Vermögensbildung) und Käufen von Importprodukten (Ausland). Neben den Einnahmen aus Produktverkäufen fließen aus diesen drei Bereichen zusätzliche Gelder an die Unternehmen in Form von Subventionen / Staatsausgaben (Staat), kreditfinanzierten Investitionen (Vermögensbildung) und Exporten (Ausland).

Die so dem Kreislauf entzogenen und hinzugefügten Summen müssen insgesamt gleich groß sein:

S + T + IM = I + G + EX oder (SI) + (TG) + (IMEX) = 0

Die enthaltenen Variablen stehen dabei für folgende Größen:

  • S: Ersparnisse (englisch: Savings)
  • I: Investitionen
  • T: Steuern (Taxes)
  • G: Staatsausgaben (Government)
  • IM: Importe
  • EX: Exporte

Auskunft über den realen Umfang dieser Größen geben die Konten der nationalen Buchhaltung bzw. die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR). Sie erfasst systematisch alle wirtschaftlichen Transaktionen in einer Volkswirtschaft in einer abgelaufenen Periode (Binnenwirtschaftrechnung) oder mit dem Ausland (Außenwirtschaftsrechnung). Diese ex-post-Daten bilden die Grundlagen für Prognosen und Analysen.

Durch die Endogenisierung der Investitionsnachfrage und die Einbeziehung des Geldmarktes entsteht das IS/LM-Modell von John Hicks. Verbindende Variable ist der Zinssatz. Es ist eines der zentralen Modelle in der Makroökonomie und beschreibt sehr gut das Verhalten einer Volkswirtschaft bei kurzfristiger Betrachtung.

Mittelfristige Betrachtung

In der mittelfristigen Betrachtung werden die Bestände der Produktionsfaktoren weiter als konstant, die Preise aber als flexibel angesehen, sodass die Märkte über Preisanpassungen geräumt werden. Auch der Arbeitsmarkt ist durch Angebot und Nachfrage gekennzeichnet. Dennoch besteht ein Unterschied gegenüber den anderen Märkten, da die Arbeitkräftenachfrage sich aus der Höhe des Angebotes von Gütern ableitet. Das Gleichgewicht zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage stellt sich über den Lohnsatz ein. Die Höhe der Löhne hängt dabei auch von der Arbeitsmarktlage ab, eine hohe Arbeitslosenquote führt eher zu einem niedrigen Lohnniveau, eine niedrige Quote lässt die Löhne steigen.

traditionelle Phillips-Kurve

Ein Modell zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen Preisen bzw. Löhnen und der Arbeitslosigkeit ist die Phillips-Kurve. 1958 beobachtete der Statistiker und Ökonom Alban W. Phillips einen negativen Zusammenhang zwischen den Größen in Großbritannien. Das Modell wurde seitdem mehrfach modifiziert und erweitert.

Langfristige Betrachtung

Langfristig untersucht die Makroökonomie die Konjunktur (=Gesamtsituation) von Volkswirtschaften im Zeitverlauf. Die Konjunktur ist durch Schwankungen gekennzeichnet und durchläuft dabei meist folgende Phasen: Aufschwung, Boom, Rezession und Depression. Diese Schwankungen werden durch Multiplikator- und Akzeleratoreffekte hervorgerufen und verstärkt.

In der langfristigen Betrachtung sind die Preise in der Regel voll flexibel. Zudem ändern sich die Bestände der Produktionsfaktoren einschließlich der zur Verfügung stehenden Technik (vgl. Wachstumsmodelle, siehe auch Wirtschaftswachstum).

Makroökonomische Krisen

Es werden folgende Krisen unterschieden:

Literatur

Gängige Lehrbücher über Makroökonomie sind:

  • Olivier Blanchard: Macroeconomics. 4th edition, Pearson Prentice Hall, Upper Saddle River 2006, ISBN 0-13-186026-7. (Deutsche Übersetzung: Olivier Blanchard und Gerhard Illing: Makroökonomie. 4. Auflage, Pearson Studium, München 2006, ISBN 3-8273-7209-7).
  • Michael C. Burda and Charles Wyplosz: Macroeconomics. A European text. 4th edition, Oxford University Press, Oxford 2005, ISBN 0-19-926496-1. (Deutsche Übersetzung: Michael C. Burda und Charles Wyplosz: Makroökonomie: Eine europäische Perspektive. 2. Auflage, Vahlen, München 2003, ISBN 3-8006-2856-2).
  • Bernhard Felderer und Stefan Homburg: Makroökonomik und neue Makroökonomik. 9. Auflage, Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-25020-4.
  • Nicholas Gregory Mankiw: Makroökonomik. 5. Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2003, ISBN 3-7910-2026-9.
  • Reiner Clement, Wiltrud Terlau und Manfred Kiy: "Grundlagen der Angewandten Makroökonomie. 4 Auflage, Verlag Vahlen, München 2006, ISBN 3-8006-3337-X.

Zur Dogemengeschichte der Makroökonomik siehe:

  • Brian Snowdon, Howard Vane and Peter Wynarczyk: A modern guide to macroeconomics. An introduction to competing schools of thought. Edward Elgar, Aldershot 1994, ISBN 1-85278-882-8.

Übersichtsartikel, die auch auf aktuelle Entwicklungen in der Makroökonomie eingehen, sind:

  • Olivier J. Blanchard: What do we know about macroeconmics that Fisher and Wicksell did not?, In: Quarterly Journal of Economics, 115, 2000, 1375-1409.
  • Olivier J. Blanchard: The state of macro, NBER Working Paper 14259, 2008.
  • Nicholas Gregory Mankiw: The Macroeconomist as Scientist and Engineer (Der Makroökonom als Wissenschaftler und Praktiker). Harvard University. May 2006. (Mankiw behandelt Geschichte und Zusammenhänge zwischen Theorie und Praxis der Makroökonomie. Kurze Zusammenfassung von Thomas Fricke als "Aufschwung aus dem Archiv". FTD Freitag, 26. Mai 2006 - Seite 30 [1] - )
  • Michael Woodford: Revolution and evolution in twentieth-century macroeconomics. Columbia University, New York 1999 ([2]).

Weblinks

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. John Maynard Keynes: The general theory of employment, interest and money. Macmillan, London 1936. (Deutsche Übersetzung: Jürgen Kromphardt und Stephanie Schneider (Hrsg.): Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. 10. Auflage, Duncker & Humblot, Berlin, 2006, ISBN 978-3-428-12096-3.)
  2. Sonnenschein, H.: Do Walras' identity and continuity characterize the class of community excess demand functions?. In: Journal of Economic Theory. 6, 1973, S. 345-354
  3. Ulrich Basseler, Jürgen Heinrich, Burkhard Utecht: Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft 18. Auflage. Schäffer Poeschel, Stuttgart 2006, S. 298

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