Theorie der rationalen Erwartung

Theorie der rationalen Erwartung

Die Theorie der rationalen Erwartungen ist eine makroökonomische Theorie, die ursprünglich von John F. Muth (1961) und später dann von Robert E. Lucas entwickelt wurde. Er erhielt für diese Theorie 1995 den Wirtschaftsnobelpreis.

Die Theorie wird verwendet um zu modellieren, wie wirtschaftliche Erwartungen gebildet werden. Sie findet besonders in der Neuen klassischen Makroökonomie, dem Neokeynesianismus und der Finanzmarkttheorie ihre Anwendung.

Theorie und wirtschaftspolitische Aussagen

Die Kernaussage dieser Theorie ist, dass sich rationale Erwartungen nicht systematisch oder vorhersehbar von den Ergebnissen unterscheiden, die auf freien Märkten entstehen (Marktgleichgewicht). Es wird also angenommen, dass Wirtschaftssubjekte in Bezug auf ihre Erwartungen keine systematischen Fehler begehen. In ökonomischen Modellen bedeutet das, dass der erwartete Wert einer Variablen von dem durch den Marktmechanismus entstehenden Wert nur durch einen stochastischen Störterm abweicht. Der Erwartungswert dieses Störterms ist immer gleich Null. Dies impliziert, dass die Wirtschaftssubjekte den Marktmechanismus kennen und die Reaktionen von Angebot und Nachfrage auf sich ändernde Preise antizipieren können.

Angenommen P* ist der heutige Gleichgewichtspreis auf einem einfachen Markt. Gemäß der Theorie der rationalen Erwartungen ist der erwartete Preis E(P) dann:

E(P) = P * + e

Wobei e einen vom Gleichgewichtspreis unabhängigen, zufälligen Störterm bezeichnet, dessen Erwartungswert Null ist.

Die Theorie der rationalen Erwartungen wurde als Gegenmodell zur Theorie der adaptiven Erwartungen entwickelt. Bei adaptiven Erwartungen basieren Erwartungswerte auf den beobachteten Werten in der Vergangenheit und nähern sich den Gleichgewichtswerten nur asymptotisch an. Bei rationalen Erwartungen fließen hingegen alle zugänglichen Informationen über den Markt in die Erwartungsbildung mit ein. Rationale Erwartungen können zwar falsch sein, aber der Fehler ist dabei immer zufällig und nicht systematisch.

Diese Theorie bietet die Basis für viele wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen, die unter Wirtschaftswissenschaftern jedoch umstritten sind. Nach keynesianischer Auffassung kann die Zentralbank die Arbeitslosigkeit mittels expansiver Geldpolitik reduzieren. Aber eine Ausweitung des Geldangebots führt unter der Annahme von rationalen Erwartungen dazu, dass eine höhere Inflation erwartet wird. In Erwartung einer höheren Inflation werden die auch die nominellen Löhne dem entsprechend nach oben angepasst, sodass die realen Löhne gleich bleiben. Die Regierung würde in diesem Fall nur die Inflationsrate erhöhen, die Arbeitslosigkeit bliebe konstant. Vertreter der Neuen Klassischen Makroökonomie sind daher der Ansicht, dass expansive Geld- und Fiskalpolitik die realen Werte weder kurz- noch langfristig beeinflussen kann. Keynesianische Wirtschaftspolitik wäre also ihrer Meinung nach nutzlos.

Kritik

Die Theorie der rationalen Erwartungen wird oft als unrealistisches Modell der Erwartungsbildung kritisiert. Insbesondere werde dabei nicht bedacht, dass Information immer mit Kosten verbunden ist, so die Kritiker. Da rationale Erwartungen vollkommene Information voraussetzen, sei eine optimale rationale Vorhersage zu teuer. Aufgrund der Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit der Zukunft seien gänzlich rationale Erwartungen unmöglich.

Weiters wird die Annahme kritisiert, dass es auf jedem Markt nur ein Gleichgewicht gibt, welches rationale Wirtschaftssubjekte berechnen können. Im Fall von multiplen Gleichgewichten versagt die Theorie der rationalen Erwartungen.

Der Aussage der Neuen Klassischen Makroökonomie, dass expansive Wirtschaftspolitik wirkungslos sei, wird entgegnet, dass Löhne zumindest in der kurzen Frist nicht voll flexibel sind und (zum Beispiel durch langfristige Lohnabkommen) nicht sofort auf eine höhere erwartete Inflation reagieren. Somit wäre eine expansive Geldpolitik wenigstens kurzfristig wirksam.

Literatur

  • Hielscher, Thomas (1999): "Unsicherheit, Erwartungen und die Hypothese rationaler Erwartungen", Diskussionsbeiträge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin, Volkswirtschaftliche Reihe, Nr. 1999/18. Digital verfügbar unter ISBN 3-933225-63-9

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