Mars-500

Mars-500
Logo des Projekts Mars-500

Mars-500 war ein vom 3. Juni 2010 bis zum 4. November 2011 durchgeführtes Experiment der russischen Weltraumagentur Roskosmos und der europäischen ESA. Das Projekt simulierte einen bemannten Flug zum Mars, wobei sechs Freiwillige für 520 Tage in einem Komplex eingeschlossen wurden. Die anfallenden Arbeiten und Tagesstrukturen wurden so gewählt, dass es einem Hin- und Rückflug zum Mars möglichst nahe kommt. Das Projekt wurde am IBMP (Institut für Biomedizinische Probleme) in der Nähe von Moskau durchgeführt. Seine Kosten waren auf 15 Millionen US-Dollar veranschlagt.[1]

Inhaltsverzeichnis

Ziel des Projekts

Der Mars, aufgenommen mit dem Hubble-Weltraumteleskop

Noch in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts soll ein bemannter Flug zum Mars stattfinden. Eine solche Mission ist mit extrem hohem Aufwand und vielen technischen Problemen behaftet, zumal sie wegen der großen Entfernung (je nach Planetenkonstellation zwischen 55 und 400 Millionen Kilometern) einige Wochen,[2] mit den heutigen Antrieben sogar mehr als ein Jahr dauern könnte. Während der ganzen Reise muss ein Team von etwa einem halben Dutzend Astronauten auf engstem Raum zusammenleben. Dies kann schnell zu Spannungen führen, zumal während des Hin- und Rückfluges meist nur Routinearbeit anfällt und daher Langeweile ein ernsthaftes Problem werden kann.

Man versucht dabei auf folgende Fragen eine Antwort zu finden: Welche Gruppendynamiken entwickeln sich im Verlaufe der Zeit? Welche Persönlichkeitstypen eignen sich am besten für eine Langzeitmission? Wie hilft sich die Crew bei Problemen, wenn externe Hilfestellungen ausgeschlossen sind?[3]

Aber auch auf folgende medizinische Fragen erhofft man sich Antworten: Welche Medikamente und Instrumente sind für die medizinische Versorgung der Crew notwendig? Wie verhält sich das Team, falls der Arzt der Crew krankheitshalber ausfällt?[3]

Vorläuferprojekt

Zwischen Juli 1999 und April 2000 wurde während 263 Tagen am selben Institut das Projekt Simulation of a Flight of International Crew on Space Station – ’99 (SFINCSS-99) mit ähnlichen Zielen durchgeführt. Eine russische Vierergruppe blieb die ersten 240 Tage über in der Anlage. Nach drei Wochen gesellte sich eine zweite Vierergruppe, ein deutscher Kommandant und drei Russen, hinzu. Da der Deutsche fließend Englisch und Russisch sprach, gab es keine Kommunikationsprobleme. Nach 110 Tagen verließ die zweite Gruppe die Anlage. Etwa drei Wochen später stieg die dritte Gruppe in das Experiment ein, zu der neben dem österreichischen Kommandanten auch ein Japaner, ein Russe und eine Kanadierin gehörten. Während des ersten Monats gab es keine zwischenmenschlichen Schwierigkeiten.

Im Verlaufe der Neujahrsfeier kam es zu einer Prügelei zwischen einem Russen der ersten Gruppe und dem Russen der dritten Gruppe. Außerdem versuchte ein Russe der ersten Gruppe die Kanadierin der dritten Gruppe gewaltsam zu küssen. Bei der Bewertung dieser Zwischenfälle tat sich ein kultureller Graben auf. Die Russen wiesen darauf hin, dass es in Russland normal sei, wenn sich Männer auf einer Party prügelten und dass sie erwartet hätten, dass die Kanadierin sich mit einer Ohrfeige revanchieren würde und den Vorfall mit einem Lachen abtäte. Die drei Nichtrussen lehnten diese Entschuldigungsversuche ab und verlangten, dass die betreffenden Russen aus der Anlage verbannt würden. Ein Grund für diesen Vorfall war, dass die Projektleitung für die Neujahrsfeier eine Flasche Champagner bereitgestellt hatte.

Zudem gab es Kommunikationsprobleme zwischen den Besatzungen. Obwohl Englisch die offizielle Projektsprache war, konnte in der ersten Gruppe nur der Kommandant fließend Englisch sprechen. Einer der drei anderen Russen aus der ersten Gruppe wurde mit der Zeit eifersüchtig auf den gut Englisch sprechenden Russen aus der dritten Gruppe, da dieser in der Lage war, sich mit den drei Nichtrussen auszutauschen. Diese Rivalität entlud sich dann während der Feier in einer blutigen Prügelei. Erschwert wurde die Situation für die dritte Gruppe dadurch, dass die Projektleitung nur schlecht Englisch sprach und die drei Nichtrussen auf die Dolmetscherfähigkeiten des Russen in ihrer Gruppe angewiesen waren. Dessen Integration in die Gruppe litt jedoch darunter, dass seine Ehefrau als Ärztin in der Projektleitung tätig war, so dass er täglich mit ihr telefonieren konnte, was dazu führte, dass die anderen Gruppenmitglieder ihn nicht als ihresgleichen ansahen, sondern als eine Art Aufpasser von außen. Da die russische Projektleitung bei der Bewertung der beiden Vorfälle sich der Beurteilung ihrer Landsleute anschloss und keinen aus der Anlage verbannte, verschlechterte sich die Stimmung bei den Nichtrussen weiter. Einen Monat später, nach 60 Tagen, verließ der Japaner die Anlage vorzeitig. Die übrigen Teilnehmer brachten das Experiment wie vorgesehen zu Ende.[4]

Aufbau der Station

Skizze der geplanten Modulkonfiguration gemäß [2]
3D-Modell des Komplexes

Beim Mars-500 Experiment besteht die Station aus vier Modulen, die unterschiedlichen Zwecken dienen:[5]

  1. Ein Medizin- und Forschungsmodul (38 m²)
  2. Ein Wohnmodul mit Betten (72 m²)
  3. Ein Mars-Modul (39 m²), in dem die Oberfläche des Mars simuliert wird. Dieses Modul ist nur während 30 Tagen zugänglich.
  4. Ein Vorratsmodul mit abgepacktem Essen und Verbrauchsmaterial (94 m²)

Die gesamte nutzbare Fläche beträgt 243 m² mit einem Rauminhalt von 550 m³. Dies entspricht einer durchschnittlichen Raumhöhe von 2,26 m. Nebenstehende Grafik gibt einen Überblick über die Anordnung der Module.

Kandidaten

Der Erfolg von Mars-500 hängt entscheidend von der Wahl der geeigneten Kandidaten ab. Bei der Stellenbeschreibung wurden Kandidaten mit folgenden Eigenschaften gesucht:

  • Alter: 25 bis 50 Jahre
  • Gesund und körperlich fit
  • Universitätsausbildung
  • Ausbildung in einem der folgenden Gebiete ist erwünscht: Medizin oder Erste Hilfe, Physik, Biologie oder Ingenieur auf einem der folgenden Gebiete: Lebenserhaltungssysteme, Computertechnik, Elektronik oder Mechanik
  • Sprachfertigkeit der Englischen und Russischen Sprache

Die ESA stellte als Projektpartner für eine Vorläuferstudie zwei der sechs Besatzungsmitglieder. In dieser Studie haben die Besatzungsmitglieder eine 105-tägige simulierte Marsmission absolviert. Nach Stellenausschreibung der ESA am 19. Juni 2007 bewarben sich 5600 Personen.[5] Am 11. Dezember 2008 wurden in einer Pressemitteilung der ESA die Namen der vier ESA-Kandidaten bekannt gegeben: Cedric Mabilotte, Oliver Knickel (ein zur Projektlaufzeit 29-jähriger Bundeswehrhauptmann), Cyrille Fournier und Arc'hanmael Gaillard.[6] Der Lohn betrug 120 Euro am Tag, das entspricht einem Jahreslohn von 43.800 Euro.[7] Die Simulation wurde am 14. Juli 2009 erfolgreich beendet.[8]

Am 23. März 2010 wurden die Namen der Kandidaten bekannt gegeben, welche für die 520-tägige Hauptsimulation vorbereitet werden: Jerome Clevers (Belgien), Arc'hanmael Gaillard (Frankreich), Romain Charles (Frankreich) und Diego Urbina (Italien/Kolumbien). Die ESA darf zwei von ihnen in die Simulation entsenden.[9]

Roskosmos gab am 18. Mai 2010 die Teilnehmer der Marsmissionssimulation bekannt: Seit dem 3. Juni 2010 bildeten Romain Charles (Frankreich, Alter 31 Jahre, Ingenieur), Suchrob Kamolow (Russland, 32 Jahre, Chirurg), Michail Sinjelnikow (Ersatz, Russland, 37 Jahre, Ingenieur), Alexei Sitjew (Russland, 38 Jahre, Ingenieur), Alexander Smolejewski (Russland, 33 Jahre, Allgemeinarzt), Diego Urbina (Italien, 27 Jahre, Ingenieur) und Wang Yue (China, 27 Jahre, Taikonautenausbilder) die Besatzung. Die Vergütung betrug rund 99.000 US-Dollar.[10]

Ablauf

Die sechsköpfige Crew ist seit dem 3. Juni 2010 für mindestens 520 Tage in einem Komplex von verschiedenen Raummodulen luftdicht isoliert, und ein Kontakt ist nur noch über Funk und E-Mail mit der Bodenstation möglich. Der Funkkontakt wird je nach Zeitpunkt der Mission um bis zu 20 Minuten verzögert, wie es aufgrund der großen Distanz bei einer Reise zum Mars oder zurück auch auftreten wird.[3] Das Essen wird zu Beginn des Projektes mit eingeschlossen und ist streng rationiert. Zudem muss die Crew simulierte Notfälle meistern.[11]

Die Mission gliedert sich in drei Hauptteile:

  • Hinflug zum Mars: etwa 250 Tage.
  • Aufenthalt von 3 Crewmitgliedern im Mars-Modul während 30 Tagen. Die drei Mitglieder müssen vorher während 30 Tagen ruhig im Bett liegen, um einen Muskelschwund herbeizuführen, wie er in der Schwerelosigkeit auch auftritt.[12]
  • Rückflug zur Erde von etwa 240 Tagen.

Während der Isolationszeit werden ähnliche Arbeiten wie auf der Raumstation ISS durchgeführt. Dies sind vor allem: medizinische Untersuchungen, Körpertraining sowie Reparatur und Unterhalt der Station. Nebenbei fallen auch ganz normale Hausarbeiten und Körperpflege an. Sofern nicht spezielle Situationen eine Abweichung erzwingen, wird ein Arbeitsrhythmus von 5 Arbeitstagen und 2 arbeitsfreien Tagen eingehalten.[13]

Im Vorfeld dieses 520-tägigen Projekts startete am 31. März 2009 ein Experiment, wobei die sechsköpfige Crew während 105 Tagen isoliert leben sollte.[13] Das Experiment endete am 14. Juli 2009 nach 105 Tagen.

Am 14. Februar 2011 „erreichte“ das Team die Marsoberfläche nach 250 Tagen.[14]

Am 4. November 2011 wurde das Projekt beendet.[15][16]

Kritik und Diskurs

Das Projekt steht auch unter Kritik. Es werden vor allem folgende Punkte moniert:

  • Nicht-Übertragbarkeit der Resultate: Da das Projekt in mehreren wichtigen Punkten von einer echten Mars-Mission abweicht (fehlende Schwerelosigkeit und Strahlenbelastung, jederzeit möglicher Zugang zu den Modulen von außen, geringere Ernsthaftigkeit), ist nicht gewährleistet, dass sich die gewonnenen Erkenntnisse auf eine Marsmission übertragen lassen.[17]
  • Big Brother“: In den Modulen werden viele Kameras installiert, wodurch eine nahezu komplette Überwachung der Crew möglich ist.[3]
  • Rein männliches Team: Das soziale Verhalten einer eingeschlossenen gemischten Gruppe wird nicht erforscht.

Die Frage, inwiefern die Erkenntnisse sich auf eine spätere Marsmission übertragen lassen, kann natürlich erst nach Abschluss einer echten Marsmission beantwortet werden. Die Befürworter des Mars-500-Projektes argumentieren allerdings, dass die simulierte Marsmission möglichst realitätsnah gestaltet werden soll – soweit das technisch möglich und finanziell tragbar sei. Bei den Videoaufnahmen werde großer Wert auf Privatsphäre gelegt. Die Überwachung diene nur der genaueren Auswertung der Mission.[3]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Tarig Malik: Russia's Mock Mars Mission to Cost $15 Million. Space.com, 7. Januar 2008, aufgerufen am 14. Dezember 2010
  2. Роскосмос: Создание ядерного двигателя позволит долететь до Марса за месяц (Die Entwicklung eines nuklearen Antriebes ermöglicht den Flug zum Mars innerhalb eines Monats). Роскосмос (Roskosmos, russisch), 20. Juni 2010, aufgerufen am 14. Dezember 2010
  3. a b c d e ESA prepares for a human mission to Mars Artikel auf esa.int vom 2. April 2007.
  4. [1] Group Interactions in SFINCSS-99: Lessons for Improving Behavioral Support Programs, N. Inoue, I. Matsuzaki, and H. Ohshima (englisch)
  5. a b Mars500 – European candidates selected Artikel auf esa.int vom 27. Mai 2007
  6. http://www.esa.int/esaHS/SEMI3FSTGOF_index_1.html
  7. Zum Mars für eine handvoll Euro Artikel in Spiegel Online vom 19. Juni 2007
  8. Mission accomplished: 105-day Mars mission simulation ends in Moscow ESA Pressemitteilung zum Abschluss der Mars500 Vorläuferstudie
  9. To Mars and back – as real as it gets ESA Pressemittelung zur Bekanntgabe der europäischen Mars500 Kandidaten
  10. Vollständige Mars500-Crew vorgestellt. Abgerufen am 24. Mai 2010.
  11. ESA bereitet simulierte Marsmission vor Artikel auf astronews.com vom 3. April 2007.
  12. Ins Bett für die Weltraummedizin Artikel auf esa.int vom 4. Februar 2003
  13. a b Link zum 105-tägigen Vorexperiment
  14. Simulierte Mars-Mission erreicht Roten Planeten (nicht mehr online verfügbar) tagesschau.de, abgerufen am 14. Februar 2011
  15. Interview 04. November 2011 in Spiegel online
  16. Lt. ORF ist das Experiment abgeschlossen
  17. Kosmosveteran bezweifelt Nutzen des «Mars 500»-Experiments Artikel auf News Adhoc vom 3. Juli 2009

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