Massaker von Oradour

Massaker von Oradour
Oradour-sur-Glane
Wappen von Oradour-sur-Glane
Oradour-sur-Glane (Frankreich)
DEC
Oradour-sur-Glane
Region Limousin
Département Haute-Vienne
Arrondissement Rochechouart
Kanton Saint-Junien-Est
Koordinaten 45° 56′ N, 1° 2′ O45.9327777777781.0325285Koordinaten: 45° 56′ N, 1° 2′ O
Höhe 227 bis 312 m
Fläche 38,16 km²
Einwohner
– mit Hauptwohnsitz
– Bevölkerungsdichte
(2006)
2.188 Einwohner
57 Einw./km²
Postleitzahl 87520
INSEE-Code 87110
Luftaufnahme des zerstörten Ortes
Französische Gedenkmarke zum 1.Jahrestag der Zerstörung von Oradour-sur-Glane. Als Motiv zeigt sie die Niederbrennung des Ortes durch die SS
Zerstörte Hauptstraße
Die ehemalige Post
Verfallene Autos auf einem ehemaligen Parkplatz

Oradour-sur-Glane (okzitanisch Orador de Glana) ist ein französischer Ort 200 Kilometer nordöstlich von Bordeaux und liegt im Limousin, 22 km nordwestlich von Limoges. Der Ortsname leitet sich von lat. oratorium (Gebetsstätte) ab.

Inhaltsverzeichnis

Das Massaker von Oradour

Bekannt wurde der Ort durch das Massaker von Oradour am 10. Juni 1944, bei dem während eines Einsatzes der 3. Kompanie des I. Bataillons des zur SS-Panzer-Division „Das Reich“ gehörenden Panzergrenadier-Regiments „Der Führer“ im Zuge befohlener Partisanenbekämpfung der ganze Ort zerstört und fast alle Einwohner ermordet wurden.

Unmittelbar nach der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 erhielt die in Südwestfrankreich stationierte 2. SS-Panzer-Division Das Reich unter General Heinz Lammerding (1905–1971) den Marschbefehl zur Invasionsfront nach Norden. Auf ihrem Weg dorthin verübte sie massive Vergeltung für den wachsenden französischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer. So erhängten am 9. Juni 1944 Mitglieder der 2. SS-Panzer-Division 99 Geiseln in Tulle.

Gegen Mittag des darauffolgenden Tags erschienen 120 Angehörige der 3. Kompanie des SS-Panzergrenadierregiments 4 im 30 Kilometer nordwestlich von Limoges gelegenen Oradour-sur-Glane. In dem Dorf vermuteten sie Kämpfer und ein Waffenlager der Résistance. Auf Befehl von SS-Sturmbannführer Adolf Diekmann (1912–1944) wurden die Dorfbewohner zunächst auf dem Marktplatz zusammengetrieben. Diekmann hatte den Befehl des Regimentskommandeurs, 30 Geiseln vom Bürgermeister des Ortes benennen zu lassen, um diese gegen Sturmbannführer Helmut Kämpfe, der kurz zuvor von der Résistance gefangen genommen worden war, auszutauschen. Entgegen dem Befehl befahl er jedoch, den Ort niederzubrennen und alle Männer zu erschießen. Der Chef der 3. Kompanie, Otto Kahn, sagte nach dem Krieg in einem Dortmunder Ermittlungsverfahren aus: „Diekmann eröffnete mir, dass als Befehl die Niederbrennung und Vernichtung des Dorfes Oradour eingegangen sei, was ich auszuführen hätte.[1].

Die SS-Leute teilten daraufhin die Menge auf dem Marktplatz in Männer, Frauen und Kinder auf. Die Frauen und Kinder wurden in die Kirche getrieben. Die SS-Leute zündeten daraufhin die steinerne Kirche, deren Ruine heute noch erhalten ist, an und sprengten den Kirchturm, der in das Kirchenschiff einschlug, warfen Handgranaten und schossen wahllos in die Menge. Die ca. 200 Männer, die zuvor in Garagen und Scheunen gebracht worden waren, wurden danach erschossen.

An diesem Tag starben 642 Menschen in Oradour, von denen nur noch 52 zu identifizieren waren. Unter den Toten befanden sich 207 Kinder und 254 Frauen. Nur in einer der Scheunen, in die die Männer zur Erschießung gebracht worden waren, gab es fünf Überlebende. Sie konnten aus dem brennenden Raum fliehen und entkommen. Aus der Kirche entkam nur eine Frau lebend. Einige Dutzend Menschen konnten bei der Ankunft der SS fliehen oder sich verstecken und überlebten so das Massaker. Robert Hébras, einer der Überlebenden aus der „Scheune Laudy“, berichtete:

Mein linker Arm und meine Haare haben schon gebrannt. Es war ein furchtbarer Schmerz, deshalb musste ich aus der Scheune hinaus […] Dann haben wir uns in der Scheune dahinter versteckt. Da kamen zwei SS-Leute herein. Einer stieg auf eine Leiter und hat das Stroh dort mit Streichhölzern angesteckt […] Wir sind dann aus der brennenden Scheune in die nächste gekrochen. Es gelang uns aber nicht, aus dem Ort hinauszukommen. Wir haben uns dort in Kaninchenställen verborgen. Auch die begannen schließlich zu brennen. Ungefähr um sieben Uhr abends haben wir uns hinausgewagt […] Ich bin dann weitergelaufen in Richtung Friedhof und von dort in die Felder. Sie haben mich nicht entdeckt. Von dort sah ich, dass alle Häuser in Flammen standen. Ganz Oradour brannte.[1].

Strafverfolgung, Prozess und Gedenken

Diekmanns Vorgesetzter, Standartenführer Stadler ließ gegen ihn kriegsgerichtliche Ermittlungen einleiten, auch Generalfeldmarschall Erwin Rommel, der deutsche Kommandant in Limoges General Gleiniger und die Regierung in Vichy protestierten gegen die Bluttat. Diekmann jedoch blieben Folgen erspart. Er fiel wenige Tage später während der alliierten Invasion in der Normandie. Auch ein Großteil der 3. Kompanie, die das Massaker begangen hatte, wurde wenige Tage später aufgerieben. Hitler hatte außerdem ein Gerichtsverfahren untersagt.

Erst in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg konnte in Frankreich eine gerichtliche Verfolgung der an dem Massaker Beteiligten eingeleitet werden. Am 13. Februar 1953 verurteilte ein Militärtribunal in Bordeaux 21 im Prozess anwesende SS-Soldaten, darunter 14 Elsässer. Da das französische Parlament ein Gesetz erließ, welches die gemeinsame Anklage von Franzosen und Deutschen verbot, wurden die Urteile für die beiden Gruppen getrennt verkündet. Ein Deutscher und ein Elsässer, der freiwillig in die Waffen-SS eingetreten war, wurden zum Tode, 18 Angeklagte zu 8–12 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Ein Angeklagter wurde freigesprochen. Das Urteil sorgte im Elsass für so große Unruhen, dass das französische Parlament ein Amnestiegesetz erließ. Das Urteil gegen die Elsässer wurde dadurch komplett aufgehoben. Die Urteile gegen die Deutschen wurden in Haftstrafen umgewandelt und die Verurteilten kurz darauf entlassen. Die beiden Todesstrafen wurden nach einiger Zeit in lebenslängliche Haftstrafen umgewandelt; 1959 wurden auch diese Täter aus der Haft entlassen.

Die Bundesrepublik Deutschland zog wegen des Massakers niemanden strafrechtlich zur Verantwortung. Weder wurden Beschuldigte zum Prozess nach Frankreich überstellt, da nach dem Grundgesetz kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden darf, noch kam es in der Bundesrepublik zu einer Verurteilung. Es gab zwar eine Reihe von Ermittlungsverfahren, die aber sämtlich nicht zur Anklageerhebung führten. Die Begründung zur Einstellung der Verfahren stützte sich auf die Behauptung, der damalige Bataillonskommandeur, Sturmbannführer Adolf Diekmann, trage die alleinige Verantwortung.

Mitte der 1970er Jahre spürte die Staatssicherheit - verantwortlich für die Ermittlung bei NS-Verbrechen, in der DDR Heinz Barth auf. Während gegen ihn zunächst nur wegen seiner Beteiligung an Erschießungen in der ehemaligen Tschechoslowakei ermittelt wurde, stießen die Ermittler nach einigen Jahren auf seine Beteiligung am Massaker in Oradour. Barth war als SS-Obersturmführer der Führer des 1. Zuges des Panzergrenadier-Regiments „Der Führer“ gewesen. 45 Soldaten waren ihm unterstellt, denen er u. a. den Befehl gab, 20 Männer zu erschießen, die in einer Garage eingesperrt waren. Ihm wurde 1983 vor dem Ersten Strafsenat des Stadtgerichts Berlin der Prozess gemacht. Barth wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 1997 wurde er im wiedervereinten Deutschland aus dem Gefängnis entlassen. Aufgrund seiner schweren Kriegsverletzungen (er hatte ein Bein verloren) erhielt er zeitweise eine Kriegsopferrente, die ihm aber nach Protesten und der Änderung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) entzogen wurde. Barth starb im August 2007.

Nach dem Krieg wurde ein neuer Ort neben dem alten, zerstörten aufgebaut. Den Überresten des alten Dorfes ist heute eine Mahn- und Gedenkstätte mit einem Dokumentationszentrum, dem Centre de la mémoire d´Oradour, angeschlossen. Seit 2001 entsendet der Österreichische Auslandsdienst Gedenkdiener in das Centre de la mémoire.

Peugeot 202[2] auf dem Marktplatz

Friedhof

siehe Artikel: Cimetière d'Oradour-sur-Glane

Literatur

  • Andrea Erkenbrecher: Der Prozess gegen Heinz Barth 1983. Eine Fallstudie zur politischen Instrumentalisierung von Kriegsverbrecherprozessen in der DDR. Ludwig-Maximilian-Universität, München 2006 (unveröffentlichte Magisterarbeit der Philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften).
  • Sarah Farmer: Martyred village. Commemorating the 1944 massacre at Oradour-sur-Glane. University Press, Berkeley, Calif. 1999, ISBN 0-520-21186-3.
  • Jean-Jacques Fouché: Oradour. Levi, Paris 2001, ISBN 2-86746-271-1.
  • Jean-Jacques Fouché: Oradour. La politique et la justice. Souny, Saint-Paul 2004, ISBN 2-84886-026-X.
  • Martin Graf, Florence Hervé: Oradour. Regards au-delà de l'oubli; Blicke gegen das Vergessen. Klartext-Verlag, Essen 2002, ISBN 3-88474-265-5.
  • Henry Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-35018-X (darin: Der Fall Heinz Barth, S. 131–142).
  • Claudia Moisel: Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher. Politik und Praxis der Strafverfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg. Edition Wallstein, Göttingen 2004, ISBN 3-89244-749-7 (zugl. Dissertation Universität Bochum 2002).
  • Guy Pauchou, Pierre Masfrand: Oradour-sur-Glane vision d'épouvante. Édition Lavauzelle, Limoges 1970.
  • Guy Penaud: La „Das Reich“ 2e SS Panzer Division (Parcours de la division en France). Éditions de La Lauze, Périgueux 2005, ISBN 2-912032-76-8.
  • Lea Rosh, Günther Schwarberg: Der letzte Tag von Oradour. Steidl, Göttingen 1997, ISBN 3-88243-092-3.

Weblinks

Anmerkungen und Quellen

  1. a b geschichtsthemen.de: Das SS-Massaker von Oradour-sur-Glane; Abgerufen am 10. Juni 2006
  2. Fahrzeug des Dr. Emile Desourteaux. Gemäß Sarah Farmer in Martyred Village (siehe Literatur) sei sein Fahrzeug jedoch einige Tage nach dem Massaker auf dessen Grundstück gestellt worden und das aktuell dort stehende Fahrzeug sei das Auto des Weinhändlers.

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