Oradour-sur-Glane

Oradour-sur-Glane
Oradour-sur-Glane
Wappen von Oradour-sur-Glane
Oradour-sur-Glane (Frankreich)
Oradour-sur-Glane
Region Limousin
Département Haute-Vienne
Arrondissement Rochechouart
Kanton Saint-Junien-Est
Koordinaten 45° 56′ N, 1° 2′ O45.9319444444441.0316666666667272Koordinaten: 45° 56′ N, 1° 2′ O
Höhe 272 m (227–312 m)
Fläche 38,16 km²
Einwohner 2.222 (1. Jan. 2008)
Bevölkerungsdichte 58 Einw./km²
Postleitzahl 87520
INSEE-Code
Luftaufnahme des zerstörten Ortes
Französische Wohltätigkeitsmarke anlässlich des 1. Jahrestages der Zerstörung von Oradour-sur-Glane.

Oradour-sur-Glane (okzitanisch Orador de Glana) ist ein französischer Ort mit 2222 Einwohnern (Stand 1. Januar 2008) 200 Kilometer nordöstlich von Bordeaux und liegt im Limousin, 22 km nordwestlich von Limoges. Der Ortsname leitet sich von lat. oratorium (‚Gebetsstätte‘) ab.

Inhaltsverzeichnis

Das Massaker von Oradour

Bekannt wurde der Ort durch das Massaker von Oradour am 10. Juni 1944, bei dem während eines Einsatzes der 3. Kompanie des I. Bataillons des zur SS-Panzer-Division „Das Reich“ gehörenden Panzergrenadier-Regiments „Der Führer“ im Zuge befohlener Partisanenbekämpfung der ganze Ort zerstört und fast alle Einwohner ermordet wurden.

Unmittelbar nach der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 erhielt die in Südwestfrankreich stationierte 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ unter General Heinz Lammerding (1905–1971) den Marschbefehl zur Invasionsfront nach Norden. Auf ihrem Weg dorthin verübte sie massive Vergeltung für den wachsenden französischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer. So erhängten am 9. Juni 1944 Mitglieder der 2. SS-Panzer-Division 99 Geiseln in Tulle.[1]

Am 10. Juni erschienen gegen 14.00 Uhr 120 Soldaten der 3. Kompanie des SS-Panzergrenadierregiments 4 im 30 Kilometer nordwestlich von Limoges gelegenen Oradour-sur-Glane. In dem Dorf vermuteten sie Kämpfer und ein Waffenlager der Résistance. Obersturmbannführer Adolf Diekmann hatte den Befehl des Regimentskommandeurs Sylvester Stadler, 30 Geiseln vom Bürgermeister des Ortes benennen zu lassen, um diese gegen seinen Freund, Sturmbannführer Helmut Kämpfe, der kurz zuvor von der Résistance gefangen genommen worden war, auszutauschen. Diekmann befahl jedoch, den Ort niederzubrennen und ohne Ausnahme alle Bewohner zu töten. Der Chef der 3. Kompanie, Otto Kahn, sagte nach dem Krieg in einem Dortmunder Gerichtsverfahren aus: „Diekmann eröffnete mir, dass als Befehl die Niederbrennung und Vernichtung des Dorfes Oradour eingegangen sei, was ich auszuführen hätte.“[2] Die Dorfbewohner wurden zunächst auf dem Marktplatz zusammengetrieben und von der SS in Männer sowie Frauen und Kinder aufgeteilt.[3] Die Frauen und Kinder wurden in die Kirche getrieben. Die SS-Leute zündeten daraufhin die steinerne Kirche, deren Ruine heute noch erhalten ist, an und sprengten den Kirchturm, der in das Kirchenschiff einschlug, warfen Handgranaten und schossen wahllos in die Menge. Die etwa 200 Männer, die zuvor in Garagen und Scheunen gebracht worden waren, wurden danach erschossen.

An diesem Tag starben 642 Menschen in Oradour, von denen nur noch 52 zu identifizieren waren. Unter den Toten befanden sich 207 Kinder und 254 Frauen. Nur sechs Menschen überlebten das Massaker. Einer der Entkommenen berichtete:

„Mein linker Arm und meine Haare haben schon gebrannt. Es war ein furchtbarer Schmerz, deshalb musste ich aus der Scheune hinaus […] Dann haben wir uns in der Scheune dahinter versteckt. Da kamen zwei SS-Leute herein. Einer stieg auf eine Leiter und hat das Stroh dort mit Streichhölzern angesteckt […] Wir sind dann aus der brennenden Scheune in die nächste gekrochen. Es gelang uns aber nicht, aus dem Ort hinauszukommen. Wir haben uns dort in Kaninchenställen verborgen. Auch die begannen schließlich zu brennen. Ungefähr um sieben Uhr abends haben wir uns hinausgewagt […] Ich bin dann weitergelaufen in Richtung Friedhof und von dort in die Felder. Sie haben mich nicht entdeckt. Von dort sah ich, dass alle Häuser in Flammen standen. Ganz Oradour brannte.“[2]

Strafverfolgung, Prozess und Gedenken

Diekmanns Vorgesetzter, Standartenführer Sylvester Stadler, ließ gegen Diekmann kriegsgerichtliche Ermittlungen einleiten, auch Generalfeldmarschall Erwin Rommel, der deutsche Kommandant in Limoges, General Gleiniger, und die Regierung in Vichy protestierten gegen die Bluttat. Diekmann jedoch blieben Folgen erspart. Er fiel wenige Tage später während der alliierten Invasion in der Normandie. Auch ein Großteil der 3. Kompanie, die das Massaker begangen hatte, wurde wenige Tage später aufgerieben. Hitler hatte außerdem ein Gerichtsverfahren untersagt.

Erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg konnte in Frankreich eine gerichtliche Verfolgung der an dem Massaker Beteiligten eingeleitet werden. 1953 konnten nur noch 65 Täter angeklagt werden, der Rest war entweder im weiteren Verlauf des Zweiten Weltkrieges gefallen oder konnte nicht mehr festgestellt werden. Am 13. Februar 1953 verurteilte ein Militärtribunal in Bordeaux 21 im Prozess anwesende SS-Soldaten, darunter 14 Elsässer. Da das französische Parlament ein Gesetz verabschiedete, welches die gemeinsame Anklage von Franzosen und Deutschen verbot, wurden die Urteile für die beiden Gruppen getrennt verkündet. Ein Deutscher und ein Elsässer, der freiwillig in die Waffen-SS eingetreten war, wurden zum Tode, 18 Angeklagte zu Strafen zwischen 8 und 12 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Ein Angeklagter wurde freigesprochen. Das Urteil sorgte im Elsass für so große Unruhen, dass das französische Parlament ein Amnestiegesetz erließ. Das Urteil gegen die Elsässer wurde dadurch komplett aufgehoben. Die Urteile gegen die Deutschen wurden in Haftstrafen umgewandelt und die Verurteilten kurz darauf entlassen. Die beiden Todesstrafen wurden nach einiger Zeit in lebenslängliche Haftstrafen umgewandelt; 1959 wurden auch diese Täter aus der Haft entlassen.

Die Bundesrepublik Deutschland zog wegen des Massakers niemanden strafrechtlich zur Verantwortung. Weder wurden Beschuldigte zum Prozess nach Frankreich überstellt, da nach dem Grundgesetz kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden darf, noch kam es in der Bundesrepublik zu einer Verurteilung. Es gab zwar eine Reihe von Ermittlungsverfahren, die aber sämtlich nicht zur Anklageerhebung führten. Die Begründung zur Einstellung der Verfahren stützte sich auf die Behauptung, der damalige Bataillonskommandeur, Sturmbannführer Adolf Diekmann, trage die alleinige Verantwortung.

Mitte der 1970er Jahre spürte die Staatssicherheit – in der DDR verantwortlich für die Ermittlung bei NS-Verbrechen – Heinz Barth auf. Während gegen ihn zunächst nur wegen seiner Beteiligung an Erschießungen in der ehemaligen Tschechoslowakei ermittelt wurde, stießen die Ermittler nach einigen Jahren auf seine Beteiligung am Massaker in Oradour. Barth war als SS-Obersturmführer der Führer des 1. Zuges des Panzergrenadier-Regiments „Der Führer“ gewesen. 45 Soldaten waren ihm unterstellt, denen er u. a. den Befehl gab, 20 Männer zu erschießen, die in einer Garage eingesperrt waren. Ihm wurde 1983 vor dem Ersten Strafsenat des Stadtgerichts Berlin der Prozess gemacht. Barth wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 1997 wurde er im wiedervereinten Deutschland aus dem Gefängnis entlassen. Aufgrund seiner schweren Kriegsverletzungen (er hatte ein Bein verloren) erhielt er zeitweise eine Kriegsopferrente, die ihm aber nach Protesten und der Änderung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) entzogen wurde. Barth starb im August 2007.

Nach dem Krieg wurde ein neuer Ort neben dem alten, zerstörten aufgebaut. Den Überresten des alten Dorfes ist heute eine Mahn- und Gedenkstätte mit einem Dokumentationszentrum, dem Centre de la mémoire d’Oradour, angeschlossen.

Friedhof

Galerie

Literatur

  • Andrea Erkenbrecher: Der Prozess gegen Heinz Barth 1983. Eine Fallstudie zur politischen Instrumentalisierung von Kriegsverbrecherprozessen in der DDR. Ludwig-Maximilian-Universität, München 2006.(unveröffentlichte Magisterarbeit der Philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften).
  • Sarah Farmer: Martyred village. Commemorating the 1944 massacre at Oradour-sur-Glane. University Press, Berkeley, Calif. 1999, ISBN 0-520-21186-3.
  • Jean-Jacques Fouché: Oradour. Levi, Paris 2001, ISBN 2-86746-271-1.
  • Jean-Jacques Fouché: Oradour. La politique et la justice. Souny, Saint-Paul 2004, ISBN 2-84886-026-X.
  • Martin Graf, Florence Hervé: Oradour. Regards au-delà de l'oubli; Blicke gegen das Vergessen. Klartext-Verlag, Essen 2002, ISBN 3-88474-265-5.
  • Henry Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-35018-X. (darin: Der Fall Heinz Barth. S. 131–142).
  • Ahlrich Meyer: Oradour 1944. In: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Orte des Grauens – Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Primus, Darmstadt 2003, S. 176−185.
  • Claudia Moisel: Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher. Politik und Praxis der Strafverfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg. Dissertation. Universität Bochum 2002. Edition Wallstein, Göttingen 2004, ISBN 3-89244-749-7.
  • Guy Pauchou, Pierre Masfrand: Oradour-sur-Glane vision d'épouvante. Édition Lavauzelle, Limoges 1970.
  • Guy Penaud: La „Das Reich“ 2e SS Panzer Division (Parcours de la division en France). Éditions de La Lauze, Périgueux 2005, ISBN 2-912032-76-8.
  • Lea Rosh, Günther Schwarberg: Der letzte Tag von Oradour. Steidl, Göttingen 1997, ISBN 3-88243-092-3.

Weblinks

 Commons: Oradour-sur-Glane – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Das Massaker in der französischen Stadt Tulle 1944
  2. a b geschichtsthemen.de: Das SS-Massaker von Oradour-sur-Glane; abgerufen am 10. Juni 2006
  3. Sarah Bennett Farmer: Oradour-sur-Glane: Memory in a Preserved Landscape; French Historical Studies 19/1 (1995), S. 27–47, S 29.
  4. Fahrzeug des Dr. Emile Desourteaux. Gemäß Sarah Farmer in Martyred Village (siehe Literatur) sei sein Fahrzeug jedoch einige Tage nach dem Massaker auf dessen Grundstück gestellt worden und das aktuell dort stehende Fahrzeug sei das Auto des Weinhändlers.

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