Arbeitsstelle Holocaustliteratur

Arbeitsstelle Holocaustliteratur

Die Arbeitsstelle Holocaustliteratur besteht seit 1998 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Eingerichtet wurde die überwiegend durch Drittmittel finanzierte Arbeitsstelle durch die Initiative von Erwin Leibfried und Sascha Feuchert sowie der Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung zu Lich am damaligen Institut für Neuere deutsche Literatur, heute Institut für Germanistik. Ziel war es, eine universitäre Einrichtung zu schaffen, die sich mit der literaturwissenschaftlichen und didaktischen Untersuchung und Aufbereitung vornehmlich von Texten der Holocaust- und Lagerliteratur befasst. Damit ist die Arbeitsstelle bislang einzigartig in Deutschland. Seit 2008 wird sie geleitet von Sascha Feuchert; der Historiker Markus Roth ist sein Stellvertreter (seit 2010).

Inhaltsverzeichnis

Beschäftigungsfelder

Vorrangige Aufgabe und Ziel der Arbeitsstelle ist die literaturwissenschaftliche und didaktische Untersuchung sowie Aufbereitung von Texten der Holocaustliteratur. Ein wichtiges Anliegen der Arbeitsstelle ist es, mit literaturwissenschaftlichen Mitteln dazu beitragen, dass Texte der Holocaustliteratur in Wissenschaft und Öffentlichkeit kritisch diskutiert werden. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Rezeptionsprozessen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Texten von Überlebenden des Holocaust. Durch Lesungen und (wissenschaftliche) Publikationen sollen ihren Erinnerungen Aufmerksamkeit verschafft werden. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeitsstelle liegt im Dialog mit den Überlebenden. Neben der Arbeit an den Projekten, den Lehrveranstaltungen und der Organisation von Lesungen und Gesprächen beteiligt sich die Arbeitsstelle zudem an jährlichen Gedenkveranstaltungen, wie der Licher Novemberreihe zur Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938, und ist Herausgeber der MEMENTO-Reihe, einer gemeinsamen Schriftenreihe mit der Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung zu Lich.

Didaktische Vermittlung

Didaktische Fragestellungen gehören zu den zentralen Aufgabengebieten der Arbeitsstelle. Dazu wird eng mit Schulen zusammengearbeitet, denen u.a. auch Zeitzeugen- und Expertengespräche vermittelt werden. Neben dem Engagement in Lehrveranstaltungen und an Schulen konnten eine Reihe von Unterrichthilfen im Reclam-Verlag veröffentlicht werden, unter anderem im Jahr 2000 der inzwischen weit verbreitete, aber leider vergriffene Band „Holocaust-Literatur. Auschwitz“ von Sascha Feuchert. Weitere Arbeitstexte für den Unterricht sowie Lektüreschlüssel wurden 2004 zu Ruth Klügers „weiter leben“ und 2005 zu Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ veröffentlicht. 2009 ist auch eine Unterrichtshilfe zum Tagebuch der Anne Frank erschienen.

Editionsprojekte

Zu den zentralen Schwerpunkten der Arbeitsstelle gehören Editionsprojekte, die sich u.a. auch Texten widmen, die nicht unmittelbar zur Holocaust- und Lagerliteratur gehören, sondern im weiteren Kontext zu sehen sind. Das größte und wichtigste Projekt der Arbeitsstelle war das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte interdisziplinäre und internationale Editions-Projekt zur Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, das nach neun Jahren intensiver Arbeit im Oktober 2007 mit der vollständigen deutschen Fassung der Chronik einen ersten Abschluss gefunden hat: Die fünfbändige Ausgabe ist im Göttinger Wallstein-Verlag erschienen und umfasst 3052 Seiten. Im August 2009 folgte die polnische Ausgabe, die im Universitätsverlag Łódź erschienen ist.

Ein weiteres viel beachtetes Editionsvorhaben widmete sich zwischen 2005 und 2011 den Tagebüchern von Friedrich Kellner. Das insgesamt zehn Bände umfassende Kriegstagebuch des ehemaligen Laubacher (Oberhessen) Justizangestellten Friedrich Kellner wurde zwischen 1939 und 1945 im Verborgenen zusammengetragen. Das Besondere daran ist die Collagentechnik, mit der der Autor z.B. aufgeklebte Zeitungsausschnitte mit Kommentaren und Informationen ergänzt. Mit seinem Tagebuch wird deutlich, wieviel ein Einzelner im Dritten Reich vom Kriegsverlauf, aber auch von den Verbrechen der Nationalsozialisten wissen konnte. Die zweibändige Edition ist im Juli 2011 im Wallstein-Verlag erschienen und wurde medial breit beachtet und diskutiert.

Publikationen

  • Friedrich Kellner: "Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne". Tagebücher 1939-1945. Hg. v. Sascha Feuchert, Robert Martin Scott Kellner, Erwin Leibfried, Jörg Riecke und Markus Roth. Göttingen: Wallstein 2011.
  • Sascha Feuchert und Nikola Medenwald: Lektüreschlüssel. Anne Frank: Tagebuch. Stuttgart: Reclam 2009.
  • Die Chronik des Gettos Lodz / Litzmannstadt (5 Bde.)
    Schriftenreihe zur Lodzer Getto-Chronik (Hg. von der Arbeitsstelle Holocaustliteratur (Universität Gießen) und dem Staatsarchiv Lodz).
    Herausgegeben von Sascha Feuchert, Erwin Leibfried, Jörg Riecke. In Kooperation mit Julian Baranowski, Joanna Podolska, Krystyna Radziszewska, Jacek Walicki. Unter Mitarbeit von Imke Janssen-Mignon, Andrea Löw, Joanna Ratusinska, Elisabeth Turvold und Ewa Wiatr. Göttingen: Wallstein 2007.
  • Andrea Löw: Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten. Schriftenreihe zur Lodzer Getto-Chronik (Hg. von der Arbeitsstelle für Holocaustliteratur (Universität Gießen) und dem Staatsarchiv Lodz). Göttingen: Wallstein 2006.
  • Sascha Feuchert und Lars Hofmann: Lektüreschlüssel. Bernhard Schlink: Der Vorleser. Stuttgart: Reclam 2005.
  • Sascha Feuchert: Oskar Rosenfeld und Oskar Singer. Zwei Autoren des Lodzer Gettos. Frankfurt a.M.: Peter Lang 2004.
  • Letzte Tage. Die Lodzer Getto-Chronik Juni/Juli 1944. Hgg. v. Sascha Feuchert, Erwin Leibfried, Jörg Riecke sowie Julian Baranowski und Krytsyna Radziszewska. Göttingen: Wallstein 2004.
  • Sascha Feuchert: Ruth Klüger; weiter leben. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam 2004.
  • Oskar Singer: "Im Eilschritt durch den Getto-Tag". Reportagen und Essays aus dem Getto Lodz 1942-1944. Hgg. v. Sascha Feuchert, Erwin Leibfried, Jörg Riecke sowie Julian Baranowski, Krystyna Radziszewska und Krzysztof Wozniak. Berlin: Philo 2002.
  • Oskar Singer: Herren der Welt. Zeitstück in drei Akten. Neu herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Sascha Feuchert. Hamburg: Arbeitsstelle für Exilliteratur 2001.
  • Sascha Feuchert (Hg.): Holocaust-Literatur. Auschwitz (=Arbeitstexte für den Unterricht). Stuttgart: Reclam 2000.
  • MEMENTO. Gemeinsame Schriftenreihe der Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung zu Lich und der Arbeitsstelle Holocaustliteratur:
    - Band 1: Silke Berg: "Wenn sich Vergangenes zunehmend mit Nacht bedeckt…". Bilder vom Ghetto Lodz 1940-1944 / Bilder von Orten 1995 / Porträts von Juden in Lodz 1995. Frankfurt: Bergauf 2000.
    - Band 2: Hilda Stern Cohen: "Genagelt ist meine Zunge." Lyrik und Prosa einer Holocaust-Überlebenden. Hgg. v. Erwin Leibfried, Sascha Feuchert und William Gilcher, in Zusammenarbeit mit Werner V. Cohen. Frankfurt: Bergauf 2003.
    - Band 3: Gabriele Reber: "Lasst meine Bilder nicht sterben…". Amalie Seckbach. Bruchstücke einer Biographie. Hgg. v. Erwin Leibfried, Sascha Feuchert und Klaus Konrad-Leder. Frankfurt: Bergauf 2006.

Weblinks

http://www.holocaustliteratur.de


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