Morbus Horton

Morbus Horton
Histopathologie mit Nachweis zahlreicher mehrkerniger Riesenzellen in der Gefäßwand einer betroffenen Hirnarterie. Elastikafärbung.
1 Arteria temporalis
2 Frontaler Ast
3 Parietaler Ast
Klassifikation nach ICD-10
M31.5 Riesenzellarteriitis bei Polymyalgia rheumatica
M31.6 Sonstige Riesenzellarteriitis
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Die Arteriitis cranialis (Syn. Arteriitis temporalis, Morbus Horton, Riesenzellarteriitis, Horton-Magath-Brown-Syndrom) ist eine systemische Gefäßentzündung (Vaskulitis), die vor allem bei älteren Menschen die Schläfenarterien (Arteriae temporales) befällt. Unbehandelt besteht ein Risiko von 20 Prozent zu erblinden, da die Entzündung der Arterien zu einer ungenügenden Durchblutung der Sehnervenpapille führt. Bei entsprechender Diagnostik und einem raschen Therapiebeginn mit Cortisonpräparaten ist der Erkrankungsverlauf meist gutartig, wenn auch langwierig.

Inhaltsverzeichnis

Häufigkeit

Die jährliche Inzidenz der Arteriitis cranialis beträgt etwa 3:100.000, bei über 70-Jährigen 45:100.000. Sie tritt fast ausschließlich nach dem 50. Lebensjahr auf. Frauen sind im Verhältnis 3:1 häufiger betroffen als Männer. Das durchschnittliche Alter zum Zeitpunkt der Diagnose liegt bei etwa 70 Jahren.[1] Bei etwa 50 % der Patienten befällt die Erkrankung drei Tage nach Beginn das Auge.

Pathogenese

Die Arteriitis cranialis ist eine T-Zell-abhängige Autoimmunerkrankung mit genetischer Prädisposition. Infekte können einen Krankheitsausbruch triggern, diskutiert werden insbesondere Viren (beispielsweise HBV oder Influenzaviren) und Borrelien.

Es entsteht meist eine beidseitige granulomatöse Vaskulitis, die vorwiegend die großen und mittelgroßen Arterien des Kopfes befällt. Besonders häufig ist die Arteria temporalis betroffen, bei etwa 30 % die Arteria ophthalmica und bei 10–15 % der Aortenbogen und dessen große Äste. Intrakranielle Gefäße, Herzkranzgefäße und andere Organe sind selten (bei weniger als einem Prozent) befallen. Es besteht eine Beziehung zur Polymyalgia rheumatica, beide Krankheiten können aber durchaus unabhängig voneinander auftreten.

Durch die Entzündung kommt es zu Minderdurchblutung in den von der betroffenen Arterie versorgten Gebieten. Ist die Arteria centralis retinae betroffen, führt dies innerhalb einer Stunde zu irreversiblen Schäden an der Netzhaut.

Symptome

Mehr als 70 Prozent der Patienten berichten als Erstsymptom über einen starken, bohrend-stechenden Kopfschmerz, der häufig durch Kauen noch verstärkt wird (Claudicatio masticatoria). Typisch ist auch eine einseitige, plötzlich einsetzende hochgradige Sehminderung bis zur Erblindung, die bei etwa 30 % der Erkrankten auftritt.

Daneben werden beidseitig an den Schläfen verdickte, harte, vermehrt geschlängelte, pulslose und druckempfindliche Temporalarterien und in 12–15 % der Fälle, Herabhängen eines Augenlides (Ptosis) oder andere Augenmuskellähmungen sowie häufig Allgemeinsymptome wie Fieber, Gewichtsabnahme, Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Muskelschmerzen beobachtet.

Diagnostik

Kriterium Sensitivität  Spezifität
Erkrankungsalter > 50 Jahre 98,6 % 63,9 %
Neuartige oder neu auftretende
umschriebene Kopfschmerzen
64,5 % 81,9 %
Abnorme Temporalarterie (Druckschmerz,
abgeschwächte Pulsation)
57,3 % 96,8 %
BSG > 50 mm in der ersten Stunde 86,5 % 47,7 %
Histologische Veränderungen bei der
Biopsie der Temporalarterie
92,9 % 73,1 %
Tab. 1: ACR-Kriterien (vgl. Text)

Diagnostische ACR-Kriterien

Das American College of Rheumatology (ACR) hat Kriterien für die Diagnose einer Arteriitis temporalis erarbeitet, die als „diagnostische ACR-Kriterien“ Eingang in verschiedene Leitlinien (beispielsweise der Deutschen Gesellschaft für Neurologie von 2003) gefunden haben. Tabelle 1 zeigt diese Kriterien und deren Sensitivität und Spezifität anhand eines Vergleichs von 214 Patienten mit Arteriitis cranialis mit 593 Personen mit anderen Vaskulitiden.

Wenn drei der fünf Kriterien erfüllt sind, kann die Diagnose einer Arteriitis cranialis mit einer Sensitivität von 75 % und einer Spezifität von 92 % gestellt werden. Dies entspricht einem positiven prädiktiven Wert von 29 % und einem negativen prädiktiven Wert von 99 %.

Temporalarterienbiopsie

Gesichert wird die Diagnose einer Arteriitis temporalis durch eine Biopsie der Temporalarterie. Da auch nur einzelne Segmente der Gefäße befallen sein können, schließt ein negativer Befund die Erkrankung nicht sicher aus. Histologisch zeigt sich eine Panarteriitis mit granulomatöser Entzündung der Tunica media, in der Tunica adventitia Nachweis von Riesenzellen.

Augenärztliche Untersuchung

Das typische Symptom ist eine einseitige, plötzliche Verschlechterung der Sehschärfe oder des Gesichtsfeldes. Ursache hierfür ist typischerweise ein Verschluss der die Netzhaut oder den Sehnerven versorgenden Gefäße: In der Ophthalmoskopie ist die Papille des Sehnervs blass und ödematös (entzündliche anteriore ischämische Optikusneuropathie). Dadurch wird ihr Rand unscharf begrenzt. Es kann jedoch auch zu kompletten oder inkompletten Verschlüssen der Arterien oder Venen der Netzhaut kommen. Die Netzhautarterien sind dann fadendünn und zeigen unregelmässige Reflexe wegen der Wandverdickung im Rahmen der Entzündung.

Labor

Bei den Laboruntersuchungen sind Entzündungszeichen wie eine stark erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG), wobei von einer Sturzsenkung gesprochen werden kann, erhöhtes C-Reaktives-Protein (CRP), Leukozytose mit Eosinophilie, α2-Globulinvermehrung, Leukozytose mit Eosinophilie sowie eventuell eine Eisenmangelanämie feststellbar.

Sonografie

Die sonografische Untersuchung der Temporalarterie und ihrer Seitenäste zeigt bei der Arteriitis cranialis typischerweise eine echoarme konzentrische Wandverdickung (Halo) der betroffenen Abschnitte. Bei begründetem klinischen Verdacht ist dieser sonografische Befund hoch prädiktiv für eine Arteriitis cranialis. Über den diagnostischen Wert fehlender Veränderungen und die Eignung als Screening-Untersuchung liegen noch nicht genügend Daten vor.

Differentialdiagnose

Therapie

Die Arteriitis cranialis ist ein Notfall. Bereits bei dringendem Verdacht auf die Erkrankung werden systemisch hochdosiert Glukokortikoide (Cortisonpräparate) verabreicht, nicht zuletzt da die Entzündung auf die Hirngefässe übergreifen und dann zu einem lebensbedrohlichen Schlaganfall führen kann. Die Aussagekraft einer Biopsie wird in den ersten Tagen durch die Cortisongabe nicht beeinträchtigt. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie wird 2003 bei fehlender Augenbeteiligung eine Dosis von 60-100 mg, bei frischer einseitiger Erblindung von 200-500 mg und bei drohender Erblindung von 500-1000 mg pro Tag empfohlen. Anschließend ist eine Erhaltungstherapie mit herabgesetzter Dosis über Jahre notwendig, etwa die Hälfte der Patienten kann nach zwei Jahren die Therapie beenden.

Prognose

Die Arteriitis spricht auf die Cortisontherapie meist gut an, dann kommt es zu einer kompletten Remission in einem Zeitraum von 6-24 Monaten. Auch bei angemessener Therapie besteht die Gefahr einer bleibenden Erblindung auf dem betroffenen Auge. Selten kann es zu Rezidiven kommen, auch chronische Verläufe bis zu 14 Jahren sind möglich.

Einzelnachweise

  1. K. Poeck, W. Hacke: Neurologie. Springer-Verlag 2006, 12. Auflage, S. 412-413. ISBN 3-540-29997-1

Weblinks

Literatur

  • M. Sachsenweger: Augenheilkunde. Duale Reihe, Georg Thieme Verlag, Stuttgart (2. Auflage 2003), 316-317. ISBN 3-13-1283122.
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