Nahbereichsverteidigungssystem

Nahbereichsverteidigungssystem
Phalanx-CIWS- Schnellfeuerkanone

Nahbereichsverteidigungssysteme, häufig abgekürzt CIWS nach dem englischen Begriff Close-In Weapon System, werden hauptsächlich auf Kriegsschiffen gegen anfliegende Flugkörper oder kleine Oberflächenfahrzeuge verwendet.

Ein Nahbereichsverteidigungssystem besteht in der Regel aus einer vollautomatischen, radargesteuerten Schnellfeuerkanone mit rotierenden Läufen oder aus einem Flugabwehrraketensystem. Es bildet die letzte Verteidigungslinie (engl. last line of defense) eines Kriegsschiffes.

Moderne Kreuzer, Zerstörer und Fregatten besitzen entweder je ein oder zwei unterschiedliche Systeme auf der Steuerbord- und Backbord-Seite oder je eines in Fahrtrichtung und achtern. Große Schiffe wie Docklandungsschiffe oder Flugzeugträger haben vier und mehr Waffen bzw. Starter. Bei der Deutschen Marine und anderen Marinen sind auch Schnellboote mit je einem Nahbereichsverteidigungssystem ausgestattet.

Ähnliche Entwicklungen für Panzerfahrzeuge, mit denen anfliegende Panzerabwehrgeschosse zerstört werden sollen, werden als Hardkill-Systeme bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Nahbereichsverteidigungssysteme kamen in den 1970er Jahren auf, als die Bedrohung durch Seezielflugkörper immer stärker wurde, die mit herkömmlicher leichter Artillerie oder konventionellen Flugabwehrsystemen nicht zu bekämpfen sind. Zunächst wurden Systeme nur mit Rohrwaffen entwickelt. Um eine hohe Geschossdichte im Zielgebiet zu erreichen, verwenden diese Systeme Revolver- oder Gatlingkanonen. Später wurden auch Systeme mit Abfangraketen entwickelt.

Das russische AK-230-System wurde bereits 1969 eingeführt und umfasst zwei 30-mm-Geschütze mit einer Feuerrate von je 1.500 Schuss/min. auf jedem Rohr. Es bekämpft Ziele, die über das Schiffsradar erkannt werden, gesteuert von einem speziellen Computer. Ab 1976 wurde das System AK-630 eingeführt, welches mit der Revolverkanone Grjasew-Schipunow GSch-6-30 auf eine nochmals höhere Kadenz (bis zu 6.000 Schuss/min.) und eine größere Anzahl von Rohren setzt. Die USA führten 1978 ein System auf der Basis der M61 Vulcan-Gatlingkanone mit der Bezeichnung Phalanx CIWS ein, das durch ein eigenes Computer- und Radarsystem gesteuert wird. Das ab 1979 in den Niederlanden gebaute Goalkeeper funktioniert ähnlich dem Phalanx, setzt aber wie das russische System auf ein größeres Kaliber.

Zu Kampfeinsätzen unter Verwendung von Nahbereichsverteidigungssystemen kam es bislang während der Operation Earnest Will und der Operation Desert Storm. Dabei wurde am 17. Mai 1987 die USS Stark (FFG-31) von einer irakischen Exocet-Rakete getroffen, nachdem das Phalanx-System eine Fehlfunktion hatte. Am 25. Februar 1991 wurde die USS Missouri (BB-63) von irakischer Seite mit SS-N-2 Styx beschossen, dem durch das Verwenden von Täuschkörpern entgegengewirkt werden sollte. Dabei fasste die Phalanx der USS Jarrett (FFG-33) die ausgeworfenen Düppel der Missouri auf und eröffnete das Feuer auf diese. Die Missouri wurde durch die Phalanx-Salven mehrfach getroffen, die Besatzung kam jedoch nicht zu Schaden. Der Flugkörper wurde schließlich durch eine Sea Dart-Rakete der HMS Gloucester (D96) abgeschossen.

1996 wurde eine amerikanische A-6 Intruder versehentlich während einer Zielübung durch die Phalanx des japanischen Zerstörers Yūgiri abgeschossen; beide Besatzungsmitglieder konnten sich retten.

Funktionsweise

Die Systeme sind meistens voll automatisiert und autonom. Sie werden lediglich von der Operationszentrale (OPZ) überwacht. Dies ermöglicht eine kürzere Reaktionszeit auf sich schnell nähernde Bedrohungen.

Das System identifiziert anfliegende Raketen anhand von Größe und Geschwindigkeit. Diese werden vom Computer in Gefahrenkategorien eingestuft: eine Rakete, die wahrscheinlich vorbei fliegt, wird nicht vom automatisierten System beachtet. Dann richtet sich die Waffe, je nach Art ob Kanonen- oder Raketensystem, aus. Die Raketensysteme feuern eine unterschiedliche Anzahl von Abfangraketen auf die Seezielflugkörper. Die kanonenbasierten Systeme richten sich solange auf den Flugkörper mit der höchsten Bedrohungsstufe aus bis dieser zerstört ist, dann wird der nächste Flugkörper beschossen.

Effektivität

RAM-Starter auf einem deutschen Schnellboot

Da anfliegende Raketen relativ nahe am Schiff zur Detonation gebracht werden, muss mit leichten Beschädigungen durch Geschosssplitter gerechnet werden. Diese Schäden können jedoch ausreichen, um empfindliche Anlagen (z. B. Funk- oder Radarantennen) außer Gefecht zu setzen.

Das AK-230-System hat eine Reichweite von 2.500 m und eine Kadenz von 2000 Schuss/min. Das „Phalanx CIWS“ hat eine Reichweite von ca. 3.500 m und eine Kadenz von 4.500 Schuss/min. Die Block 1B-Variante soll laut dem Hersteller Raytheon Raketen mit Mach 2,4 und mehr abfangen können. Das Goalkeeper-System hat eine Reichweite von 350 bis 1.500 m bei einer Kadenz von 4.200 Schuss/min. Um eine Zerstörung zu gewährleisten, sollte die anfliegende Rakete hier nicht erheblich schneller als Mach 2 sein.

Das raketengestützte Abwehrsystem (RAM-System) RIM-116 Rolling Airframe Missile ist das schnellste der Nahbereichsverteidigungssysteme. Es kann Flugkörper mit einer Geschwindigkeit von Mach 3 abfangen und hat eine Reichweite von 5 bis 8 km.

Eine Sonderstellung nimmt das russische Kortik-System (SA-N-11 Grison) ein. Es kombiniert Abfangraketen, die ankommende Lenkflugkörper mit bis zu Mach 4,5 schon in einer Distanz zwischen 10 und 1,5 km abfangen können und zwei 6-läufige Gatling-Kanonen mit einer Gesamtkadenz von 12.000 Schuss/min für Entfernungen von weniger als 1,5 km.

Typen von Nahbereichsverteidigungssystemen

Typ Hersteller/Land Bewaffnung
(Typ)
Läufe / Kaliber
(mm)
Kadenz
(Schuss/min.)
Reichweite
(maximal, m)
GDM-008 Millennium Rheinmetall DeutschlandDeutschland
Oerlikon SchweizSchweiz
35/1000 1 × 35 1.000 3.500
Phalanx CIWS Raytheon Vereinigte StaatenVereinigte Staaten M61 Vulcan 6 × 20 4.500 (geheim)
Goalkeeper Thales Nederland NiederlandeNiederlande GAU-8/A Avenger 7 × 30 4.200 1.500
GM25-SZ Sea Zenith
GM25-SS Sea Shield
Oerlikon SchweizSchweiz Oerlikon GBM-B1Z 4 × 25 3.400 2.000
Meroka Fabrica de Artilleria Bazán SpanienSpanien Oerlikon 20/120 12 × 20 1.440 2.000
AK-630 SowjetunionUdSSR Grjasew-Schipunow GSch-6-30 6 × 30 5.000 5.000
AK-230 SowjetunionUdSSR
RusslandRussland
2 × 30 3.000 6.700
Kortik
Kaschtan-M
Tulski Oruscheiny Sawod SowjetunionUdSSR
Konstruktionsbüro für Gerätebau RusslandRussland
AO-18K-Geschütz
9M11-Raketen
6 × 30 5.000 4.000
8.000
DARDO Oto Melara ItalienItalien
Breda ItalienItalien
Breda 40 mm L/70 2 × 40 450 8.700
Myriad CIWS Oto Melara ItalienItalien 2 × KBD 25 mm/80 14 × 25 10.000 1.000 (effektiv)
Type 730 CIWS China VolksrepublikChina angeblicher GAU-8/A-Nachbau 7 × 30 4.200 3.000
Typhoon Weapon System IsraelIsrael Oerlikon 20/120
Mauser MLG 27
GIAT 30
1 × 20
1 × 27
1 × 30
1.440
1.700
2.500
1.000
Denel 35DPG Denel SudafrikaSüdafrika GA-35 2 × 35 1.100 6.000
BC-350 Chanakya DRDO IndienIndien

Weblinks

 Commons: CIWS – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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